Quartier. Der langjährige Vorstand im Netzwerk HafenCity e. V., Wolfgang Weisbrod-Weber, spricht im HCZ-Interview über das 15-jährige Vereinsjubiläum, ehrenamtliches Arbeiten in der Nachbarschaft und die Lust am Klönschnack
Wehe, man verlässt die Augenhöhe und versucht in Gesprächen oder Verhandlungen zu täuschen und zu tricksen, dann kann auch die Verkörperung von gelassenem Ausgleich unterschiedlichster Interessen ein Vulkan und, ja, auch schon mal laut werden: Wolfgang Weisbrod-Weber. Beruflich jahrzehntelang in Diensten der Vereinten Nationen, für die er weltweit für UN-Einsätze in Krisengebieten tätig war – für die Grundrechte jedes Menschen auf Überleben und gegen Hunger, für ein Existenzrecht gegen Flucht und Vertreibung, für Freiheit gegen Ungerechtigkeit, Krieg und Terror. An einer ganz anderen Front, doch mit vergleichbarem Herzblut und, okay, einer etwas geringeren Drehzahl, kümmert sich der 69-Jährige seit knapp zehn Jahren im Vorstand des Netzwerks HafenCity e. V. nach dem UN-Vagabundenleben mit Standort New York nun um die Anliegen der Nachbarschaft in seiner neuen Stadtteil-Heimat HafenCity in Hamburg. Lesen Sie mal, warum der ehrenamtliche Kümmerer sich gerne in einer Gemeinschaft engagiert, einfach gerne Klönschnack hält und gerne entspannt feiert.
Herr Weisbrod-Weber, Sie sind im aktiven Ruhestand, leben in der HafenCity und auf Helgoland und arbeiten ehrenamtlich als Vorstand im Netzwerk HafenCity e. V. und bei den Freunden des Dampfschiffs Schaarhörn e. V. Warum engagieren Sie sich ehrenamtlich? Ich bin gerne Teil der Nachbarschaft, der Gemeinschaft, in der ich lebe. Dazu gehört für mich auch das Engagement für diese Nachbarschaft und diese Gemeinschaft. Man kann sich auch als Einzelner engagieren, Briefe an Abgeordnete schicken, Petitionen unterschreiben, sich informieren, aber mir macht es einfach mehr Spaß, mit anderen was für den Stadtteil zu erarbeiten und zu erreichen. Darüber hinaus interessiere ich mich für Schiffe und Technik, und um zum Beispiel ein Dampfschiff am Leben zu halten und zu fahren, braucht man viele Menschen mit den unterschiedlichsten Qualifikationen. Im Übrigen: Bei 38 Grad vor einem dampfenden Kessel zu stehen, eine Tonne Kohle pro Aufheizen und Ausfahrt in ihn reinzuschippen und das Zischen der Maschine zu hören, heißt einfach: ursprüngliche Schifffahrt mit allen Sinnen unter Deck erleben.
Foto oben: Netzwerk-HafenCity-Vorstand Wolfgang Weisbrod-Weber: „Unsere Liste neuralgischer Verkehrspunkte ist inzwischen Grundlage für die Diskussionen in Politik und Behörden.“ © Wolfgang Timpe
Was unterscheidet das Kohleschippen auf der „Schaarhörn“ von der politischen Stadtteilarbeit für weniger Verkehr oder mehr Nachbarschaftliches? Heizer auf einem Dampfschiff ist körperliche Arbeit pur, man schwitzt unfassbar und macht sich dreckig! Wo kann man das heute noch? Für mich haben Feuer und Dampf etwas Archaisches. Und als Sohn eines Mechanikers hat mich Technik schon immer fasziniert. Zivilgesellschaftliches Engagement, insbesondere politisches Engagement, ist hingegen das glatte Gegenteil: Viele Sitzungen, endlose Gespräche, immer neue Überlegungen und nur ab und an mal eine gemeinsame Aktion. Doch bei aller Unterschiedlichkeit zeichnet beide Formen des ehrenamtlichen Engagements die Gemeinschaft aus, man erarbeitet etwas mit Gleichgesinnten.
