»Wir sind keinen Schritt weiter!«

Serie. Zum Start der HCZ-Reihe „Verbindungswege – Die Neue Mitte Hamburgs“ fragen wir bei der Innenstadt-Akteurin Nicole C. Unger nach, was heute die größten Schwachstellen sind, um attraktive fußläufige Flaniermeilen zwischen Binnenalster und Elbe zu schaffen

Die Zeit rast im Sauseschritt, soll doch das Westfield Hamburg-Überseequartier im ersten Quartal 2025 eröffnen. Sind Stadt und Infrastruktur fit für den Besuch von dann täglich erwarteten 45.000 Gästen im Multicenter und der City? Alle träumen von fußläufigen attraktiven Flaniermeilen zwischen Binnenalster und Elbe. Die neue HCZ-City-Serie „Verbundungswege – Die Neue Mitte Hamburgs“ wird das jeden Monat checken. Innenstadt-Akteurin Nicole C. Unger diagnostiziert zum Auftakt der Reihe etliche Mängel.
Foto oben: Innenstadt-Expertin Nicole C. Unger zur Infrastruktur: „Der Bus der Linie 4, der jetzt von der Mönckebergstraße bis zum Überseequartier fährt, sollte eine bestimmte auffällige Farbe oder ein Design haben, damit dieser als solcher sofort erkennbar ist, und er sollte im Fünf- bis Zehn-Minuten Takt fahren – gerade auch am Samstag!“ © Catrin-Anja Eichinger

Frau Unger, am „späten Ende“ des ersten Quartals 2025 will das Westfield Hamburg-Überseequartier in der HafenCity eröffnen – rund ein Jahr nach dem ursprünglich im April 2024 geplanten Termin. Sie beklagten schon damals fehlende attraktive Wegeführung und Beschilderung von der Innenstadt in die HafenCity und umgekehrt. Was hat sich in den vergangenen zehn Monaten von Stadt und Senat aus getan? Sind Sie zufrieden? Ja und nein. Es hat sich schon einiges Positive getan, und einige unserer Vorschläge sind von der Behörde für Stadentwicklung und Wohnen (BSW) auch aufgenommen worden. Leider reicht das aber noch nicht. Es sind die Pflanzkübel vom Jungfernstieg überarbeitet, durch neue ergänzt und schön bepflanzt und an der Domachse verteilt worden. Allerdings ist der überwiegende Teil an der Petrikirche, aber nur sehr sporadisch am Alten Fischmarkt und Bei St. Annen abgestellt worden. Seit Oktober sind jetzt alle Pflanzkübel wieder abgeräumt. Weiterhin ist eine Wegführung an der Domachse in Form von Bannern „Von der Alster bis zur Elbe“ mit Piktogrammen in Mintfarben an den Laternenmasten vom Jungfernstieg bis zum Überseequartier installiert worden, die aber der „normale“ Passant oder Tourist nicht deuten kann. Außerdem sind sie mittlerweile alle verblasst und sehen entsprechend aus. Auch sind auf den Gehwegen Beklebungen aufgebracht worden, die die Schritte bis in das jeweilige Quartier weisen sollen. Sie blättern leider schnell ab. Gut finde ich die Tafeln mit den Informationen zu den jeweiligen Orten. Wir würden uns wünschen, dass in der Speicherstadt trotz des Welterbes auch dort mehr Maßnahmen zur Wegeführung umgesetzt werden. Schließlich handelt es sich ja nur um temporäre Aktionen. 

Was fehlt Ihnen? Es sind keine temporären Angebote, wie ein Spielplatz mit Aufenthaltsqualität auf dem Hammaburgplatz, dem früheren umgangssprachlichen Domplatz, entstanden. Es ist kein Beleuchtungskonzept – gerade jetzt zur dunklen Jahreszeit! – in Form einer Wellenbewegung als Wegeführung an den Laternenmasten installiert worden, wofür es von einem Lichtkünstler entsprechende Planungen gab und für die wir uns alle deutlich ausgesprochen hatten.

Ihr aktuelles Resümee? Die BVM, die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende, hat die von uns geforderte Verlängerung der Buslinie 4 zugesagt. Für die Sofortmaßnahmen sind wir auf dem richtigen Weg, müssen aber noch mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen zusammen das bereits installierte Konzept weiterentwickeln, zum Beispiel die eben beschriebene Beleuchtung. In Bezug auf die endgültige Neugestaltung sind wir nach dem Workshop, der sehr gute Ideen hervorgebracht hat, in Wahrheit keinen Schritt weiter! Außer dass eine EU-weite Ausschreibung für eine Rahmenplanung für die gesamte Domachse in Vorbereitung ist. Hier würden wir uns eine zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen wünschen, wobei klar ist, dass Hochbauten länger brauchen als Maßnahmen im öffentlichen Raum.

