Klartext Volkwin Marg hat das Hamburger Stadtbild in seiner Architekten-Laufbahn mitgeprägt. Der 85-Jährige wirbt weiter für seine Visionen und kritisiert glasklar die vergangene Olympia-Bewerbung, das Westfield Hamburg-Überseequartier und den Elbtower
Herr Marg, Sie haben für Hamburg jüngst ein so prägendes Gebäude wie die S- und U-Bahnstation Elbbrücken gebaut. Sind Sie mit Ihrem Entwurf immer noch zufrieden? Ja. Dem damaligen Oberbaudirektor war es gelungen einen Umsteigebahnhof von U- zu S-Bahn aus einem Guss durchzusetzen. Diese Chance haben wir Architekten mit unseren Ingenieurfreunden Schlaich Bergermann + Partner als Aufforderung zu einem IngenieurKunstbauwerk verstanden. Das antwortet mit seiner expressiven Stahlkonstruktion auf die expressiven Elbbrücken, die den Geist des Ortes auf einzigartige Weise charakterisieren. Das Gesamtensemble ist als Inszenierung für diesen besonderen Ort gelungen und für jedermann selbstverständlich.
Foto oben: Architekt und Stadtplaner Volkwin Marg, (85) ist ein Mann der klaren Worte. Er kritisiert sowohl das Westfield Hamburg-Überseequartier wie auch die architektonische Entscheidung für den Elbtower. © Catrin-Anja Eichinger
International haben Sie mit Ihrem Partner Meinhard von Gerkan und Ihren Teams bei gmp Architekten von Gerkan Marg und Partner aufsehenerregende Projekte wie die städtebauliche Masterplanung für die chinesische Hafenstadt Luchao realisiert. Wie bewerten Sie städteplanerisch die HafenCity? Für die Hafenstadt Luchao, auf der Talula Rasa im Gelben Meer 60 Kilometer südlich von Shanghai, stand die Hamburger Binnen- und Außenalster städtebaulich Pate. Das Zentrum war der zentrale See für das öffentliche Gemeinwohl, um den herum sich die Trabantenstadt für 1,3 Millionen Bewohner:innen legt. Für die HafenCity Hamburg, beidseits von bebauten Fleeten und langen ehemaligen Hafenbecken, war das Bild von der wachsenden europäischen und vielfältigen Wohnstadt das städtebauliche Ziel. Die Wasserflächen für das Gemeinwohl brauchten hier nicht künstlich geschaffen, sondern nur samt der historischen Speicherstadt erhalten werden. Das hatte ich von vornherein durchgesetzt, und ein klug gemischter Städtebau hat auf den Landstreifen zwischen den Wassern eine sehr dichte urbane Bebauung realisiert, mit einer idealen Nutzungsmischung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Kultur – auf angenehme Art kleinmaßstäblich und vielgestaltig.
Ihre Bahnstation Elbbrücken wird letztendlich vor allem den Sprung über die Elbe auf den Grasbrook und die Veddel ermöglichen. Was hat in der HafenCity städteplanerisch nicht funktioniert und was können Grasbrook und die Nordbebauung der Veddel besser machen? Der Erfolg der HafenCity hatte die Hamburger Stadtplaner mit dem damaligen Oberbaudirektor Jörn Walter ermutigt, den Sprung über die Norderelbe bis nach Wilhelmsburg, Kirchdorf Süd und Harburg vorzuschlagen. Und die Hamburger Senate der Ersten Bürgermeister Ole von Beust und Olaf Scholz wollten das politisch durchsetzen. Die Olympiabewerbungen für 2012 und dann für 2016 und 2024 boten dafür einen phantastischen Anlass. Die noble und solidarische Bevorzugung des Nationalen Olympischen Komitees von Leipzig bei der 1. Bewerbung konnten alle fairerweise noch akzeptieren, der peinliche Abstimmungsverlust dieser städtebaulichen Vision nach dem Motto: „Feuer und Flamme“ war beschämend, kleinmütig und dumm. Es war grundfalsch, dass Olaf Scholz diese überflüssige Volksbefragung zu einer Provokation des Kleingeistes vornahm. An diesen negativen Folgen laborieren Stadtplaner und Senat bislang ohne wirklichen Erfolg noch immer herum. Aus dem städtebaulichen Sprung über die Elbe ist ein halbherziger Hüpfer in den Schlick des Moldauhafens geworden.
