Andreas Schneider, Landschaftsarchitekt und Projektmanager bei der HafenCity Hamburg GmbH über den Amerigo-Vespucci-Platz, Niveauunterschiede und einzigartige Freiraumnutzungen eines öffentlichen Stadtplatzes
1 Herr Schneider, wir stehen unter einer österreichischen Schwarzkiefer auf dem Amerigo-Vespucci- Platz (AVP), der ab 5. Juni für die Öffentlichkeit freigegeben sein wird. Was zeichnet den Amerigo- Vespucci-Platz aus, den Sie geplant haben? Entworfen haben den Amerigo-Vespucci-Platz die Landschaftsarchitekten von Atelier Loidl aus Berlin, die als Sieger aus einem internationalen freiraumplanerischen Wettbewerb hervorgegangen sind, den wir als HafenCity Hamburg GmbH 2016 ausgelobt haben. Das Atelier Loidl hat in der HafenCity auch schon die Freiräume im Quartier Baakenhafen geprägt, u.a. sind sie auch verantwortlich für den Entwurf des Baakenparks, den wir schon lange als öffentlichen Stadt- und Freiraum genießen dürfen. Der Amerigo-Vespucci-Platz ist ein moderner Stadtplatz, der multifunktional ist. Ihn zeichnen nicht nur große Pflasterflächen aus, die für Marktflächen und für verschiedenste Veranstaltungsformate wie zum Beispiel kleine Konzerte oder Lesungen mit Bestuhlung geeignet sind. An bestimmten Orten des Platzes gibt es Senkelektranten und Hydranten, so dass man eine Strom- und Wasserversorgung für solche Formate auf dem Platz hat. Darüber hinaus erfüllt der Amerigo-Vespucci-Platz ökologische Funktionen eines grünen Stadtplatzes mit über 80 Bäumen in fünf verschiedenen Baumarten, die hier gepflanzt worden sind, um der Entwicklung von Flora und Fauna in einem urbanen Stadtraum auch Rechnung zu tragen.
Foto oben: Landschaftsarchitekt Andreas Schneider von der HafenCity Hamburg GmbH auf dem von ihm mit entworfenen Amerigo-Vespucci-Platz. © Wolfgang Timpe
2 Halten die Bäume und Bepflanzungen den herausfordernden Winden, Stürmen und Emissionsbelastungen an Hafen und Elbe stand? Ja, danach haben wir sie ausgesucht. Alle Bäume wie zum Beispiel der Zürgelbaum oder die Scharlach-Eiche sind windresistent und gehören zu den sogenannten Klimabäumen, das heißt, dass sie den heute schon veränderten klimatischen Veränderungen Rechnung tragen und standhalten. Ein Klimabaum kommt langfristig gut mit Trockenheit und Hitze – gerade im städtischen Raum – klar und auch mal eine Zeit lang ohne Wasser. Natürlich nicht in der Anfangsphase, sondern bei einer nachhaltigen Baumentwicklung, in der die Bäume eben auch 100 Jahre und älter in der Stadt werden können. Deswegen haben wir auf den Vegetationsflächen des Platzes die säulenartigen „Resista Ulmen“ gepflanzt, die sehr resistent gegen die Ulmenkrankheit und darüber hinaus wärmeliebend und sehr windfest, also stadtklimaverträgliche Bäume sind. Und ganz praktisch: Neben den Wurzelballenverankerungen haben die großen Schwarzkiefern zusätzliche Baumverankerungen bekommen, um die großen Bäume in der Anwuchsphase zusätzlich zu sichern und zu fördern.
3 Warum hat der Amerigo-Vespucci-Platz Kopfsteinpflaster-Steine? Das ist ein maritimes Erbe, dass wir in der HafenCity und ihren öffentlichen Stadträumen weiterverfolgen. Auf alten Fotos kann man sehen, dass die früheren Hafenanlagen der heutigen HafenCity stark durch solche Großsteinpflaster-Belege geprägt waren, die man besonders auf den Kaiflächen, aber auch im Straßenbau eingesetzt hat. In der HafenCity haben wir dieses alte Pflaster gesichert und in der Stadt baut man diese alten Kopfsteinpflasterstraßen wieder aus, weil sie zu starken Lärmgeräuschen in der Stadt führen und unkomfortabel sind. Wir verwenden diese Pflaster gerne weiter und behandeln aber die Oberflächen. Die Köpfe der Pflaster- steine, die abgesägt werden, bilden eine besonders glatte Fläche und sind damit komfortabler und vor allem auch barrierefrei für Kinderwagen und Rollstuhlfahrer:innen zu begehen und befahren.
