Exklusiv-Interview. Die Quartiersmanagerin Dr. Claudia Weise vom nördlichen Überseequartier über den Aufschwung des Überseeboulevards, den Wettbewerber Westfield und neue Aufenthaltsqualitäten
Sie kümmert sich fast in jeder freien Minute um ihre drei Vielseitigkeitspferde und schmeißt seit über 17 Jahren das Quartiersmanagement im nördlichen Überseequartier mit dem Mittelpunkt Überseeboulevard: Dr. Claudia Weise. Was macht das neue große Westfield-Center mit ihr und den Händlern vom Überseeboulevard? Nimmt sie den Wettbewerb an?
Foto oben: Quartiersmanagerin Claudia Weise vom Überseequartier Nord mit Überseeboulevard: „Nach der Westfield-Eröffnung besuchen uns inzwischen rund 25.000 Menschen pro Tag auf dem Überseeboulevard. Doppelt so viele wie vorher.“ © Catrin-Anja Eichinger
Frau Weise, vor acht Monaten hat das Westfield Hamburg-Überseequartier eröffnet. Wie erleben Sie das neue Shopping-Entertainment-Center? Das Westfield-Überseequartier hat sich auf das nördliche Überseequartier so ausgewirkt, wie wir das erwartet haben. Wir haben jetzt von Beginn an auf dem Überseeboulevard und in den umliegenden Geschäften die Frequenz und das muntere Leben, das wir im nördlichen Teil des Überseequartiers mit unserem kleinteiligen inhabergeführten Einzelhandel, der Nahversorgung und der Gastronomie so dringend brauchen. Da haben wir seit Jahren, eigentlich seit Planungsbeginn im Jahr 2006 auf das gesamte Überseequartier von Nord bis Süd gewartet. Man hatte seinerzeit im Entwicklerkonsortium beschlossen, als es noch als ein Überseequartier geplant war, dass man im nördlichen Überseequartier anfängt zu bauen, um dann Zug um Zug auch das südliche Überseequartier zu entwickeln, das immer als konsumorientierter Teil des Quartiers dreimal so groß wie der Norden geplant war. Nach Investorenwechseln und mehreren Bau- und Finanzkrisen haben wir nun endlich 16 Jahre nach unserer Eröffnung in 2010 den Partner mit dem Westfield, auf den alle gewartet haben. Wir haben in den vergangenen Jahren eine lebendige Nachbarschaft und treue Kundschaft auf unserem Überseeboulevard und dem Marktplatz mit seinen populären Events aufgebaut. Daran kann man mit dem Gesamtüberseequartier jetzt anschließen. „Wir haben endlich fertig!“, habe ich in diesem Sinn zur Eröffnung unseres diesjährigen „Weihnachtsmarkt HafenCity“ gesagt. Wir sind das Herzstück der HafenCity!
Das heißt, dass Sie und die Händler, Gastronomen und Nahversorger wie Edeka oder Alnatura seit der Eröffnung zufrieden sind? Jein. Ja, weil die tägliche Frequenz auf unserem Überseeboulevard sich von zunächst 6.000 kontinuierlich auf 12.500 Besucher:innen entwickelt hatte. Nach der Westfield-Eröffnung besuchen uns inzwischen rund 25.000 Menschen pro Tag, was wir durch die Informationsdisplays auf dem Boulevard, unsere digitalen Werbestelen gut erfassen können. Nein, natürlicherweise noch nicht zufrieden, da einerseits Vorüberflanierende wie überall nicht automatisch Käufer:innen sind und andererseits sich die Angebote auf dem Überseeboulevard noch dem neuen Wettbewerb mit den Produkten der großen Marken und Ketten im Westfield und dem neuen Einkaufspublikum in der HafenCity anpassen müssen.
Was heißt das genau? Gerade weil wir mit unseren smarten inhabergeführten Geschäften und dem persönlichen individuellen Service punkten, brauchen unsere Einzelhändler, Gastronomen und Nahversorger die passenden Produkte. Das neue erweiterte Publikum auf dem Überseeboulevard ist deutlich jünger und sucht andere Mainstream-Produkte im Handel. Da stellen sich einige Händler gerade entsprechend darauf ein. Das muss jeweils individuell wachsen. Ich bin da allerbester Dinge, weil ich die Unternehmer:innen bei uns im nördlichen Überseequartier als dynamisch und experimentierfreudig erlebe.