Sie haben zuletzt in einem Vortrag für die Patriotische Gesellschaft gesagt, dass die Planungen zur HafenCity halblegal gewesen sein sollen. Was meinen Sie damit und wie war das möglich? Halblegal geht nicht, aber siegeschah unter fast grenzwertiger Ausnutzung der Legalität, die der Bürgermeister und Notar Henning Voscherau und der HHLA Vorsitzende Peter Dietrich als meine Auftraggeber mit Zivilcourage und persönlichem Risiko in Kauf nahmen. Ohne Geheimhaltung der Planung wäre der Deal – der Hafen kriegt von der Stadt Altenwerder samt Infrastruktur, die Stadt kriegt vom Hafen alle Hafenflächen nördlich der Elbe für ihre Cityerweiterung – nicht gelungen. Diese politische Entschlossenheit ist auch heute möglich und sogar unverzichtbar, um nach dem gleichen Prinzip „do ut des“ die HHLA Grimaldi- und Edeka-Umschläge vom Hansahafen am Grasbrook in die brachliegenden mittleren Häfen im Bereich Steinwerder zu verlagern und dafür Platz für eine wachsende Stadt auf dem gesamten Grasbrook zu einem wirklichen Sprung über die Elbe zu machen. Die Zukunft wird zeigen, ob sich Stadt und Hafen hierfür zu gemeinsamem Handeln einigen und politische Solidarität miteinander aufbringen oder zum Schaden der Bürger weiter gegeneinander konkurrieren.
»Die überflüssige Volksbefragung nahm eine Provokation des Kleingeistes vor. An diesen negativen Folgen laborieren Stadtplaner und Senat noch immer herum. Aus dem städtebaulichen Sprung über die Elbe ist ein halbherziger Hüpfer in den Schlick des Moldauhafens geworden.«
Volkwin Marg über Hamburgs Olympiabewerbung
Was war die größte Fehlentscheidung in der HafenCity? Was die Chancen infolge der HafenCity betrifft, gilt das eben Gesagte. Was eine nicht mehr zu vermeidende Bebauung in deren Zentrum betrifft, gilt das für das völlig überdimensionierte Shoppingcenter hinsichtlich der Ladenflächen beim Passagierschiffterminal, die einerseits der sich entleerenden Innenstadt die Kunden abwerben und außerdem die HafenCity mit störendem Autoverkehr von auswärtigen Kunden belasten.
Herr Marg, Sie stehen bei gmp für erfolgreiche vorausschauende Städteentwicklung in Verbindung mit moderner autoarmer Mobilität, was Sie u.a. in Luchao realisiert haben. Warum tut man sich in der HafenCity, bei der Sie seinerzeit mitbeteiligt waren, so schwer damit? Für die Fahrräder werden sich schon noch Wege zulasten der Autospuren finden lassen, empfindlicher stören wird unerwünschter zusätzlicher Fremdverkehr von Autos, wie eben schon gesagt.
Sie haben in Hamburg und der Welt international beachtete Bauwerke wie u.a. das Hanseviertel oder den Flughafen in Hamburg, Stadien in Berlin, Brasilia, Köln, Frankfurt, Bukarest, Manaus, Kapstadt usw. oder den Berliner Hauptbahnhof oder die Nationalversammlung von Hanoi geschaffen. Welches Ihrer Werke erfüllt Sie mit besonderem Stolz und wo haben Sie besonders viel Herzblut investiert? Es geht uns wie mit dem Stolz von Eltern. Die unproblematischen Kinder lässt man mit Wohlgefallen ziehen, aber die problematischen kriegen die meiste Zuwendung, und wenn es dann schließlich doch gelingt, sie auf den richtigen Weg zu bringen, bewirkt so etwas echten Stolz und kitzelt nicht nur eigene Eitelkeit. Die Rettung der Fischauktionshalle Altona war so ein Fall oder auch die räumliche Fassung des Fischmarktes mit sozialem Wohnungsbau oder das zum Collegium Augustinum umgebaute ehemalige Union-Kühlhaus Neumühlen beim Oevelgönner Museumshafen, das eigentlich abgerissen werden sollte.
Für Ihre Pläne zur Olympiabewerbung 2024 hatten Sie mit ihrem Partner Nikolaus Goetze zusammen den Grasbrook als Stadt in der Stadt geplant und mussten nach dem negativen Volksentscheid der Hamburger 2015 die Pläne in die Tonne treten. Wie sehr schmerzt es den Architekten Marg, wenn seine Pläne nicht umgesetzt werden? Diesen Schmerz kann man gar nicht verwinden, ich will ihn auch nicht verdrängen, sondern ich agitiere für die politische und städtebauliche Korrektur der negativen Folgen dieses politischen Unfalls. Ich hoffe unverdrossen, dass Bürgerschaft und Senat die Notwendigkeit einer kooperativen Lösung zwischen Stadt und Hafen beschließen werden und bei dem laufenden Projekt der Bebauung des Überseezentrums und im noch operierenden Hafenbereich kein Geld in provisorische Investitionen verschwenden.
