Dokumentationszentrum kommt: »In einen Dialog treten«

denk.mal Hannoverscher Bahnhof. Der Architekturwettbewerb für das Dokumentationszentrum denk.mal Hannoverscher Bahnhof an der Ericusbrücke im nördlichen Lohsepark in der HafenCity ist entschieden. Das Schweizer Architekturbüro Boltshauser Architekten AG wird das alleinstehende Gebäude realisieren

„Das Dokumentationszentrum soll erstens zusammen mit dem denk.mal Hannoverscher Bahnhof einmal ein innerstädtischer Ort sein, an dem Verbrechen dokumentiert werden, an dem gelernt, gearbeitet und sich informiert werden kann. Es soll zweitens ein Ort sein, der auch von denen gefunden wird, die ihn nicht aktiv suchen, die sich aber in diesem Teil der Stadt bewegen und auf ihn stoßen. Und soll drittens ein Ort sein, an dem wir ausprobieren, immer wieder neu erforschen können, wie wir auch Kindern und Jugendlichen im Jetzt nahebringen können, welche historische Verantwortung sie aufgrund der nationalsozialistischen Verbrechen, die ihre Großeltern begangen haben, jetzt haben, um sich für eine offene, friedliche und freiheitliche Gesellschaft einzusetzen.“ Das sagte Hamburgs Kultursenator Dr. Carsten Brosda im Gespräch mit der HafenCity Zeitung (HCZ) im Anschluss an die Pressekonferenz Ende März im Kesselhaus der HafenCity.
Foto oben: Architekt Roger Boltshauser des Gewinnerentwurfs Boltshauser Architekten AG aus Zürich: „Das Dokumentationszentrum wird architektonisch und städtebaulich den Schluss-Stein im Norden des Lohseparks zur Fuge des denk.mals Hannoverscher Bahnhof bilden“ © Boltshauser Architekten AG

Kultursenator Dr. Carsten Brosda: „Das Dokumentationszentrum soll zusammen mit dem denk.mal Hannoverscher Bahnhof einmal ein innerstädtischer Ort sein, an dem Verbrechen dokumentiert werden, an dem gelernt, gearbeitet und sich informiert werden kann. Es soll ein Ort sein, der auch von denen gefunden wird, die ihn nicht aktiv suchen, die sich aber in diesem Teil der Stadt bewegen und auf ihn stoßen.“ © Boltshauser Architekten AG

„Das Dokumentationszentrum wird architektonisch und städtebaulich den Schluss-Stein im Norden des Lohseparks zur Fuge des denk.mals Hannoverscher Bahnhof bilden“, so Architekt Roger Boltshauser des Gewinnerentwurfs Boltshauser Architekten AG aus Zürich gegenüber der HCZ. „Das Dokumentationszentrum bezieht sich auf diese Fuge“, so Boltshauser weiter, „und soll mit dem denk.mal Hannoverscher Bahnhof und seinem Vorplatz-Ort im Lohsepark in einen Dialog treten. Das heißt, das Haus hat diese Öffnungen, vielfältige Fensterfronten, die den Ausblick in den Lohsepark ermöglichen und zugleich vom Park aus in das Dokumentationszentrum hinein. Außerdem werden wir die Materialien des Ortes des denk.mals, den speziellen Beton und die Art der Steine, im neuen Haus verwenden, sodass auch so die Fuge durch das Material ins Dokumentationszentrum hinein verlängert wird. Das Haus wird auch landschaftsplanerisch den Schlusspunkt der Fuge des denk.mals setzen.“

Standort des neuen Dokumentationszentrums an Ericusbrücke/Stockmeyerstraße. Architekt Roger Boltshauser: Wir greifen die bereits angelegte Fuge im Lohsepark in ihrer erdigen Materialität auf und erstellen an ihrem nördlichen Ende eine würdevolle und gleichzeitig markante Erweiterung dieses Pfads“ © Illustration: HafenCiry hamburg GmbH | BKM (Ausschnitt)

Das Schweizer Architekturbüro Boltshauser Architekten AG aus Zürich wird das alleinstehende Gebäude im Auftrag des Stifters des Gebäudes für das Dokumentationszentrum, Harm Müller-Spreer, und in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte als künftiger Nutzerin planen. Das Dokumentationszentrum soll ergänzend zu dem 2017 eingeweihten Gedenkort als zentraler Lernort das Deportationsgeschehen in die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung einbetten. Der Baubeginn kann nach Abschluss des B-Planverfahrens erfolgen, die Fertigstellung ist für 2026 geplant.