Wie muss man sich Ihre Arbeit im Vorstand des Netzwerks HafenCity e. V. vorstellen? Nur das Leben in Ihrer Hood, vor der Haustür des Vereins am Lohsepark und der Shanghaiallee, verbessern? Nein. Das Netzwerk sieht sich als Nachbarschaftsverein für die gesamte HafenCity. Wir setzen uns für den Stadtteil als nachhaltiges, lebenswertes, lebendiges, gemeinwohlorientiertes und soziales Großstadtquartier ein. Und auf dieser Basis stehen wir ein für die Menschen, die in der HafenCity leben und arbeiten. Das Wichtigste: Wir sind als Netzwerk HafenCity vollkommen unabhängig und offen für alle. Wir freuen uns über jede und jeden, die mitmachen wollen und ihre Ideen und Anliegen einbringen. Die Vielfalt unserer Mitglieder macht uns stark!
Was heißt das konkret? So konnten wir zum Beispiel eine Liste der neuralgischen Punkte für den Verkehr in der HafenCity erstellen, die mittlerweile Grundlage für die Verkehrsdiskussion in der Politik und den Behörden geworden ist. Das war möglich, gerade weil unsere Mitglieder jede Straße, jeden Radweg, jeden Fußgängerübergang, jede Ampel in der HafenCity kennen – ein kollektives Wissen, das kein Abgeordneter und auch kein Behördenmitarbeiter hat.
Warum liegt Ihnen die AG Verkehr des Netzwerks besonders am Herzen? Ich koordiniere zwar seit acht Jahren die Arbeitsgruppe Verkehr im Netzwerk HafenCity, aber das ist eher aus einem Zufall heraus entstanden: Ich hatte damals am Ende einer Veranstaltung die Kontakte derjenigen eingesammelt, die sich für Verkehrsthemen interessiert haben, um dann zu einem ersten Treffen einzuladen, mit dem Ziel, die Interessierten zu vernetzen. Damals versammelte sich zwar viel Verkehrsexpertise um den Tisch, aber es war keiner dabei, der die Einladung für das nächste Treffen verschicken wollte. So habe ich das dann gemacht, und dabei ist es geblieben. Ich habe dann schnell gemerkt, dass Verkehrsthemen bei vielen Anwohnern, und ganz sicher bei vielen Mitgliedern des Netzwerks, ganz weit oben stehen und ein großes Interesse besteht, unsere Anliegen anzugehen und publik zu machen: weniger Durchgangsverkehr, sicherere Rad- und Fußwege, weniger Lärm- und Schadstoffbelastung, Tempo 30.
Im Netzwerk sind Sie auch mitverantwortlich für die AG Feiern und Begegnen. Was interessiert den Homo Politicus daran, Klönschnacks zu organisieren? Also ich finde, mit einer Bratwurst (von mir aus auch vegetarisch) und einem Bier (von mir aus auch alkoholfrei) zusammenzustehen und zu klönen, ist schon ein Wert an sich. Man lernt die Nachbarn kennen, hört die neuesten Nachrichten aus dem Quartier, schaut den Kindern zu, und das alles ohne Druck und Stress. Ob kalte Getränke oder heiße Würste vom Grill: Irgendjemand muss es halt organisieren.
Aus der ersten Jubiläumsfeier des Netzwerks 2019 ist inzwischen ein jährliches Nachbarschaftsfest der HafenCity mit über 1.000 Teilnehmer:innen geworden. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? 2019, als das Netzwerk zehn Jahre alt wurde, überlegten wir uns, wie wir das Jubiläum begehen sollten, und entschieden uns, statt einen klassischen Empfang zu organisieren, für ein Sommerfest auf der Wiese des Lohseparks. Ich glaube, wir waren alle überrascht, geradezu überwältigt, über den Anklang, den dieses Fest bei den Anwohnern fand. Im nächsten Jahr kamen dann noch mehr Leute, und dann hieß es: „Ab dreimal wird es zur Institution.“ Nun, mittlerweile sind wir beim fünften Sommerfest angelangt, und so langsam wird es tatsächlich eine Institution im Kalender der HafenCity.
