Konzert. DESY-Teilchenphysik inspiriert Musik – und umgekehrt: Gloria Brunis Oper »Schöpfung – Fragmente« wird am 27. April in St. Katharinen aufgeführt
Natürlich will Teilchenphysikerin Dr. Beate Heinemann den Ursprung des Universums noch mehr begreifen, und „wir sind da schon unglaublich weit gekommen und verstehen recht gut, was in den ersten Milliardstel Sekunden nach dem Urknall passiert ist“, sagt sie im Gespräch mit der HafenCity Zeitung. Darüber, doch auch über den Faible, den die Direktorin für Teichenphysik am DESY neben ihrer Forschungsneugier für Kreativität, Ästhetik, Musik und das reale Leben hat, sollten Sie unbedingt mehr erfahren. Auch ein Urknall – irgendwie.
Frau Heinemann, die Erforschung des Weltalls, der Urknall und schwarze Löcher und damit auch die Arbeit des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) sind die Quellen der Inspiration zur Oper „Schöpfung – Fragmente“ der Komponistin Gloria Bruni in der Kirche St. Katharinen. Was hat die weltberühmte DESY-Forschung aus Hamburg in einem Gotteshaus zu suchen? Eine unserer Wissenschaftlerinnen hat sich viel mit der Komponistin der Oper „La Creazione“ (italienisch für die „Die Schöpfung“, Anm. d. Red.) über den Anfang des Universums, das Thema der Oper, unterhalten – das spiegelt sich in der Oper wider. Fragmente dieser Oper werden nun in der Kirche St. Katharinen aufgeführt, und DESY ist gern Schirmherrin dieser Veranstaltung. Im Übrigen sind DESY und Kirche aber gar kein so großer Widerspruch, wie man vielleicht denken mag. Wir erforschen die Bestandteile und Gesetze des Universums und seine Anfänge, also die Frage, wie es zum Urknall kam – was davor war, liegt derzeit außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs, da setzen dann Religion und Philosophie an. Auch die Forschung lässt also Raum für Glauben.
VITA Dr. Beate Heinemann ist Direktorin für Teilchenphysik am DESY. Sie promovierte am H1-Experiment an DESYs HERA-Beschleuniger und arbeitete unter anderem am CDF-Experiment am Fermilab und ATLAS am Large Hadron Collider am CERN, zunächst als Forscherin der University of Liverpool (UK) und später der University of California, Berkeley (USA). 2017 wurde sie Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und Professorin für experimentelle Teilchenphysik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Beate Heinemann ist seit Februar 2022 Direktorin für Teilchenphysik.© Foto oben: Desy
Spätestens seit Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ gilt klassische Musik als Teilchenbeschleuniger für Fragen der menschlichen Existenz. Warum passt opernhaft-konzertante Musik offenbar zu den ewigen Fragen des Ursprungs von Leben und Weltall? Kunst und Wissenschaft ähneln sich insofern, da beide ein hohes Maß an Kreativität benötigen, einen großen Wert auf Ästhetik legen und sich mit den ganz großen Fragen der Menschheit beschäftigen. Viele Komponisten und Komponistinnen des 21. Jahrhunderts wurden auch durch die moderne Physik inspiriert, wie etwa Karlheinz Stockhausen oder auch Gloria Bruni. Zudem kann ja gerade klassische Musik sehr dramatisch klingen, und das passt ja auch gut zum Urknall!
Was treiben Sie und Ihr Team im DESY an, die letzten oder die ersten Fragen der Menschheit? Mich persönlich treibt es an, die Physik, die den Ursprung und die Entwicklung unseres Universums bestimmt, zu verstehen. Ich denke, das sind weder die ersten noch die letzten Fragen, sondern die fundamentalen. Wir sind da schon unglaublich weit gekommen und verstehen recht gut, was in den ersten Milliardstelsekunden nach dem Urknall passiert ist. Allerdings gibt es auch noch Rätsel, und deren Lösung vermuten wir noch früher, also ganz am Anfang des Universums. Wir verstehen zum Beispiel nicht, warum es mehr Materie im Universum gibt als Antimaterie. Das ist buchstäblich eine existenzielle Frage, da es sonst weder uns Menschen noch unseren Planeten, noch überhaupt Sterne oder Galaxien gäbe. Mithilfe von Teilchenbeschleunigern und astronomischen Observatorien können wir zu genau diesen Fragen neue Erkenntnisse gewinnen.
