Künstliche Intelligenz. Der Textroboter ChatGPT bricht alle Rekorde. Wie schlau ist er? Eine Erkundungstour
Einen Tag vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe kam ChatGPT 4 raus, neue Version des Textroboters ChatGPT. Das ist kein Zufall, das hat System. Für die Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) ist ein Tag eine halbe Ewigkeit, da gibt es gefühlt jede halbe Stunde etwas Neues. Chat-GPT steht für Chat Generative Pretrained Transformer. Der Bot basiert auf einem digitalen Lernmodell, das Fragen und Aufgaben versteht und auf menschlich klingende Weise beantwortet. Er kann Konversation treiben, Gedichte schreiben, Texte erstellen, programmieren, sogar „Probleme lösen“. Chatbots sind der neue heiße Scheiß der Brave New World (Aldous Huxley, schon 1932, noch völlig analog).
Foto oben: HCZ-Autor Harald Nebel: Der Vorteil von ChatGPT: Die Benutzung ist umsonst, man muss nur seine E-Mail-Adresse und Mobilnummer angeben. Der Nachteil: Man muss seine E-Mail-Adresse und Mobilnummer angeben. Denn gemäß den Nutzungsbedingungen ist OpenAI dazu berechtigt, diese Angaben mit weiteren persönlichen Daten zusammenzuführen und für eine Vielzahl von Zwecken zu verwenden, ja sogar an Dritte weiterzugeben. © Privat
Der heißeste dieser Textroboter ist Chat-GPT, von der Microsoft-Tochter OpenAI im November 2022 auf den Markt gebracht. Seitdem, also in kürzester Zeit, hat er sich zum Shootingstar der künstlichen Intelligenz aufgeschwungen. Innerhalb von nur fünf Tagen meldeten sich sagenhafte eine Million Nutzer:innen an. Zum Vergleich: Instagram brauchte dafür zweieinhalb Monate, Spotify deren fünf. Im Januar dieses Jahres erreichte Chat-GPT schon über 100 Millionen, womit es bis dato die mit Abstand am schnellsten wachsende Verbraucher:innen-Anwendung ist.
Historische Wende zu durchleuchteten User:innen
Der Vorteil von ChatGPT: Die Benutzung ist umsonst, man muss nur seine E-Mail-Adresse und Mobilnummer angeben. Der Nachteil: Man muss seine E-Mail-Adresse und Mobilnummer angeben. Denn gemäß den Nutzungsbedingungen ist OpenAI dazu berechtigt, diese Angaben mit weiteren persönlichen Daten zusammenzuführen und für eine Vielzahl von Zwecken zu verwenden, ja sogar an Dritte weiterzugeben. Der Umfang der Berechtigungen ist so weitreichend, dass sich niemand wundern sollte, wenn alle von OpenAI gesammelten persönlichen Daten aktuell oder in Zukunft öffentlich zugänglich sind. Die schöne neue Welt und ihr heißer Scheiß.
Marketingmann Stephan Rebbe, der einst von der HafenCity nur einen Steinwurf entfernt in der Dienerreihe die Werberei Kolle Rebbe (heute: Accenture Song) gründete und zum Erfolg führte, macht das Angst. Das verrät er im Fachmagazin „Horizont“. Indes, er wird mir das verzeihen: Rebbe ist ein analoger weißer Mann. Die Digital Natives 2.0 der Generation Z, die mittlerweile maßgeblich sind, sehen das naturgemäß lockerer. Sie sind damit groß geworden und in der Mehrzahl „fein“, digital durchleuchtet zu werden.
Das glatte Gegenteil von Rebbe vertritt Peter Thiel, deutscher Investor im Silicon Valley und einer der Gesellschafter bei OpenAI. Thiel im „Handelsblatt“ über ChatGPT: „Wir erleben eine historische Wende, vielleicht sogar den wichtigsten Moment seit der Markteinführung des iPhones. Jedenfalls wird dieser Moment das Silicon Valley verändern.“ Heißer Scheiß – für eine schöne neue Welt?
Die Wahrheit, der graue Alltag, ist bisweilen viel banaler: Du gibst dich preis mit E-Mail-Adresse und Mobilnummer und – läufst ins Leere. Nach diversen Aufforderungen der Art „Schreib einen Aufsatz über ChatGPT, seine Entwicklung bisher sowie in der Zukunft!“ erhielt ich viel zu oft eine Fehlermeldung mit der Bitte, es später erneut zu versuchen. „Das System ist notorisch überlastet“, sagt dazu ein regelmäßiger User, der anonym bleiben möchte. Einer aus der Praxis also. „Auch digitale Produkte kommen nicht an Kinderkrankheiten vorbei.“ Also doch nicht so heiß, der Scheiß?
Fit für ein MBA-Examen – mit Risiken und Nebenwirkungen
Wer es dagegen schafft, erhört zu werden, darf auf kompetente Antworten, Lösungen und Texte hoffen. Dank der neuen Version Chat-GPT 4 jetzt auch unter Einbeziehung von Bildern: Sie kann sie erkennen, analysieren und schlüssig in den Text integrieren. Das „Handelsblatt“ schwärmt: „Der Chatbot ist so gut, dass er an der US-Eliteuniversität Wharton das MBA-Examen (Master of Business Administration, Anm. d. Red.) bestehen würde – und zwar mit der Note ,Zwei minus‘, wie Professor Christian Terwiesch kürzlich in einer Studie schrieb. Die Erklärungen seien ,exzellent‘ gewesen.“
Was Risiken und Nebenwirkungen freilich nicht ausschließt. ChatGPT gibt mit scheinbarer Autorität auch mal eine falsche Antwort, lässt sich von Fangfragen reinlegen und wird nicht täglich mit den neuesten Daten und Texten von gestern und heute nachgerüstet. „Wenn die Aufgabe zu schwer wird“, sagt der KI-Experte Florian Gallwitz in der „WirtschaftsWoche“, „vermittelt das Sprachmodell den Eindruck, es wüsste Bescheid, antwortet aber Nonsens.“
Fazit: Die künstliche Intelligenz von Chat-GPT bietet jede Menge Möglichkeiten, braucht aber auch zum richtigen Gebrauch die menschliche Intelligenz als Kontrollinstanz – noch. Sei’s drum, der Erfolg des Microsoft-Bots ist inzwischen so krass, dass sich Konkurrent Google grün und blau geärgert und das Konterprodukt „Bard“ lanciert hat. Offenbar etwas überhastet, denn Bard „debütiert mit einer Falschinformation“, wie „Der Spiegel“ herausfand. Andere Anbieter sind gefolgt, weitere werden folgen. Der heiße Scheiß wird immer heißer. Und die neue Welt? – Toi, toi, toi! Harald Nebel