Kein Geheimnis? Doch, die Vielfalt. Bei uns ist die ganze HafenCity vertreten: Vereine wie der Bouleclub, Gastronomen, Kitas, Skateboarder, die Wildtierstiftung – die seit Kurzem ihren Hauptsitz in der HafenCity im Baakenhafen hat –, die Gedenkstätte Hannoverscher Bahnhof, soziale Träger aus dem Quartier, verschiedene Bands (alle mit direktem HafenCity-Bezug), Schulen sowie die Stadtteil-Chöre und der beliebte Flohmarkt mit 30 Ständen. Es gibt etwas für alle Anwohner, ob jung oder alt, neu oder alteingesessen, männlich oder weiblich oder queer. Für die, die sich einklinken wollen, gibt es jede Menge Gelegenheit, vom Backen für die Kuchentheke bis zur Mithilfe beim Auf- und Abbau. Und für die, die genießen wollen, gibt es jede Menge Angebote. Ein Fest „von Nachbarn, für Nachbarn“. Wichtig ist, dass alles ehrenamtlich und umsonst ist. Lediglich Essen und Trinken kosten was – aber zu Nachbarschaftspreisen!
Was kann das Netzwerk besser als die Politik und andere Initiativen? Wir können besser die Interessen der Nachbarschaft zu einer gemeinsamen Interessenvertretung organisieren und helfen, diese durchzusetzen. Andere Initiativen können ihre jeweiligen Themen besser: wie zum Beispiel die Initiative Schulcampus oder die Initiative Lebenswerte HafenCity. Die meisten der in der HafenCity aktiven Initiativen sind dabei aus dem Netzwerk heraus entstanden oder werden vom Netzwerk aktiv unterstützt. Wir freuen uns über jede Art von zivilgesellschaftlichem Engagement! Und die Politik, für uns die Bezirksversammlung und die Bürgerschaft, macht wiederum ihre Arbeit. Sie hat ja eine ganz andere Legitimität als gewählte Organe, mit Verantwortung für die ganze Stadt beziehungsweise den ganzen Bezirk und den jeweiligen Stadtteil. Auch mit unseren gewählten Vertretern arbeiten wir zusammen – mal gut, mal weniger gut –, aber immer mit den Interessen des Quartiers und der Bewohner im Sinn und: zum Glück manchmal auf Augenhöhe.
Das Netzwerk HafenCity e. V. feiert mit seinem Sommerfest 2024 sein 15-jähriges Jubiläum. Bei der Gründung war die HafenCity noch weitgehend Brachland. Was war die Uridee des Netzwerks? 2009 war die HafenCity komplett dem Senat und der Bürgerschaft unterstellt, die ihre Autorität über die stadteigene HafenCity Hamburg GmbH ausgeübt hat. Es gab also kein Beteiligungsverfahren für die Anwohner:innen wie in anderen Stadteilen. Die HafenCity Hamburg GmbH war damals deswegen Gründungsmitglied des Netzwerks HafenCity e. V. und, anders als heute bei manchen Themen, kein städtisches Gegenüber, sondern eher ein integrierter Teil des Netzwerks. Die treibende Kraft auf der Anwohnerseite war anfangs die langjährige erste Vorsitzende Susanne Wegener, die schon damals ein richtungsweisendes Bild von der HafenCity und einem aktiven Nachbarschaftsverein hatte. Der hat nach 15 Jahren den Test der Zeit erfolgreich bestanden.
Wohin geht die Reise des Netzwerks in den kommenden 15 Jahren? Die HafenCity nähert sich einer wichtigen Zäsur: Die Ansprechpartner fürs Netzwerk, bislang die Bürgerschaft, der Senat und die HafenCity Hamburg GmbH, übergeben den Stadtteil Zug um Zug dem Bezirk Hamburg-Mitte und somit auch den gewählten Abgeordneten der Bezirksversammlung. Wir werden immer stärker ein „normales“ Quartier. Dies wird ein deutlicher Wechsel in der politischen Kultur der HafenCity werden – und auch der Charakter des Netzwerks wird sich weiter verändern, es wird noch stärker ein klassischer Nachbarschaftsverein werden, der sich noch intensiver um die Anliegen der Bewohner:innen kümmert. Ganz sicher wird das Bezirksamt in Zukunft nicht bei uns Mitglied sein wie heute die HafenCity Hamburg GmbH. Und das Netzwerk wird im öffentlichen Leben eine noch gewichtigere Rolle einnehmen. Schon heute haben wir es dank des Zusammenwirkens der aktiven Mitglieder geschafft, mit Netzwerk-Initiativen, Aktionen und Demonstrationen sowie der Arbeit der AGs im Netzwerk zu einem anerkannten Gesprächspartner für Politik und Institutionen zu den Themen das Quartiers geworden. Das wird immer wichtiger.