In welche Richtung geht das? Das Westfield erreicht mit seinen großen Marken wie H&M oder Zara und einzelnen Trendläden für das Social-Media-Publikum ein deutlich jüngeres Zielpublikum, das über unseren Boulevard das Westfield besucht und entsprechende Angebote auch im nördlichen Überseequartier erwartet. Das heißt, so spiegeln uns das unsere Einzelhändler, dass die neue erfrischende Kundschaft gerne auch mal Kleinkram und sogenanntes Gedöns zum Mitnehmen sucht. Klar ist, dass zum Beispiel ein Stefan Eckert mit seinen höchstwertigen Lederjacken sein ganz eigenes Publikum hat und weiter haben wird. Es gibt aber auch kleinere Läden bei uns, die Produkte etwa aus dem Bereich Homeaccessoires oder täglichen Bedarf im Portfolio angleichen müssen, weil es womöglich für neue Zielgruppen nicht passt.
Also zu teuer oder nicht interessant ist. Wenn ich als junger Mensch noch in der Ausbildung bin oder gerade den ersten Job angetreten habe und vielleicht noch zu Hause wohne, brauche ich nicht als Erstes das neue Trendgeschirr oder hochwertigen Inneneinrichtungsdinge. Wer was wie und wie oft in unseren Läden auf dem Überseeboulevard mit dem neuen erweiterten Publikum gerade verkauft, ist in einem spannenden Entwicklungsprozess. Auf diesen Wettbewerb und das lebendige Treiben haben wir alle ja lange genug gewartet. Schön, dass es über alles gesehen so erfolgreich losgegangen ist und wir unsere Besucherzahlen seit April 2025 verdoppeln konnten.
Vita: Dr. Claudia Weise
ist Director Quartiers-/Centermanagement bei der BNP Paribas Real Estate Property Management GmbH, die in Deutschland über sechs Millionen Quadratmeter Immobilienfläche verwaltet. Als Volljuristin hat sie sich in leitenden Funktionen auf die Bereiche Center, Quartier und Freizeiteinrichtungen spezialisiert. Seit 2006 ist Claudia Weise, neben anderen BNP-Managementaufgaben in Deutschland, im nördlichen Überseequartier der HafenCity in Hamburg verantwortlich, leitet nach den Phasen von Entwicklung, Bau und Vermietung nun das Quartiersmanagement sowie den größten Teil der Verwaltung des Überseequartiers im Norden mit seinem Handels- und Gastronomiezentrum Überseeboulevard. 420 Mieter teilen sich im Überseequartier Nord circa 110.000 Quadratmeter. In der Freizeit hat sich die passionierte Reiterin mit ihrem Ehemann ganz dem Jagdreiten mit eigenen Pferden verschrieben. Sie lebt in Hamburg-Rissen.
Sie sind nicht glücklich damit, dass die große ZDF-Silvesterparty mit bislang einer Million Besucher:innen in Berlin nun erstmals in Hamburg im Westfield an der Elbpromenade stattfinden wird. Was stört Sie daran? Dass man sich mit uns als privatem Quartiersmanagement des nördlichen Überseequartiers, das hier rund um die Uhr für Sicherheit und Sauberkeit zuständig ist, von Stadt, Veranstalter und Westfield aus vorab nicht einmal gemeinsam ausgetauscht hat, was das für die Nachbarschaft bedeuten könnte. Ich habe nichts gegen eine öffentliche Party und Spaß für Tausende von Besuchern, aber unser Quartier ist privat gemanagt, und auch wir müssen uns mit dem Bezirk und der Polizei auf so ein Massenereignis ja entsprechend vorbereiten können. Und, wichtig, wer übernimmt unsere möglicherweise horrenden Mehrkosten, die ja nicht wir, sondern Stadt, Veranstalter und Westfield verursachen, und die bei uns logischerweise für 2025 auch nicht eingeplant sind.
