Exklusiv-Gespräch. Karen Pein, Senatorin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, über neues Denken und neue Ideen zur Verbindung zwischen Innenstadt und HafenCity
Das lässige konstruktive Klima im 13. Stock der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen geht von ihr aus: Karen Pein (SPD), seit Dezember 2022 soll sie als Senatorin Hamburg baulich wachsen und schöner werden lassen. Dabei schätzt sie eigene Entscheidungsgrundlagen. Für das heiße Thema Innenstadtverbindung und HafenCity hat sie die Aufgabe reduziert und Prüfung erteilt. Eine pragmatische und gut gelaunte Macherin. Lesen Sie mal!
Frau Pein, Sie sind gebürtige Hamburgerin und haben, neben Ihren Berufsausflügen nach Bremen und Magdeburg, immer auch in Hamburg studiert und gearbeitet, bevor Sie im Dezember 2022 Senatorin wurden. Sind Sie ein klassisches Nordlicht, das Wind, flaches Land und Horizont braucht? Ja, ich bin schon sehr norddeutsch. Doch zugleich finde ich auch die Berge und den Süden toll, da bin ich nicht so festgelegt. An den Bergen gefällt mir die Herausforderung, sie zu meistern, sich zu verausgaben, und wenn man dann oben ist, einfach weit sehen zu können und immer wieder neue Blicke und Eindrücke zu erleben. Im Süden schimpft man zwar gerne mal über die etwas verschlossene Mentalität der Norddeutschen, wobei ich sie nicht als verschlossen, sondern als geradeheraus und verbindlich erlebe. Man weiß, woran man bei ihnen ist. Wenn sie sauer sind oder etwas nicht gut finden, spürt man das. Das schätze ich.
Foto oben: Karen Pein, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, über Horizonte im Süden: „An den Bergen gefällt mir die Herausforderung, sie zu meistern, sich zu verausgaben, und wenn man dann oben ist, einfach weit sehen zu können und immer wieder neue Blicke und Eindrücke zu erleben.“ © Catrin-Anja Eichinger
Beim Titel Senatorin schwingt immer auch große hanseatische Kaufmannstradition, offenes Hanse-Weltbürgertum und Netzwerk-Macht mit. Wie fühlt sich für Sie das erste halbe Jahr als Präses der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen an? Mein Leben ist deutlich schneller und dynamischer geworden. Als Senatorin hat man halt eine besondere Stellung, was man auch im Umgang mit den Menschen erlebt. Ich bin jedoch jemand, der das sehr schnell überbrücken kann und nicht so viel Wert auf die Etikette legt. Kürzlich, bei der langen Nacht der Konsulate, wurde ich zum Beispiel freundlich und herzlich begrüßt, umarmt und sollte auch sofort tanzen. Nur weil man Senatorin ist, heißt das ja nicht, dass man steif in der Ecke steht. Ich finde da einen guten lockeren Umgang mit meiner neuen Rolle, und trotzdem ist es ein sehr würdiges Amt. Das muss man schon leben, und das wird zum Beispiel bei Grußworten auch erwartet. Schließlich vertritt man als Senatorin ja auch den Senat und die Stadt Hamburg. Ansonsten fühle ich mich auch deshalb gut in meiner Rolle als Senatorin, weil es um Inhalte geht. Ich habe nicht das Amt wegen des Amtes angetreten, sondern weil es für die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen große Herausforderungen gibt. Dabei möchte ich helfen und gute Lösungen für meine Stadt finden.
Hier in Ihrer Behörde in Wilhelmsburg läuft man an einer langen Schwarz-Weiß-Galerie klassischer Senatorenporträts vorbei – ehe dann ab 2008 mit Senatorin Anja Hajduk Senatorinnen dieses Amt geleitet haben. Ist der Hamburger Senat immer noch männlich geprägt? Das würde ich so nicht sagen. Erstens ist unsere Behörde ziemlich ausgewogen besetzt und verfügt über viele kompetente Frauen. Und zweitens hat sich der Senat mit der letzten Umbildung ja auch noch mal ausgewogener aufgestellt.
Er ist paritätisch besetzt. Was verändert das? Das hat eine Wirkung. Ein paritätisch besetzter Senat arbeitet anders und in einer anderen Atmosphäre. Frauen arbeiten anders, und ich bin sehr für Parität.
