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„Bürgermeisterin“ Claudia Weise: „Das Wochenmarkt-Konzept auf dem Überseeboulevard stellen wir nach den Sommerferien auf den Prüfstand.“ ©Privat
„Wir sind das Herz der HafenCity“

Quartiersmanagerin Claudia Weise spricht mit Wolfgang Timpe über Erfolge, Wettbewerber und den Überseeboulevard

„Bürgermeisterin“ Claudia Weise: „Das Wochenmarkt-Konzept auf dem Überseeboulevard stellen wir nach den Sommerferien auf den Prüfstand.“ ©Privat Foto: oben  

Sie kann zupacken und hat einen ansteckenden Optimismus: Dr. Claudia Weise. Die Quartiersmanagerin vom Überseequartier Nord steuert den Alltag der Community und akquiriert neue Geschäftskonzepte.

Frau Weise, als Quartiersmanagerin Nördliches Überseequartier verbringen Sie rund die Hälfte ihres Lebens im Stadtteil, in der HafenCity, in der vor rund 15 Jahren die ersten Familien und Gewerbe einzogen. Wie fällt Ihre Bilanz zur HafenCity im Jahr 2019 aus? Die Hälfte meines Lebens habe ich hier nicht verbracht (lacht herzlich), aber diese Aufgabe macht tatsächlich einen großen Teil meines Berufslebens aus. 2006 habe ich hier bei einem Konsortium aus Projektentwicklern angefangen, das für das Überseequartier den Zuschlag bekam und damit für einen sehr kreativen und offen gestalteten Entwurf eines Überseequartiers, der viel mehr war als eine großen Shoppingmall, wie es damals üblich war. Seitdem habe ich alle Phasen mit begleitet und das Areal wachsen sehen. Auch die Teilung in Überseequartier Nord und Süd war ein großes Thema. Neben anderen Objekten, die ich deutschlandweit für meinen Arbeitgeber BNP Paribas Real Estate Property Management mit meinem Team verwalte, ist die HafenCity mein liebstes Baby geblieben. Ich liebe es, die Ärmel aufzukrempeln und mit Leuten Kontakt zu haben. Solange das der Fall ist und ein Projekt eine gewisse Herausforderung darstellt, macht mir die Arbeit großen Spaß. Deshalb habe ich auch nicht vor zu gehen (lacht). Wir haben uns im Laufe der Jahre extrem weiterentwickelt und sind stolz auf das, was wir geschaffen haben.  

Unter Quartiersmanagement stellt sich jeder etwas anderes vor, mal bildet der Einzelhandel und mal die Stadtteilkultur den Schwerpunkt. Was ist Ihre Aufgabe im Nördlichen Überseequartier? Das Quartiersmanagement vertritt im Unterschied zu Hausverwaltungen alle Eigentümer in einem Quartier und ist unter anderem zuständig für die Sicherheit und Ordnung in allen Außenbereichen, für die Förderung des gesamten Areals, für die technischen Außenanlagen und  für die Tiefgaragen und Außen-Stellplätze. Als Quartiersmanagerin verantworte ich ein jährliches Budget von über 1,5 Millionen Euro, das sich aus Gesellschafter- und Werbegemeinschaftsbeiträgen zusammensetzt.

Die verrückten Zwei vom Quartier: Seit der Gründung vor zehn Jahren führen Dr. Claudia Weise und Gastronom Antonio „Toni“ Fabrizi als Vorstände die Werbegemeinschaft Überseeboulevard.  Foto: Privat
Die verrückten Zwei vom Quartier: Seit der Gründung vor zehn Jahren
führen Dr. Claudia Weise und Gastronom Antonio „Toni“ Fabrizi als Vorstände die Werbegemeinschaft Überseeboulevard. Foto: Privat

Neben diesen eher technischen Aufgaben hat Ihre Arbeit auch eine sehr kreative Seite wie etwa die Open-Air-Ausstellungen auf dem Überseeboulevard, die Sie initiiert haben. Ja, der kreative Anteil meiner Arbeit ist der größte und mir auch der liebste. Ich verstehe mich als treibende Kraft, die das Überseequartier vorantreibt, ein positives Image und Frequenzen schafft – nicht mit billigen Rabattaktionen, sondern mit intelligenten Events. Wir, das Überseequartier, wollen das Herzstück der HafenCity sein: Marktplatz und Treffpunkt.  

