Frontfrau Tina Dico, die das Partnerland Dänemark repräsentiert, berührt ihre Fans im Operettenhaus mit Liedern wie „Whispers“ oder „Kids go where the Light“: „Ich bin so dankbar, wieder Live-Musik machen zu können.“ © Niklas Heinecke
Echt Konzerte

Endlich wieder Live-Musik! Das 15. Reeperbahn Festival, das noch bis Samstag läuft, ist ein Lichtstreifen am Horizont. Corona-bedingt sind in diesem Jahr hauptsächlich deutsche oder europäische Musiker nach Hamburg gereist. Sie geben insgesamt 120 Konzerte in 20 Spielstätten

Mittwochnachmittag, 16.30 Uhr, Festival-Village auf dem Heiligengeistfeld. Die dänisch-walisische Sängerin Drew Sycamore gibt auf der Fritz-Bühne eines der ersten Konzerte des Reeperbahn Festivals – unter nicht optimalen Bedingungen. Es sind nur wenige Zuschauer gekommen. Sie stehen ziemlich steif allein oder zu zweit in einem mit bunter Kreide gezeichneten Quadrat, das ihnen vom Personal zugewiesen wurde. Auf dem Weg dorthin mussten sie sowohl beim Betreten des Festival Village als auch beim Einlass zu Drew Sycamores Show ihren persönlichen QR-Code scannen, damit die Gesundheitsämter gegebenenfalls eine Covid-19-Infektionskette nachverfolgen können. Gefühlt muss man sich alle fünf Minute irgendwo ein- oder auschecken. So ist das eben während einer Pandemie. 

Foto oben: Frontfrau Tina Dico, die das Partnerland Dänemark repräsentiert, berührt ihre Fans im Operettenhaus mit Liedern wie „Whispers“ oder „Kids go where the Light“: „Ich bin so dankbar, wieder Live-Musik machen zu können.“ © Niklas Heinecke

Die rund 2000 Besucher des ersten Veranstaltungstages nehmen all diese Regularien erstaunlich gelassen hin. Keiner motzt oder wird ungeduldig. Die Menschen sind einfach froh, beim 15. Reeperbahn Festival (https://www.reeperbahnfestival.com/de/startseite) überhaupt mal wieder Live-Auftritte erleben zu dürfen – wenn auch in abgespeckter Corona-Version: An vier Tagen sind 120 Konzerte in 20 Spielstätten angesetzt, also deutlich weniger als 2019, damals standen 600 Shows in rund 70 Clubs zur Auswahl.

Alexander Schulz, Gründer und Geschäftsführer des Reeperbahn Festivals, beim Doors-Open-Event im Operettenhaus. Er fühlt sich an die Zeit erinnert, als das Reeperbahn Festival 2006 zum allerersten Mal stattfand – mit einem Unterschied: „Damals wussten wir nicht, wie es ausgehen würde. Heute sind wir davon überzeugt, dass alles gut werden wird.“ © Fynn Freund
Alexander Schulz, Gründer und Geschäftsführer des Reeperbahn Festivals, beim Doors-Open-Event im Operettenhaus. Er fühlt sich an die Zeit erinnert, als das Reeperbahn Festival 2006 zum allerersten Mal stattfand – mit einem Unterschied: „Damals wussten wir nicht, wie es ausgehen würde. Heute sind wir davon überzeugt, dass alles gut werden wird.“ © Fynn Freund

„Das diesjährige Reeperbahn Festival ist eines der wichtigsten überhaupt“, sagt Alexander Schulz, Gründer und Geschäftsführer des Reeperbahn Festivals, beim Doors-Open-Event im Operettenhaus. Er fühlt sich an die Zeit erinnert, als das Reeperbahn Festival 2006 zum allerersten Mal stattfand – mit einem Unterschied: „Damals wussten wir nicht, wie es ausgehen würde. Heute sind wir davon überzeugt, dass alles gut werden wird.“

