Partizipationsmanagerin Julia Senft von der Nutzer*innen-Initiative „5 plus 1“: „Die Menschen proben im Oberhafen, wie man Stadt neu denken kann und wollen Lösungen und Konzepte finden.“ © Malte Spindler / Die Brueder Publishing
Anders leben

Tischler, Musiker, Designer und Gastwirte wirtschaften im Oberhafen – Kälte im Winter, Hochwasser und vielen Baustellen zum Trotz. Jetzt wird verhandelt, die Fläche aus dem Hafenentwicklungsplan zu nehmen. Wo geht die Reise hin?

Eine Säge dröhnt in Halle 4 bei „bauer und planer“, dem ersten Co-working-Space für Handwerker der Stadt. Nebenan bei den Gärtnern des sozialen Projekts „Grau trifft Grün“ gibt es Blumenkästen To-go zu kaufen, hinten im Garten blühen Herbstblumen und die letzten Tomaten reifen. Gegenüber, am Kopfteil von Halle 3, lunchen die Gäste im Restaurant Hobenköök und in Richtung Parkourhalle rollen zwei Jungs auf Skateboards. Es ist ein friedliches, fast dörfliches Idyll im Oberhafenquartier. Kaum zu glauben, dass der Trubel der Stadt und die Deichtorhallen nur 500 Meter entfernt liegen und auch die feinen Geschäfte der HafenCity oder die Edel-gastronomien Am Kaiserkai, und die Elbphilharmonie nicht weit sind. 

Foto oben: Partizipationsmanagerin Julia Senft von der Nutzer*innen-Initiative „5 plus 1“: „Die Menschen proben im Oberhafen, wie man Stadt neu denken kann und wollen Lösungen und Konzepte finden.“ © Malte Spindler / Die Brueder Publishing

„Unser Hof“ nennen die Mieter das Oberhafenquartier mit seinen ellenlangen Lagerhallen. Es sind Tischler, Musiker, Designer und Gastwirte, die dort wirtschaften und dafür sorgen, dass eine zauberhafte Atmosphäre entsteht. Das zehnte Quartier der HafenCity ist dabei, Hamburgs größtes  Kreativmilieu zu werden, das bereits jetzt mit Veranstaltungen wie dem Tag des Oberhafens oder Messen wie dem unabhängigen Magazin-Festival „Indiecon“ und der Virtual-Reality-Messe „Vhram!“ Tausende Besucher anzieht. 

Doch wer angesichts der Idylle neidisch werden sollte, muss auch die andere Seite kennen: Während in der HafenCity Häuser und Straßen auf Warften mit Sockeln von acht bis neun Meter über Normalnull gebaut werden, liegen die Gebäude des Oberhafenquartiers größtenteils nur auf fünf Meter über Normalnull, und das wird aus Kostengründen auch so bleiben. Das bedeutet, dass bei Sturmflut die Küche des Restaurants Oberhafenkantine vollläuft und in den Erdgeschoss-Büros das Elbwasser an den Schreibtischen leckt. Die Hallen sind wegen fehlender Dämmung kaum warm zu kriegen, mit Glück werden es 12 bis 16 Grad im Winter. Und auf den Schienen, die über die Oberhafenbrücke führen und das Quartier im Süden und Westen begrenzen, rollen bis zu 450 Züge täglich.

Noch liegt das Quartier wie in einer Insellage, es gibt nur den Zugang bei der Oberhafenbrücke. Doch bereits im kommenden Januar beginnen die Bauarbeiten für einen Tunnel unter den Bahngleisen, der ab 2023 die U4-Bahnstation HafenCity Universität mit dem Quartier verbinden wird. © Sebastian Wendel | Zentrallabor
Noch liegt das Quartier wie in einer Insellage, es gibt nur den Zugang bei der Oberhafenbrücke. Doch bereits im kommenden Januar beginnen die Bauarbeiten für einen Tunnel unter den Bahngleisen, der ab 2023 die U4-Bahnstation HafenCity Universität mit dem Quartier verbinden wird. © Sebastian Wendel | Zentrallabor

„Es ist ganz schön laut hier. Aber auch toll. Die Mieter identifizieren sich stark mit dem Quartier“, sagt Julia Senft. Die 32-Jährige mit rotbraunem Haar und wachem Blick ist Partizipationsmanagerin, arbeitet bei „5 plus 1“, der Nutzer*innen-Initiative des Oberhafens, vertritt das Quartier nach außen und ist Vorstandsmitglied beim Verein Netzwerk HafenCity e.V.. Ihr Schwerpunkt: Bürgerbeteiligung. Ihre Aufgabe: die Nutzer zu unterstützen, den Hof zu entwickeln. „Die Menschen proben im Oberhafen, wie man Stadt neu denken kann und wollen Lösungen und Konzepte finden. Im Quartier sind wie unter einem Brennglas all die großen Themen und Probleme der heutigen Stadtplanung vorhanden. Es geht um gemeinschaftlich gestalteten Stadtraum; darum,Verkehr zu reduzieren und anders mobil zu sein – um die Spannung zwischen Kommerz und Freiraum. Und aktuell natürlich  auch um Post-Corona-Strategien. Im Frühling haben wir ja gemerkt, wie wichtig solidarische Nachbarschaft und ein Garten sind“, erklärt Senft. 

