Konzert. HCZ-Autorin Dagmar Leischow sprach mit dem Indie-Musiker Olli Schulz über sein neues Album „Am Rande der Zeit“ und die Dinge des Lebens
Olli Schulz ist ein ebenso guter Beobachter wie Geschichtenerzähler, das beweist der Musiker mit seinem neuen Album „Am Rand der Zeit“ einmal mehr. Im Zoom-Interview spricht der gebürtige Hamburger, der seit 2004 in Berlin wohnt, ganz offen über sich, seine Songs, seine Karriere. Hanseatische Zurückhaltung scheint dem 50-Jährigen, der als Sidekick für die Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf in der Fernsehsendung „Circus HalliGalli“ über die Indie-Szene hinaus bekannt wurde, fernzuliegen. Auf der Bühne punktet er immer wieder mit seinen Entertainerqualitäten. Auch im Gespräch ist sein Redefluss kaum zu stoppen, wenn er sich richtig auf ein Thema eingelassen hat.
Foto oben: Singer-Songwriter Olli Schulz ist nicht hundertprozentig zufrieden mit sich: „Ich glaube, man ist ein Leben lang auf der Suche nach einer besseren Version seiner selbst.“ © Winson
Eines Ihrer Lieder heißt „Silvester“. Sind Sie jemand, der zum Jahreswechsel das vergangene Jahr gern noch einmal Revue passieren lässt? Es ist schon häufiger vorgekommen, dass ich sowohl mit schönen als auch mit melancholischen Erinnerungen auf das alte Jahr zurückgeblickt habe. In „Silvester“ erzähle ich von der Geburt meines Kindes und davon, welche Gedanken mich umkreist haben. Mit der Zeile „Ich wünschte, ihr wärt hier, ich hätte so viel zu erzähl’n“ denke ich an jene Menschen, die nicht mehr da sind.
Gehen wir zurück in Ihre Kindheit. Sie sind erst mit neun zu Ihren Eltern nach Stellingen gezogen, vorher haben Sie bei Ihren Urgroßeltern gewohnt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Jahre? Ich habe meinen Uropa immer begleitet, wenn er auf dem Hamburger Fischmarkt mit Zwerghühnern und Tauben gehandelt hat. Danach sind wir öfter in die Gaststätte Fick gegangen. Ich hörte zu, wie sich mein Uropa mit ein paar alten Kollegen unterhalten hat. Was ich damals nicht wusste: Sie waren alle Kriegsgeschädigte.
Später haben Sie dann Zivildienst gemacht. Wie war diese Zeit für Sie? Sehr wichtig. Ich habe bei der Sozialstation St. Pauli gearbeitet. Tagsüber bin ich mit dem Fahrrad über die Reeperbahn gefahren. Ich habe für ehemalige Prostituierte und Zuhälter, aber auch für sozial schwache Menschen Lebensmittel eingekauft oder bei ihnen geputzt. Mit einem alten Lehrer habe ich Schach gespielt. Das waren 18 einprägsame Monate. Ich finde, Zivildienst sollte man unbedingt wieder einführen.
Wenn man auf Ihre Biografie schaut, hat man das Gefühl: Als junger Mann haben Sie sich einfach treiben lassen. Stimmt das? Ich hatte nie ein großes Ziel. Mit 18 bin ich zu Hause ausgezogen, ich habe in einer WG gewohnt. Parallel zum Zivildienst habe ich in einem Plattenladen gearbeitet. Weil ich ein großer Musikfan war, bin ich zusätzlich als Rowdy, Ordner und Bühnenbauer ins Konzertgeschäft eingestiegen. Nach dem Zivildienst habe ich zwei Semester an der Hanseatischen Akademie für Medien und Marketing studiert. Bis ich mir sagte: Das Leben ist viel zu aufregend für ein Studium. Ich wollte noch mehr von dieser musikalischen Welt entdecken. Deshalb habe ich einige Punkbands auf ihren Tourneen begleitet und irgendwann meine eigenen Lieder geschrieben.