Attraktive Aufenthaltsqualität im Rathausquartier in der neu gestalteten Kleinen Johannisstraße als Fußgängerzone mit Outdoor-Gastronomieangeboten auf dem historischen sogenannten Katharinenweg in die HafenCity. © BID Rathausquartier / Stephan Wallocha

Einig sind sich viele Akteure, dass es drei klassische fußläufige Verbindungswege in die HafenCity (HC) geben ­sollte: vom Rathaus über Hopfenmarkt/Rödingsmarkt zur HC, vom Rathaus über Hammaburgplatz/St. Annen Platz zur HC, die sogenannte Domachse, sowie vom Rathaus über Kleine Johannisstr./St. Katharinen zur HC. Der letzte Verbindungsweg über St. Katharinen liegt Ihnen besonders am Herzen. Warum? Ja, das sind die drei Hauptquerungen von der gewachsenen Innenstadt zur HafenCity. Wobei die Domachse mehr eine oberirdische Verbindung mit dem Bus/ÖPNV und dem Individualverkehr darstellt. Diese Strecke muss auch weiterhin für den motorisierten Individualverkehr (MIV) zur Verfügung stehen. Die Querung über den Rödingsmarkt muss auch mit dem ÖPNV und dem MIV erreichbar bleiben. Für die Fußgänger wird diese Achse sicher auch attraktiver, wenn der Hopfenmarkt umgestaltet ist und die Flüggerhöfe fertiggestellt sind. 

Und der Katharinenweg? Der ist ein schöner und attraktiver Fußweg, an dem es vielfältige Hamburger Geschichte und traumhafte Architektur zu sehen und zu entdecken gibt, wobei der überwiegende Teil bereits autofrei ist. Als Fußgängerweg wird der alte Katharinenweg künftig vom Rathausmarkt durch die neue Fußgängerzone „Kleine Johannisstraße“ im neu gestalteten BID-Rathausquartier über das alte Commerzbank-Grundstück, wenn es neu und attraktiv bebaut ist, und dann mit der direkten Querung der Willy-Brandt-Straße (nach Umbau der Steinstraße und der Domstraße) zu St. Katharinen über den St. Annen Platz und den Überseeboulevard zum Überseequartier führen.

Aktuell ist die Kleine Johannisstraße keine reine Fußgängerpassage? Leider nein, weil die automatisch versenkbaren Polleranlagen in der Kleinen Johannisstraße am Anfang und am Ende fehlen und somit die Fußgängerzone leider zurzeit nicht als solche betrachtet werden kann und dadurch eine sehr gefährliche Verkehrssituation für alle Verkehrsteilnehmer entstanden ist.

Hat man die Poller-Anlage vergessen? Nein, die Poller-Anlage war immer geplant, und der Verkehrssenator hat sich immer dafür ausgesprochen. Doch am Ende ist sie aus Kostengründen einfach gestrichen worden. Hier muss dringend etwas geschehen. Schließlich sind ja die für diese Legislaturperiode uns durch die Stadtentwicklungssenatorin zugesagten 50 Millionen Euro genau für solche Fälle gedacht gewesen. Die Hälfte der Kosten für die Umgestaltung des BID-Rathausquartier stammen aus diesen 50 Millionen Euro. Da ist es nicht ganz nachvollziehbar, warum nun ausgerechnet für die Poller kein Geld mehr da sein soll.

Nicole C. Unger zur sogenannten Domachse: „Es sind keine temporären Angebote, wie ein Spielplatz mit Aufenthaltsqualität auf dem Hammaburgplatz, dem früheren umgangssprachlichen Domplatz, entstanden. Es ist kein Beleuchtungskonzept in Form einer Wellenbewegung als Wegeführung an den Laternenmasten installiert worden, wofür es von einem Lichtkünstler entsprechende Planungen gab und für die wir uns alle deutlich ausgesprochen hatten.“ © Frank Bründel | www.citynewstv.de

