Dirigent Mariss Jansons († 76) und das BR-Symphonierchester am 30. Oktober 2019 im Großen Saal der Elbphilharmonie: Es gelingt nach jedem Höhepunkt, die Spannung zu halten – mithilfe der Streicher, die einen wunderbar widerborstigen Klangteppich auslegen. © Daniel Dittus
Gewaltiger Schalldruck

Noch am 30. Oktober schufen Dirigent Mariss Jansons († 76) und das BR-Symphonieorchester einen fulminanten Schostakowitsch-Abend

Die globale Klassikfamilie trauert um Mariss Jansons, den am 1. Dezember verstorbenen Chefdirigenten des BR-Symphonieorchesters, der noch am 30. Oktober einen begeisternden Konzertabend im Großen Saal der Elbphilharmonie feierte.
Foto oben: Dirigent Mariss Jansons († 76) und das BR-Symphonierchester am 30. Oktober 2019 im Großen Saal der Elbphilharmonie: Es gelingt nach jedem Höhepunkt, die Spannung zu halten – mithilfe der Streicher, die einen wunderbar widerborstigen Klangteppich auslegen. © Daniel Dittus

Ruhig und freundlich beginnt dieses Konzert, mit einem vielleicht allzu lieblichen Mozart. Doch nach der Pause nimmt es Fahrt auf, und wie – und der Saal wird fast zu klein für die musikalische Traumabewältigung des Dmitri Schostakowitsch, dargeboten von einem Weltklasse-Duo aus Dirigent und Orchester.
Lediglich zwei Werke werden an diesem Abend in der Elbphilharmonie gespielt. Doch viel größer könnte der Kontrast kaum sein: Hier Mozarts Klavierkonzert in harmonischer Meisterschaft, lebensbejahend, beschwingt und leicht wie ein Riesling Kabinett mit knackiger Säure in Gestalt des traurigen zweiten Satzes. Und dort das zweite Werk, Schostakowitschs Abrechnung mit Stalin, acht Jahre nach seiner letzten Sinfonie nun im Todesjahr des Diktators herausgekämpft in einer Mischung aus Trauma und Triumph.

Ein Satz wie ein Hieb mit der frisch geschärften Axt
Das ist eine ungeheure programmatische Spanne, zu der der mittlerweile 76 Jahre alte Maestro Mariss Jansons in seinen mehr als 40 Jahren auf dem Podium eine Gelassenheit entwickelt hat, die niemand mit Langeweile verwechseln sollte. Das zeigt sich im ersten Teil dieses Konzertabends noch nicht so recht, ein fröhlich sprudelnder Mozart ist das nicht wirklich. So überrascht es nicht, dass der langsame, traurige zweite Satz (Adagio) überzeugender gerät als der Kopf- und der Schlusssatz: Zart, entschleunigt und wohldosiert hingetupft, erreicht Pianist Rudolf Buchbinder hier mehr als bloß technische Meisterklasse, und die Holzbläser setzen die Akzente, die in diesem Satz für sie vorgesehen sind. 

Doch nun Kräfte sammeln für das – Verzeihung, Herr Mozart und Herr Buchbinder – Hauptprogramm des Abends: Dimitri Schostakowitschs 10. Sinfonie. Ebenso dunkel wie elegisch türmt sich die Musik im Moderato des ersten Satzes auf. Deutlich über 20 Minuten dauert er; Schostakowitsch nahm sich viel Zeit für die Exposition, lässt alle Instrumentengruppen Position beziehen, beginnend mit Celli und Kontrabässen. Aufschäumendes Tutti im Mittelteil wird wieder abgelöst von zerquält-dräuenden Figuren. Ein musikalisch perfekter Ausdruck der Zerrüttung.

Die Publikumsovationen spiegeln einen fulminanten Auftritt wider
Wie leicht könnte ein so langer, komplexer Satz aus den Fugen geraten, zerklüftet und fragmentiert erscheinen. Nicht so bei Dirigent Mariss Jansons und seinem ihm schon so lange verbundenen BR-Orchester. Ein ungeheurer Spannungsaufbau charakterisiert diesen Kopfsatz – und wenn dann im zweiten Satz das ebenso kurze wie scharfe Stalin-Porträt folgt, entlädt sich alles in stetig aufblitzenden Marschanklängen, von den Perkussionsinstrumenten schneidig unterlegt. Ein Satz wie ein Hieb mit der frisch geschärften Axt.

Im dritten und vierten Satz kämpft sich dann Schostakowitsch mit seinen musikalischen C-D-Es-H-Initialen immer wieder an die Oberfläche, um zwischenzeitlich wieder von den Stalinmotiven bedrängt zu werden, schließlich aber zu triumphieren. Schwer verwundet, aber siegreich. Das Orchester entwickelt einen enormen Schalldruck, man meint bisweilen gar, dass selbst der riesige Resonanzraum der Elbphilharmonie an diesem Abend zu klein ist – und nur wenige Takte weiter entsteht dann wieder eine fokussierte Intimität, wenn die einzelnen Instrumentengruppen oder die Solo-Parts den Zweifel und die Verwundungen zeigen. 

Immer wieder schaffen es Dirigent und Orchester, nach jedem zwischenzeitlichen Höhepunkt die Spannung zu halten und wieder neu aufzubauen. Oft gelingt dies mithilfe der Streicher, die einen wunderbar widerborstigen Teppich auslegen. Solistisch müssen die Holzbläser an diesem Abend besonders erwähnt werden, insbesondere das häufig bedrohlich knatternde Fagott. Und natürlich die Flöten – der Piccoloflöte obliegt es in diesem Werk schließlich gleich mehrfach, den Sätzen sozusagen ihr Leben auszuhauchen.

Es ist ein mitreißender Abend, mit einem Mozart als Anlaufspur mit sanftem Gefälle und einem Schostakowitsch als Teufelsritt auf der schwarzen Piste. Erneut versteht es Mariss Jansons, sich von brav und etwas trocken dramatisch zu steigern. Ganz ähnlich wie bei seinem Auftritt mit den Wiener Philharmonikern in der Elbphilharmonie im Juni mit seinem noch etwas verhaltenen Auftakt mit Schumanns Frühlingssinfonie, als er dann nach der Pause mit der Symphonie fantastique das Publikum zu orkanartigem Beifall mitriss. Die Ovationen spiegelten an diesem Abend den Triumph von Dirigent und Orchester nach einem fulminanten Auftritt wider.
Guido Marquardt für klassik-begeistert.de

Konzert: Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks; Mariss Jansons, Dirigent; Rudolf Buchbinder, Klavier; 30.10.2019; Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester A-Dur KV 488 und Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93

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