Ist es das viel zitierte Multitasking, oder erreichen Frauen direkter ihre Ziele? Für mich geht es nicht darum, die einen machen das und die anderen das: Die Mischung macht’s. Auch bei Geschlechterparität gibt es unterschiedliche Arbeitscharaktere, diejenigen, die immer nach vorne ziehen und die Bewegung reinbringen, und andere, die bremsen und dafür sorgen, dass es auch in die Tiefe geht und noch einmal wohlüberlegt wird. Unterschiedliche Charaktere führen zu besseren Ergebnissen – bei Frauen wie auch Männern.
VITA: Karen Pein ist seit 15. Dezember 2022 Senatorin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Die 49-Jährige schloss 2000 ihr Studium Städtebau und Stadtplanung mit dem Diplom an der Technischen Universität Hamburg ab. Neben unterschiedlichen Projekten, u. a. als stellvertretende Leiterin des Stadtplanungsamtes Magdeburg und bei der GEWOBA AG Wohnen und Bauen in Bremen, machte sie 2005 in einem berufsbegleitenden Studium noch ihr Diplom in Immobilienökonomie. Nach einem Ausflug ins Bankbusiness als Immobilienanlageberaterin bei Berenberg Private Capitol GmbH in Hamburg war sie 16 Jahre für die Hamburger Stadtentwicklungsgesellschaft IBA Hamburg GmbH mit Sitz Am Zollhafen auf der südlichen Veddel tätig – erst als Projektkoordinatorin und Prokuristin von 2006 bis 2015 und dann von 2015 bis 2022 als Geschäftsführerin. Karen Pein ist verheiratet, hat einen Sohn (12) und lebt in Hamburg-Lokstedt.
Was haben Sie im ersten halben Jahr geschafft, was Sie sich als Neusenatorin vorgenommen hatten? Für das erste halbe Jahr habe ich mir keine konkreten, messbaren Ziele gesetzt, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass man eigentlich erst nach zwei Jahren in einem Amt so richtig aus dem Vollen schöpfen kann. Dann kennt man alle Prozesse und wichtigen Netzwerke. Mir war es wichtig, mich im ersten halben Jahr inhaltlich gut einzuarbeiten und gut zu vernetzen.
Wie muss man sich das vorstellen? Ich habe sehr viele Auftaktgespräche geführt, bin durch alle Ämter und habe versucht, alle Kolleginnen und Kollegen hier im Haus kennenzulernen. Besonders wichtig waren mir auch meine engsten Akteure im Bündnis für Wohnen, in dem wir zurzeit mit Hochdruck, manchmal auch bis in die Nacht, das neue Gebäude-Energie-Gesetz verhandeln, unter anderem auch mit der BUKEA, der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft hier bei uns im Haus. Man muss seine Verhandlungspartner gut kennenlernen und mit ihnen auch ein gemeinsames Besprechungswesen entwickeln. Ferner bin ich viel in der Immobilienwirtschaft unterwegs, weil wir zurzeit große Probleme in der Bauwirtschaft mit Kostensteigerungen, Lieferkettenproblemen und Finanzierungsthemen gemeinsam lösen müssen. Ich möchte mein Ohr bei den Menschen und den Fachleuten haben und möchte gerne wissen, was läuft da? Was gibt es für Ideen? Wo müssen wir, Politik und Verwaltung, an besseren Rahmenbedingungen für die Wirtschaft arbeiten? Darauf liegt ein großer Fokus meiner Arbeit. Ein erweitertes Netzwerk aufzubauen, um mich mit anderen fachlich zu verbinden und in einzelne Themen und Fachbereiche tiefer einzusteigen, mit denen ich bisher keine Verbindung hatte.
»Unsere Aufgabe ist und bleibt es, möglichst viele Baugenehmigungen zu erteilen, aus denen die Wohnungswirtschaft dann bezahlbare Wohnungen für Hamburg bauen kann. Daher halten wir auch an unseren bisherigen Zielen fest.«
Karen Pein
Was kann das betreffen? Zum Beispiel die Entwicklung der Innenstadt – ein Thema, mit dem ich in meiner vorherigen Tätigkeit wenig Berührung hatte. Die Innenstadt ist für mich und für die Stadt ein absolut dringliches Thema. Ich bin da schon recht viel unterwegs, mache viele Begehungen mit und versuche an allen wichtigen Arbeitskreisen teilzunehmen. Ich wühle mich jetzt in die Felder hinein, wo ich noch nicht so vertieft bin, um da nachhaltig noch arbeitsfähiger zu werden und besser gestalten zu können.