Was zeichnet Ihr Traumquartier HafenCity aus? In der HafenCity ist vieles gut gedacht, geplant und gemacht worden. Die Architektur ist vielfältig, die Promenaden am Wasser erlauben direkten Uferzugang, die Erschließung durch den öffentlichen Nahverkehr ist gut – nur die Taktung könnte besser sein. Es gibt Grundversorger in Fußnähe wie Schulen oder Kitas. Einiges fehlt, zum Beispiel ein vernünftiges Sportgelände direkt vor Ort im Stadtteil. Und es müsste auch nicht jeder Platz zugepflastert sein, mehr Grün täte dem Stadtteil und seinen Bewohner:innen gut.
Was läuft schief? Dringend muss sich etwas an der Verkehrssituation ändern: Eine vierspurige Trasse von den Elbbrücken über Versmannstraße und Shanghaiallee oder von der Versmannstraße über Überseeallee via Osakaallee oder Überseeallee via Am Sandtorpark, Am Sand- und Am Brooktorkai quer durch die Wohnviertel zu führen, ist völlig aus der Zeit gefallen! Das geht für mich aus Lärm-, Schadstoff- und Sicherheitsgründen überhaupt nicht. Alles dies lässt sich korrigieren, wenn der nötige politische Wille besteht. Mein Traumbild wäre also die HafenCity, wie sie ist, mit entsiegelten Plätzen, zurückgebauten Durchgangsstraßen und einem vernünftigen Sportplatz. Und dann müsste auch nicht jedes Grundstück bebaut werden, vor allem nicht mit noch mehr Bürogebäuden.
Beruflich waren Sie Jahre lang als UN-Mitarbeiter mitverantwortlich für Kriseneinsätze der UN in der Welt. Wie verkraftet man es, nicht mehr am Rad des weltweiten Tagesgeschehens zu drehen? Nachdem ich 30 Jahre an meinem kleinen Rädchen gedreht hatte, war ich erst einmal einfach nur müde mit einer großen Sehnsucht nach Ruhe. Meine Frau und ich sind dann nach Deutschland zurückgekehrt, genauer nach Hamburg, wohin es vor allem meine Frau zog, die in Glückstadt aufgewachsen ist. Und mir war ihre Wahl sehr recht! Die HafenCity als neuer Stadtteil war da für uns als Neuankömmlinge ideal, weil hier ja alle nach wie vor irgendwie neu sind und man gleich dazugehört – wenn man will. Was die Politik angeht, so hat ein großer amerikanischer Senator einmal gesagt: „All politics is local“ – Alle Politik ist letzen Endes Lokalpolitik. Und das ist richtig: Auch Friedenseinsätze der Vereinten Nationen müssen letztlich das Leben des einzelnen Menschen vor Ort verbessern. Aber ja, für manche Länder, in denen ich gedient habe, zum Beispiel Afghanistan oder die Westsahara, habe ich mir einen warmen Platz in meinem Herzen bewahrt. Und immer noch beschäftigt mich die Frage, wie man Frieden erreichen und sichern kann. Da bin ich noch immer einem Grundgedanken der Vereinten Nationen verschrieben: der friedlichen Konfliktbeilegung. Und es macht mir Angst, dass zurzeit militärische Lösungen für Konflikte mehr und mehr Befürworter finden und die Stimme der Diplomatie immer leiser wird.
Die großen Sommerferien liegen vor uns. Was werden Sie machen? Für meine Frau und mich hat im Sommer erst einmal die Familie oberste Priorität. Wir haben Kinder und Enkel in den USA und in der Schweiz, und die alle gleichzeitig für ein paar Tage an einem Ort zu versammeln ist schon eine Herausforderung. Im Herbst wird es dann wieder aufs Rad gehen, ohne Kinder und Enkel, vielleicht nach Bornholm, ein alter Traum von uns. Und mein Buch dafür ist „Eine Frage der Zeit“ von Alex Capus. Darin geht es um ein Dampfschiff, dass kurz vor dem Ersten Weltkrieg im norddeutschen Papenburg auseinander und dann am Tanganika-See, dem zweitgrößten und zweittiefsten See der Welt, wieder zusammengebaut wird. Dann bricht der Krieg aus, und auch in Ostafrika wird alles anders. Also Technik und Politik in einem Buch. Mit Lesen und Radfahren kann ich wunderbar vom Alltag in der HafenCity abschalten. Interview: Wolfgang Timpe
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