Gewinnspiel Die HafenCity Zeitung verlost 1x 2 Eintrittskarten für die Oper „Schöpfung – Fragmente“ am Do., 27. April, 19 Uhr, in der Hauptkirche St. Katharinen. Senden Sie uns eine E-Mail mit Ihrer Adresse und Ihrer Handynummer unter dem Stichwort „Schöpfung“ an gewinnspiel@hafencityzeitung.com. Der Einsendeschluss ist Freitag, 14. April 2023, 18 Uhr. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
DESY steht ja auch für die höchstspezialisierte Entwicklung, den Bau und Betrieb von Teilchenbeschleunigern, für Teilchen- und Astroteilchenphysik. Warum konnte ein Hightech-Supergerät wie DESY aus Hamburg weltweit ein Popstar werden? Was haben DESY und Ihr Team, was andere Physikforschungsprojekte nicht haben? Das freut mich, dass Sie das so sehen! DESY gibt es ja schon seit über 60 Jahren und es hat sich während dieser Zeit immer wieder gewandelt und neue Technologien vorangetrieben. Ich denke, es ist wichtig, sich nie auf vergangenen Lorbeeren auszuruhen und immer wieder den Status quo zu hinterfragen und neue Ideen voranzutreiben. Und sich eben auch manchmal in neue Bereiche vorzuwagen, zum Beispiel die Musik.
Wir erleben seit einem Jahr mit dem Ukraine-Krieg und gewaltigen finanziellen Belastungen für die Menschen schwere gesellschaftspolitische Zeiten bei uns und in Europa. Hat die Teilchenphysik ein Verhältnis zum wahren Leben? Dieser Krieg ist furchtbar, und die Frage ist sehr berechtigt. Der Krieg hat auch unsere Arbeit bei DESY massiv beeinflusst. So haben wir sofort alle Kooperationen mit russischen Instituten ausgesetzt und unsere Gästehäuser für Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, geöffnet. Seit über einem Jahr wohnen etwa 40 Leute in den Gästehäusern, vor allem Frauen mit Kindern. Kürzlich haben wir auch eine sechswöchige Schulung speziell für ukrainische Studierende organisiert, an der 22 Studenten und Studentinnen teilgenommen haben, die am DESY Vorlesungen gehört und bei Forschungsprojekten teilgenommen haben. Und wir haben auch neue Kontakte aufgebaut zu wissenschaftlichen Institutionen dort, zum Beispiel in Charkiw, um Kooperationen zu stärken. Wir sind uns also durchaus der furchtbaren Situation bewusst, in der sich die Ukraine und ihre Bürger befinden, und versuchen etwas zu tun, aber es ist natürlich alles nur ein kleiner Beitrag.
Sie werden einen Einführungsvortrag zu „Schöpfung – Fragmente“ in St. Katharinen halten. Verraten Sie uns schon mal, was Sie an diesem Brückenschlag zwischen Teilchenphysik und klassischer Musikkultur gereizt hat? Ich persönlich liebe einfach Musik. Schon als Teenager und während meiner Studienzeit bin ich zu unglaublich vielen Konzerten gegangen: Symphoniekonzerte live zu erleben ist etwas ganz Besonderes für mich. Außerdem reizt es mich, die Wissenschaft mehr in die Gesellschaft zu tragen, und ich sehe hier eine gute Gelegenheit. Ich denke, dass ein Konzert ein guter Anlass ist, um den Leuten die Faszination der modernen Physik zu vermitteln, die sich normalerweise nicht so sehr mit Naturwissenschaften beschäftigen. Insgesamt ist es meiner Ansicht nach wichtig, mehr Brücken zu schlagen zwischen verschiedenen Bereichen des Lebens, zum Beispiel zwischen Kunst, Sport, Literatur etc. und Naturwissenschaft und Technik, die ja in der heutigen Welt einen immer größeren Stellenwert einnehmen.
Ist DESY ein Gotteshaus der Physik? Es wird sicher manchmal als ein „Mekka“ oder „Tempel“ der Physik bezeichnet. Wenn man darunter eine Einrichtung versteht, zu der Leute aus der ganzen Welt kommen, um sich mit Physik zu befassen, dann ist das sicherlich richtig. Wir haben ja Tausende Gastwissenschaftler:innen pro Jahr aus der ganzen Welt, die bei uns und mit uns Forschung machen wollen. Und auch zu öffentlichen Vorträgen, Besichtigungen und Tagen der offenen Tür „pilgern“ die Menschen zu uns.
Gehen Sie in die Kirche und wenn ja, beten Sie? Ich gehe sehr selten in die Kirche, eigentlich nur Weihnachten oder um mir Kirchen anzuschauen. Aber ich habe viele religiöse Kolleginnen und Kollegen und ich sehe auch, dass die Einbettung in religiöse Gemeinden vielen Leuten wichtigen Halt gibt im Leben. Für viele von uns ist da kein Widerspruch. Auch Einstein meinte schon, „Gott würfelt nicht“, als er die Konsequenzen der Quantenphysik angezweifelt hat.
Was bedeutet Ihnen, einer Teilchenphysikerin, Hoffnung? Hoffnung ist in jedem Fall wichtig, genauso wie Optimismus. Es bedeutet für mich eigentlich nur eine Zuversicht, dass etwas „Gutes“ passiert. Als Forscherin hoffe ich meistens, dass das Experiment auch klappt, das heißt technisch funktioniert. Als Mensch hoffe ich nichts mehr, als dass Russland den Krieg gegen die Ukraine einstellt.
