»Die Menschen wirklich mitnehmen!«

Debatte. Mit dem Dialogforum »Die Kühne-Oper und das Baakenhöft« veranstaltete das Netzwerk HafenCity e. V.die erste öffentliche Diskussionsrunde mit Bürgerschaftsabgeordneten – zwischen Ablehnung und Zustimmung 

Von Anfang an lag Spannung in der Luft. Schon bevor die Mikrofone eingeschaltet waren, wurde klar: Die neue Kühne-Oper ist mehr als nur ein Kulturprojekt. Sie ist Symbol, Streitfall und Projektionsfläche zugleich. Erstmals diskutierten Interessierte und Anwohner:innen mit Bürgerschaftsabgeordneten öffentlich über den geplanten Neubau auf dem Baakenhöft.
Foto oben: »Die Kühne-Oper und das Baakenhöft« war die erste öffentliche Debatte um die neue Oper auf dem Baakenhöft überschrieben. Die Bürgerschaftsabgeordneten auf dem Podium (v. l.): Dr. Anke Frieling (CDU), Lena Otto (SPD) und Marco Hosemann (Die Linke). © Sebastian Vollmert

Rund 70 Interessierte fanden sich am 17. September in der Mensa des Campus HafenCity im Lohsepark ein. Eingeladen hatte das Netzwerk HafenCity e. V., moderiert wurde von Wolfgang Timpe, Chefredakteur der HafenCity Zeitung. Auf dem Podium saßen die Bürgerschaftsabgeordneten Anke Frieling (CDU), Lena Otto (SPD) und Marco Hosemann (Die Linke). Die ebenfalls eingela­dene Simone Dornia von den Grünen hatte kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen abgesagt.

Die Eckdaten des Projekts sind bekannt: Mäzen und Milliardär Klaus-Michael Kühne will den Neubau der Hamburgischen Staatsoper mit rund 330 Millionen Euro finanzieren. Die Stadt Hamburg will zusätzliche rund 250 Millionen Euro in Infrastruktur, Flutschutz und Uferbefestigung investieren. In der Pressemitteilung vom 2. September verspricht der Senat nicht nur eine „Oper von Weltrang“, sondern auch öffentlich zugängliche Freiflächen, ein Dach mit Aussicht und neue öffentliche Orte am Wasser. Doch bei der Diskussionsveranstaltung zeigte sich: Für viele reicht diese Vision nicht aus. Die CDU-Politikerin Anke Frieling wies darauf hin, dass die bestehende Staatsoper am Dammtorwall großen Sanierungsbedarf habe. Laufende Opern-Sanierungen im Bestand in Köln und Stuttgart hätten gezeigt, dass solche Projekte sogar höhere Kosten als ein Neubau mit sich bringen könnten. Nach anfänglicher Ablehnung sei ihre Partei deshalb zustimmungsbereit.

Eine über zweistündige lebhafte Diskussion mit dem Publikum. Ein Teilnehmer: „Keiner kümmert sich um die Interessen im Stadtteil. Stattdessen wird uns ein Brocken hingeworfen, und die Politik fällt darauf rein. Das ist erschütternd.“ © Sebastian Vollmert

Die SPD-Abgeordnete Lena Otto sprach von Chancen, die über die Musik hinausreichen: „Ein Neubau bietet nicht nur Platz für Nachwuchsförderung, sondern auch Räume für das Quartier – und die Möglichkeit, die Kolonialgeschichte des Ortes sichtbar zu machen.“ Ganz anders Marco Hosemann. Der Linken-Politiker stellte die Grundsatzfrage: „Brauchen wir überhaupt eine neue Staatsoper?“ Er sprach von einem „Angstgespenst“ überteuerter Sanierungen und warnte vor den Folgen für die Stadt: „Welches Geld nehmen wir an? Wir haben doch schon eine tolle Oper. Es muss nicht immer Champions League sein.“ Er bekam an diesem Abend den meisten Applaus für seine Ausführungen.

Die Stimmung im Publikum war von Anfang an mehrheitlich gegen das Projekt. Zwischenrufe wie „Blutgeld“ und „Nazigeld“ machten deutlich, wie stark die Debatte um die Firmen- und Familiengeschichte von Kühne & Nagel in der NS-Zeit für viele Anwesende das Projekt überschattet. Eine Lehrerin aus der Shanghaiallee zeigte sich „fassungslos“ über Kühnes öffentliches Schweigen zur NS-Aufarbeitung. Ein Anwohner brachte den Frust vieler auf den Punkt: „Keiner kümmert sich um die Interessen im Stadtteil. Stattdessen wird uns ein Brocken hingeworfen, und die Politik fällt darauf rein. Das ist erschütternd.“

Anwohner Sebastian aus dem Baakenhafen wollte Genaueres zu Finanzierung und Nutzung wissen. © Sebastian Vollmer

Eine spontane Abstimmung unter den Anwesenden zu Beginn ergab: Die große Mehrheit ist gegen den Neubau – sowohl grundsätzlich als auch am Standort Baakenhöft. Neben Kosten und Standort beschäftigte das Publikum auch die gesellschaftliche Dimension. Selahattin und Benjamin, beide elf Jahre alt und Schüler aus der HafenCity, fragten für ihren Schul-Podcast, was die Oper im Bildungsbereich tun würde. Die 19-jährige Helena fragte nach der Perspektive junger Menschen. „Wie kann ein Mensch 35 Milliarden besitzen, während andere in Armut leben?“ Lena Otto verwies auf geplante Bildungsprogramme, günstige Tickets und Barrierefreiheit der neuen Oper.