Weil Sie davon geträumt haben, selber im Rampenlicht zu stehen? Ich habe nicht von vornherein gedacht: Ich will auf die Bühne und angehimmelt werden. Allerdings reizte es mich, mit meiner Musik Leute zu erreichen, die meine Lieder auch mögen. Ich wollte mich nicht mehr so allein fühlen – wie ein Außenseiter. Das hat mich damals angetrieben.
Wie fanden Sie die Hamburger Musikszene der 90er-Jahre? Total toll. Natürlich war ich im Pudel Club von Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun. In Bezug auf die Hamburger Musikszene der 90er-Jahre bin ich wirklich ein Zeitzeuge der ersten Generation. Damals war immer irgendwo ein Konzert. Mal habe ich bei Pearl Jam in der Sporthalle gearbeitet, mal in der Markthalle bei Alice in Chains. Hinterher bin ich dann nach Hause gegangen und habe Gitarre gespielt.
Wann haben Sie dieses Instrument denn für sich entdeckt? Leider erst mit 18. Obwohl ich bereits in meiner Jugend ein riesiger Musikfan gewesen bin, haben meine Eltern diese Neigung nie gefördert. Erst nachdem ich zu Hause ausgezogen war, habe ich mir in meiner WG die Gitarre meiner Mitbewohnerin genommen und jeden Tag gespielt. Das war eigentlich einen Ticken zu spät, finde ich.
Anfangs galten Sie als Indie-Musiker. Haben Sie dank Ihrer Fernsehauftritte den Sprung in den Mainstream geschafft? Kommt auf die Perspektive an. Für einige zählen nur Thomas Gottschalk oder Barbara Schöneberger zum Mainstream. Wer lediglich auf Omnipräsenz oder Erfolg guckt, für den existiere ich wahrscheinlich gar nicht. In den Augen der Indie-Leute, die meine Musik schon früher verfolgt haben, bin ich dagegen jemand, der es geschafft hat. Man sollte sich selber aber nicht zu viele Gedanken darüber machen, ob man irgendwo angekommen ist. Wichtiger ist, dass man mit dem, was man macht, glücklich ist. Wenn man damit auch noch Geld verdienen, seine Miete zahlen und vielleicht sogar seine Familie ernähren kann, ist das doch der absolute Hauptgewinn.
All das haben Sie erreicht. Trotzdem vermittelt das Stück „Bessere Version“ den Eindruck, dass Sie nicht hundertprozentig mit sich zufrieden sind. Ich glaube, man ist ein Leben lang auf der Suche nach einer besseren Version seiner selbst. Mitunter verliere ich durch die ganze Informationsflut den positiven Blick auf die Welt. Die Hoffnung. So etwas kann doch jedem passieren. Manchmal sagt man nur noch hallo, guckt aber keinem mehr in die Augen. Das muss man erkennen und daran arbeiten. Wenn es einem gelingt, den Blickwinkel zu ändern, dann kann man wieder mit offenem Herzen auf andere Menschen zugehen.
Plädieren Sie für Selbstoptimierung? Das meine ich nicht. Das Gespräch, das ich mit mir selbst führe, ist wichtig. Die Erkenntnis: Ich gefalle mir nicht. Dafür brauche ich keinen Motivationsguru, der mir predigt: „Mach jeden Morgen 20 Sit-ups, und du wirst ein besserer Mensch.“ Ich merke zuweilen, dass ich zu unruhig, zu fahrig, zu patzig bin. Wenn ich andere Leute nicht gut behandele und mich nicht völlig von mir selbst entfernt habe, weiß ich doch: Es wird Zeit, ein bisschen was an mir zu ändern. Interview: Dagmar Leischow
Info
Olli Schulz tritt Mo., 4. März, und Di., 5. März, jeweils um 20 Uhr, in der edel-optics.de-Arena auf. Karten und weitere Informationen unter www.hamburgkonzerte.de