Blick aus dem Dokumentationszentrum nach Süden. Architekt Roger Boltshauser: „Das Haus hat diese Öffnungen, vielfältige Fensterfronten, die den Ausblick in den Lohsepark ermöglichen und zugleich vom Park aus in das Dokumentationszentrum hinein. Außerdem werden wir die Materialien des Ortes des denk.mals, den speziellen Beton und die Art der Steine, im neuen Haus verwenden, sodass auch so die Fuge durch das Material ins Dokumentationszentrum hinein verlängert wird.“ © Boltshauser Architekten AG

Der Entwurf sieht ein zweigeschossiges Gebäude mit rund 1.000 Quadratmetern Fläche vor. Das Dokumentationszentrum enthält eine Ausstellungsfläche sowie Seminar- und Arbeitsräume. Die öffentliche Hand wird den Innenausbau und den Einbau der von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte erarbeiteten Ausstellung übernehmen. Der Standort an der Ericusbrücke ermöglicht eine besondere Sichtbeziehung zum Lohseplatz und der Fuge entlang der historischen Gleisverläufe und dem 2017 eingeweihten Gedenkort denk.mal Hannoverscher Bahnhof. Dort erinnern Namenstafeln an mehr als 8.000 Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma aus Hamburg und Norddeutschland, die zwischen 1940 und 1945 von hier aus deportiert wurden.

„Wenn man den Entwurf von Roger Boltshauser für das Dokumentationszentrum mit drei Worten charakterisieren soll, dann sind das: selbstbewusst, einladend und offen.“
Oberbaudirektor Franz-Josef Höing

Blick aus dem Dokumentationszentrum nach Norden. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing: „Das Gebäude markiert städtebaulich den Eingang zum Lohsepark und bietet im Inneren sehr schöne Räume, die sich immer wieder zum umgebenden Stadtraum öffnen.“ © Boltshauser Architekten AG

Eine Jury aus externen Fachpreisrichterinnen und Fachpreisrichtern, Vertreterinnen und Vertretern der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, der HafenCity Hamburg GmbH und der Hamburger Behörden war an dem von dem Stifter Harm Müller-Spreer ausgelobten Wettbewerb beteiligt. Darüber hinaus haben Vertreterinnen und Vertreter der Betroffenenverbände an dem Verfahren teilgenommen. Für Hamburgs Oberbaudirektor Franz-Josef Höing ist der Entwurf für den künftigen Standort gelungen: „Wenn man den Entwurf von Roger Boltshauser für das Dokumentationszentrum mit drei Worten charakterisieren soll, dann sind das: selbstbewusst, einladend und offen. Das Gebäude markiert städtebaulich den Eingang zum Lohsepark und bietet im Inneren sehr schöne Räume, die sich immer wieder zum umgebenden Stadtraum öffnen.“ Und für Kultursenator Carsten Brosda bildet das Zusammenspiel von aktivem Erinnern und einem zeitgemäßen Lernort das besondere an diesem künftigen Haus: „Mit diesem starken Entwurf für das Dokumentationszentrum an prominenter Stelle im Lohsepark wird der Gedenkort denk.mal Hannoverscher Bahnhof endlich vollendet. Hier werden Besucherinnen und Besucher ausführliche Informationen über das Deportationsgeschehen und über die Schicksale der Menschen in den aus Hamburg angefahrenen Konzentrations- und Vernichtungslagern erfahren. Der Entwurf der Architekten sieht ein markantes und gleichzeitig zum Lohsepark geöffnetes Gebäude in zentraler Lage vor. Genau dort, wo unter den Augen der Hamburgerinnen und Hamburger unfassbares Unrecht geschehen ist. Das Dokumentationszentrum wird uns mit seiner klaren Handschrift dabei helfen, die Erinnerung an das Geschehene wach zu halten.“

Präsentation des Gewinners des Architektenentwurfs Dokumentationszentrum im Lohsepark, HafenCity: Prof. Dr. Oliver von Wrochem, Vorstand Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen (v.l.n.r.); Roger Boltshauser, Architekt Boltshauser Architekten AG, Zürich; Harm Müller-Spreer, Stifter des Gebäudes für das Dokumentationszentrum; Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien; Dr. Andreas Kleinau, Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH und Franz-Josef-Höing, Oberbaudirektor. © Wolfgang Timpe

