Coaching. Die Lehrerin und Trainerin Jenny Rock aus der HafenCity arbeitet in Teilzeit und bietet Kurse für ein »Achtsames Selbstmitgefühl« an. Den November haben deutsche Vertreter:innen des MSC, Mindful Self-Compassion, zum »Monat des Achtsamen Selbstmitgefühls« ausgerufen
Der Mensch, mit dem wir in unserem Leben am meisten Zeit verbringen, ist: wir selbst! Da sollte man meinen, dass wir eine freundschaftliche Beziehung zu uns selbst pflegen und uns so begegnen, wie wir es bei einer uns wichtigen Person tun würden: zugewandt, verständnisvoll, unterstützend. Und das besonders in Zeiten, in denen es uns nicht gut geht. Die Realität sieht leider anders aus.
Foto oben: Was kann ein „Achtsames Selbstmitgefühl“ erreichen? Trainerin Jenny Rock: „Wir werden weniger von äußeren Turbulenzen herumgewirbelt und erleben uns innerlich stabiler. Nicht zu vergessen, dass Mitgefühl mit sich selbst die Basis ist für Mitgefühl mit anderen Lebewesen. Und davon kann die Welt hier und heute noch viel mehr gebrauchen.“ © Privat

Selbstmitgefühl: eine Fähigkeit, die im Chaos des Lebens helfen kann.
Unsere westliche Kultur ermuntert uns nicht gerade dazu, freundlich zu uns selbst zu sein, bedingt auch durch die vielen Fehlannahmen über Selbstmitgefühl: dass es egoistisch sei, Schwäche zu zeigen, das würde Selbstmitleid gleichen und unsere Motivation untergraben. All dies ist längst widerlegt. Studien belegen, dass Menschen mit höherem Selbstmitgefühl weniger unter Stress, Angst und Depressionen leiden. Es stärkt die psychische Widerstandsfähigkeit und wirkt sich positiv auf den Schlaf, das Immunsystem und das allgemeine Wohlbefinden aus. Nicht zuletzt ist Selbstmitgefühl die Voraussetzung dafür, auch anderen Menschen mit Mitgefühl begegnen zu können, und somit auch ein Mittel gegen zwischenmenschliche Feindlichkeit.
Selbstmitgefühl beschreibt eine freundliche, wohlwollende und weise Art, mit uns selbst umzugehen. Es ist eine innere Ressource, die geübt und weiterentwickelt werden kann. Neben der sanften Seite des Selbstmitgefühls gibt es auch die kraftvolle Seite, die uns dazu befähigt, uns selbst zu schützen, für Gerechtigkeit einzustehen, Grenzen zu ziehen, uns zu motivieren.
Eine Möglichkeit, diese in uns angelegte Fähigkeit aufzuwecken und zu üben, ist die Teilnahme an einem MSC-Kurs, des Vereins Mindful Self-Compassion – Achtsames Selbstmitgefühl. In diesem aus acht Sitzungen zu je circa 2,5 Stunden bestehenden Kurs werden die Teilnehmenden angeleitet, eigenverantwortlich emotionale Ressourcen zu entwickeln, um mit belastenden Emotionen im Alltag leichter umgehen zu können.
Es gibt angeleitete Meditationen und Übungen, edukative Inputs, Selbstreflexionen, strukturierten Austausch sowie Anregungen für die Integration in den Alltag. Der „Monat des Achtsamen Selbstmitgefühls“ bietet Interessierten die Möglichkeit für ein erstes Schnuppern. Die HafenCity Zeitung hat mit Jenny Rock, die in der HafenCity lebt und als Lehrerin in Teilzeit arbeitet sowie darüber hinaus Kurse zum Achtsamen Selbstmitgefühl anbietet, über dies wichtige Thema gesprochen. Spannende Gedanken über das Sich-selbst-ernst-Nehmen und das persönliche Wohl- oder Nichtwohlfühlen – auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen. Na, entdecken Sie eigene Gedanken oder Situationen wieder?
Frau Rock, im November 2025 findet der Monat des „Achtsamen Selbstmitgefühls“, initiiert zur Kultivierung von MSC, von Mindful Self-Compassion (Achtsames Selbstmitgefühl), mit Kursen und Workshops in Deutschland, Österreich und der Schweiz statt. Sie bieten selbst auch Kurse zum Achtsamen Selbstmitgefühl an. Was ist das Ziel?Für viele Menschen ist der November ein Monat, der die Stimmung eher drückt. Da kommt das sehr lebendige und freundliche Thema Achtsames Selbstmitgefühl gerade recht. Mit Info-Abenden, Workshops, Vorträgen wollen die Lehrenden MSC bekannter machen, konkrete Übungen vermitteln, Neugierde auf das Thema wecken. Der Großteil findet online statt, um möglichst vielen Interessierten eine Teilnahme zu ermöglichen.