Dr. Claudia Weise ist Bereichsleiterin für Center- und Quartiersmanagement der BNP Paribas Real Estate Property Management GmbH, die in Deutschland über 7,4 Millionen Quadratmeter Fläche verwaltet. Als Volljuristin hat sie in leitenden Funktionen die Schwerpunkte Handel, Gastronomie und Freizeitnutzungen der Immobilienwirtschaft durchlaufen. Seit 2006 ist Claudia Weise u.a. im Überseequartier der HafenCity in Hamburg engagiert und leitet nach der Entwicklung, Vermietung und Managementaufbau des Quartiers nun das Quartiersmanagement sowie die Verwaltung des bisher gebauten Überseequartiers im Norden. In der Freizeit hat sich die passionierte Reiterin mit ihrem Lebenspartner ganz der Vielseitigkeitsreiterei mit eigenen Pferden verschrieben.

Nur die abendliche Flaniermeile ist der Überseeboulevard immer noch nicht geworden. Der nördliche Teil des Überseequartiers war von Anfang nur vorgesehen für die Nahversorgung mit kleinteiligem Einzelhandel. Nicht mehr. Um als Shopping-Destination punkten zu können, brauchen wir das südliche Überseequartier mit seinem Angebot, das weit über unseres hinausgeht. 

Was fehlt denn im Nördlichen Überseequartier für eine abendliche Belebung? Abendliche Belebung? Bitte nicht bei uns und das ist kein Scherz. Wir sind gut versorgt mit dem Club 20457, dem Toni, Andronaco, dem Wilden Fäulein, dem Neni, der Boilerman-Bar und der Gastronomie im 25hours. Viel mehr verträgt sich nicht mit den Interessen der Bewohner. Wir haben mit 360 Wohnungen einen sehr großen Wohnanteil. Dort wohnen Menschen, auch viele Kinder, die abends ihre Ruhe brauchen. Wir wollen lebendig sein, wir müssen aber auf alle Rücksicht nehmen und die Interessen aller bedenken. Ich muss dafür sorgen, das es allen gut geht: Mietern, Einzelhandel und Gastronomie. Das ist meine Aufgabe als Quartiersmanagerin. 

Welche Schulnoten würden Sie dem Nördlichen Überseequartier rund zehn Jahre nach seiner Eröffnung geben? Das ist so unterschiedlich wie bei Fächern in der Schule. Auf die Vollvermietung bei Wohnungen wie Büros, die wir nach einigen Tälern inzwischen erreicht haben, sind wir stolz. Dafür würde ich uns eine Eins geben. Der Einzelhandel insgesamt hat dagegen noch Luft nach oben, was die Mischung und das Angebot betrifft und bekommt deshalb insgesamt eine Zwei bis Drei. Einzelne Konzepte würde ich allerdings auch kritischer mit einer Vier bewerten. 

»Im Vergleich mit anderen Städten verträgt Hamburg durchaus noch mehr Einzelhandel.« Foto: Privat
»Im Vergleich mit anderen Städten verträgt
Hamburg durchaus noch mehr Einzelhandel.« Foto: Privat

Anwohner und Kaufleute lieben und leiden am Überseeboulevard. Der verspricht seit Jahren kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung und leidet zugleich unter dem fehlenden Kreuzfahrtterminal und das erst 2022 fertig werdende Südliche Überseequartier „Westfield Hamburg Überseequartier“. Wie managen Sie eigentlich das Unvollendete, auf das Sie keinen Einfluss haben? Man kann nur Einfluss haben, wenn man zusammenarbeitet. Wir sind alle keine Hellseher, aber mit Unibail Rodamco Westfield ist aus meiner Sicht der beste Entwickler in dieser für den Einzelhandel schwierigen Zeit gefunden worden.

