Christin Siegemund, CEO von Foodlab Hamburg, einer Firmen-Schmiede für 52 Food-Start-ups, eröffnet im Juli im Watermark-Gebäude. Eine feminine Gründerstory
Dieses Interview gibt es auch als Audio-Version im Podcast „Redefluss“
Frau Siegemund, in Ihrer Vita bezeichnen Sie sich als Female Founder. Was unterscheidet denn einen weiblichen von einem männlichen Businessplan? Ich glaube, dass Männer ganz anders gründen als Frauen. Männer machen einfach, auch wenn es nicht den persönlichen Bedarf deckt. Frauen gründen, weil es irgendwas nicht gibt, das sie brauchen. Männer sind auch anders vernetzt. Das lernen wir Frauen jetzt erst.
Foto oben: „Ich sehe jede Herausforderung als Chance, mich weiterzuentwickeln. Im Ernst, ich freue mich tatsächlich auf jedes Hinfallen, weil ich danach nur gestärkt daraus hervorgehen kann. Ich mache mir immer erst dann einen Kopf um Probleme, wenn sie da sind, weil ich weiß, dass ich dann eine Lösung finden werde.“ © Thomas Hampel
Frauen gründen eher themenbezogen, wenn es ein eigenes Bedürfnis gibt? Ja, und meistens steckt auch kein riesengroßes Budget dahinter. Frauen machen sich häufig mit Beratung, PR, Marketing, also Softskill-Themen selbstständig. So habe ich auch angefangen. Bei Männern ist eher ein Business dahinter. Und gerade deshalb ist die Präsenz dieses Gebäudes von Foodlab für eine Frau recht ungewöhnlich.
Das Watermark-Gebäude imponiert in jedem Fall. Ja, das finde ich auch. Ich liebe dieses Gebäude, auch weil es von überall aus sichtbar ist. Seitdem ich Mieterin dieses Gebäudes bin, ist mir das noch bewusster geworden.
Warum haben Sie sich diese Investition zugetraut? Weil ich den Bedarf gesehen habe, sich zu vernetzen und Food-Start-ups unter einem Dach zusammenzubringen. Und dann – das ist sehr männlich gedacht, wenn man in solchen Schubladen denken will – habe ich es einfach gemacht. Und die Investitionen? Kommen nicht von einem Investor.
,Nushu’ schafft es, ein sehr feminines und ernst zu nehmendes Netzwerk zu bieten. Wir treffen uns ja nicht zum Kaffeeklatsch oder Sekttrinken, sondern um Business zu machen.«
Unternehmerin Christin Siegemund
Dass Sie keinen Investor haben, war Ihre Idee und ist das Ergebnis Ihrer Beratertätigkeit, richtig? Genau, hinter Foodlab steckt keine Firma oder was sonst so gemunkelt wird. Dahinter stehe ich mit meinem Namen. Die meist gestellte Frage ist die nach meinem Investor. Wenn ich dann antworte, glauben mir viele – vor allem Männer – nicht.
Wie ist die Idee entstanden und was ist so einzigartig? Ich habe Marketing für Food Start-Ups gemacht und gedacht, die müssten sich miteinander besser vernetzen und es wäre schön, wenn es für die Food-Start-up-Szene einen Platz in Hamburg gäbe. Das war im März 2018. Dann ist die Idee ein Jahr lang gewachsen, indem ich mit vielen Leuten in Cafés gesessen und gesprochen habe. Heute sind es 52 Mitarbeiter mit fünf Küchen auf 1.200 Quadratmetern, einer Kaffeerösterei sowie Lager, Magazin, Fotostudio und so weiter. Dazu haben wir noch ein Programm, das Start-ups zusammenbringt und ihnen ein halbes Jahr den Arbeitsplatz kostenlos zur Verfügung stellt sowie ein Coaching-Programm. Wir sind das Fast-Forward-Programm für die Food-Start-ups.
Wie kann das funktionieren, dass jeden Monat der Küchenchef im Restaurant wechseln soll? Es gibt viele Ideen in der Gastro-nomie, die erst einmal getestet werden müssen. Gastro ist ein hartes Brot mit viel selbst und ständig – das kommt nicht von ungefähr. Im Foodlab kann man sich für vier Wochen ein Restaurant mieten und gucken, ob die Idee funktioniert und das Konzept ankommt. Bin ich überhaupt Gastronom? Muss ich an meinen Rezepten vielleicht noch feilen? All diese Fragen können sich Gastronomen in spe beantworten und deswegen wechselt die Küche alle vier Wochen.
Gibt es eine bestimmte Zielgruppe? Wer soll ins Pop-up-Restaurant kommen? Alle sollen kommen – ein Sternekoch ist genauso willkommen wie jemand, der noch nie ein Restaurant gehabt hat.
Und das Businessmodell ist, dass sich alle einmieten für einen begrenzten Zeitraum? Ja, genau. Das Businessmodell hinter dem Foodlab ist die Vermietung.
Wenn die alle an einem Ort sind: Kratzen die sich nicht die Augen aus und klauen sich gegenseitig Ideen? Hamburg ist die heimliche Food-Start-up-Hauptstadt. Die Start-up-Landschaft ist groß, vielfältig und auch völlig unterschiedlich. Da kratzt sich niemand die Augen aus, die werden voneinander profitieren. Und gerade in diesen Corona-Zeiten herrscht große Solidarität.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie zum ersten Mal vor dem Watermark-Gebäude gestanden haben? Mir lief es nur eiskalt den Rücken runter und ich hatte Herzklopfen. Da habe ich gemerkt, ja, genau hier fühlt es sich richtig an. Ich hatte drei Standorte zur Auswahl, unter anderem auch einen in Altona. Das fand ich auch charmant, aber ich wollte irgendwie nicht nach Altona. Dann etwas am Alten Wall, das war mir aber zu 1A-lagig, zu schick, das wollte ich auch nicht. Und dann habe ich diesen Turm gesehen. Ich wollte eine Gegend, die nicht schon besetzt ist, in der noch Aufbruchstimmung herrscht. In der HafenCity kann man noch etwas bewegen, da entsteht viel Neues und mehr Hamburg geht nicht.