Sie haben nach Ihrem abgeschlossenen Studiengang Städtebau und Stadtplanung parallel zur Arbeit noch Ihr Diplom in Immobilienökonomie gemacht. Was war das Motiv, fehlte da Know-how? Das fehlte damals ganz eindeutig, da zu meiner Zeit die Studiengänge noch nicht so breit wie heute aufgestellt waren, da gab es keine immobilienökonomischen Betrachtungen. Und schon in meinem ersten Job in Magdeburg war es unter anderem meine Aufgabe, Rückbau- oder Abrisskonzepte von Wohnungen für 14 Genossenschaften und eine Wohnungsbaugesellschaft zu erstellen. Da musste man präzise wissen, was zum Beispiel mit dem „Buchwert“ einer Immobilie gemeint war. Die Aufgaben mussten nicht nur städtebaulich begründet werden, sondern ich musste ausgewogene Entscheidungen vorbereiten und auch wirtschaftlich sinnvolle Lösungen finden, die für alle Akteure tragbar waren. Und dazu wollte und musste ich wissen, wie Wirtschaftsakteure rechnen und wo ihre Renditen liegen. Auch in der jetzigen Diskussion zum Thema Klimaschutz-Gesetz und CO2-Reduktion sind wirtschaftliche Kenntnisse essenziell.
Was sind dabei die Hürden? Hamburg ist ein Wirtschaftsstandort, und ich kann die aktuelle gesellschaftliche Debatte, dass die grundsätzlich wirtschaftliche Orientierung – also mit dem Unternehmenskonzept Geld zu verdienen und Gewinne zu erzielen – irgendwie anrüchig sei, überhaupt nicht mittragen. Die Frage ist doch immer: Was passiert mit den Gewinnen? Werden sie in den Standort reinvestiert? Investoren profitieren in Hamburg davon, dass die Stadt ein stabiler Standort ist, dass es hier eine gute Verbrechensbekämpfung gibt, dass man hier ein Unternehmen aufziehen kann, dass wir gute Straßen und Schulen haben und dass Arbeitsplätze generiert werden können. Investitionen in den Ausbau von Firmen, in neue Start-ups, in die Modernisierung von Wohnungen sind wichtig, so funktioniert Hamburg. Das ist ein Geben und Nehmen. Und deshalb finde ich es wichtig zu wissen, wie tickt die Wirtschaft, was benötigen Unternehmen für Rahmenbedingungen, damit sie erfolgreich sein können und so dann auch die Menschen und die Stadt davon profitieren.
Aktuell müssen Sie eher als Bauwirtschaftsministerin statt als Stadtentwicklerin agieren, die sich wegen der extremen Baupreissteigerungen und Lieferkettenprobleme damit herumschlagen muss, um das Hamburger Bauziel von jährlich 10.000 Wohnungen zu erreichen – im ersten Quartal 2023 waren es nur 1.000 neue Wohnungen. War Ihr Ankommen im Amt ernüchternd? Definitiv nein, denn es war von vornherein klar, welche angespannte Atmosphäre ich als Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in der Bauwirtschaft vorfinde und welche Rahmenbedingungen die Bauwirtschaft aktuell extrem belasten. Deswegen bin ich keine „Bauwirtschaftsministerin“, wie Sie es nennen, sondern für mich sind das Bündnis für Wohnen und das Ziel der jährlich geplanten 10.000 neuen Wohnungen vor allem eine soziale Frage. Wenn es schwierig ist und wird, muss man helfen. Wir haben in Hamburg Menschen, die seit Jahren zum Beispiel zu fünft in einer Zweizimmerwohnung leben und uns schreiben, dass sie nicht weiterwissen. Dabei gerne zu helfen und Lösungen am Wohnungsmarkt zu finden, das treibt mich an. Ich habe mir die Fähigkeit angeeignet, die Systeme, die dahinterliegen, zu verstehen, um dann zu Lösungen zu finden. An dieser sozialen Frage arbeiten wir energisch.
