HCZ-Autor Jan Ehlert schaut in seiner Kolumne »Literatur zur Lage« zum inzwischen 87. Mal auf das Weltgeschehen und fühlt sich zu literarischen Assoziationen und Korrespondenzen animiert

Er kommt einem erschreckend bekannt vor, dieser König: Angestachelt von seinem ihm ergebenen Umfeld träumt er davon, die Gesellschaft ganz nach seinem Wunsch umzugestalten. „Wir verändern die Gesetze, wir bauen die Justiz um, komplett von A bis Z!“, ruft er. Und, fast schlimmer noch: Er stößt damit auf Begeisterung: „Ja, du bist so klug!“, schallt es ihm allüberall entgegen.
Fast 130 Jahre alt ist diese Fabel des französischen Dadaisten Alfred Jarry. Sein „König Ubu“ hat seitdem viele Diktatoren und fanatische Herrscher kommen und gehen sehen, die man mit ihm vergleichen konnte. Und auch heute mangelt es nicht an Nachfolgern. Noch nicht einmal zwei Monate ist Donald Trump im Amt, dass er aber fest davon ausgeht, dass alles nach seiner Nase laufen muss, das ist schon jetzt nicht mehr zu übersehen. Das Kulturprogramm, die Bezeichnung von Meeren und Buchten, wer der nächste Papst wird: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“, schallt es uns in nur scheinbar harmloser Pippi-Langstrumpf-Manier entgegen.
Mit Astrid Lindgrens Friedenspreisrede »Niemals Gewalt« als Pflichtlektüre wäre das Weiße Haus mehr kunterbunt.
Wie gefährlich das ist, das zeigte sich spätestens Ende Februar, als Trump und sein Kronprinz J. D. Vance den ukrainischen Präsidenten Selenskyj vor laufenden Kameras zurechtwiesen und demütigten. Selbst schuld, er habe Trump nicht genug gelobt, hieß es im Nachhinein aus dem Umfeld des US-Herrschers. Wenn alle ihn aber immer nur loben, dann wächst das Ego nur weiter. Davon hat Molière in seinen Theaterkomödien wie „Der Geizige“ schon ein Lied gesungen. Eines mit tragischem Ende. Und Shakespeares Könige wie Lear oder Macbeth führte die übertriebene Schmeichelei nicht nur in den eigenen Untergang, sondern auch in den ihres Landes.
Die Regierungen Europas und auch unsere Politiker müssen daher einen neuen Ton im Umgang mit den USA finden. Wenn möglich sollten sie Amerika gute Freunde sein: nicht gleich alles verdammen und den Kontakt abbrechen, sondern dem Präsidenten mit Respekt begegnen, ja. Aber Respekt heißt eben nicht Unterwürfigkeit, im Gegenteil: Gute Freunde zeichnen sich dadurch aus, dass sie uns auch unliebsame Wahrheiten sagen und trotzdem die gemeinsame Vergangenheit nicht infrage stellen.
So ist auch Pippi Langstrumpf nicht allein. Ihre Schöpferin Astrid Lindgren war klug genug, ihr Freunde an die Seite zu stellen, die fester im Leben stehen und immer dann einschreiten, wenn Pippis Weltbestimmungswahn aus dem Ruder zu laufen scheint.
Lindgren hatte in der Zeit des Zweiten Weltkriegs miterlebt, wohin grenzenlose Selbstüberschätzung führen kann. Zeit ihres Lebens setzte sie sich daher für Frieden und Mitmenschlichkeit ein. Ihre Rede, die sie anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1978 hielt, trug den Titel „Niemals Gewalt“ und man möchte sie allen Ubus der heutigen Zeit als Pflichtlektüre empfehlen. Dann wäre das Weiße Haus vielleicht auch wieder ein bisschen weniger weiß und etwas mehr kunterbunt. Und die Welt wieder mehr, wie sie uns gefällt. Jan Ehlert
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Jan Ehlert lebt in Hannover und der HafenCity. Seine Passion sind Bücher. Er schreibt monatlich für die HafenCity Zeitung seine Kolumne »Literatur zur Lage«.