Wie stehen Sie zu der Kritik von Anwohnern gegen das Südliche Überseequartier, die sich größte Verkehrssorgen machen und sich überrumpelt fühlen, weil die heutigen Planungen weit über die ursprüngliche Dimension hinausgehen? Es war immer klar, dass das Südliche Überseequartier kommt. Ich habe aber Verständnis für die Kritik und Sorgen der Anwohner, weil sich das Gesamtkonzept, die Geschosshöhen und Flächengrößen tatsächlich im Laufe der Jahre stark verändert haben. Aber das ursprüngliche Konzept war ehrlicherweise nicht realisierbar. 

Der Einzelhandel Nord befürchtet für die City von Hamburg ein „Ausbluten“ der Innenstadtgeschäfte. Drama oder Realismus? Sicherlich werden die Umsätze umverteilt und teilweise auch zurückgehen. Laut eines Gutachtens werden auch wir im ersten Jahr nach Eröffnung des Südlichen Überseequartiers mit zehn Prozent Umsatzeinbußen rechnen müssen. Das hat mich erstaunt, aber ich bin davon überzeugt, dass sich das wieder einspielt. Konkurrenz belebt das Geschäft. Und Vergleiche mit anderen Städten zeigen, dass Hamburg durchaus noch mehr Einzelhandel verträgt. Er muss nur innovativer werden.

Warum haben es Stadtteilklassiker wie ein Wochenmarkt und lebendiges Gastronomie- und Kulturleben auf dem Überseeboulevard so schwer? Das ursprüngliche Konzept sah vor, eine überdachte Markthalle mit vielen verschiedenen Stände neben dem Alten Hafenamt zu bauen. Für einen wirtschaftlichen Betrieb aber hätte man eine Grundfrequenz von 50.000 Besuchern pro Tag gebraucht. So entstand der Traum von einem lebendigen Wochenmarkt. Doch auch dafür ist die Frequenz zu gering. Und man darf eins nicht vergessen: Mit dem Wochenmarkt wie auch mit dem Food-Truck-Markt verärgern wir ansässige Gastronomen und Lebensmittel-Anbieter wie Edeka und Alnatura, weil sie ihr Mittagsgeschäft verlieren. Sie sind es, die hohe Mieten und Beiträge für die Werbegemeinschaft wie das Quartiersmanagement zahlen und so dazu beitragen, dass sich das Quartier entwickeln kann. Wir müssen abwägen, wie es weitergeht und werden das Wochenmarkt-Konzept nach den Sommerferien auf den Prüfstand stellen.  

Sie sind über zehn Jahre als Quartiersmanagerin dabei. Was waren Ihre persönlich schwierigsten Zeiten und was Höhepunkte? Die schwierigste Zeit war direkt nach der Eröffnung, weil wir damals mit vielen Leerständen zu kämpfen hatten und mit Baumängeln. Und das Konsortium brach zu der Zeit auseinander, so dass Ansprechpartner und Verantwortliche plötzlich nicht mehr da waren. Schön sind für mich eher die kleinen Momente, zum Beispiel, wenn ein Event wie unsere Weihnachtslounge gut angenommen wird, obwohl viele nicht daran geglaubt haben.

Früher wurden Wohnungen gebaut, die Menschen, die Gewerbe und der Einzelhandel zogen ein, und irgendwann war es ein lebendiger Stadtteil. Heute brauchen Stadtteile ein Quartiersmanagement, das das Zusammenleben steuert. Warum braucht heute zum Beispiel das Nördliche Überseequartier mit seinem Überseeboulevard die Quartiersmanagerin Claudia Weise? Ein Quartiersmanagement ist grundsätzlich wichtig, um für eine einheitliche Struktur auf den öffentlichen Allgemeinflächen zu sorgen. Sonst würde es hier vor den Gebäuden aussehen wie Kraut und Rüben. Wir sind quasi das Bezirksamt des nördlichen Überseequartiers. Als Quartiersmanagerin bin ich quasi die Bürgermeisterin. 