»Meine persönliche aktuelle Erkenntnis ist, dass nicht die Straßen automatisch die Barrieren sind, denn die können ja gekreuzt werden. Es ist vielmehr dieser große, lang gezogene, relativ breite Abschnitt vom Domplatz in die HafenCity, den man überwinden muss und der keine Struktur hat.«
Karen Pein über die Verbindung zwischen Jungfernstieg und HafenCity
Wie viele Wohnungen wollen Sie 2023 bauen? Unsere Aufgabe ist und bleibt es, möglichst viele Baugenehmigungen zu erteilen, aus denen die Wohnungswirtschaft dann bezahlbare Wohnungen für Hamburg bauen kann. Daher halten wir auch an unseren bisherigen Zielen fest. Im vergangenen Jahr wurden 9.234 neue Wohnungen fertiggestellt. Das sind 1.398 mehr als im Vorjahr. 8.672 der Wohnungen entstanden in neu gebauten Gebäuden, weitere 562 Wohnungen wurden durch Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden geschaffen. Ich bin froh, dass wir trotz der erschwerten Rahmenbedingungen diese Zahl erreichen konnten. Doch wir müssen davon ausgehen, dass der Bau neuer Wohnungen in diesem und in den kommenden Jahren deutlich schwerer wird. Gerade deshalb gilt: Jede einzelne neue Wohneinheit hilft! Deshalb hegen und pflegen wir jedes einzelne Bauvorhaben. Mein Ziel ist es, in den kommenden zwei Jahren den Abschwung im Wohnungsbau, der ja schon begonnen hat, so gut es geht abzumildern und nach alternativen Entlastungen zu suchen. Zugleich werden wir in meinem Ressort für die energetische Sanierung der vielen bestehenden Gebäude Strategien und Umsetzungslösungen entwickeln. Damit haben wir schon begonnen.
Ist das undankbarer, als Wohnungsneubau zu managen? Überhaupt nicht. Das ist zwar für mich neu, weil ich bei der IBA vor allem mit Neubau und Stadtentwicklung zu tun hatte. Doch der Neubau in Hamburg macht lediglich zehn Prozent aus, und deshalb ist es mindestens genauso wichtig, sich um die Sanierung und Weiterentwicklung der 90 Prozent Bestandsimmobilien zu kümmern. Für mich sind bei der energetischen Sanierung im Bestand noch viele Synergien für den klimagerechten Neubau zu heben. Außerdem haben wir auch auf den demografischen Wandel zu reagieren und müssen bei der Sanierung von Bestandswohnungen darauf achten, sie altersgerecht zu sanieren. Noch einmal: Das finde ich nicht undankbar, sondern herausfordernd für die Zukunft unserer Stadt, die ich mitbestimmen kann. Dafür bin ich dankbar, und auch das treibt mich eher an.
Mit Ihnen zusammen gestaltet die städtebauliche und stadtplanerische Zukunft der Oberbaudirektor Franz-Josef Höing. Sie stehen mit Ihrer IBA-Historie eher für innovatives Bauen wie etwa das IBA-Projekt der nachhaltigen Bioreaktorfassade eines Objekts in Wilhelmsburg, wo Algen Energie liefern und CO2 binden. Herr Höing entwickelt Hamburg klassisch-innovativ auf der Basis von Backstein und klaren städtebaulichen Linien und Blickachsen. Wie arbeiten Sie zusammen, wer führt wen? Damit werden Sie Hamburgs Oberbaudirektor definitiv nicht gerecht. Franz-Josef Höing ist zwar einerseits ein Bewahrer des städtebaulichen Kulturguts hier in Hamburg, doch andererseits waren wir schon in meinem vorherigen Job in ständigem Austausch und haben bei der IBA, wo Innovationen und Experimente an der Tagesordnung sind, eng zusammengearbeitet und gemeinsam neue Quartiere entwickelt. Gerade Herr Höing fordert besonders nachhaltiges Bauen und informiert sich weltweit, wo nachhaltige Ansprüche an das Bauen erfolgreich umgesetzt werden und sich weiterentwickeln. So überlegen wir auch gemeinsam, wie wir in unserer Behörde ein Baukompetenzzentrum für nachhaltiges Bauen entwickeln können. Das triggert uns aktuell massiv. Übrigens waren Oberbaudirektor Franz-Josef Höing wie auch unsere Staatsrätin Monika Thomas ein wesentlicher Faktor dafür, dass ich mich für das Amt und die Leitung der Behörde entschieden habe. Auch weil Herr Höing und ich Konflikte, die es immer mal gibt, gut bewältigt haben. Ich weiß, wie gut wir zusammenarbeiten können.