Dem hätte der Vizekanzler Olaf Scholz sicher zugestimmt. Eigentlich hätte er im Operettenhaus eine Eröffnungsrede halten sollen, wegen einer Erkältung – er wurde Corona-negativ getestet – muss er passen. Stattdessen ist Staatssekretär Wolfgang Schmidt angereist, der eine Zeile aus dem Song „Fuckers“ der Heavy-Metal-Band Savages ins Auditorium schickt: „Don’t let the fuckers get you down.“ Auch Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien, zitiert in seiner Ansprache Musiker – etwa Jason Isbell. Für ihn bringt dessen Song „Afraid“ die Stimmung der Festivalmacher während der Vorbereitungsphase auf den Punkt: „Be afraid, be very afraid, but do it anyway“. In der Konsequenz sieht Brosda das Reeperbahn Festival als Symbol dafür, was möglich ist: „Wir schätzen jetzt mehr, was wir haben und was wir zusammen erreichen können.“

Die dänisch-walisische Sängerin Drew Sycamores eröffnet das 15. Reeperbahn Festival in Corona-Zeiten 2020 auf der Fritz-Bühne auf dem Heiligengeistfeld: Die Besucher müssen sich beim Betreten des Festival-Village als auch beim Einlass zu Drew Sycamores Show ihren persönlichen QR-Code scannen, damit die Gesundheitsämter gegebenenfalls eine Covid-19-Infektionskette nachverfolgen können. Gefühlt muss man sich alle fünf Minute irgendwo ein- oder auschecken. So ist das eben während einer Pandemie. © Tom Heinke
Die dänisch-walisische Sängerin Drew Sycamores eröffnet das 15. Reeperbahn Festival in Corona-Zeiten 2020 auf der Fritz-Bühne auf dem Heiligengeistfeld: Die Besucher müssen sich beim Betreten des Festival-Village als auch beim Einlass zu Drew Sycamores Show ihren persönlichen QR-Code scannen, damit die Gesundheitsämter gegebenenfalls eine Covid-19-Infektionskette nachverfolgen können. Gefühlt muss man sich alle fünf Minute irgendwo ein- oder auschecken. So ist das eben während einer Pandemie. © Tom Heinke

Nicht ganz so positiv gestimmt ist Stage-Entertainment-Geschäftsführerin Uschi Neuss, die mit Carsten Brosda und der Musikerin Alin Coen auf der Bühne über die Bedürfnisse der Kulturszene diskutiert. Seit 30. März liegen die Musical-Produktionen ihres Teams auf Eis, darum wünscht sie sich Unterstützung, bis wieder vor vollen Häusern gespielt werden kann. Alin Coen plädiert dagegen dafür, mehr Konzerte ins Freie zu verlegen, weil viele Fans Angst vor Indoor-Shows haben. Das will Carsten Brosda gerade in Hamburger Industriegebieten ermöglichen, wo sich keiner über die Lärmbelästigung beschwert.

Beim Reeperbahn Festival werden aber nicht bloß Perspektiven aufgezeigt, es soll vor allem der Nachwuchs gefördert werden. Zum Beispiel mit dem Musikpreis Anchor, den eine internationale Jury vergibt. Für ihn sind in diesem Jahr Eefje de Visser, Ätna, Tuvaband, Suzane und Arya Zappa nominiert. Bei ihren Konzerten werden lediglich drei der sechs Jury-Mitglieder im Publikum sitzen: die Musikerin Melanie C, der Moderator Markus Kavka und der Seeed-Sänger Frank Dellé. Der Produzent Tony Visconti, die Distillers-Frontfrau Brody Dalle und die Mastering-Koryphäe Darcy Proper müssen ihren Job aus der Ferne machen. „Wir sind eine Geheimgesellschaft, die sich alles auf einer großen Leinwand anschaut“, witzelt Visconti während einer Live-Schaltung nach New York.

