Meinung. In seiner 91. Kolumne »Literatur zur Lage« beschäftigt sich HCZ-Autor Jan Ehlert in der Juli-Ausgabe der HCZ HafenCity Zeitung mit dem Thema Krieg und Frieden angesichts der jüngsten Israel- und US-Bombenangriffe auf den Iran

Es ist ein furchtbares Szenario: Zwei Atombombenangriffe haben die US-amerikanischen Städte Galveston und San Diego zerstört. Die USA sinnen auf Rache, doch die Flieger der US-Luftwaffe werden durch eine neuartige Technik von der Luftabwehr des Iran zur Landung gezwungen: Die Welt, die der US-Schriftsteller Eliot Ackerman in seinem düsteren Roman entwirft, steht am Rande des dritten Weltkriegs. Und zwar schon bald: „2034: A Novel of the Next World War“, so der bedrohliche Titel des Buches.
Foto oben: Israelische Soldaten und Rettungskräfte suchen nach Überlebenden in den Trümmern von Wohnhäusern, die durch einen iranischen Raketeneinschlag zerstört wurden, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen, in Beerscheba, Israel, am Dienstag, 24. Juni 2025. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Leo Correa
Der Iran hat bei Ackerman nicht die Atombomben abgeworfen. Und trotzdem stellt der Roman die Frage: Hätte man das iranische Entwicklungsprogramm neuer Waffensysteme früher stoppen müssen? In unserer Welt hat US-Präsident Donald Trump diese Frage mit einem donnernden „Ja“ beantwortet, gemeinsam mit Israels Präsident Benjamin Netanjahu. Und auch wenn das iranische Atomprogramm möglicherweise nur um Monate zurückgeworfen wurde: Das Zeichen, das Trump gesetzt hat, ist deutlich: Die USA scheuen auch vor dem Angriff auf andere Länder nicht zurück.
»Du und ich werden ein Ende finden / irgendwo / Das schönste Gedicht der Welt / verstummt«.
Parnia Abassi, »Der erloschene Sturm«
Doch der Angriff auf den Iran hat noch weitere Konsequenzen: „Magst du die blut’gen Schatten fragen / Die vor der Welteroberer Bahn / Zerbrechen Irans Krone sahn, / Und Glaub’ und Recht in Ketten schlagen!“ Diese Verse widmete der irische Dichter Thomas Moore 1817 in seinem orientalischen Versepos „Lalla Rukh“ den unschuldigen Opfern von Anschlägen im Iran. Denn welcher Glaube und welches Recht rechtfertigen den Tod von Unbeteiligten oder den Angriff auf ein souveränes Land?
Lallah Rukh ist ein junges persisches Mädchen, das einen Herrscher heiraten soll, sich aber in einen Dichter verliebt. Dieser Dichter singt ihr vom Wahn der „Welteroberer“, die auf ihrem Weg zur Macht hoffnungsfrohe Menschen in „blut’ge Schatten“ verwandeln.
Auch Parnia Abbassi verliebte sich in die Dichtkunst statt in die Diktatur. Die junge Frau aus Teheran widersetzte sich den strengen Regeln des iranischen Regimes, studierte Englisch, schrieb Poesie. „Du und ich werden ein Ende finden / irgendwo / Das schönste Gedicht der Welt / verstummt“, heißt es in ihrem Gedicht „Der erloschene Stern“. Abbassis Ende kam früher als erwartet: Sie starb mit ihrer Familie bei einem Luftschlag auf das Haus, in dem mutmaßlich auch ein iranischer Atomforscher lebte.
Lallah Rukhs Geschichte hat ein glücklicheres Ende. In der Hochzeitsnacht stellt sie fest, dass der gefürchtete Herrscher und der geliebte Dichter ein und dieselbe Person sind. In unserer Welt scheinen die Herrscher die Sprache der Poesie – und damit der Einfühlsamkeit – verloren zu haben. Ja, man kann die Luftschläge gegen den Iran gutheißen. Doch man sollte nicht vergessen, um die zu weinen, die dabei ihr Leben lassen. Denn wenn wir die Menschen in anderen Ländern nur noch als Feind und nicht mehr als Mensch sehen, wenn wir nicht weiter auf den Frieden hoffen, dann hatte Parnia Abbassi recht mit ihren traurigen Zeilen: Dann ist „das schönste Gedicht der Welt verstummt“. Jan Ehlert