Warum tun sich Senat und Stadtentwicklungsbehörde so schwer, obwohl sie es mit der neuen Mitte Hamburgs eigentlich ernst meinen, überhaupt Konzepte dafür zu entwickeln? Wie erklären Sie als langjährige Immobilien- und Innenstadtmanagerin diesen Stillstand der Stadt? Behördenmühlen mahlen nun mal langsam (lacht herzlich). Es ist, wie es ist, und der Senat hat die vergangenen 10 bis 15 Jahre einfach nur in die Hafen City investiert und nicht in die Innenstadt geschaut. Darüber hinaus hat der Senat leider auch nicht an die Wegeverbindungen und das Aufrüsten der Innenstadt bis zur Eröffnung eines solchen Einkaufsquartiers – mit der gleichen Anzahl an Verkaufsfläche wie die gesamte Innenstadt! – gedacht. Obwohl wir Innenstadt-Akteure alle die vergangenen zehn Jahre immer und immer wieder massiv darauf hingewiesen haben. Aber bei aller Kritik, es tut sich ja etwas: Rathausquartier, Burchardplatz, Neuer Jungfernstieg und die Steinstraße sind alles Projekte, die der Innenstadt guttun. Wir hätten uns nur statt der vielen Verkehrsmaßnahmen gewünscht, dass mehr in die Wege und Plätze investiert wird. Wir hoffen aber, dass von den 50 Millionen Euro noch einiges für solche Projekte übrig ist, und erwarten ohnehin für die neue Legislaturperiode weitere 50 Millionen Euro.

Eine zeitgemäße digitale und analoge Wegeführung durch Beschilderung, die auf historische, städtebauliche oder gastronomisch-kulturelle Highlights beim Flanieren in die HafenCity oder die Innenstadt attraktiv aufmerksam macht, ist doch kein Hexenwerk. Woran hapert es? Dass wir kein digitales Parkleitsystem in Hamburg haben, welches einem auf dem Navigationssystem anzeigt, wo Parkplätze frei sind und wie man dahin kommt, ist in der Tat ein Armutszeugnis. Das gilt völlig unabhängig von dem Überseequartier. Der in diesem Jahr verstorbene Herr Görtz, der lange 1. Vorsitzender des Trägerverbund Projekt Innenstadt e. V. war, hat das schon vor Jahren immer wieder gefordert. Das gibt es in anderen Städten und ist wahrlich kein Hexenwerk. Es liegt offenkundig an der Verkehrswende, die ja keinen individuellen Autoverkehr in der Innenstadt mehr zulässt, und vor dem Hintergrund wird sich wohl auch nicht um ein modernes und zukunftsträchtiges Parkleitsystem gekümmert.

Warum braucht die City Pkw und Co., den sogenannten MIV? Unter anderen auch wegen einer immer älter werdenden Gesellschaft in einer Metropolregion, bei der die Innenstadt auf die Menschen von außerhalb angewiesen ist, die mit dem eigenen Auto in die Innenstadt kommen möchten. Das muss nicht heißen, dass sie das Auto vor der Ladentür parken müssen, man muss aber zum Ein- und Ausladen mal ranfahren können, und man muss gut, schnell und bequem zu den Parkhäusern kommen, die auch keine horrenden Parkgebühren verlangen dürften. Es muss den Menschen bequem und attraktiv gemacht werden – damit sie in die Innenstadt kommen. Das Gegenteil ist aber verkehrspolitisch leider der Fall. Es liegt nicht nur an unserem Angebot in der Innenstadt, denn wir sehen ja, dass die Menschen in die Innenstadt kommen und auch gerne kommen möchten.

Sie kennen auch als Mitglied im Arbeitskreis Innenstadt mit der Politik, wie in den BIDs der Privateigentümer und Gewerbe oder dem Vorstand City Management Hamburg und dem Trägerverbund Projekt Innenstadt jede Menge Gutachten und Modelle. Was lässt sich ab heute, Stand 1. Dezember 2024, bis Ende März 2025 ganz pragmatisch bewegen? Wie schon erwähnt vor allem eine besser verständliche und deutlich sichtbarere Beschilderung an der Domachse und auf dem alten Katharinenweg. Der Bus der Linie 4, der jetzt von der Mönckebergstraße bis zum Überseequartier fährt, sollte eine bestimmte auffällige Farbe oder ein Design haben, damit dieser als solcher sofort erkennbar ist, und er sollte im Fünf- bis Zehn-Minuten-Takt fahren – gerade auch am Samstag! Und es muss ein Beleuchtungskonzept für die kommende dunkle Jahreszeit und die Abendstunden installiert werden, das mit der Wellenbewegung die Wegeverbindung anzeigt. Ein Konzept liegt vor, es muss einfach nur umgesetzt werden, am liebsten unser Vorschlag, aber wenn der nicht gewollt ist, dann eben ein anderer. Hauptsache, es ist spektakulär. 