Auch die HafenCity spürt in ihrem östlichen Teil, bei Investoren und Bauherren im Baakenhafen- und Elbbrückenquartier, die Baukrise: Finanzierungen müssen neu gestemmt werden, und der Baubeginn oder die Fertigstellungstermine verschieben sich stark. Wie bewerten Sie die Situation für Hamburgs jüngsten Stadtteil? Das ist nicht die erste Krise für die HafenCity. Die schwere Finanzmarktkrise von 2008 war für die HafenCity deutlich heikler, da sie zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit entwickelt war. Inzwischen ist sie längst ein Erfolgsmodell. Und wenn jetzt bestimmte Projekte auf Baufeldern später beginnen oder länger brauchen oder mal eine Anhandgabe vom Investor zurückgegeben und das Baufeld neu vermarktet werden muss, können das Quartier und auch Hamburg das verkraften. Die HafenCity zeigt eine ziemlich große Resilienz, was auch ein Erfolg der guten Planung ist. Natürlich kann die aktuelle Krise noch den einen oder anderen erwischen, aber insgesamt, finde ich, ist die HafenCity ein tolles Projekt.
Im März 2024 will Unibail-Rodamco-Westfield sein Hamburg-Überseequartier eröffnen. Wie finden Sie die HafenCity städtebaulich und stadtplanerisch? Das Westfield Hamburg-Überseequartier habe ich mir gerade angeguckt. Die Kubatur ist schon da, und der Innenausbau hat zum Teil schon begonnen. Besonders gespannt bin ich auf die öffentlichen Räume und Flaniermeilen, die hier entstehen sollen. Die HafenCity ist ein beeindruckendes Projekt mit vielen tolle Einzelprojekten, die mit einem hohen Anspruch umgesetzt werden. Was man nicht verkennen darf: In einer solchen großen Quartiers- und auch gesamten Stadtteilentwicklung müssen unglaublich komplexe Prozesse mitbedacht werden. Und das ist, finde ich, ist in der HafenCity gut gelungen.
Inwiefern? Sie haben einen sehr langen Entwicklungszeitraum über Jahrzehnte, und in diesem Entwicklungszyklus verändern sich Dinge massiv. Und darauf angemessen zu reagieren ist eigentlich die große Kunst von Städtebau und Stadtentwicklung. Denn die wesentlichen Parameter werden ja am Anfang gesetzt, dann wird die Fläche verteilt. Das ist absolut entscheidend. Denn was man am Anfang nicht mitgedacht hat oder nicht mitdenken konnte, das holt einen hintenherum ein. Denken Sie zum Beispiel an Sport- und Spielplätze, die vermehrt benötigt werden, weil man den Wohnanteil erhöht oder sich im Zeitablauf darstellt, dass man breitere Fahrradwege braucht. Ursprüngliche Pläne verändern sich nun einmal bei Stadtentwicklungsprojekten dieser Größe, und die HafenCity hat eine große Dynamik gezeigt und sie auch ermöglicht. Für die allermeisten Probleme hat die HafenCity immer eine gute Antwort gefunden.
Anwohner:innen in der Nachbarschaft des Überseequartiers stören sich genau an diesen Entwicklungen, dass höher und mächtiger gebaut wurde. Sie waren gerade da, wie ist Ihr emotionaler Eindruck? Dass es wirklich groß und mit bekannten Einkaufszentren nicht vergleichbar ist. Bei einem klassischen Einkaufszentrum richtet sich alles nach innen, während sich beim Überseequartier alles nach außen, zu den breiten Zonen im Quartier oder den Wasserflächen hin entwickelt. Da hat man viel Energie investiert, wie man diese breiten Zonen im Quartier mit den transparenten Dächern so gestaltet, dass man sich dort gut aufhalten kann. Ich glaube, dass dort wirklich viel Leben entstehen kann. Das ist die Kunst bei einer solchen Quartiersentwicklung wie im Überseequartier, wo man sich an nichts Bestehendem anbinden kann, sondern man ganz neu urbane belebte Räume erst planen und dann auch verwirklichen muss. Eine echte Herausforderung.
Haben Sie denn einen Lieblingsort in der HafenCity? Keinen bestimmten. Aber wenn wir zum Beispiel mit Gästen in die HafenCity gehen, was wir eigentlich immer tun, besuchen wir schon eher die frühere Kern-HafenCity mit Elbphilharmonie und den Uferpromenaden am Wasser entlang sowie über den Überseeboulevard und zurück. Und dann sind alle immer schon ganz glücklich. Natürlich gibt es in den neuen Quartieren auch spannende Orte und Aufenthaltsqualitäten. Mich überraschen positiv immer wieder die Grünflächen der HafenCity und vor allem, das war mir so nicht wirklich bewusst, die ungeheure Akzeptanz der gelungenen Spiel- und Abenteuerplätze. Die haben inzwischen überregionale Bedeutung. Das werden wir in anderen Stadtteilen und auch in der weiteren Stadtplanung für die Innenstadt mitnehmen. Das führt zu Aufenthaltsqualität und zur Lebendigkeit von Orten wie auch für die umliegende Gastronomie.
