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Sigmar Polke, Freundinnen1965/66. Öl auf LeinwandSammlung Froehlich, StuttgartCopyright: The Estate of Sigmar Polke, Cologne / VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Provokation und Skepsis

Die große Werkschau „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister“ präsentieren die Deichtorhallen

Wer Gerhard Richter Voyeurismus vorwirft, weil ihm für sein Bild „Olympia“ 1967 pornografisches Material als Vorlage diente, der irrt sich. Nicht der gemalte Akt steht im Vordergrund, sondern der Akt des Malens. Das reflektiert die Ausstellung „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister“, die bis zum 5. Januar in den Deichtorhallen gezeigt wird.
(Foto oben: Sigmar Polke, Freundinnen1965/66. Öl auf LeinwandSammlung Froehlich, Stuttgart. Copyright: The Estate of Sigmar Polke, Cologne / VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

Kuratiert hat sie der Kunsthistoriker Götz Adriani. Er trug aus 40 musealen und privaten Sammlungen mehr als 100 Bilder, Bücher und Filme zusammen. Allesamt konzentrieren sich auf das Frühwerk der Künstler, meist stammen sie aus den 1960er Jahren. Bereits damals führten sie weit über die Konventionen hinaus. „Diese vier Maler“, sagt Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow, „haben die deutsche Kunst maßgeblich geprägt.“

Anselm Kiefer. Glaube, Hoffnung, Liebe, 1973. 298,5 x 281 cm, Kohle, Collage, Hasenblut auf Rupfen, Staatsgalerie Stuttgart, erworben mit Lotto-Mitteln 1982. Copyright: Atelier Anselm Kiefer
Anselm Kiefer. Glaube, Hoffnung, Liebe, 1973. 298,5 x 281 cm,
Kohle, Collage, Hasenblut auf Rupfen, Staatsgalerie Stuttgart, erworben mit

Lotto-Mitteln 1982. Copyright: Atelier Anselm Kiefer

Drei von ihnen – Georg Baselitz, Gerhard Richter sowie der 2010 verstorbene Sigmar Polke – kommen ursprünglich aus der DDR. Ihre Herkunft hat sich durchaus auf ihre Kreativität ausgewirkt. Besonders bei Richter. „Als er in den Westen kam“, erinnert sich Götz Adriani, „glaubte er, er müsste abstrakter malen.“ Bis er das Abmalen für sich entdeckte und sich Vorlagen in Illustrierten oder Zeitungen suchte. Dabei schien er in zwei Welten zuhause zu sein: Auf der einen Seite beschäftigte er sich mit dem Banalen, andererseits entstand 1988 der RAF-Zyklus „18. Oktober 1977“. Da er aus dem Zeitrahmen fällt, wird er in Hamburg nicht ausgestellt. Dafür greift zum Beispiel „Motorboot“ von 1965 das Wirtschaftswunder auf. Die Menschen verschreiben sich der Lebensfreude, sie genießen Luxus und Konsum.

Gerhard Richter. Schwimmerinnen, 1965 Öl auf Leinwand, 200 x 160 cm Sammlung Froehlich, Stuttgart Copyright: © Gerhard Richter 2019 (06082019)
Gerhard Richter. Schwimmerinnen, 1965 Öl auf Leinwand, 200 x 160 cm,
Sammlung Froehlich, Stuttgart. Copyright: © Gerhard Richter 2019 (06082019)

Um einiges morbider wirken die Exponate von Georg Baselitz, die den Besucher im ersten Raum der Schau erwarten. Kühle Blau- und Grautöne dominieren „Der Wald auf dem Kopf“. Mit diesem Bild legte Baselitz 1969 den Grundstein für die sogenannte Phase der Motivumkehr, die ihm zu einer weltweiten Popularität verhalf, von der andere Künstler seinerzeit nur träumen konnten. Theoretisch wäre es möglich gewesen, „Der Wald auf dem Kopf“ neben Richters „Seestück“ zu hängen. Es entstand ebenfalls 1969 und zählt zu den Landschaftssujets. „Wir haben aber lieber jedem Maler eigene Räumlichkeiten gegeben“, erläutert Dirk Luckow. „Einfach weil die Künstler zu verschiedenen sind.“

Georg Baselitz. Der Wald auf dem Kopf, 1969Öl auf Leinwand; 250 x 190 cmMuseum Ludwig, Köln, Schenkung Sammlung Ludwig, 1976Copyright: Georg Baselitz 2019
Georg Baselitz. Der Wald auf dem Kopf, 1969. Öl auf Leinwand; 250 x 190 cm,
Museum Ludwig, Köln, Schenkung Sammlung Ludwig, 1976. Copyright: Georg Baselitz 2019

So geht es also von Baselitz weiter zu Richter, danach folgt Sigmar Polke mit seinen Rasterbildern. Mit „Freundinnen“ von 1965/66 knüpft er an die amerikanische Pop Art an. Je nach Abstand zu diesem Werk verändert sich der Seheindruck. Götz Adriani macht in diesem Phänomen „eine augenzwinkernde Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit der Bilder“ aus. Gegen Anselm Kiefers Kunst wirkt solch ein Bild beinahe unschuldig. Mit „Besetzungen“, seinem ersten Projekt zur Aufarbeitung deutscher Geschichte, schockte der Provokateur 1969 seine Dozenten an der Kunsthochschule in Karlsruhe. 

Gerhard Richters „Schwimmerin“ von 1969 in der Ausstellung „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister“. Foto: Dagmar Leischow
Gerhard Richters „Olympia“ von 1967 in der Ausstellung
„Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister“.
Foto: Dagmar Leischow

Sie waren entsetzt von den Fotos, die Kiefer in Frankreich, Italien, Holland und der Schweiz mit Selbstauslöser aufgenommen hatte. Warum? Wegen der alten Wehrmachtsuniform seines Vaters, die er trug, während er den Arm zum Hitlergruß hob. Aus diesen Aufnahmen entstanden wenig später „Heroische Sinnbilder“, Kiefer überführte seine Auseinandersetzung mit dem Faschismus von der Fotografie in die Malerei. Mit der Begründung, er habe einen Schritt mitgehen wollen, um den Wahnsinn zu verstehen. Das ließ die Kunstwelt zunächst erschaudern. Lange wagte sich keine Galerie an diese Bilder heran. Erst 2008 sorgte der Kunsthändler und Sammler Heiner Bastian dafür, dass sie nicht nur restauriert, sondern auch präsentiert wurden. Jetzt hängen sie in den Deichtorhallen. Pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum des Ausstellungshauses, das am 9. November 1989, am Tag des Mauerfalls, eröffnet wurde. Dagmar Leischow


Die Ausstellung „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister“läuft bis zum 5. Januar in den Deichtorhallen. deichtorhallen.de

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