Vorschau. Im Großen Saal der Elbphilharmonie tritt im Juni der Indie-Musiker, Komponist und Singer-Songwriter Nick Cave mit Radiohead-Bassist Colin Greenwood auf
Ein Leben ohne Taylor Swift wäre für viele Swifties nur halb so schön. Einen ähnlichen Kultstatus hat Nick Cave für seine Fans. Während die Amerikanerin der Superstar der Popwelt ist, regiert der in England lebende Australier, der im September seinen 68. Geburtstag feiern wird, die Indie-Szene – jedenfalls musikalisch. In Bezug auf seinen Erfolg ist er ihr eigentlich längst entwachsen. Er gastiert in den USA in den quotenstarken Late-Night-Fernsehshows von Jimmy Fallon oder Stephen Colbert. Am 21. Juni tritt Nick Cave im Großen Saal der Elbphilharmonie auf. Nicht etwa mit seiner Band The Bad Seeds, sondern solo. Prominente Begleitung hat er dennoch, der Radiohead-Bassist Colin Greenwood steht ihm bei diesem Konzert zur Seite. Sicher wird Nick Cave für diesen Gig auch ein paar Stücke seines aktuellen Albums „Wild God“ im Gepäck haben, das zwischen modernem Gospel, Blues, Pop, Orchesterparts und Chorgesang oszilliert. Es rangierte 2024 in Deutschland auf Platz zwei der Charts.
Foto oben: Indie-Star Nick Cave galt früher als unnahbar. Die einschneidende Erfahrung durch den Tod seines Sohnes veränderte ihn, und er öffnete sich seinem Publikum. © Sacha Lecca
Hohe Chartplatzierungen sind für den Musiker, der in den 80er-Jahren in Berlin gewohnt hat, an der Tagesordnung, seitdem er 1995 sein Kylie-Minogue-Duett „Where the Wild Roses Grow“ veröffentlicht hat. Es wurde ein Welthit und war der Vorbote seiner ersten Top-Fünf-Platte „Murder Ballads“ (1996). Obwohl sämtliche Lieder um das Thema Mord kreisen, sind sie musikalisch weniger rockig und exzessiv als vorangegangene Stücke wie „The Mercy Seat“, das die letzten Stunden eines Häftlings vor seiner Hinrichtung beschreibt, oder „From Her to Eternity“, der Titelsong des gleichnamigen Nick-Cave-and-The-Bad-Seeds-Debütalbums von 1984.

68. Geburtstag feiern wird, die Indie-Szene – jedenfalls musikalisch.“ © Sacha Lecca
Dieses Lied hat die Band 1987 im Wim-Wenders-Film „Der Himmel über Berlin“ bei einem Liveauftritt gesungen. Damals war Nick Cave heroinabhängig, jahrzehntelang. Künstlerisch bremste ihn das aber nicht aus. 1989 erschien sein erster Roman „Und die Eselin sah den Engel“, weitere Bücher folgten, zuletzt 2022 „Glaube, Hoffnung und Gemetzel“. Für dieses Werk hat Nick Cave während der Pandemie sehr persönliche Gespräche mit dem Journalisten Séan O’Hagan geführt, auch über seine Frau, das Ex-Model Susie Bick. Aus Liebe zu ihr ist es ihm schließlich gelungen, seine Drogensucht zu besiegen. Das Paar bekam die Zwillinge Arthur und Earl. 2015 stürzte Arthur unter LSD-Einfluss von einer Klippe, dabei kam er ums Leben.
Diese einschneidende Erfahrung hat nicht nur den Menschen Nick Cave verändert, sondern auch den Künstler. Vor Arthurs Tod wirkte er bei seinen Konzerten oftmals unantastbar. Nicht selten wurde er mit einem Prediger verglichen, zumal er seine Songs gern mit Bibelzitaten spickt. Doch seine Trauer brachte ihn dazu, sich seinen Fans zu öffnen. Nicht nur in seinen Liedern kehrte er sein Innerstes nach außen. 2018 startete er die Online-Plattform „Red Hand Files“. Dort können ihm seine Anhänger seither ganz persönliche Fragen stellen. Daraus entwickelte sich 2019 sein Soloprojekt „In Conversation with Nick Cave“, bei dem ihn das Publikum in kleineren Hallen direkt befragen konnte. Das waren sehr intime Momente. Sie beeinflussten die Bad-Seeds-Shows maßgeblich. Live holte der Sänger, der 2022 auch noch den Verlust seines ältesten Sohnes Jethro verkraften musste, plötzlich Fans auf die Bühne, scharenweise.
So viel Nähe lässt kein anderer Star seines Kalibers zu. Nicht nur das macht Nick Cave einzigartig. Sein künstlerisches Schaffen scheint unerschöpflich zu sein. Mit seinem Bad-Seeds-Kollegen Warren Ellis komponiert er Theatermusik und Soundtracks. Die beiden sind die treibende Kraft hinter der Band Grinderman. Nick Cave schreibt zudem Drehbücher – für die Pseudo-Doku „20.000 Days on Earth“ ebenso wie für Filme. Er verfasste ein Vorwort für das Markus-Evangelium, an der Schule für Dichtung in Wien hielt er eine Vorlesung, er töpferte Keramikfiguren, mit seinem Idol Johnny Cash nahm er ein Duett auf. Im Gegensatz zu der Country-Legende wurde er allerdings bis heute nicht in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Dafür hat er von König Charles zumindest indirekt einen Ritterschlag bekommen. Der Monarch lud den Musiker zu seiner Krönungszeremonie ein. Dagmar Leischow
Info Nick Cave tritt Sa., 21. Juni, 20 Uhr, im Großen Saal der Elbphilharmonie auf. Das Konzert ist ausverkauft, Restkarten gibt es eventuell an der Abendkasse. Weitere Informationen unter www.elbphilharmonie.de