Inzwischen sind wir von uns aus mit allen Beteiligten in Gespräche gegangen und hoffen auf pragmatische und finanzierbare Lösungen. Wir wollen auch gerne Gäste aus Deutschland und der Welt zu Silvester auf dem Überseeboulevard empfangen, aber wir haben auch eine besondere Sorgfalts-, Hygiene- und Sicherheitspflicht gegenüber unseren Hunderten Wohnungsmietern wie auch den Ladenlokal-Betreibern auf dem Boulevard. Schauen wir mal und hoffen, dass es einen ruhigen und prickelnden Jahreswechsel im Überseequartier geben wird.
Apropos Westfield: Was ändert sich für Sie im Quartiersmanagement durch die neue Wettbewerbssituation mit Westfield? Als wir, einzigartig in Deutschland zum neuen Thema Quartiere, als privat geführtes Unternehmen BNP Paribas Real Estate Property Management Deutschland das komplette Quartiersmanagement des Überseequartiers hier im Norden 2009/2010 übernommen haben, gab es nichts: Die HafenCity war auch nicht annähernd belebt, wir hatten kein Edeka und kein Alnatura, die Wohnungen und die Büros waren leer, nur wenige Einzelhandelsflächen waren vermietet. Das haben wir gemeinschaftlich mit den Eigentümern und Vermietern Zug um Zug gestemmt, sodass wir heute von dem üblichen Einzelleerstand abgesehen sagen können: Wir sind komplett belegt. Darauf sind wir auch stolz.
Und was soll sich denn demnächst ändern? Mit dem Westfield-Wettbewerb und dem neuen Publikum stellen wir uns auch im Quartiersmarketing inhaltlich neu auf. Mit unseren bisherigen Aktivitäten haben wir zahlreiche Events für die Gewerbetreibenden und die Nachbarschaft entwickelt, kommuniziert und beworben. So zum Beispiel den „Weihnachtsmarkt HafenCity“, der gerade zum 16. Mal stattfindet, das jährliche Highlight „Wine & Jazz“, das jeden Sommer ein Event mit Livemusik für ganz Hamburg auf unserem Marktplatz ist, oder die aktuell 32. Open-Art-Ausstellung mit 50 großformatigen Bildtafeln zum Thema „Florida – Zwischen Natur und Neonlicht“.
Das sind Überseequartier-Marken, die komplett angenommen und nach so vielen Jahren Institutionen geworden sind. Wir richten unser Augenmerk jetzt im Quartiersmanagement stark auf die Steigerung der Attraktivität unserer Überseeboulevardflächen. Wir möchten mit verstärkten Investitionen die Aufenthaltsqualität auf dem Überseeboulevard und dem Marktplatz deutlich erhöhen. Frei nach dem Motto: „Hier fühle ich mich wohl, bleibe gerne, kaufe ein und genieße.“ Wir wollen die neuen Besucher:innen noch stärker an das nördliche Überseequartier binden. Lassen Sie sich in 2026 überraschen!

In Ihrer Freizeit sind Sie eine leidenschaftliche Vielseitigkeitsreiterin mit drei eigenen Pferden und nehmen auch an Turnieren teil. Was können Ihnen die Pferde bieten, was Ihr Mann und Ihr Beruf nicht schaffen? Abschalten? Ich mag den Reiz und das Kribbeln, dass ein großes Tier mit 600 Kilo nicht zu 100 Prozent beherrschbar ist und sich das Verhalten von einer Sekunde zur anderen ändern kann. Ich kann meine Pferde schon einschätzen, muss aber gleichzeitig akzeptieren, dass man nicht alles so bekommt, wie man das gerne hätte. Das macht demütig und glücklich. Es lehrt, einen Schritt zurückzumachen, das Tier zu fördern und es auch seinem individuellen Wesen entsprechend zu akzeptieren. Stolz bin ich gerade auf meinen selbst ausgebildeten fünfjährigen „Finero“, der mir letztes Jahr wirklich Grenzen aufgezeigt hat.
Auch wenn man immer wieder mal Niederlagen einsteckt und es doch jedes Jahr ersucht: Haben Sie Vorsätze für 2026? Das tolle Zusammenleben mit meinem Mann wie auch die beruflichen Herausforderungen dürfen gerne so bleiben. Ich strebe jedoch immer, also auch 2026, Optimierungen an – mit meinen drei Pferden und im Job. Stillstand ertrage ich weder privat noch beruflich.
Das Gespräch führte Wolfgang Timpe