Sie leben mit Ihrer Familie in Hamburg-Lokstedt. Was hat der Stadtteil, was die HafenCity nicht hat? Das kann ich Ihnen sofort sagen: Lokstedt ist ein Dorf in der Stadt (lacht), im Ernst, es ist wirklich dörflich, und ich genieße das. Hier sind Schulen noch wie Dorfschulen, jeder kennt sich, und man grüßt sich, auch wenn man sich nicht persönlich kennt. Lokstedt ist jedoch ein reines Wohnquartier. Anders als in der HafenCity, wo sich Wohnen, Arbeiten und Kultur mit ganz unterschiedlichen Menschen durchmischen.
Apropos Dorf. Im Westen haben wir die Elbphilharmonie als städtebauliches Ausrufezeichen, und im Osten soll der künftige Elbtower an den Elbbrücken mit 245 Meter Höhe den Abschluss des Quartiers markieren. Wie finden Sie den Wolkenkratzer? Ich finde ihn architektonisch gelungen. Er war immer Teil des Masterplans HafenCity als städtebaulicher Abschluss. Dass dort etwas Besonderes hin musste, finde ich schlüssig. Man wollte mit dem Elbtower einen Gegenpol setzen. Er kann ein Hamburg-Symbol werden, und die geplante Besucherplattform wird sicher ein echter Mehrwert für alle Hamburger:innen.
Ein Ergebnis des Einspruchs der Bürgerschaft, die, ähnlich wie bei der öffentlichen Plaza in der Elbphilharmonie, einen öffentlichen Zugang zum Gebäude für alle wollte. Und das ist doch gut so. Wenn sich viele Menschen einbringen, kommen auch gute Dinge dabei heraus. Wir machen überall in Hamburg gute Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung. Man muss die Menschen nur früh genug mitnehmen. Übrigens finde ich den Standort für so ein städtebaulich markantes Bauwerk gut geeignet. Und dass man künftig von einer Aussichtsplattform im 25. Stock auf Hamburgs Osten und Süden und den Hafen und die Stadtsilhouette mit ihren Kirchtürmenschauen kann, könnte ein echtes Highlight werden.
Der dritte „Leuchtturm“ der HafenCity entsteht mit dem Überseequartier – aber mit täglich 45.000 kalkulierten Besuchern auch jede Menge Anliefer- und Besucherverkehr mit entsprechen Lärm- und Schadstoffemissionen. Wie bewerten Sie die Verkehrssituation der HafenCity? Ich habe vor allem die Kritik wahrgenommen, dass in der HafenCity den sogenannten Straßenquerschnitten für den motorisierten Verkehr häufig zu viel Raum gegeben würde. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Verkehrsbehörde im Rahmen der Mobilitätswende dieser Themen annimmt.
Senator Anjes Tjarks hat in unserer Zeitung bestätigt, dass in der HafenCity Tempo 30 schon heute umsetzbar sei und der Rückbau vierspuriger Straßen gewünscht sei und zugleich verkehrstechnisch problematisch. Und über breitere und sicherere Fahrradwege wird geredet, doch außer einer Verstetigung der Pop-up-Bikelane Am Sandtorkai ist wenig bis nichts passiert. Ich nehme diese Anliegen des Stadtteils gerne mit.
Alle wollen großstädtische Lebensqualität, die autoarme Innenstadt und die grüne Zehnminuten-Stadt mit nachhaltiger Mobilität. Nimmt Hamburg den grünen Lebenswillen seiner Einwohner:innen noch nicht ernst genug? Das sehe ich nicht so. Im Gegenteil, die Stadt nimmt diese konfliktreichen Themen an. Die gewünschte Mobilitätswende führt im ersten Schritt vor allem zu einem erhöhten Flächenbedarf, weil wir breitere Fahrradwege und breitere Fußwege brauchen, der motorisierte Verkehr jedoch nicht automatisch weniger wird, weil alle erst lernen müssen, womöglich auf Carsharing oder andere Modelle umzusteigen und stärker die gewachsenen ÖPNV-Angebote zu nutzen. Ich kann sagen, dass Hamburg, dass der Senat diesen Transformationsprozess konsequent ansteuert. Der Prozess ist im Gange, er hat aber auch viel mit einem Neu-Denken, etwa von Flächenverteilungen, zu tun.