4 Der Platz hat optisch eine deutliche Struktur. Was haben Pflastersteine, was andere Materialien nicht haben? Das Kopfsteinpflaster hat Charakter, der durch die zickzackartige Reihenverband-Verlegung auf dem Platz noch betont wird, jeder Stein wird akkurat in Reihe gelegt. Im Straßenbau gibt es noch den sogenannten wilden Verband oder die „Passe“, in der die Pflastersteine diagonal und versetzt verlegt werden. Die Landschaftsarchitekten von Atelier Loidl wollten dem Amerigo-Vespucci-Platz eine eigene Identität verleihen, der dank der diagonal angeordneten Zickzack- Reihen einen ganz eigenen Charakter bekommen hat.
5 Also eine wilde geordnete Variante? Das kann man so sagen, weil die Kopfsteinpflaster-Steine im Reihenformat gepflastert, aber diagonal angeordnet sind und noch häufiger ihre Richtung wechseln. Sie stärken so auch ganz bewusst die Ost-West-Richtung des Entwurfsmotivs dieses Platzes, den keine Zäsur in der Höhenanlage durch Stützwände oder Mauern prägt. Wir haben am Amerigo-Vespucci-Platz einen Höhenunterschied von annähernd vier Metern. Und das war mit ein Grund, warum das Atelier Loidl den ersten Platz im Wettbewerb belegt hat, weil sie keine Stützwände und Rampen eingezogen haben, wie wir es zum Beispiel von den Magellan- oder Marco-Polo-Terrassen kennen, wo wir ein oberes und ein unteres Platzniveau vorfinden. Hier haben sie den Höhenunter- schied durch eine lang geneigte Ebene geschaffen, die sich aber in einem normalen Entwässerungsgefälle von rund drei Prozent bewegt. Dadurch hat man beim Begehen des Platzes nicht das Empfinden, dass man über eine schiefe Ebene, sondern über einen ebenen Platz geht. Er steigt vom Becken des Baakenhafens Richtung Osten kontinuierlich bis zum Niveau der Baakenwerder Straße und der U- und S-Bahnstation Elbbrücken an.
6 Am seitlichen nördlichen Rand des Platzes gibt es terrassenartig angelegte Sitzflächen mit Ausblick auf das Hafenbecken, den Baakenpark und auch die Silhouette und die Kirchtürme der Stadt. Ist das eine stilistische Erinnerung an ein Amphitheater? Ja, das war eine grundsätzliche Idee, die wir als Warftwand- gestaltung im gesamten Baakenhafen-Quartier umsetzen, wie zum Beispiel schon an der Bebauung des Versmannkais mit dem Jufa-Hotel und den Wohnbauten zu sehen ist. Dort bestehen die Warftwände in einem einheitlichen Motiv aus dunkelrot bis bräunlich-buntem Klinkermterial. Dieses Prinzip der Warft- wände geht in den Amerigo-Vespucci-Platz über und läuft hier in Richtung Osten langsam abflachend aus – in geneigten Wän- den auf der Südseite und den Sitzstufen auf der Nordseite des Platzes. Man kann auf den Steinen und komfortabler auf den Holzauflagen sitzen, die als Bänke in das Mauerwerk integriert sind. Der Platz wird jedoch darüber hinaus weitere Sitzformen mit kleineren Stuhlgruppen und Bankkonstellationen bekom- men. In den letzten Tagen vor der Eröffnung werden wir noch rustikale große Holzbänke aus Eichenbalken bekommen, so dass der Amerigo-Vespucci-Platz eine Vielzahl an Aufenthalts- möglichenkeiten bieten wird – zum Sitzen oder zum Liegen, etwa auf den kleinen Rasenflächen, die den Platz säumen.
