Samy Deluxe. Neues Album „Hochkultur 2“ und „Blockparty Deluxe“ am 13. August auf dem 45Hertz-Festival
In einem kleinen Ort in Niedersachsen hat sich der Rapper Samy Deluxe sein eigenes Paradies erschaffen – mit einem Studio und einem Wohnbereich. Der gebürtige Hamburger sitzt in seinem Garten, im Hintergrund zwitschern die Vögel. In dieser idyllischen Umgebung wirkt der 45-Jährige vollkommen entspannt, zum Reden muss man ihn nicht großartig animieren, die Worte sprudeln förmlich aus ihm heraus. Doch sein Album „Hochkultur 2“, das am 11. August erscheint, zeugt davon, dass es in seinem Inneren zuweilen brodelt.
Foto oben: Samy Deluxe: „Aus negativen Verhaltensmustern kommt man nur heraus, wenn man sich mit ihnen befasst.“ © Janick Zebrowski.
Hip-Hop feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Erinnern Sie sich noch daran, wann Sie diese Musik zum ersten Mal gehört haben? Das muss so 1987 gewesen sein. Der ältere Bruder eines Grundschulfreundes hatte ein paar Kassetten von Run DMC, Ice T, Public Enemy und Fat Boys. Das waren die ersten Rapper, die ich entdeckt habe. Dann bin ich immer tiefer in das Genre eingestiegen.
Sie sagen von sich, Sie seien ein schwieriges Kind und ein noch schlimmerer Teenager gewesen. Was hat Ihnen Hip-Hop damals gegeben? Er war mein Rettungsanker. Ich bekam Zugang zu unterschiedlichen Ausdrucksformen: zum Malen, zum Komponieren, zum Texten. Die Art von Hip-Hop, der ich als Teenager begegnete, hat die Jugendlichen von der Straße geholt. Afrika Bambaataa, einer der Urväter des Hip-Hop, hat mit seiner Organisation Zulu Nation ein Regelwerk vorgegeben: Hip-Hop ist gegen Gewalt, gegen Sexismus, gegen Rassismus, gegen Drogen. Im Gegensatz zu meinen Freunden, die immer krassere Drogen genommen haben, brauchte ich bis zu meinem 17. Lebensjahr nichts außer Hip-Hop. Dann habe ich zum ersten Mal an einem Joint gezogen, seither jeden Tag. Aber nicht als crazy Einstiegsdroge – ich glaube, bei mir sollte das einfach so sein.
Den größten Kick gibt Ihnen Ihre Musik. Soll sie Sie unsterblich machen? Das hat sie schon gemacht. 2004 habe ich mir mal ausgerechnet, dass ich bis dato über eine Million Tonträger verkauft hatte. Das ist etwas anderes, als sich über Streaming-Erfolge zu feiern. Heute kann jeder alles umsonst streamen. Wer aber physische Tonträger gepresst hat, ist zumindest für einzelne Personen unsterblich.
Glauben Sie, Ihre Songs werden nach Ihrem Tod so wertgeschätzt wie Mozarts Kompositionen? Kann ich mir nicht vorstellen. Für deutschen Hip-Hop sehe ich das nicht, eher für die internationalen Sachen. Die Platten von A Tribe Called Quest findet man ja bereits jetzt in den Listen der besten Alben aller Zeiten. Andererseits gibt es Schulmaterial und Reclam-Hefte, die auf meinen Texten basieren. Auf diese Weise werden meine Worte noch mal immortalisiert und weitergetragen.
Trotz Ihres Erfolgs gab es während der Pandemie eine Phase, in der Sie auf Musik keine Lust mehr hatten. Wie kam das? Ich habe gemerkt: Ich mache gerade zweckgebunden Musik, weil ich mit meinem neuen Album „Hochkultur 2“ fertig werden will. Das fühlte sich wie Arbeit an, nicht wie Spaß. Also habe ich sechs bis acht Monate gar nichts aufgenommen. Da kam einiges zusammen: Lethargie und Frust wegen des Stillstands während der Pandemie plus ein paar persönliche Dramen. Plötzlich hatte ich super viel Zeit, alles zu hinterfragen, womit man sich sonst in seinem Alltagsflow nicht beschäftigt. Dabei wurde mir bewusst: Ich bin zwar gerne kreativ, mag aber viele Facetten meines Berufs nicht mehr so richtig. Ich will mich nicht ständig exponieren, Sachen posten und dauernd darüber reden, warum ich etwas tue.
