Coaching. Wie das Ritual der »Raunächte« die Zeit zwischen den Jahren bereichert
Dezember, Adventszeit, Weihnachtszeit. Das alte Jahr neigt sich dem Ende zu, das neue hat noch nicht begonnen. Wir befinden uns in einer „Zwischenzeit“. Und auch im eigenen Leben gibt es Situationen, in denen wir in der Luft hängen – ohne Halt, ohne Richtung, nur mit uns selbst. Hier ein Auflösungsvertrag im Job, dort eine Beziehung, die nicht länger tragbar ist, oder eine Eigenbedarfskündigung der Wohnung droht – was auch immer. Krisen bieten die Chance zum Innehalten, zur Rückschau, zur Neuorientierung.
Foto oben: Zwischen Heiligabend und dem Dreikönigstag am 6. Januar ereignen sich die »Raunächte«: Während draußen der Wind an den Fenstern rüttelt und die Welt etwas leiser wird, bietet diese Zwischenzeit Impulse zur Neuausrichtung. © picture alliance / dpa | Uli Deck – Motiv: Gerhard Richter, »Kerze«, von 1982, im Museum Frieder Burda
In der Weihnachtszeit repräsentieren die „Raunächte“, die Tage zwischen Heiligabend und dem Dreikönigstag am 6. Januar, Zeit zum Luftholen. Diese geheimnisvollen Tage laden ein, ein Resümee zu ziehen, loszulassen und Neues zu erträumen. Während draußen der Wind an den Fenstern rüttelt und die Welt ein bisschen leiser wird, bietet diese Zwischenzeit das, was oft zu kurz kommt: Stille, Intuition, Innenschau. Warum sich also nicht einmal ausführlich mit den Raunächten beschäftigen und sie als Impuls zur Neuausrichtung, als Umbruchzeit nutzen.
Die Raunächte haben ihre Wurzeln in der germanischen und keltischen Tradition und rühren aus der Differenz der Tage des im 45 v. Chr. neu eingeführten Sonnenjahrs (365 Tage) und dem bis dahin geltenden Mondjahr (354 Tage). Um diesen Unterschied auszugleichen, fügten die Kelten elf Schalttage (und damit zwölf Nächte) ein, die quasi „nicht existent“ sind und die Türen zur „anderen Welt“ öffnen. Daher kommt übrigens auch der Ausdruck „zwischen den Jahren“. Der Begriff Raunächte kommt von rauh (wild), Rauch oder Räuchern („Rauchnächte“) und vom mittelhochdeutschen Wort rûch (haarig, pelzig). Damit ist das Aussehen der Dämonen gemeint, die zu dieser Zeit ihr Unwesen treiben.

Um die bösen Geister nicht zu verärgern, ließen sich die Menschen einiges einfallen. Dazu gehörte es, die Räder – etwa in Wägen oder Spinnrädern – still stehen zu lassen. Zwar drehen sich heute „die Räder“ unaufhaltsam: Autos, Menschen und Maschinen – alles ist immer in Bewegung.
Doch wie wäre es, wenn Sie das Rad in Ihrem Geist zur Ruhe bringen? Wir verlieren uns so schnell im Gedankenkarussell: Wir grübeln, malen uns Schreckensszenarien aus, schlafen schlecht. Nutzen Sie die Raunächte für Achtsamkeitsübungen. Fragen Sie sich, und notieren Sie Ihre Gedanken. Etwa: Wie sieht mein „worst case“ wirklich aus? Und wie kann ich darauf reagieren? Welche To-Dos entstehen daraus? Das bringt Sie vor die Welle und macht Sie handlungsfähig.
Auch Liebespaare fielen unter Raunachts-Regeln – sie sollten viel Zeit miteinander verbringen, da eine zauberhafte Atmosphäre menschliche Beziehungen stärker wachsen lässt, so der Glaube. Ein im Wortsinn zeitloser Gedanke, eine liebevolle Erinnerung! Gemeinsames Essen, Gespräche und Rituale schaffen eine neue Verbundenheit und Wärme – nicht nur in Liebesbeziehungen. Stärkt doch die Pflege sozialer Kontakte unser Wohlbefinden. Nehmen Sie die Raunächte zum Anlass, um bewusst Beziehungen zu vertiefen. Gemeinsame Aktivitäten mit dem Lieblingsmenschen, der Familie und mit Freunden festigen unsere Verbindungen und schaffen bleibende Erinnerungen.
Die Raunächte sind eine Zeit des Übergangs und der Unsicherheit. Wünsche und Fragen gaben unsere Vorfahren über Bräuche an höhere Mächte ab: Loslassen!
Vertrauen, dass das Leben selbst in Krisenzeiten antworten kann: Diese Einstellung brauchen wir heute mehr denn je. Ein Raunachts-Ritual, das uns dabei hilft, ist das Verbrennen von Wünschen. Was erhoffe ich mir vom kommenden Jahr? Was sind meine Herzenswünsche? Was möchte ich erleben?
Die Wintersonnenwende, die sogenannte Thomasnacht am 21. Dezember als längste Nacht des Jahres, eignet sich dafür hervorragend. Formulieren Sie 13 Wünsche, schreiben Sie diese auf jeweils einen Zettel, und falten Sie ihn so, dass Sie den Text nicht mehr lesen können. In der ersten Raunacht ziehen Sie ungelesen einen Zettel und verbrennen ihn. Sie können ihn auch dem Wind übergeben, vergraben oder ins Wasser werfen. Das machen Sie jeden Abend, bis nur noch ein Zettel übrig ist. Diesen dürfen Sie erst am 6. Januar des neuen Jahres öffnen und lesen. Damit dieser Wunsch in Erfüllung geht, sind Sie selbst gefordert. Gibt es einen schöneren Impuls für einen Neujahrsvorsatz als den eigenen, der aus einem eigenen Innehalten entstanden ist? Ihre Andrea Huber
Info: Andrea K. Huber ist Coachin im Leistungssport, hat sich auf Stressmanagement spezialisiert und berät Unternehmen und Privatpersonen in herausfordernden Situationen. Infos unter: www.andrea-huber-coaching.de