Kulturunternehmerin Tina Heine kritisierte den „kleinbürgerlichen Wunsch nach Leuchttürmen“: Hamburg brauche weniger Prestigeprojekte, dafür mehr Förderung für Tanz, Improvisation und die freie Kulturszene. Ein Bewohner sprach von „Feudalismus“, wenn Ultrareiche mit Geld die Agenda der Stadt bestimmten. Auch die Kolonialgeschichte des Ortes wurde mehrfach betont. Hosemann erinnerte daran, dass der Baakenhafen einst logistische Drehscheibe des kolonialen Völkermordes an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, war. „Wir brauchen hier einen würdigen Gedenkort“, erklärte der Abgeordnete.

Anwohner Chris aus der westlichen HafenCity sah vor allem vorgefasste Meinungen im Publikum und forderte Bekenntnisse von den Podiums-Teilnehmer:innen. © Sebastian Vollmert

Die Politik bemühte sich um Klarstellung. „Es gibt noch keine endgültige Entscheidung“, betonte Frieling. Erst 2028 werde die Bürgerschaft nach Abschluss des Wettbewerbsverfahrens abstimmen. Otto versicherte, die Formulierungen im Koalitionsvertrag seien keine Vorfestlegung: „Es geht um die positive Begleitung des Verfahrens, nicht um eine endgültige Zusage.“ Gleichzeitig machten beide Abgeordneten klar: Mit den Stimmen von SPD, Grünen und CDU könnte das Projekt bei einer späteren Abstimmung eine Mehrheit finden. „Natürlich wird es Belastungen in der Bauzeit und auch später im Betrieb geben“, räumte Otto ein. „Wichtig ist, dass wir die Anwohnenden frühzeitig informieren und mitnehmen.“

Die Chancen des Projekts bleiben dennoch sichtbar: Ein Neubau könnte Hamburgs internationale Strahlkraft im Musiktheater erhöhen, zusätzliche Touristen anziehen und – wenn ernst gemeint – mit öffentlichen Flächen am Wasser neue Räume für die Stadtgesellschaft schaffen. Ein Dach als Aussichtspunkt, Uferwege und Quartiersräume wären eine deutliche Erweiterung des kulturellen Angebots – für die HafenCity und für Hamburg.

Eine spontane Abstimmung unter den Anwesenden zu Beginn ergab: Die große Mehrheit ist gegen den Neubau – sowohl grundsätzlich als auch am Standort Baakenhöft. © Sebastian Vollmert

Doch auch die Risiken des Bauens angesichts der allseits präsenten Krisen sind nicht zu übersehen: mögliche steigende Bau- und Erschließungskosten, partei- und gesellschaftspolitische Spannungen und Lagerbildung sowie Zweifel an der Schenkungsabsicht des Sponsors und ein drohender „Barcelona-Effekt“ durch zu viele Touristen in der HafenCity. Der Vorhang dieser öffentlichen Premierendiskussion war mit Veranstaltungsende zwar geschlossen, aber, wie es so schön heißt: alle Fragen offen.

Am Ende fasste Moderator Timpe den Abend zusammen: „Es wurde Klartext gesprochen. Womöglich ist der Drops schon gelutscht – es ist derzeit aber schwierig, zum Kernthema vorzudringen, weil ganz offensichtlich noch wichtige stadt- und kulturpolitische Klärungen vor uns liegen.“ 

Fest steht: Ohne eine offene und eine öffentliche Diskussion kann das Projekt in der Stadt auch polarisieren. Mit echter Beteiligung könnte die Kühne-Oper jedoch zu einem Ort werden, der mehr ist als ein elitärer Kulturtempel – ein Treffpunkt, ein Erinnerungsort, ein öffentlicher Ort. Man darf auf die Diskussionen der kommenden Monate gespannt sein. 

Ob Hamburg diese Chance nutzt, hängt nicht allein von Verträgen und Baukosten ab. Besonders wichtig ist, das zeigte die öffentliche Dialogveranstaltung des Netzwerks HafenCity e. V., ob es den Projektverantwortlichen und den Volksvertreter:innen gelingt, die Menschen in Hamburg und auch im betroffenen Stadtteil HafenCity rund um das Baakenhöft wirkich mitzunehmen. Denn eine Oper „für alle“ wird sie nur, wenn wirklich alle gemeint sind. Maike Brunk

Dr. Anke Frieling, stv. Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion und Stadtentwicklungssprecherin: „Es gibt noch keine endgültige Entscheidung“, betonte Frieling. Erst 2028 werde die Bürgerschaft nach Abschluss des Wettbewerbsverfahrens abstimmen. © Sebastian Vollmert
Lena Otto, SPD-Bürgerschaftsfraktion und Mitglied im Ausschuss Kultur und Medien: „Wichtig ist, dass wir die Anwohnenden frühzeitig informieren und mitnehmen.“ © Sebastian Vollmert
Marco Hosemann, Fraktionsmitglied Die Linke und Stadtentwicklungssprecher, sprach von einem „Angstgespenst“ überteuerter Sanierungen und warnte vor den Folgen für die Stadt: „Welches Geld nehmen wir an? Wir haben doch schon eine tolle Oper. Es muss nicht immer Champions League sein.“ © Sebastian Vollmert

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