Waren Sie an einem Punkt, an dem Sie dachten, Sie würden nie wieder auftreten? Ja. Außer meinem eigenen „Blockparty Deluxe“-Festival in Hamburg habe ich keine weiteren Festivals zugesagt. Der Drang, auf die Bühne zu gehen, ist nicht so wirklich da. Irgendwie habe ich das Gefühl, alles schon erlebt zu haben. Außerdem ist das Publikum im Gegensatz zu mir nicht besser geworden. Ich habe mich jedes Jahr gesteigert, ich bin ein besserer Live-Performer mit einem krassen Sound und einer tollen Band geworden. Doch im Publikum schaue ich immer häufiger auf die Rückseiten von Telefonen. Da ist einfach nicht mehr dieser Spirit.
Sie setzen sich nicht nur kritisch mit Ihren Zuschauern auseinander, sondern auch mit sich. Sind Lieder wie „Kalte Füße“ während des Lockdowns entstanden, als Sie auf sich selbst zurückgeworfen wurden? Der ganze Mental-Health-Teil des Albums stammt aus den Jahren 2020 bis 2021. Hinzu kam damals die Last des kontinuierlich radikaleren Gesellschaftsdiskurses. Jeder Post, egal, aus welcher Richtung, hatte diesen Besserwisser-Tonfall. Jeder war superschnell dabei, andere Leute zu verurteilen. Ich habe realisiert: Ich bin gerade nicht fit genug, um daran zu partizipieren. Wenn ich jetzt irgendwas in der Öffentlichkeit sage, werde ich es genau wie viele andere einfach nur rausschießen, weil ich verletzt bin und ungeordnete Gefühle habe. Also halte ich lieber die Fresse und denke nach. Ich schreibe Texte, die in ein, zwei Jahren rückwirkend Sinn machen.
In dem Stück „Brainwash“ plädieren Sie dafür, mehr zwischen den Zeilen zu lesen. Ich habe mich immer als einen gesellschaftskritischen Menschen gesehen. Bis mir klar wurde, was das heutzutage heißt. Man schwimmt quasi im Fahrwasser von Leuten mit, mit denen man auf anderer thematischer Ebene nicht übereinstimmt. Während der Pandemie wurde vor allem mein mehr als 20 Jahre altes Lied „Weck mich auf“ sehr viel instrumentalisiert – sei es auf Demos von sehr radikalen Vertretern oder von Muttis und Vatis, die einfach nur wollen, dass ihre Kinder nicht in einem Staat aufwachsen, wo es mehr Regeln als Freiheiten gibt. Viele bombardieren mich nun mit Messages: „Mach doch mal Teil zwei.“ Wieso? Das ist doch alles aktuell, man müsste bloß BSE gegen Covid austauschen. Wenn ich allerdings anfangen würde, den Text auseinanderzunehmen, müsste ich fragen: „Ist das wirklich das, womit ihr euch identifizieren wollt? Mit einer Aufzählung von Problemen ohne Lösungsansatz?“ Heute denke ich viel lösungsorientierter.
In einigen Ihrer Songs sprechen Sie über Ihr Spiegelbild. Warum hat es Sie zeitweise angewidert? Ich bin nicht der Typ, der superviel in den Spiegel guckt – außer morgens beim Zähneputzen. Wenn ich sage, ich sei angewidert von meinem Spiegelbild, ist das eine Metapher für jene Phasen, in denen ich mich echt nicht mag und nicht gut zu mir bin. Da löst dann jeder längere Blick in den Spiegel Scham bei mir aus.
In dem Stück „Vendetta“ heißt es: „Ich bin sauer auf mich selbst, lass es raus an der Welt“. Neigen Sie dazu, andere für Ihren Frust verantwortlich zu machen? Wenn ich morgens mit dem falschen Fuß aufgestanden bin, lasse ich das an Menschen aus, die mir nahestehen. Andere, die von etwas angepisst sind, attackieren in den sozialen Medien Fremde. Ich lese ihre wütenden Kommentare und denke: Euch geht es nicht gut. Geht lieber allein in den Wald und chillt, statt im Internet 20 Leute zu beleidigen. Es ist nicht so, dass jemand plötzlich eine Erleuchtung hat. Man muss halt lernen, mit seinen eigenen Gefühlen umzugehen und nicht so krass zu reagieren. Aus negativen Verhaltensmustern kommt man nur heraus, wenn man sich mit ihnen befasst. Interview Dagmar Leischow
Info
Samy Deluxe veranstaltet seine „Blockparty Deluxe“ mit Rap und Graffiti am So., 13. August, 14.30 Uhr, auf dem 45Hertz-Festivalgelände. Weitere Informationen unter www.45hertz.com