Die beruflichen Krankenstände erhöhen sich zurzeit dramatisch, und das gefühlte Burn-out Einzelner ebenso. Sind wir auf dem Weg in die „weiche“ Gesellschaft? Nein, dieser Meinung bin ich auf keinen Fall. Vielmehr ist mein Eindruck, dass wir das „Weiche“ kaum noch zulassen. Wir leben in unsicheren Zeiten. Das bringt Gefühle von Sorge und Angst mit sich. Zudem fühlen sich sehr viele Menschen einsam und nicht zugehörig. Auch Selbstzweifel, Erschöpfung, Traurigkeit und Orientierungslosigkeit sind weit verbreitet. Sehr viele Menschen neigen dazu, in solchen Situationen hart mit sich zu sein, statt sich wohlwollend, verständnisvoll und mitfühlend zu begegnen.
Warum fehlt den Menschen die „natürliche“ Robustheit, eine gesunde individuelle Resilienz? Unsere Resilienz, also die Fähigkeit, flexibel und angemessen auf Veränderungen reagieren und auch unter widrigen Bedingungen und in Krisenzeiten wieder „aufstehen“ zu können, wird zunehmend gefordert. Zum Beispiel durch die Komplexität und kontinuierliche Beschleunigung unseres Lebens sowie die zunehmende Unsicherheit ist unser Nervensystem quasi permanent in einer Übererregung, also im Stress. Wenn uns keine oder unzureichende geeignete Bewältigungsstrategien zur Verfügung stehen, kann es in der Folge zu einer Beeinträchtigung des psychischen und physischen Wohlbefindens kommen.
Sie selbst arbeiten inzwischen in Teilzeit nach wie vor als Lehrerin und bieten darüber hinaus Kurse zum Achtsamen Selbstmitgefühl an. Was hat Sie auf die Idee gebracht, dass Menschen sich selbst gegenüber mitfühlender sein sollten? Diese Idee kommt ja nicht von mir. Während einer psychischen Krise bin ich erstmals in Kontakt mit Achtsamkeit gekommen. Eine „Dimension“ davon ist das Achtsame Selbstmitgefühl, die Fähigkeit, sich selbst die Fürsorge zu geben, die wir uns von einer Vertrauensperson wünschen würden. Statt mich innerlich dafür zu kritisieren, dass ich „nicht klarkomme“, im Widerstand gegenüber meinen Gefühlen zu sein und mich permanent anzutreiben, lernte ich, wie ich mir stattdessen selbst mit Akzeptanz, Verständnis und Freundlichkeit begegnen kann.

Ist mehr „Selbstmitgefühl“ nur Mode-Schnickschnack in der wachsenden Ego-Gesellschaft oder ein authentisches Sozialphänomen nach Corona? Ich würde sagen, es ist eine Haltung, die wir kultivieren können und die sehr unterstützend ist, sowohl für das Individuum wie auch für die Gesellschaft. Eine stabile, wohlwollende Beziehung zu sich selbst ist enorm wertvoll. Wir werden weniger von äußeren Turbulenzen herumgewirbelt und erleben uns innerlich stabiler. Nicht zu vergessen, dass Mitgefühl mit sich selbst die Basis ist für Mitgefühl mit anderen Lebewesen. Und davon kann die Welt hier und heute noch viel mehr gebrauchen.
In früheren Zeiten galt bei persönlichen Krisen häufig gerne das Motto: „Reiß dich mal zusammen!“ Warum funktioniert das nicht mehr? Für manche funktioniert das vermutlich auch heute noch – gesund ist es aber nicht. In schwierigen Zeiten, wenn wir scheitern und es im Leben drunter und drüber geht, sind die meisten Menschen mit sich eher streng und unerbittlich. Eine Einstellung, die alles oft viel schwieriger macht. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Menschen, die Achtsames Selbstmitgefühl praktizieren, fühlen sich emotional ausgeglichener und erlangen eine innere Stärke, die zum Beispiel dazu führen kann, sich Fehler einzugestehen, ohne sich zu verurteilen, von Bewertungen durch andere weniger abhängig zu sein, notwendige Veränderungen auf den Weg zu bringen.
Was ist für Sie Glück? Glück bedeutet für mich, mich mit mir selbst und meinen Mitmenschen – egal ob mir bekannte oder unbekannte – verbunden zu fühlen. Das gelingt, wenn ich einen wohlwollenden Blick habe, innere Beurteilungen zurückstelle, mir gewahr bin, dass wir alle das Bedürfnis haben, gesehen zu werden, glücklich und sicher zu sein. Wenn es mir gelingt, eine solche Haltung zu kultivieren, mich also über niemanden zu erheben und allen mit Akzeptanz zu begegnen, so sind Begegnungen (und seien sie noch so kurz) möglich, die mich wirklich glücklich machen.
Das Gespräch führte Wolfgang Timpe