Die Neuplanung für das Dokumentationszentrum ist das Ergebnis eines Mediationsprozesses aus den Jahren 2021/2022. Ursprünglich sollte das Dokumentationszentrum im Erdgeschoss eines Gebäudes an der Steinschanze einziehen. Als bekannt wurde, dass die oberen sechs Etagen an das Unternehmen Wintershall Dea vermietet wurden, erhoben mehrere Verfolgtenverbände dagegen Einwände, da die Vorgängerunternehmen Wintershall und DEA von der nationalsozialistischen Machtübernahme und der Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg profitierten. Harm Müller-Spreer stiftet das Gebäude an der Ericusbrücke und realisiert den „veredelten Rohbau“. Die Ausstellungs- und Seminarflächen werden von einem Projektteam der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte an das neue Gebäude angepasst und die Inhalte entsprechend der sich ergebenden neuen Möglichkeiten überarbeitet.

Modernes Beschriftunhskonzept an der Rückwand des Empfangstresens dessen Material die Beschaffenheit des Betons und der Steine des denk.mals Hannoverscher Bahnhof im Lohsepark aufnimmt. © Boltshauser Architekten AG

Prof. Dr. Oliver von Wrochem, Vorstand Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen: „Unsere Stiftung freut sich sehr auf die Zusammenarbeit mit Boltshauser Architekten. Wir nehmen die Herausforderung an, die Ausstellungsinhalte und Raumkonzepte gemeinsam mit den bisher Beteiligten am neuen Standort weiterzuentwickeln. Das Dokumentationszentrum soll als innovativer Lernort unterschiedlichste Besucher:innen ansprechen. Auf inhaltlicher Ebene wird vor allem auch die Nähe und Distanz der Hamburger Politik und Bevölkerung zu den nationalsozialistischen Verbrechen dargestellt und das Schicksal der Verfolgten an den Zielorten der Deportationen thematisiert.“

Blick von Norden auf das Dokumentationszentrum, bei dessen Bau die biodiverse Schilfuferzone erhalten bleiben soll. © Boltshauser Architekten AG

Und für den HafenCity-Chef Dr. Andreas Kleinau, Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH, steht das Miteinander von Erinnern und einem Gedenkort mitten im Quartier im Zentrum: „„Mit diesem gelungenen Architekturentwurf erhält das Dokumentationszentrum ein alleinstehendes und öffentlich sehr gut wahrnehmbares Gebäude im Norden des Lohseparks. Zugleich bettet sich das Gebäude mit seiner hohen Transparenz hervorragend in das Gesamtkonzept des Erinnerungsortes denk.mal Hannoverscher Bahnhof ein. So kann das gesamte Ensemble für die Besucher:innen zu einem lebendigen Ort des Gedenkens inmitten des öffentlichen Lebens in der HafenCity werden.“

Gewinnerarchitekt Roger Boltshauser fasst noch einmal die Herangehensweise an das Projekt zusammen: „Für uns ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesem Ort des Unrechts von zentraler Bedeutung für die Architektur. Wir greifen die bereits angelegte Fuge im Lohsepark in ihrer erdigen Materialität auf und erstellen an ihrem nördlichen Ende eine würdevolle und gleichzeitig markante Erweiterung dieses Pfads. Das Bauwerk wird ein offenes Haus der Begegnung, der Dokumentation und des Erinnerns. Ein- und Ausblicke verknüpfen das Innere mit seiner Umgebung.“ Und darauf angesprochen, dass er anders als etwa die legendären Architektur-Entwürfe des Architekten Daniel Liebeskind – u.a. das Jüdisches Museum in Berlin oder der Masterplaner für die Wiederbebauung von Ground Zero in New York – keine plakative verstörende Architektur habe, sagt Boltshauser: „Es braucht viel Kreativität, um Vorgefundendes anzunehmen. Ich habe geschaut, was da ist, und versucht, das weiterzuentwickeln, was da ist. Im denk.mal hannoverscher Bahnhof wie auch dem Vorplatz im Lohsepark steckt ja schon viel Innovationsgeist darin. Für mich ist wichtig, offen und auch so frei zu sein mit diesen Dingen, die man vorfindet und mit ihnen zu arbeiten. Unser Entwurf zum Dokumentationszentrum ist etwas Neues geworden, hat aber und setzt eine eigene Beziehung zu dem, was da ist. Es ist vielleicht unter kreativen Aspekten anspruchsvoller als ein internationales Unikat zu entwickeln.“ Hamburg und die HafenCity können 2026 die Vollendung eines spannenden Denkmalprojekts zum Erinnern und zeitgemäßem Lernen erwarten. Wolfgang Timpe

INFO Mehr Informationen unter Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen sowie der Behörde für Kultur und Medien

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