»Eigene Werte nicht verraten«

HCZ-Kolumnist Jan Ehlert in seiner 81. Kolumne „Literatur zur Lage“ über Attentate, Donald Trump und Werte

Jan Ehlert: Nur weil ein Künstler eine Meinung vertritt, die wir möglicherweise nicht teilen, heißt das also nicht, dass er kein guter Künstler ist. Und Irren ist bekanntlich menschlich, das wissen wir schon seit Cicero. © Privat
Jan Ehlert lebt in der HafenCity. Seine Passion sind Bücher. Er schreibt monatlich für die HafenCity Zeitung seine ­Kolumne »Literatur zur Lage«. © Privat

Sorgfältig hat der junge Mann dieses Attentat vorbereitet. Dass er handeln muss, davon ist er überzeugt. Denn der Präsidentschaftskandidat, den er heute ins Visier seines Gewehrs nehmen will, dieser Kandidat wird den Dritten Weltkrieg auslösen, davon ist er überzeugt. 
Foto oben: Das Attentat auf US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump von den Republikanern in Butler, Pennsylvania: ­Anstatt uns zu sehr auf ein „Dagegen“ zu konzentrieren, sollten wir lieber zeigen, wofür wir sind, und vorleben, dass ein menschliches, friedliches Zusammenleben möglich ist.© picture alliance / Anadolu | Trump Campaign Office / Handout

1979 veröffentlichte Stephen King mit „The Dead Zone“ diesen Roman über ein politisches Attentat. Johnny Smith, sein Protagonist, kann tatsächlich die Zukunft voraussehen: Die Wahl dieses Präsidenten, Greg Stillson mit Namen, wäre eine Katastrophe für die Menschheit. 

Nach dem gescheiterten Attentat auf Donald Trump gab es Stimmen, die mehr oder weniger deutlich mit dem Schützen sympathisierten. Doch anders als Johnny Smith verfügen wir nicht über das Wissen, was passieren wird. Auch Trumps erste Präsidentschaft ging vorüber, ohne dass der befürchtete Dritte Weltkrieg eintrat. Natürlich gibt es genug andere gute Gründe, sich zu wünschen, dass es nicht zu einer zweiten Amtszeit kommt. Aber rechtfertigt das einen politischen Mord?

Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Irène Nemirovsky, Albert Camus und Jean-Paul Sartre haben sich ausführlich mit dieser Frage beschäftigt und kommen zu einer klaren Antwort: Nein! Ihre potenziellen Attentäter sind dabei vor allem eines: Menschen, die zweifeln – und die sich genau dadurch von den Tyrannen unterscheiden. In Camus’ „Die Gerechten“ ist es Kaljajev, der es nicht über sich bringt, die Bombe auf den Großfürsten zu werfen. In Sartres „Die schmutzigen Hände“ zögert der gedungene Mörder Hugo, nachdem er sein Ziel, den Politiker Hoederer, kennenlernt – auch wenn er ahnt, dass dessen Pläne Hunderttausende Menschenleben bedrohen. Und auch in Friedrich Schillers berühmter Ballade „Die Bürgschaft“ bezwingt Damon den Tyrannen Dionys nicht dadurch, dass er ihn umbringt, sondern dass er ihm zeigt, was Solidarität und Menschlichkeit bedeuten: Dionys fühlt angesichts dieses Beweises der Freundschaft „ein menschliches Rühren“: „Ich sey, gewährt mir die Bitte / in eurem Bunde der dritte.“

Auf dieses „menschliche Rühren“ warten wir in der Realität leider oft vergeblich. Menschen an der Macht können grausam sein. Und doch sollten wir unsere eigenen Werte nicht verraten und uns erst recht nicht an einem versuchten Mord erfreuen. Anstatt uns zu sehr auf ein „Dagegen“ zu konzentrieren, sollten wir lieber zeigen, wofür wir sind, und vorleben, dass ein menschliches, friedliches Zusammenleben möglich ist. Wenn wir so schon nicht den Diktator erreichen, dann vielleicht wenigstens einige seiner Anhänger. Auch Stephen King lässt seinen Präsidentschaftskandidaten Stillson am Ende überleben. Gewählt wird er trotzdem nicht: Er entlarvt sich durch sein Handeln selbst. Die Entscheidung über seine Zukunft und damit die Zukunft seines Landes trifft –zum Glück – nicht der Attentäter, sondern die Wählerinnen und Wähler. Jan Ehlert

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