»45 Prozent Rückgang beim Haussperling!«

Exklusiv-Interview. Fragen an den Landschaftsökologen und NABU-Hamburg-Vogelschutzverantwortichen Marco Sommerfeld, warum in der HafenCity kaum noch Spatzen anzutreffen sind

Herr Sommerfeld, ­viele Bewohner:innen der HafenCity, zum Beispiel Am Kaiserkai, rund um den Lohsepark und auch im Baakenhafen, haben beobachtet, dass in diesem Jahr plötzlich kaum noch Spatzen da waren – und das, nachdem die Population jahrelang gewachsen war. Stimmt die Beobachtung? Ja, das stimmt leider. Irene ­Poerschke vom NABU-Arbeitskreis Vogelschutzwarte Hamburg hat dieses Jahr die Bruterfassung in der HafenCity durchgeführt und dabei 45 Prozent Rückgang beim Haussperling im Vergleich zu 2022 festgestellt. 
Foto oben: Nistkästen für Haussperlinge von der deutschen Wildtier Stiftung im Lohsepark.© Catrin-Anja Eichinger

Betrifft der Rückgang noch andere Arten? Die beiden Gebäudebrüter Mauersegler (–50 Prozent) und Mehlschwalbe (–30 Prozent) haben im Vergleich zur Erfassung im Jahr 2019 auch abgenommen. 

Sind die Zahlen auch in anderen Teilen Hamburgs so dramatisch eingebrochen? Ich hatte den Eindruck, dass auch an anderen Standorten des Haussperlings, beispielsweise im Bezirk Altona, weniger Vögel anwesend waren. 

Ist der Lebensraum und damit die Nahrungsgrundlage wie zum Beispiel Insekten geschrumpft? Das ist schwer zu sagen, da wir keine Untersuchungen zur Insektenvielfalt in der HafenCity vorliegen haben. Aber generell benötigen Insekten Blühstreifen und Sträucher mit heimischen Wildpflanzen, die sind in der HafenCity nur spärlich zu finden.

Marco Sommerfeld, Diplom-Landschaftsökologe und im NABU Hamburg auch für Vogelschutz zuständig, zur Haussperling-Hilfe: „Die Steigerung der Biodiversität bei den Pflanzen in Parks, Gärten und Balkonen ist eine erste Maßnahme.“ © NABU Hamburg

Auch Mauersegler und Schwalben brauchen Mücken für die Ernährung der Jungen. Warum fehlen denn plötzlich Mücken? Es kann auch sein, dass „Langstreckenzieher“ wie Mehlschwalbe und Mauersegler verspätet oder nicht in der gleichen Anzahl wie im Vorjahr wiedergekommen sind. Bei den Insekten gab es meines Wissens keine ganz gravierenden Abnahmen – beispielswiese von Mücken.  

Was muss jetzt geschehen, damit die Populationen wieder wachsen? Der Haussperling frisst überwiegend Insekten und verfüttert diese auch an seine Jungvögel. Daher ist die Steigerung der Biodiversität bei den Pflanzen in Parks, Gärten und Balkonen eine erste Maßnahme. Denn heimische Pflanzen fördern die Vielfalt der Insekten. Gerade der Haussperling benötigt auch dichte, üppige, dornige und besonnte Hecken als Sammelplatz und Schlafplatz. Dichte Fassadenbegrünungen können hier auch guten Ersatz bieten. 

Zum November gehören die Laubbläser zum Blätterwegschaffen. Ist das für die Vögel eigentlich gut? Der NABU lehnt diese Methode der Laubentfernung ab, da durch die starken Luftbewegungen viele Insekten- und Spinnenlebensräume stark beeinträchtigt werden. Gerade in Gärten oder Parks sollte man in der einen oder anderen Ecke Blätter liegen lassen. Diese Blätterhaufen bieten vielen Tieren Rückzugsraum und Unterschlupf – von Spinnen über Erdkröten bis zum Igel. Das wird häufig leider übersehen.

Was wäre die Alternative? Besser ist es, zu Besen und Rechen zu greifen oder das Laub insbesondere unter Sträuchern und Bäumen liegen zu lassen. Das gilt vor allem für Privatgärten.

Warum braucht die HafenCity aus Ihrer Sicht mehr Grünflächen? Grünflächen sind nicht nur für Tiere und Pflanzen als Lebensraum wichtig, sondern steigern erheblich die Zufriedenheit von Bewohner:innen einer Stadt. Zudem helfen sie bei ausreichend Volumen bei der Abkühlung in Hitzeperioden und tragen damit wesentlich zur Gesundheit der Menschen bei. 

Der Winter steht vor der Tür. Sollten Vögel überhaupt gefüttert werden und wenn ja, womit? In der kalten Jahreszeit können Gartenvögel gefüttert werden. Das fördert die Überlebenschancen in sehr kalten Perioden. Als Basisfutter, das fast alle Vögel fressen, eignen sich Sonnenblumenkerne. Körnermischungen haben den Vorteil, dass die unterschiedlichen Samen den verschiedenen Geschmäckern der Vogelarten entgegenkommen. Hier sollte man darauf achten, dass sie frei von Ambrosia-Samen sind, die schädlich sind für Vögel. Und unabhängig von der Art des Futters empfiehlt der NABU stets regionales und ökologisches Futter. Zur Brutzeit sollte man die Fütterung einstellen, da man durch falsches Futter (beispielswiese Fettfutter oder Erdnusskeren) ganze Bruten von Meisen oder anderen Arten schaden kann.
Die Fragen stellte Wolfgang Timpe

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Marco Sommerfeld, 53, ist Diplom-Landschaftsökologe, Mitglied im Team der Landesgeschäftsstelle von NABU Hamburg, Referent für Vogelschutz und Leiter der NABU-Vogelstation Wedeler Marsch.

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