Worauf freuen Sie sich in diesem Jahr? Ich freue mich natürlich sehr auf die Aufführung in St. Katharinen. Zudem freue ich mich auf spannende neue wissenschaftliche Erkenntnisse am DESY, auf Kooperationen mit Forscher:innen weltweit und auf den Aufstieg des HSV. Interview Wolfgang Timpe
INFO I
Gloria Brunis Oper »Schöpfung – Fragmente«
Am Donnerstag, 27. April 2023, erlebt die Hauptkirche St. Katharinen eine einzigartige Uraufführung. Die Oper „Schöpfung – Fragmente“ der Komponistin und Sängerin Gloria Bruni bringt Musik, Naturwissenschaft und Spiritualität ins Zusammenspiel. Ihre Musik versteht sich als Beitrag zur menschlichen Suche nach Antworten auf Fragen über die Geburt des Universums, des Lebens und der Menschen, und sie teilt die gegenwärtige Sorge um die Schöpfung und die Zukunft unseres Planeten als lebenswerten Ort. Das Stück verbindet Klänge der Schöpfung mit liturgischen Melodien und stellt uns in die Spannung zwischen der wissenschaftlichen Theorie über den Ursprung des Universums und des Lebens und dem Staunen über die Schöpfung – und der Frage nach Gott, die diesem Staunen ebenso entspringt wie dem Schwindel, der uns aus der immerwährenden Unergründlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis erfasst. Können wir Zusammenhänge erkennen zwischen der Kraft des Urknalls und den Kräften des Lebens und der Kunst, die alle nach Entfaltung, Evolution und Verbindung streben, am stärksten in der Liebe?
Darin treffen sich Poesie und Wissenschaft, dass sie niemals aufhören zu fragen und ihre Antworten stets fragmentarisch bleiben oder auch: immerwährend offen für Neues, Neugier ohne Ende. Die Kunst ebenso wie wissenschaftliche Redlichkeit besteht darin, diese Spannung nicht aufzulösen, sondern aufrechtzuerhalten in wissenschaftlicher Neugier und musikalischem Ausdruck. St. Katharinen ist für dieses Vorhaben mehr als bloß eine Konzerthalle oder ein „White Cube“. Die gotische Kirche ist erfüllt mit Symbolen und Geschichte. Sie ist die gebaute Frage nach dem Woher, nach dem Wohin und nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Sinn im Spannungsfeld zwischen Karfreitag und Ostern. In diesem Umfeld macht sich die Musik kraft der ihr innewohnenden Poesie auf den Weg, neue Formen wissenschaftlicher und spiritueller Reflexion zu finden. HCZ/DESY
VITA Die Sängerin und Komponistin Gloria Bruni stammt aus Oscherleben/Bode im Harz. Ihr Vater war Physiker. 1963 zog die Familie aus beruflichen Gründen nach Hamburg. Musik entwickelte sich schon früh zum Mittelpunkt ihres Lebens. Die ersten Stücke schrieb sie bereits während der Schulzeit, einem Musiklehrer fiel das Gesangstalent des jungen Mädchens auf. Bruni studierte einerseits Zahnmedizin und andererseits Komposition bei Diether de la Motte und Gesang bei Naan Pöld in Hamburg, später in München und Mailand.
Als Sängerin trat sie unter anderem an der Mailänder Scala auf und mit den London Mozart Players im Leipziger Gewandhaus. Brunis Musical „The Thorn Birds“, eine Zusammenarbeit mit der Bestsellerautorin Colleen McCullough („Die Dornenvögel“), hatte 2009 Premiere. Gloria Brunis „Ringparabel“-Sinfonie wurde 2012 in Hamburg erstmals aufgeführt. 2018 leitete der Hamburger Generalmusikdirektor Kent Nagano die Premiere der Märchen-Mini-Oper „Der verzauberte Pfannkuchen“ im Rahmen des Adventsprogramms der Staatsoper Hamburg. Ballett-Intendant John Neumeier präsentierte diese Auftragskomposition. Die szenischen Bilder hatte der Hamburger Designer Peter Schmidt entworfen.
Die Oper „Schöpfung – Fragmente“ von Gloria Bruni wird am Do., 27. April, 19 Uhr, in der Hauptkirche St. Katharinen aufgeführt.
Info II
Die Oper „Schöpfung – Fragmente“ von Gloria Bruni wird am Do., 27. April, 19 Uhr, in der Hauptkirche St. Katharinen aufgeführt. Preise: Die Karten kosten zwischen 10,– und 100,– €. Kartenkauf: Telefonisch von 6 bis 22 Uhr, auch an Wochenenden und Feiertagen, unter: 0761-888 499 99. Online über Reservix unter: https://katharinenkirche.reservix.de