Protest. Unter dem Motto „Hamburg steht auf – gegen Rechtsradikalismus und neonazistische Netzwerke“ demonstrierten 50.000 Hamburger:innen für die Demokratie, den Rechtsstaat und die Freiheit
Plus: Editorial von Chefredakteur Wolfgang Timpe
Die Stadt erwacht. Offiziell protestierten 50.000 Hamburger:innen am Freitag, 19. Januar 2024, unter dem Motto „Hamburg steht auf – gegen Rechtsradikalismus und neonazistische Netzwerke“ und auch gegen die AfD auf dem Jungfernstieg und rund um die Binnenalster. Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Kulturschaffenden, Wirtschaftsverbänden, Parteien und Vereinen hatte zu der Kundgebung aufgerufen. Der Anlass: ein Geheimtreffen von Rechtsextremisten unter anderem mit AfD-Funktionären in Potsdam, auf dem mit dem Nazi-Begriff „Remigration“ die „Deportation“ von Menschen mit Migrationshintergrund – auch von deutschen Staatsbürgern – besprochen wurde.
Foto oben: Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher: „Wir sind geschlossen und entschlossen, unser Land nicht ein zweites Mal zerstören zu lassen.“ © picture alliance/dpa | Jonas Walzberg
Seitdem haben deutschlandweit Hunderttausende gegen rechte Umsturzpläne demonstriert, die das Grundgesetz und unsere freiheitliche Demokratie attackieren oder sogar abschaffen wollen. Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher zeigte in seiner Rede an die Hamburger:innen klare Kante: „Die Botschaft an die AfD und ihre rechten Netzwerke ist: „Wir sind die Mehrheit und wir sind stark, weil wir geschlossen sind und weil wir entschlossen sind, unser Land und unsere Demokratie nach 1945 nicht ein zweites Mal zerstören zu lassen.“ Und, so Tschentscher weiter, das Potsdamer Treffen mit AfD-Funktionären zeige, „dass Rechtsradikale in Deutschland einen Umsturz und eine systematische sogenannte Remigration von Millionen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes planen“. Er machte deutlich, dass für ihn der Begriff „Remigration“ eine „empörende Verharmlosung“ sei. „Sie wollen eine Deportation. Sie wollen die Zeit zurückdrehen“, so Tschentscher weiter, „zurück in eine Zeit von Hass und Gewalt.“
Auf Transparenten stand: „Kein Platz für Rassismus“, „Nie wieder ist jetzt“ oder „Liberté, Égalité, FCK AfD“. Der Andrang der Hamburger:innen, zum Schluss sprachen die Veranstalter von 80.000 Teilnehmer:innen, war so groß, dass die Veranstalter die Kundgebung aus Sicherheitsgründen frühzeitig beenden mussten. Eine Hamburger Demo zum kollektiven Mutmachen – auch gegen rechte Rattenfänger und die AfD. © Catrin-Anja Eichinger
Editorial
»Verändern.« von Wolfgang Timpe
Ich meine, was das schön war, dass mindestens 50.000 Hamburger:innen, die Veranstalter sprechen von 80.000 Teilnehmer:innen, gegen Rechtsradikalismus, neonazistische Netzwerke und die AfD demonstriert haben. Deutschlandweit waren Ende Januar bei den Anti-Rechts-Protesten fast eine Million Menschen unterwegs. Das tut gut und war ein kraftvolles Ausrufezeichen für die gelebte Demokratie und den Rechtsstaat. Wenn es wichtig wird, zeigt sich der Charakter – durch Haltung.
Doch Gutes bringt nicht zwangsläufig auch Besseres hervor. Denn die Politik geht selten direkt notwendige, weitsichtige Schritte. Stimmt nicht? Warum ist denn dann seit Angela Merkels „Wir schaffen das“ anno 2015, was historisch zu seiner Zeit angemessen war, in der dann eskalierenden und nun schon lange alle und alles bedrängenden Flüchtlingsfrage, wie viele können kommen und wie werden sie nachhaltig integriert, so wenig bis nichts passiert? Stimmt nicht? Warum, und das könnte auch jeden anderen Flüchtling betreffen, durften denn dann die Ukraine-Kriegsflüchtlinge nicht arbeiten? Hat man aus den kulturellen Parallelgesellschaften in Berlin-Kreuzberg & Co. oder den Erstaufnahmelagern für Flüchtlinge nichts gelernt? Im Reden manchmal ja, im praktischen Tun herzlich wenig. Wenn es wichtig wird, zeigt sich der Charakter – im Handeln.
Zu lange hat man sich in den bürgerlichen regierenden Parteien beim Thema Flüchtlinge und Integration in verdrängender Sicherheit gewogen – und sind rechtsnationalistische Tendenzen und populistischer AfD-Aufstieg als Protestwählerverhalten stigmatisiert worden. Auch dadurch – und die handwerklich unprofessionelle Streitkultur der Ampel in Berlin – konnte Politikmüdigkeit wachsen und die AfD diese Unzufriedenheitsthemen in der Bevölkerung bis hin zu Antisemitismus und ihren neonazistischen AfD-Vertreibungsfantasien Deutscher mit Migrationshintergrund hochjazzen. Die Massendemos gegen Rechts sind Protest für die Demokratie und auch eine Aufforderung, endlich die Menschen und ihre direkten Sorgen ernst zu nehmen. Wenn es wichtig wird, zeigt sich der Charakter – durch Lernen.
Schluss mit falscher politischer Korrektheit und der Angst davor, Zuwanderung zu regeln, hieße rechts zu sein. Offene Ohren für offene Geister – ohne Parteien-Ideologie. Das wünscht sich die große Mehrheit in der HafenCity, in Hamburg und ganz Deutschland. Wenn es wichtig wird, zeigt sich der Charakter – durch Veränderung.
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Wolfgang Timpe lebt seit 2005 in der HafenCity. – timpe@hafencityzeitung.com