Sie sind keine Freundin des heutigen Hammaburgplatzes. Warum, und was sollte an diesem historischen Ort stattfinden? Für mich müsste auf dem Hammaburgplatz dringend ein hochwertiger Spielplatz für Familien mit Kindern mit einer schönen und gastronomisch anspruchsvollen Aufenthaltsqualität eingerichtet werden, damit auch Familien in der Innenstadt und auf dem Weg zwischen den beiden Quartieren einen angemessenen Aufenthaltsort haben. Auch könnte man die Verbindungswege kulturell bespielen, Kunst in den öffentlichen Raum stellen, die Geschichte Hamburgs auf dem Weg erkunden lassen, wie auf dem Überseeboulevard dauerhaft Schaukästen mit Kunstexponaten aufhängen, zum Beispiel aus der Kunsthalle, oder digitale Exponate aus der Kunsthalle öffentlich präsentieren. Und, und, und.

Offenbar wird viel geredet und zu wenig umgesetzt – und es liegt ausnahmsweise mal nicht immer am Geld. Sie kennen sich seit vielen Jahren mit Verwaltung, Politik, Grundeigentümern und Konzeptumsetzungen aus. Was muss man ändern, um Entscheidungen für Infrastruktur-Konzepte zu treffen und vor allem für deren schnelle Umsetzung zu sorgen? Das wäre eine neue Erfahrung, dass Geld vorhanden ist! Da wissen Sie mehr als ich.

Ich meine unter anderem den Gesamtetat Innenstadt von 50 Millionen Euro des Senats. Im Moment wissen wir Innenstadt-Akteure nicht, wie viel von den 50 Millionen Euro für Plätze und öffentliche Wegeverbindungen, die die vorherige Stadtentwicklungssenatorin Frau Dr. Dorothee Stapelfeldt für diese Legislaturperiode organisiert hat, tatsächlich noch übrig geblieben sind und was überhaupt von dem Geld umgesetzt worden ist. Gesetzt den Fall, dass noch Geld vorhanden ist, muss man die oben aufgeführten Punkte schnell und unbürokratisch umsetzen. Vielleicht muss man diese Aufträge und die damit verbundene Umsetzung durch die zahlreichen privatwirtschaftlichen Unternehmen, die in der Innenstadt permanent tätig sind und sich auskennen, ausführen lassen und nicht langwierige EU-Ausschreibungen durchführen, die allein schon ein Jahr benötigen, bis Ergebnisse vorliegen, geschweige denn, dass sie eine entsprechende Umsetzung garantieren.

Eine Vision: Sie sind Erste Bürgermeisterin von Hamburg und können – ohne Hindernisse – drei Wünsche in die Tat umsetzen. Was würde in den ersten 100 Tagen zwischen Innenstadt und HafenCity passieren? Als Erstes würde ich das von mir lange geforderte eigene Budget für die Hamburger Innenstadt im Bezirksamt Hamburg-Mitte etablieren, damit die Pflege des öffentlichen Raumes, die Reinigung und Sicherheit in der Innenstadt gewährleistet ist. Zweitens würde ich eine einheitliche, ansprechende und informative Baustelleneinrichtung sowie regelmäßig kulturelle Veranstaltungen im öffentlichen Raum organisieren lassen – ohne langwierige Sondernutzungsanträge an zahlreiche Stadt- und Bezirksausschüsse stellen zu müssen, für die jedes Mal nicht unerhebliche Sondernutzungsgebühren fällig werden. Das muss alles entbürokratisiert und viel, viel einfacher werden und trotzdem kontrolliert und hochwertig durchgeführt werden. 

Und wie? Ach wissen Sie was, für diesen Bürokratieabbau braucht man einfach in den Behörden klare Strukturen mit Entscheidungsträgern, die dann auch pragmatisch und zielorientiert entscheiden. Bürokratieabbau geht nicht auf der Stelle, ist jedoch ebenfalls keine Sisyphos-Aufgabe, man muss nur praktisch damit anfangen! Und drittens: einen Platz für das Naturkundemuseum in der Innenstadt und nicht in der HafenCity finden. Das Gespräch führte Wolfgang Timpe

Nachrichten von der Hamburger Stadtküste

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