Für Kultursenator und Reeperbahn-Festival-Förderer Carsten Brosda trifft die Textzeile des Songs „Afraid“ von Jason Isabell die Corona-Lage gut auf den Punkt: „,Be afraid, be very afraid, but do it anyway’. Wir“, so Brosda, „schätzen jetzt mehr, was wir haben und was wir zusammen erreichen können.“ © Fynn Freund
Für Kultursenator und Reeperbahn-Festival-Förderer Carsten Brosda trifft die Textzeile des Songs „Afraid“ von Jason Isabell die Corona-Lage gut auf den Punkt: „,Be afraid, be very afraid, but do it anyway’. Wir“, so Brosda, „schätzen jetzt mehr, was wir haben und was wir zusammen erreichen können.“ © Fynn Freund

Wieder ernster wird es, als ein Video-Interview eingespielt wird, das Jörg Thadeusz, der die Eröffnungsveranstaltung mit Hadnet Tesfai moderiert, vorab mit dem Musiker Jackson Browne geführt hat. Theoretisch sollte er derzeit in Deutschland Konzerte geben, eine Covid-19-Infektion setzte ihn außer Gefecht. Nun nutzt der Amerikaner die Zwangspause, um an den Songs für sein neues Album zu arbeiten, das nicht wie geplant im Oktober, sondern erst im Februar erscheinen wird. Und danach? Jackson Browne zuckt die Schultern: „Ich weiß nicht, ob meine Tour in einem Jahr wirklich möglich sein wird.“

Üppig produzierter Synthpop von Eefje de Visser, Singer-Songwriterin aus den Niederlanden, ist für den Nachwuchspreis „Anchor“ nominiert: Festivalauftritt im Nochtspeicher. © Buddenbohm
Üppig produzierter Synthpop von Eefje de Visser, Singer-Songwriterin aus den Niederlanden, ist für den Nachwuchspreis „Anchor“ nominiert: Festivalauftritt im Nochtspeicher. © Buddenbohm

So melancholisch soll der Eröffnungsabend natürlich nicht ausklingen. Deshalb spielt zum Abschluss Tina Dico, die das Partnerland Dänemark repräsentiert, eine Akustik-Version ihres Songs „Quarter to forever“. „Ich bin so dankbar, wieder Live-Musik machen zu können“, sagt sie. Dazu kriegt sie später bei ihrem einstündige Aufritt im Operettenhaus ein weiteres Mal die Chance. Da berührt sie ihre Fans mit Liedern wie „Whispers“ oder „Kids go where the Light“ ist – allerdings eher zurückhaltend interpretiert: „Ich wurde gebeten, niemanden zum Mitsingen oder Mittanzen zu animieren.“ Es gilt eben, die Hygiene- und Abstandsregeln konsequent einzuhalten. Corona-Konzertrealität 2020 – aber live. Dagmar Leischow

Corona-Konzerterlebnisse, bei denen die Hygiene- und Abstandsregeln konsequent eingehalten werden müssen: „Ich wurde gebeten, niemanden zum Mitsingen oder Mittanzen zu animieren.“ © Marvin Contessi
Corona-Konzerterlebnisse, bei denen die Hygiene- und Abstandsregeln konsequent eingehalten werden müssen: „Ich wurde gebeten, niemanden zum Mitsingen oder Mittanzen zu animieren.“ © Marvin Contessi
Der britische Singer-Songwriter Tom Gregory startete seine Karriere 2017 beim Reeperbahn Festival: Mehr als 100 Millionen Streams später feiert er nun den Release seines Debütalbums „Heaven In A World So Cold“, das im September erscheint. © Marvin Contessi
Der britische Singer-Songwriter Tom Gregory, hier auf der Village-Bühne auf dem Heiligengeistfeld, startete seine Karriere 2017 beim Reeperbahn Festival: Mehr als 100 Millionen Streams später feiert er nun den Release seines Debütalbums „Heaven In A World So Cold“, das im September erscheint. © Marvin Contessi

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