Die Mobilitätswende wird sich also verschärfen? Dem Konflikt können wir doch als Stadtgesellschaft nicht ausweichen. Der parallel zur Mobilitätswende gehörende Entwicklungsprozess hin zu einer sogenannten grün-blauen Infrastruktur, wo versucht wird, mit Starkregen-Ereignissen umzugehen, Wasser effektiver zu speichern, mehr Grünflächen zu schaffen und mehr Bäume für Verschattung und gegen die Aufwärmung des urbanen Raums anzupflanzen, ist wegen des Klimawandels und der gewünschten Großstadtlebensqualität nicht aufzuhalten. Ich finde, dass Hamburg bei diesen Themen viel unternimmt und die Hamburger mitunter viel erdulden müssen – da wir wirklich viele Baustellen haben. Und das wird auch noch so weitergehen, und ja, das stimmt, es ist echt anstrengend. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, wenn jetzt noch die energetische Sanierung bei den Bestandsimmobilien kommt und viele Häuser länger eingerüstet werden müssen, sorgt das kurzfristig nicht für Entspannung. In diesem Sinne unternimmt Hamburg einiges und geht den Konflikten nicht aus dem Weg. Es ist eben ein langwieriger mühsamer gesamtgesellschaftlicher Prozess zu einer lebenswerteren klimaresilienteren Stadt – der aber unausweichlich ist.
Haben Sie sich schon mit einem der letzten Superfilet-Grundstücke mit drei Wasserseiten, dem Baakenhöft, beschäftigen können? Was wünschen Sie sich künftig dort, wo heute der temporäre Cruise Terminal und der Schuppen 29 das Ambiente prägen? In jedem Fall etwas, was für die Öffentlichkeit nutzbar ist. Das kann alles Mögliche, auch Kultur sein, eher weniger kann ich mir hier eine private Nutzung vorstellen. Daher sollte man auch so lange warten, bis für das Baakenhöft eine gute Nutzung mit Strahlkraft gefunden ist.
Die geplante Radfahrer- und Fußwegbrücke vom Baakenhöft zum künftigen Stadtteil Grasbrook ist vom Finanzsenator auf Eis gelegt worden. Die Anlieger und der Stadtteil wünschen diese unmotorisierte Überquerung der Elbe – unter anderem auch für kurze Wege zur weiterführenden Schule in den Lohsepark vom Grasbrook aus. Außerdem könnte so ein „grünes Band“ vom Grasbrook über Baakenhöft und Lohsepark und die Deichtorhallen bis zum neu gestalteten Hauptbahnhof mit großer Grünfläche über den heutigen Gleisen geschaffen werden. Eine spinnerte Utopie oder ein spannendes grünes Stadtprojekt? Grundsätzlich sind alle Ideen, die Verbindungen zwischen Quartieren schaffen, spannend. In der HafenCity sind jedoch das eigentlich verbindende Element immer die Wege am Wasser. Auch das ganze Städtebauprinzip ist so in Szene gesetzt, und öffentliche Nutzungen sind auf diese Wasserlagen ausgerichtet. Das ist der große Freiraum, den die HafenCity hat. Und nach meinem Verständnis werden dann eben an zentralen Orten große, kräftige und auch ganz tolle Grünflächen positioniert. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob ein „grünes Band“ als Verbindendes wirklich dazu passt, da ich das bestehende Konzept in der HafenCity und die Erlebbarkeit des Wassers und die Begehbarkeit der Uferzonen absolut schlüssig finde.
Apropos Verbindungen zwischen Quartieren. Die Willy-Brandt-Straße, die die Innenstadt und die HafenCity trennt, ist ein Haupthindernis. Eine Untertunnelung des Verkehrs will niemand mehr, mehrere Fahrbahnverengungen für attraktive Willy-Brandt-Straße-Querungen sind in der Debatte. Keiner packt das Thema richtig an. Haben Sie eine Idee? Noch keine konkrete Lösungsidee, aber wir haben gerade ein Gutachterverfahren über eine Planung der sogenannten Domachse, vom Jungfernstieg über den Domplatz und die Willy-Brandt-Straße an der Kreuzung Brandstwiete in die HafenCity bis zum Überseequartier, in Auftrag gegeben. Vor Kurzem haben wir mit vielen Akteuren eine umfassende Begehung gemacht. Meine persönliche aktuelle Erkenntnis ist, dass nicht die Straßen automatisch die Barrieren sind, denn die können ja gekreuzt werden. Es ist vielmehr dieser große, lang gezogene, relativ breite Abschnitt vom Domplatz in die HafenCity, den man überwinden muss und der keine Struktur hat. Man muss dafür sorgen, dass man Lust hat, dort entlangzuschlendern, sich aufzuhalten und dann zur nächsten Attraktion weiterzugehen. Die Qualität dieses langen Laufs und die Attraktion von Nutzungen – nicht nur von Erdgeschosslagen – an dieser Achse könnten eine Lösung bieten.