Die Elbphilharmonie ist für Hamburg ein erfolgreicher Kulturimage-Leuchtturm und feierte auf der Plaza gerade den 10-millionsten Besucher. Warum profitieren Gewerbe und Einzelhandel so wenig von der Touristenattraktion? Die Antwort gehört in die Kategorie „Man lernt nie aus“: Wir haben sehnsüchtig auf die Eröffnung der Elbphilharmonie gewartet und dann 2017, im Jahr der Eröffnung, einen riesigen Einbruch bei Umsätzen und Besucherfrequenz erlitten. Wir waren schier entsetzt, die Gründe letztlich aber einleuchtend. Wir profitieren nicht, weil  wir durch die zunehmende Bebauung für Elbphilharmonie-Besucher optisch nicht mehr wahrnehmbar sind, aber aufgrund verschiedener Auflagen werblich auch nicht auf uns aufmerksam machen dürfen. Hinzu kommt, dass der Tourist meist vom Baumwall anreist und nach zwei Stunden Elbphilharmonie-Erkundung zu erschöpft ist, um sich  noch auf den Weg durch die HafenCity zu machen.

Vielseitigkeitsreiterin Claudia Weise: „,Höher, schneller, weiter’ liegt mir im Sport sehr.“ Foto: Privat
Vielseitigkeitsreiterin Claudia Weise:
,„Höher, schneller, weiter’ liegt mir im Sport sehr.“ Foto: Privat

Manche Kaufleute nennen die Elbphilharmonie deswegen ein „UFO mit Staubsaugereffekt“, die zwar Hamburg Geld und Ansehen bringt, und der HafenCity nur viel Verkehr und viele Touristen. Das stimmt und wir haben es völlig anders erwartet. Im Textil-Bereich sind die Umsätze 2017 sogar um 30 bis 40 Prozent eingebrochen, 2018 konnten wir die Verluste minimieren. Aber wir müssen daraus die Konsequenzen ziehen und werden deshalb in nächster Zeit einige Konzepte austauschen. 

Welche Branchen haben Zukunft? Zukunft hat das besondere Angebot, das Nischenprodukt wie die tolle Lederjacke oder der handgefertigte Holztisch. Und Treffpunkte sind angesagt. Das muss nicht unbedingt eine Gastronomie sein, es kann auch ein Pop-Up-Store sein. Wir müssen umdenken und innovative Konzepte entwickeln. Denn eins ist klar: Der Trend in den USA, wo bis 2023 voraussichtlich bis zu 30 Prozent aller Shoppingcenter schließen müssen, wird auch Deutschland erreichen. Die Shoppingcenter-Branche ist in heller Aufregung.

Sie müssen als Immobilien- und Stadtteilentwicklungs-Fachfrau in Beton leben und ihn zugleich managen, menschlicher machen. Wo und wie schalten Sie vom Job ab? Ich bin der Natur leidenschaftlich verbunden und aktive Reiterin mit eigenen Pferden. Man findet mich in jeder freien Minute bei meinen Pferden. Ich reite auch Jagden.  „Höher, schneller, weiter“ liegt mir im Sport sehr. Mir macht es Spaß, in der Natur zu sein und mir gemeinsam mit einem Tier etwas zu erarbeiten. 

Sind Sie vielleicht trotz ihrer ökonomischen Fokussierung eine Romantikerin? Nein, das würde mir nicht gerecht werden. Ich bin authentisch, zielorientiert und verfüge über einen großen Anteil an Empathie. Und ich bin ein gradliniger, strukturierter Mensch, der das Risiko liebt – manchmal vielleicht zu sehr (lacht). Man kann auf mich setzen, ich spüre oft eine gewisse Ungeduld und bin weniger für filigrane Arbeiten und Tätigkeiten zu begeistern: Ich miste lieber einen Stall aus als einen Tisch zu dekorieren oder in der Küche zu stehen.

Was wünschen Sie sich für die HafenCity in den kommenden fünf Jahren? Dass sich die positive Welle, auf der das Überseequartier und die gesamte HafenCity jetzt reiten, anhält. Die Faszination HafenCity, die sich in Hamburg, national und international, immer mehr ausbreitet, ist das Beste, das uns passieren kann. So sehr wir in den vergangenen Jahren belächelt wurden, so gefragt sind unsere Erfahrungen nun zum Thema „erfolgreiches Management eines Mixed-Used-Quartiers“ wie dem Nördlichen Überseequartier heute auf internationalen Kongressen der Branche.
Das Gespräch führte Wolfgang Timpe

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