7 Der Platz wird u.a. von umliegenden Büronutzungen wie der Vattenfall-Zentrale oder den Edge-Co-Working-Spaces umgeben sein. Kann es künftig ein lebendiges Abendleben auf dem Platz geben? Wir können alle nicht in die sogenannte Blaue Glaskugel gucken, aber ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Stadtplatz sehr gut von der Bevölkerung angenommen wird, was zum Teil schon jetzt während der letzten Bauarbeiten passiert. An meinen Wochenendspaziergängen, wenn ich mir den Baufortschritt anschaue, sehe ich zahlreiche Bürger:innen, die sich am Bauzaun vorbeischlängeln, um das neue Platzprojekt und seine Ausblicke schon mal aus der Nähe kennenzulernen.
8. Was lockt, was fasziniert die Menschen offenbar? Der Amerigo-Vespucci-Platz hat einfach eine fantastische Lage am Kopf des Baakenhafens und wird besonders am Spätnachmittag und am Abend mit der Abend- sonne, die voll auf dem Platz liegen wird, eine einzigartige Stimmung haben. Wir haben im Baakenhafen und Elbbrücken- quartier einen hohen Anteil von Wohnungsnutzungen, auch wenn das Elbbrückenquartier eher durch Büro- und Dienstleistungsnutzungen geprägt sein wird. Doch auch dort gehen wir von einer hohen Frequenz schon um die Mittagszeit herum aus, denn frische Luft und die Aufenthaltsqualiät des Platzes werden auch für Beschäftigte während der Mittagspause attraktiv sein. Und abends gehen wir davon aus, dass der Amerigo-Vespucci- Platz neben den Anwohner:innen der HafenCity sich auch zu einem Ort für alle Hamburger:innen entwickeln wird, an dem man sich gerne verabredet und trifft.
9. Was würden Sie als Veranstalter auf dem künftig größten Platz der HafenCity anbieten? Man kann hier hervorragend klassische Wochenmärkte abhalten, aber für mich läge der noch größere persönliche Reiz darin, dass man die Sitzstufen für Theateraufführungen, Lesungen und Tanzveranstaltungen nutzt. Aus diesem Grund sind ja mit der sogenannten Hafenloge direkt über der Kaimauer am Baakenhafen noch einmal Sitzstufen angeordnet worden, auf denen man sich gut aufhalten kann und dem Wasser besonders nahe ist. Ich fände es ein tolles Event, auf einem Ponton im Hafenbecken eine Leinwand aufzubauen, um wie auf der Binnenalster ein Freiluftkino zu veranstalten.
10 Was wünschen Sie dem Amerigo-Vespucci- Platz? Dass er in der Bevölkerung gut angenommen wird, dass die Ideen der Landschaftsarchitekten, die wir mit ihnen weiterentwickelt haben, mit Leben erfüllt werden und ein Stadtplatz entsteht, der vielseitig genutzt werden kann. Einfach auch, um sich hier zu erholen und das Grün zu genießen, auch wenn er als Platz eben große Pflasterflächen hat. Er soll Menschen zusammenbringen und bietet gute Workout-Möglichkeiten mit seinen Stufenanlagen und geneigten Mauerflächen. Der Amerigo-Vespucci-Platz animiert dazu, sich körperlich zu betätigen, was gerade in der Hafen- City am Feierabend stark genutzt wird. Mit der Eröffnung des Platzes wird die Promenadenverbindung über den Baakenpark entlang des gesamten Hafenbeckens erreichbar sein. Das ist ein enormer Gewinn der Freiraumentwicklung in der gesamten HafenCity und ein wichtiger Abschnitt der insgesamt 10,5 Kilometer langen Promenadenstrecke, die in der HafenCity von der Oberbaumbrücke über den Strandkai bis hier her zum Amerigo-Vespucci-Platz entstehen werden – egal, ob man am Hafenbecken entlang geht, läuft, joggt, mit dem Fahrrad unterwegs ist oder sich auf einer der zahlreichen Bänke aufhält. Das Gespräch führte Wolfgang Timpe
Andreas Schneider, 54, ist Landschaftsarchitekt und seit 2008 Projektmanager bei der HafenCity Hamburg GmbH (HCH) für die Entwicklung von öffentlichen Stadträumen in der HafenCity. Als Se- nior Projektmanager der HCH ist Schneider aktuell u.a. für den neuen Amerigo-Vespucci-Platz in der östlichen HafenCity im Elbbrücken- quartier verantwortlich.