Gibt es eine Rest-Furcht, dass Corona den Starttermin noch durcheinanderwirbelt und alles deutlich später losgeht? Ganz klar: nö. Wenn sich das drastisch verschieben sollte, dann gibt es auch dafür eine Lösung. Natürlich hatte ich zwischendurch Momente, in denen mir klar wurde, dass der Deal nicht so klappt wie gedacht. Jetzt wird sich zeigen, wer einen langen Atem hat, kreativ und flexibel ist. Und wenn ich eines bin, dann flexibel.
Es gibt ja das Hamburger Netzwerk für Frauen „Nushu“ um die Gründerin Melanie Schütze. Warum ist Netzwerken so wichtig? Da sprechen Sie etwas ganz Schönes an, denn „Nushu“ ist tatsächlich ein Schlüsselpunkt in meiner und der Foodlab-Historie. Als ich die Idee hatte, saß ich bei Melanie „Melli“ Schütze in der HafenCity, habe ihr davon erzählt und dann ist der Stein ins Rollen gekommen, weil Melli mich ganz vielen Menschen vorgestellt und mich an die Hand genommen hat. So funktioniert dieses Netzwerk. „Nushu“ schafft es, ein sehr feminines und ernst zu nehmendes Netzwerk zu bieten. Wir treffen uns ja nicht zum Kaffeeklatsch oder Sekttrinken, sondern um Business zu machen.
Was, glauben Sie, hindert Frauen daran, sich stärker zu vernetzen und sich etwa mit Finanzen auseinanderzusetzen, was Frauen öfter einen Schrecken einjagt? Ich glaube, weil es ihnen genau einen Schrecken eingejagt. Sich damit auseinanderzusetzen, bedeutet, man muss raus aus der Komfortzone. Es ist nun mal so, dass wir nicht mehr abgesichert sind durch einen Mann, wenn wir denn überhaupt einen Partner haben. Das ist unbequem. Sinnbild dafür ist auch das Foodlab. Wie viele Komfortzonen habe ich inzwischen verlassen? Ich hatte bestimmt keine Lust, mich durch 40 Seiten Mietvertrag plus 200 Seiten Anhang zu kämpfen, mich mit einer Baugenehmigung auseinanderzusetzen oder einer Schanklizenz. Aber da muss man durch, sonst wird das nichts.
Es gibt viele Trendthemen auf Social Media wie Selfcare, Bodylove, finanzielle Unabhängigkeit für Frauen. Was glauben Sie, wie viel Authentizität dahintersteckt? Und wie versuchen Sie, Achtsamkeit in Ihrem Leben umzusetzen? Achtsamkeit ist ein großes Thema. Ich finde, teilweise stresst das auch. Jeder erzählt dir, du brauchst Me-Time und musst achtsam mit dir selber sein. Ich habe neulich einen ganz schönen Satz von einer Bloggerin gelesen: „Die beste oder die einfachste Form der Selbstliebe ist gutes Essen.“ Ich finde, das trifft es ziemlich auf den Punkt, gerade in Zeiten von weniger Bewegung und weniger frischer Luft. Ich weiß nicht, wie viel Me-Time im Homeoffice wirklich geht. Man braucht auf jeden Fall eine stabile Basis zu Hause.
Gab es denn bei Ihnen mal einen persönlichen Tief- oder Wendepunkt, über den es nur schwer hinwegging? Diesen Punkt hatte ich bislang nicht, weil ich jede Herausforderung als Chance sehe, mich weiterzuentwickeln. Im Ernst, ich freue mich tatsächlich auf jedes Hinfallen, weil ich danach nur gestärkt daraus hervorgehen kann. Ich mache mir immer erst dann einen Kopf um Probleme, wenn sie da sind, weil ich weiß, dass ich dann eine Lösung finden werde. Somit hatte ich bisher noch nie in meinem Leben das Gefühl, dass ich nicht weiß, wie es weitergeht. In Zeiten von Corona hatte ich auch schon einen Deal, der nicht geklappt hat, wie er sollte. Da war meine Laune kurz angekratzt, aber ich habe mir geholfen mit einer Zigarette und einem Gin Tonic, obwohl ich gar nicht rauche. Ich sehe das wie eine Welle beim Surfen. Wie nehme ich jetzt diese Welle? Mache eine kleine Kursänderung und mache einfach weiter.
Wir müssen Sie das fragen: Was bekommen Ihre beiden Töchter denn zu Hause in die Brotdose? Meistens etwas Stärkendes wie Pfannkuchen oder Haferflockenriegel, die wir selbst machen. Ich habe gemerkt: Alles was wir selbst machen, wird besser gegessen.
Das Gespräch führten Wolfgang Timpe und Melanie Wagner
SATZANFÄNGE, vervollständigt von CEO Christin Siegemund, Foodlab Hamburg:
Gesunde Ernährung für die Familie muss … einfach sein.
Eine Food-Start-up-Idee ist erfolgreich, wenn … man sich seines Ziels
bewusst ist.
Eine gute weibliche Führungskraft kann … alles.
Um besonders hochwertige Lebensmittel zu kaufen, muss man … recherchieren.
Hinter jeder starken Frau steht … ein gutes Netzwerk.
Mundschutz wird für mich … immer wichtiger.