Konzert. HCZ-Autorin Dagmar Leischow sprach mit der Geigerin Eldbjørg Hemsing über ihr neues Album »Arctic«und warum sie mit Natur, Gesang und Violine aufwuchs
Idealerweise hätte dieses Interview in Bodo stattfinden müssen. Denn in der norwegischen Mini-Metropole am Polarkreis hat die Geigerin Eldbjørg Hemsing mit dem Arctic Philharmonic Orchestra ihr Album Arctic, das sie am 20. August in der Elbphilharmonie präsentiert, aufgenommen. „Dort wird es nie dunkel“, schwärmt sie. „Man fühlt sich auf eine sehr besondere Art energetisiert.“ Doch nun ist die Musikerin in der nordenglischen Stadt Newcastle und erzählt per Video-Call vom Projekt, mit dem sie eine musikalische Reise durch die vom Klimawandel extrem bedrohte Arktis macht – mit altbekannten Kompositionen, ebenso wie mit neuen Werken.
Foto oben: Geigerin Eldbjørg Hemsing: „Viele sehen diesen Landstrich als eine dunkle, nahezu unbewohnbare Region. Mit meinem Album möchte ich eine andere Seite zeigen – das Meditative, das Schöne.“ © Gregor Hohenberg
Im Zentrum steht die 20-minütige „Arctic Suite“ des amerikanischen Filmkomponisten Jacob Shea. Wer ihn nicht kennt: Er schrieb mit Hans Zimmer die Musik für die BBC-Dokumentation „Der blaue Planet“. Gewiss hat ihm diese Erfahrung die Arbeit an der sechsteiligen „Arctic Suite“ erleichtert, für die er arktische Naturphänomene vertonte. „Aurora“ etwa beschwört Polarlichter herauf, „Frozen Worlds“ Eiswelten. Eldbjørg Hemsings ganz persönlicher Lieblingspart heißt „Sunrise“: „Wenn ich diesen Teil spiele, kann ich tatsächlich fühlen, wie die Sonne aufgeht und mir das Gesicht wärmt.“
Entsprechend lieblich ist die Melodie. Selbst die Polarwinde kommen in „Polar Winds“ nicht allzu stürmisch daher, wenn zitternd die Violinentöne in der Luft hängenbleiben. „Für mich ist das Album organisch-melodisch“, urteiltEldbjørg Hemsing. „Ich habe mir einen malerisch-orchestralen Sound gewünscht. Genauso wollte ich allerdings die Klangfarben der Geige in den Mittelpunkt rücken.“ Das Ergebnis: Musik, deren Sanftheit zuweilen verblüfft. Schließlich gilt die Arktis nicht wenigen als raue, unwirtliche Landschaft. Die 35-Jährige nickt. „Viele sehen diesen Landstrich als eine dunkle, nahezu unbewohnbare Region“, resümiert sie. „Mit meinem Album möchte ich eine andere Seite zeigen – das Meditative, das Schöne.“

Dafür hat Eldbjorg HemsingSelim Palmgrens „Snowflakes“, Edvard Griegs „Last Spring“ oder Ole Bulls „La Melancolie“ ausgewählt, allesamt vom britischen Komponisten Ben Palmer neu arrangiert für Geige und Orchester. Während diese Werke wirklich einen unmittelbaren Bezug zur Arktis haben, sticht James Newton Howards „A Hidden Life“ heraus. Zumindest auf den ersten Blick. Diese Komposition gehört zum „Ein verborgenes Leben“-Soundtrack. Dieser Film spielt während des Nationalsozialismus in Österreich, also in einer vollkommen anderen Gegend – mit einer von der Arktis meilenweit entfernten Thematik. Eldbjørg Hemsingnickt. „A Hidden Life“ begreife sie eher als Metapher, sagt sie: „Auch in der Arktis gibt es verborgenes Leben, zum Beispiel unter den Eisbergen. Vieles davon ist noch gar nicht erforscht, wir können die Bedeutung dessen für das globale Ökosystem nur erahnen.“ Um eine Lanze für diesen schützenswerten Naturraum zu brechen, taucht Eldbjørg Hemsingsogar in die Musik der Samen ein. Sie sind ein indigenes Volk, beheimatet im nördlichen Skandinavien. Einer ihrer kulturellen Vertreter ist der Komponist Frode Fjellheim, er schrieb den Eröffnungssong für den Disney-Film „Die Eiskönigin“. Nicht ihm hat sich Eldbjørg Hemsing angenommen, sondern den Stücken „Under the Arctic Moon“ und „The Return of the Sun“. Beide schlagen einen Bogen zu den althergebrachten Liedern der Samen – den Joik. „The Return of the Sun“ hat überdies eine Gesangsmelodie. „Klassische Musiker glauben zunächst, in der Partitur einen 5/8 Takt auszumachen“, erläutert Eldbjørg Hemsing. „Das stimmt aber nicht. Man muss den Rhythmus fühlen.“
Sich der Folklore anzunähern, das fällt der im norwegischen Valdris geborenen Geigerin nicht allzu schwer. Denn schon als Fünfjährige begann Eldbjørg Hemsing, neben ihrer klassischen Violinenausbildung Hardangerfiedel zu spielen. Dieses neunsaitige Instrument ist eng verbunden mit der Volksmusik, an der die Musikerin, die mit sechs ihren ersten Auftritt vor der norwegischen Königsfamilie hatte und später in Wien studierte, vor allem die Vielseitigkeit schätzt. Ihre Mutter, eine Geigerin, habe ihr und ihren Geschwistern abends vor dem Einschlafen immer etwas vorgesungen, erinnert sie sich.
Ihre Liebe zur Natur weckte dagegen ihr Vater. Er war als Wissenschaftler für den Schutz eines Naturreservoirs zuständig: „Meine Geschwister und ich haben ihn oft in die Berge begleitet. Dadurch habe ich einen ungeheuren Respekt für die Natur entwickelt.“ Im Freien nahm Eldbjørg Hemsing das Rascheln der Blätter wahr, sie hörte dem Wind zu, manchmal genoss sie einfach die Stille. Schon während ihrer Kindheit in dem Dorf Aurdal, nördlich von Oslo gelegen, wurde sie sich der Einzigartigkeit all dessen bewusst, was die Natur hervorbringt: „Nichts ist identisch, jedes Blatt ist individuell.“ Genau darin liegt für Eldbjørg Hemsing eine Parallele zur Musik: „Auch jede Note hat ihre eigene Identität.“ Dagmar Leischow
Info Eldbjørg Hemsing tritt Mi., 20. August, 20 Uhr, im Großen Saal der Elbphilharmonie auf. Am So., 12. Oktober, 19.30 Uhr, gastiert sie im Kleinen Saal. Karten und weitere Informationen unter www.elbphilharmonie.de