Wie lautet denn Ihr neuer Gutachter-Auftrag? Es geht um die Frage, wie die Verbindung zwischen Jungfernstieg und südlichem Überseequartier aufgewertet werden kann. Und zwar nicht nur freiraumplanerisch und verkehrlich, sondern auch funktional – mit konkreten Ideen für lebendige Domplatz-Nutzungen. Ferner sollen natürlich auch alle Vorstellungen und Wünsche von Grundeigentümern, Einzelhändlern und Anliegern ins Verfahren mit eingebunden werden. Wenn es uns gelingen sollte, diesen langen und breiten Stadtraum schöner, lebendiger und nutzungsorientierter zu gestalten, wird die Barriere zwischen Innenstadt und HafenCity schon deutlich geringer.
Wie finden Sie die heutige Innenstadt? Ich finde unsere Innenstadt viel besser, als sie häufig gemalt wird. Es gibt viele schöne Orte und Einkaufsmöglichkeiten. Was ich mir wünsche, ist tatsächlich noch deutlich mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Plätze, die auch ruhig und besser geschützt sind und an und um die herum nicht permanent Busse fahren, die, das zeigte auch die Domachsen-Begehung, besonders laut sind und die Aufenthaltsqualität von Plätzen deutlich mindern. Da verspreche ich mir viel von den Planungen, die auch in unserem Haus umgesetzt werden, zum Beispiel für den Hopfenmarkt oder den Burchardplatz, die wir neu gestalten werden. Zu mehr Qualität zum Verweilen in der Innenstadt gehören für mich auch unbedingt gute Spielplätze, die so sicher sind für die Kinder, dass sie auch entspannter Treffpunkt zum Klönen für die Eltern und Erwachsenen sein können. Das wäre ein wirklicher Gewinn für die Innenstadt.
Es gibt einen vom Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher initiierten „Runden Tisch Innenstadt“ und die neue Innenstadt-Koordinatorin Prof. Elke Pahl-Weber, um die City in eine neue Zukunft zu führen. Was kann Frau Pahl-Weber, was Ihre Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen nicht kann? Frau Prof. Pahl-Weber und ihre Aufgabe haben sich aus einem Förderprogramm aus unserer Bewerbung für „verborgene Potenziale“ der Innenstadt ergeben. Teil unseres Handlungskonzepts mit Unterstützung durch Frau Pahl-Weber ist, dass wir eine neue Nutzungsvielfalt für die Innenstadt erreichen wollen. Denn der Einzelhandel wird sich in der Fläche verkleinern, das kann man nicht aufhalten. Und daher stellt sich die Frage: Wie füllen wir diese Flächen? Welche Ideen sind geeignet? Und wo sind denn sogenannte verborgene Potenziale der Innenstadt? Das umschreibt die Aufgabenstellung für Frau Pahl-Weber, die dabei unterstützen soll, an der Schnittstelle zwischen Verwaltung, Eigentümern und Öffentlichkeit solche Ideen zu generieren und daraus auch Projekte zu machen. Das ist eine spannende Aufgabe, und mit ihr haben wir eine fähige und erfahrene Frau, die auch gut bei diesen Themen vernetzt ist. Ich hoffe darauf, dass spannende Projekte entstehen werden.
Neue lässige Plätze sollen für besseres Großstadtleben sorgen. Wie schalten Sie vom Jobstress ab? Mit meinem Sohn und der Familie. Ein gutes Beispiel dafür ist meine Vereidigung zur Senatorin in der Bürgerschaft. Ich komme nach Hause und werde gefragt, ob wir „Siedler“ spielen wollen. Klar, sage ich. Und dann ist alles andere vergessen.
Wo machen Sie Urlaub? Gerne in Italien. Es gibt gutes Essen, das Wetter ist schön, und an jeder Ecke findet man tolle Städte und spannenden Städtebau. Und: Das Leben findet draußen statt. Das Gespräch führte Wolfgang Timpe