Barbie-Time im Fußball-Tempel

Pop-Event. Am 23. und 24. Juli wird das Volksparkstadion mit Megastar Taylor Swift glühen, wenn sie auf der Eras Tour ihre Swifties in Ekstase versetzt. Musikalische Barbie-Mania

Es gibt Millionen Swifties weltweit. Einer von ihnen: Jörn Glasenapp, Inhaber eines Lehrstuhls für Literatur und Medien an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. In seinem Buch „Taylor Swift. 100 Seiten“ hat er sich mit dem Taylorverse, dem Kosmos von Taylor Swift, auseinandergesetzt. Gerade für Menschen, die immer noch grübeln, was an diesem Popstar so außergewöhnlich sein soll, bietet sich dieses Werk als Einstiegslektüre an. Auch vor den beiden Konzerten am 23. und 24. Juli im Hamburger Volksparkstadion. 

Taylor-Swift-Analyst Jörn Glasenapp: „Für weibliche ­Teenager, die in unserer patriarchalen Gesellschaft die machtloseste Gruppe sind, ist Taylor Swift ein wichtiger ­Ankerpunkt.“ © Claudia Lillge

In Heidelberg gab es Taylor-Swift-Gottesdienste. Ist diese Musikerin für ihre Fans wie eine Göttin? Taylor Swift ist zwar christlich aufgewachsen, aber sie hat mit Religion nicht allzu viel am Hut. Ich glaube, die Kirche hat einfach ihre Popularität genutzt, um ihre Gottesdienste voll zu bekommen. Für ihre Fans ist Taylor Swift jedenfalls weder Göttin noch Diva. Sie lieben gerade ihre Nahbarkeit. Viele sehen in Taylor Swift eher eine große Schwester, an der sie sich orientieren können. 
Foto oben: Taylor-Swift-Auftritt am 21. Juni in London im Wembley-Stadion auf ihrer »Eras Tour«. Autor Jörn Glasenapp: „Für ihre Fans ist Taylor Swift jedenfalls weder Göttin noch Diva. Sie lieben gerade ihre Nahbarkeit. Viele sehen in Taylor Swift eher eine große Schwester, an der sie sich orientieren können.“ © picture alliance / Scott A Garfitt/Invision/AP

Beim Erwachsenwerden? Ja. Insbesondere für weibliche Teenager, die in unserer patriarchalen Gesellschaft die machtloseste Gruppe sind, ist Taylor Swift ein wichtiger Ankerpunkt – etwa in Bezug auf Self-Empowerment. Wenn man sich Swifts Texte von Beginn ihrer Karriere bis heute anguckt, lassen sie sich als große Coming-of-Age-Story, als Erwachsenwerden-Geschichte, lesen. 

Dennoch bemängeln ­einige, Taylor Swifts Lieder handelten nur von ihren Ex-Freunden. Dieser Vorwurf ist falsch und zudem misogyn. Wenn männliche Stars über ihre Partnerinnen singen, regt sich keiner auf. Bei Taylor Swift heißt es aber: „Sie hatte so viele Partner, und dann singt sie auch noch über sie.“ Dabei sind lediglich „Red“, „1989“ und „The Tortured ­Poets Department“ wirkliche Trennungsalben. Das Gesamtwerk ist thematisch erheblich reichhaltiger. 

Beleuchtet Taylor Swift mit dem Stück „The Man“ ihre Benachteiligung als Frau im Musikgeschäft? Definitiv. Besonders explizit wurde sie diesbezüglich 2019, als sie von „Billboard“ mit dem „Woman of the Decade“-Award ausgezeichnet wurde. Sie nutzte ihre Preisrede, um dem Musikbusiness 15 Minuten lang die Leviten zu lesen. Zu Beginn ihrer Karriere, sagte sie, habe sie gedacht, nur sie werde mit Fragen wie „Schreibst du deine Songs selber?“ konfrontiert. Nein, das betreffe alle Frauen, das Business sei misogyn, frauenfeindlich. Mittlerweile lässt sich Taylor Swift jedoch nichts mehr bieten. Das kriegen speziell Männer zu spüren, die ihr dumm kommen. 

Auch die Swifties stehen hinter ihrem Idol. Was zeichnet sie aus? Taylor Swift hat wahrscheinlich die loyalsten Fans – und zahlenmäßig die meisten. Ein Swiftie kennt sich im Taylorverse exzellent aus. Die Fans sind bestens miteinander vernetzt, in der Auseinandersetzung mit Taylor Swift sind sie sehr kreativ. Natürlich können sie Easter Eggs, versteckte Hinweise in Songtexten oder Videos, dechiffrieren. Diese Faktoren sind bei anderen Stars nicht so elementar. 

Taylor-Swift-Analyist Jörn Glasenapp: „Taylor Swifts Texte sind sehr mehrdeutig. Und sie verwendet regelmäßig Formulierungen, die im queeren Kosmos Usus sind – und das sehr bewusst. Viele Songs ermöglichen somit eine queere Lesart. Man kann den Gaylors also keinen Vorwurf machen, wenn sie einige Taylor-Swift-Songs als Liebeslieder über zwei Frauen interpre­tieren.“ © picture alliance / Scott A Garfitt/Invision/AP

Ist die Begeisterung der Swifties für Taylor Swift mit der Beatlemania vergleichbar? Auf den ersten Blick ja. Seit den Beatles ist Taylor Swift die einzige Musikerin, deren Fans häufig selber in die Schlagzeilen kommen. Doch ein wesentlicher Unterschied ist: Die Beatles wurden in einer Zeit berühmt, in der es keine Social Media gab. Ihre Fans mussten, um an Informationen zu kommen, warten, bis in irgendeiner Musikzeitschrift ein Artikel über ihre Idole erschien. Swifties können potenziell jede Minute Neues über Taylor Swift erfahren. Sie ist ein Phänomen, das ohne Social Media gar nicht vorstellbar wäre. 

Die queeren Fans nennen sich Gaylors und suchen in Taylor Swifts Liedern nach queeren Bedeutungen und Anspielungen. Können sie fündig werden? Ja. Taylor Swifts Texte sind sehr mehrdeutig. Und sie verwendet regelmäßig Formulierungen, die im queeren Kosmos Usus sind – und das sehr bewusst. Viele Songs ermöglichen somit eine queere Lesart. Man kann den Gaylors also keinen Vorwurf machen, wenn sie einige Taylor-Swift-Songs als Liebeslieder über zwei Frauen interpre­tieren. Interview: Dagmar Leischow

Info I Jörn Glasenapp: „Taylor Swift. 100 Seiten“, Reclam, 12 Euro, ISBN 978-3-15-020709-3

Info II Mehr über die Taylor-Swift-Tour „Eras“ unter: https://kj.de/artist/6240/Taylor_Swift.html

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