„Die Leute kommen, weil sie neugierig sind. Das ist etwas Positives.“
Der Garten! Von diesem gelungenen Beispiel für Partizipation erzählt Ulrich Bildstein, Schauspieler, Geschäftsführer des Hamburger Kammerkunstvereins, Organisator der Feierabendkonzerte in der „Halle 424“, der seit zehn Jahren Mieter im Quartier ist. „Als an der Rückseite der Halle 4, vis-à-vis des Großmarkts, nach dem Rückbau der Gleise durch die HafenCity GmbH eine Grünfläche angelegt werden sollte, beschlossen wir Nutzer, dass wir einen Garten wollen, keinen Park“, sagt der 49-Jährige. „Ein Park ist statisch. In einem Garten kann jeder Verantwortung übernehmen, etwas machen. Das ist ein Ansatz, Stadtgrün anders zu denken.“ 

Bildstein lächelt verschmitzt, wenn er erzählt, wie ein Konsens trotz unterschiedlicher Vorstellungen gefunden werden konnte. Viele Nachbarn hätten sich aktiv eingebracht, oft getroffen und diskutiert, bis ein Konzept mit Streuobstwiese, Insektenhotels und Garten als sozialer Institution erarbeitet war. „Man kriegt so etwas nicht auf einem Silbertablett serviert“, betont Bildstein, der den kreativ-wirtschaftlichen Blick der Stadt auf das Oberhafenquartier als oft zu wenig nachhaltig kritisiert und zugleich die politische Öffentlichkeit, die im Moment auf dem Viertel liegt, gut findet. „Die Leute kommen, weil sie neugierig sind. Das ist etwas Positives.“ 

Rund 400 Menschen arbeiten mittlerweile im Oberhafenquartier, 500 Arbeitsplätze sollen es werden – aus allen Bereichen der kreativen Wirtschaft. Noch liegt das Quartier wie in einer Insellage, es gibt nur den einen Zugang bei der Oberhafenbrücke. Doch das wird sich ändern. Bereits im kommenden Januar sollen die Bauarbeiten für einen Tunnel unter den Bahngleisen beginnen, der ab 2023 die U4-Bahnstation HafenCity Universität mit dem Oberhafenquartier verbinden wird. Zudem ist eine Brücke zum Großmarkt geplant. Auf den ehemaligen Gleisflächen am langgezogenen hinteren Teil des Quartiers, die ab und an überflutet werden, entstehen Sportplätze unter anderem für die Schulen in der HafenCity. Weil diese Anlagen hochwassersicher liegen sollen, muss das Gebiet um drei Meter erhöht werden. Die Kosten für das Projekt sind gewaltig: Knapp 30 Millionen Euro investiert die HafenCity GmbH in Erschließung und Bau der Plätze. 

Die Nutzer im Oberhafenquartier müssen sich auf Baustellen einstellen. Auch die Hallen 2 und 3 sollen saniert werden. Noch ist offen, was mit der verwunschenen überdachten Gleishalle passieren soll, die zwischen den Hallen liegt und wo in den leeren Gleisbetten Birken, Brombeeren und Brennnesseln  wachsen. Die Initiative 5 plus 1 hat bereits Ideen: „Wir wünschen uns ein Betriebskonzept einer Halle für jedermann, für die wir eine Infrastruktur bereitstellen“, erzählt Julia Senft. „Die Halle soll von allen Menschen aktiv genutzt werden können. Das ist unsere Vision.“ 

Bei den Kreativen im Co-working-Space von „bauer und planer“ hat man übrigens keine Sorge vor kalten Wintern. Die findigen Handwerker haben sich ebenso wie ihre Nachbarn in Halle 4 selbst geholfen und kleine Büros in die Halle gebaut. Einige dieser Bürozellen sind aus Holz, andere sind ausrangierte 20-Fuß-Container. Die kann man übereinander stapeln und anständig heizen. Katrin Wienefeld

INFO Aktuelles aus dem Oberhafen gibt es auf https://der-oberhafen.de/der-oberhafen/

Sonderfall Oberhafenquartier

Das Oberhafenquartier gehört zur HafenCity, doch ist dort alles ein bisschen anders als in den neun weiteren Quartieren des Stadtteils. Das Gelände wird nicht verkauft, sondern bleibt mit den Bestandsbauten als städtisches Eigentum im Sondervermögen Stadt und Hafen. Verwaltet wird das Quartier von der HafenCity Hamburg GmbH und der Hamburger Kreativgesellschaft – die Hamburg Port Authority (HPA) muss allerdings formal bei den Nutzungsgenehmigungen zustimmen, da das Areal des Oberhafenquartiers historisch bedingt im Geltungsbereich des Hafenentwicklungsgesetzes (HEG) liegt. 
Der aktuelle Hafenentwicklungsplan gilt bis 2025, somit werden die Mietverträge im Oberhafenquartier als Sonderregelung nur befristet bis 2026 abgeschlossen. Damit das nicht so bleibt, bemüht sich die HafenCity Hamburg GmbH in Gesprächen mit der HPA darum, dass das Oberhafenquartier aus dem HEG entlassen wird. Bei Neuvermietungen von sanierten Flächen liegt die Kaltmiete bei fünf Euro, unsanierte Flächen sind derzeit noch günstiger. KW

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