Kolumne Nr. 74 »Literatur zur Lage« von Jan Ehlert
Im Jahr 2024 wacht der Arkonide Atlan in seiner Tiefseekuppel auf. Vieles könnte er, der seit der Steinzeit bereits auf Erden weilt, berichten. Überliefert sind jedoch nur folgende Sätze: „Man konnte für nur fünf Soli ein Zwanzigerpäckchen bester Zigaretten kaufen. Die Unsitte des Rauchens gab es demnach noch.“
Foto oben: Nein, wenn es um Zukunftsvisionen geht, dann bietet die Literatur kaum Grund zur Hoffnung. Wie gern würde man wie Atlan einfach wieder für ein paar Jahre im Tiefschlaf versinken und in einer besseren Welt aufwachen. © picture alliance / dieKLEINERT.de | Mathias Dietze
Die Romane der Perry-Rhodan-Reihe, zu denen auch Atlans Abenteuer gehören, sind häufig gute Propheten, wenn es um den Blick in die Zukunft geht. Was aber sollen wir von dieser Vision halten? Zigaretten für fünf Soli? Wie schön wäre es, wenn die Menschheit 2024 keine größeren Probleme hätte.
Am Ende liegt es nicht an den Schriftsteller:innen, wie unsere Zukunft aussieht, sondern es liegt auch in unserer Hand.
Vielleicht nimmt Atlan sie in seiner Tiefseekuppel auch nicht wahr. Tief unter dem Meer, das längst große Teile der Weltoberfläche überflutet hat. Diese Dystopie hat zumindest der US-amerikanische Science-Fiction-Autor Stephen Baxter entworfen. In seinem Roman „Die letzte Arche“, der 2011 erschien, stehen bereits viele Städte unter Wasser, darunter ganz Moskau. Politiker und Wissenschaftler sind rat- und hilflos. Eine Raummission soll Rettung bringen. Aber auch hier ist sich der Mensch vor allem selbst im Weg.
Auch in Octavia Butlers bereits 1993 erschienener „Parabel vom Sämann“, fast schon ein Klassiker der Fantasy-Literatur, sind es die Menschen, die sich das Leben selbst zur Hölle machen. Kriege werden um Wasser geführt, als die 15-jährige Lauren aufbricht, eine neue Religion zu verkünden. Und auch bei Lionel Shriver, einer Autorin, die wie kaum eine andere gesellschaftliche Probleme wie Übergewicht oder prekäre Krankenversicherungen in berührende Geschichten zu verwandeln mag, ist dieses neue Jahr keines der Freude: In ihrem Roman „Eine amerikanische Familie“ bricht 2024 das Internet zusammen – mit katastrophalen Folgen.
Nein, wenn es um Zukunftsvisionen geht, dann bietet die Literatur kaum Grund zur Hoffnung. Wie gern würde man wie Atlan einfach wieder für ein paar Jahre im Tiefschlaf versinken und in einer besseren Welt aufwachen. Doch gerade seine Botschaft kann uns Hoffnung schenken. Als H. G. Ewers diese Geschichte in den 1970er-Jahren schrieb, war vieles vorstellbar, eines aber nicht: dass die Menschheit das Rauchen aufgeben würde. Zugegeben, das haben wir noch nicht erreicht, aber dass fast überall in Europa in öffentlichen Gebäuden ein Rauchverbot herrscht, hätten viele von uns noch vor 20 Jahren für unmöglich gehalten. Wir Menschen sind also in der Lage, uns zu verändern, lieb gewonnene Tätigkeiten zum Wohle eines größeren Ganzen aufzugeben. Warum sollte uns das nicht erneut gelingen, bevor die Welt überflutet oder das Trinkwasser knapp wird? Denn am Ende liegt es nicht an den Schrift-steller:innen, wie unsere Zukunft aussieht, sondern es liegt auch in unserer Hand. Jan Ehlert