Konzert. Der belgische Singer-Songwriter Milow tritt Ende März im Hamburger Mojo Club auf. HCZ-Autorin Dagmar Leischow sprach mit ihm – auch übers Imposter-Syndrom

So hautnah können seine Fans den Musiker Milow, den sein Hit „Ayo Technology“ 2008 zum internationalen Star machte, nur selten erleben. Auf der Hafenbühne in der HafenCity präsentiert er seinen Anhänger:innen sein achtes Album „Boy made out of Stars“ höchstpersönlich. Es setzt auf geerdet-handgemachten Pop und erzählt sehr persönliche Geschichten. Jede einzelne hat der belgische Singer-Songwriter mit einem Video in Szene gesetzt. Damit ist für ihn ein Traum wahr geworden. „Als ich 18 war“, erzählt er, „war der Film neben der Musik meine größte Leidenschaft.“ Deshalb nahm er nach seiner Zeit als Austauschschüler in Kalifornien in Brüssel ein Filmstudium auf – mit mäßigem Erfolg. Nach einem Jahr wurde ihm nahegelegt, sich anderweitig zu orientieren. Er wurde also Musiker.
Foto oben: Milow hat zu neuen Songs Videos mit Familie und Freunden gedreht: „Wir haben alle in einem Haus gewohnt. Daraus entwickelte sich ein richtiges Sommercamp-Feeling.“ © Kevin Zacher
Damit fiel der Apfel nicht weit vom Stamm. Auch sein Vater wollte ursprünglich Singer-Songwriter werden, allerdings machte er nie Karriere. Obwohl er sogar 1975 in Paris eine Platte aufgenommen hat. Diese Vinyl-Scheibe entdeckte Milow, der eigentlich Jonathan Ivo Gilles Vandenbroeck heißt, erst nach dem Tod seines Vaters. Für ihn war sie wie ein Schatz: „Wenn jemand nicht mehr da ist, kann man nach einer Weile nur noch Erinnerungen recyceln.“ Wobei sich das im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz ein bisschen relativiert hat. Milow nutzte eine KI, um die Stimme seines Vaters zu extrahieren und sie posthum in ein Duett einzubauen. Das Ergebnis heißt „Family Tree“: „Dieses Lied wird wohl kein kommerzieller Erfolg werden, aber in unserer Familie ist es jetzt schon ein Hit.“
Nicht minder Hoch im Kurs dürfte „I’ve been expecting you“ bei Milows Angehörigen stehen. „Ich habe mich gefragt, was ich mit meinem Vater machen würde, wenn ich einen Tag mit ihm geschenkt bekommen würde“, sagt der 43-Jährige. Die Antwort gibt das Video, das eingeblendet wird: Das Vater-Sohn-Duo würde zusammen musizieren und im Garten arbeiten. Neben diesem Clip wurden noch 14 weitere gedreht – sieben in Belgien, acht in den USA. Milow pendelt nämlich zwischen seiner Heimat und Kalifornien: „Meine beiden Kinder wurden in Los Angeles geboren.“ Auch sie haben vor der Kamera gestanden, ebenso wie weitere Verwandte, Freundinnen und Freunde: „Wir haben alle in einem Haus gewohnt. Daraus entwickelte sich ein richtiges Sommercamp-Feeling.“

Wobei der Singer-Songwriterin Florence Arman beim „Castaways“-Videodreh, für den sie eigens aus Wien anreiste, der Spaß vergangen sein dürfte. Als Milow sie vom Flughafen abholte, fragte er sie, ob sie einen Neoprenanzug mitgebracht habe. Weil sie verneinte, machten sie einen Zwischenstopp in einem Surfshop, um einen zu kaufen. Trotzdem fiel es der Musikerin schwer, sich am nächsten Morgen in einem Schwimmring länger im kalten Wasser zu tummeln. „Sie behauptete zwar, alles sei gut“, erinnert sich Milow. „Doch ich konnte an ihrem Gesicht sehen, dass das nicht stimmte.“ Dass sie und Milow tatsächlich im Pazifik dümpeln, lassen die Bilder gar nicht vermuten: „Das Meer sieht aus wie die Nordsee.“
Solche Geschichten erzählt der Belgier, nachdem sämtliche Videos gezeigt wurden. Die Hälfte seines Albums, resümiert er, sei ein Liebeslied für L.A.: „Meine Familie und ich waren während des Feuers in Sicherheit. Aber das Zuhause vieler Menschen wurde durch die Brände zerstört.“ Diese Tragödie beschäftigt Milow natürlich: „Ich weiß nicht mal, ob die Orte noch existieren, an denen wir gedreht haben.“
Zum Schluss greift Milow noch zu seiner Akustikgitarre, die ein Bär ziert. Er spielt ein paar Songs live – ohne seine Band. Mit ihr war er drei Wochen im Studio, um an den organischen Klängen zu feilen und live aufzunehmen. Leicht ist ihm die Arbeit an seinen neuen Liedern nicht gefallen, das blieb seinen Musiker:innen nicht verborgen: „Sie meinten, sie hätten mich noch nie so unsicher gesehen.“ Schuld war das Imposter-Syndrom, auch Hochstapler-Syndrom genannt: „Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder einen guten Song schreiben können würde.“ Das Songschreiben wird eben mit den Jahren nicht leichter. Jedenfalls nicht für Milow, der sich selbst als seinen schärfsten Kritiker bezeichnet: „Anfangs sitzt man immer vor einer leeren Seite. Theoretisch ist alles möglich, die zahlreichen Optionen überfordern mich jedoch manchmal.“
Dagmar Leischow
Info Milow tritt Fr., 28. März, 20 Uhr, im Mojo Club auf, das Konzert ist ausverkauft. Weitere Informationen unter www.mojo.de