»Das gilt fürs völlig überdimensionierte Shoppingcenter hinsichtlich der Ladenflächen und beim Passagierschiff-Terminal, die einerseits der sich entleerenden Innenstadt die Kunden abwerben und außerdem die HafenCity mit störendem Autoverkehr von auswärtigen Kunden belasten.«
Volkwin Marg über das Westfield Hamburg-Überseequartier
Der Begriff „Stararchitekt“ wird inflationär verwendet. Mögen Sie den Begriff und wann und auf wen trifft er zu? Die Konsum-, Werbe- und Aufmerksamkeitsgesellschaft betreibt ein Star-Marketing, besonders in den Medien. Mir ist der Begriff persönlich peinlich, zumal Städtebau und Architektur letztlich Gemeinschaftsleistungen sind. Mögen sich solche Kollegen im Zeitgeist sonnen, die es für ihr selbstreferentielles Marketing brauchen, ich jedenfalls nicht. „Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, wird bald Witwer“, sagte der dänische Philosoph Sören Kierkegaard.
Prof. Dr. Ing.h.c. Volkwin Marg
wurde 1936 in Königsberg geboren, ist in Danzig aufgewachsen und nach der Flucht in Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern zur Schule gegangen. Als er von der SED nicht zum Studium zugelassen worden war, ging er nach West-Berlin, wo er an der TU Berlin seinen künftigen Büropartner Meinhard von Gerkan traf. Später wechselten beide an die TU Braunschweig. Als diplomierte Architekten angelten sie sich 1964 den Entwurf und Bau des Flughafens Tegel in Berlin, dessen Qualität bis heute zu seiner Stilllegung anno 2021 von Nutzern wie Kritikern bejubelt wurde. Mit seinen heute 85 Jahren und nach mehr als 350 ersten Preisen, die gmp Architekten von Gerkan Marg und Partner in internationalen Wettbewerben gewonnen hat, ist Volkwin Marg immer noch als Architekt und Städteplaner aktiv – u.a. in der HafenCity.
Architekten sind wie alle Menschen eitel, manche besonders. Wie kann es im größten deutschen Architekturbüro gmp seit Jahrzehnten zwei Stars geben, Sie und Meinhard von Gerkan? Meinhard und ich spielen seit Studentenzeiten entwurflich Duett, teilen seit über 50 Jahren unser Arbeitszimmer und spielen entwerfend inzwischen mit unseren Partnern im Quartett, Sextett, Oktett und zuweilen auch Big Band. Das demonstrieren wir auch so. Wenn das medial auf Solisten reduziert wird, ärgere ich mich.
Apropos. Wie sieht es eigentlich mit eifersüchtiger Kollegenschelte in der Branche aus? Können Sie sich davon frei machen? Eifersucht und Neid sind Teil kreatürlicher Genetik. Damit muss man, wie mit aller Natur, umzugehen lernen, sich aber davor hüten, selbst solchen Anwandlungen zu erliegen.
Architektur ist nach wie vor eine Männerdomäne. Laut Statista wächst der Frauenanteil stetig, liegt aber 2021 immer noch bei nur 36,6 Prozent Frauen. Warum ist das so und können Sie uns drei international bedeutende Architektinnen nennen, die wir kennen sollten? Stimmt, das war das Ergebnis natürlich bedingter Gesellschaftsverhältnisse von Jahrtausenden, bei denen sich nur die royale, feudale oder kapitalistische Machtelite Ausnahmen vorbehalten konnte. Heute verschieben sich diese sozio-ökonomischen Verhältnisse von Grund auf, auch das Geschlechterverhältnis. Das spiegelt auch unser Büro; von über 500 Mitarbeiter:innen weltweit sind inzwischen Frauen in der Mehrheit, und ihr Anteil wächst – auch stetiger in der Führungsebene. Viele unserer ehemaligen Mitarbeiterinnen führen in Hamburg und anderswo ihre eigenen Büros, die Hafenpromenade vor der Cap San Diego hat das Büro der irakischen Architektin Zaha Hadid gebaut.
»Der Elbtower als eigentümlicher Leuchtturm ist städtebaulich zwar folgerichtig, aber architektonisch hat er leider mit dem Geist dieses Ortes oder gar Hamburg nichts im Sinn. Er wirkt ubiquitär und könnte auch irgendwo in Dubai oder Shanghai stehen. Ich vermute, Stadtvater Olaf wollte nach den Erfahrungen mit der Elbphilharmonie für Hammonia einen solventen Brautwerber für eine gute Partie aussuchen. Und den vielversprechendsten hat er dann mit seiner folgsamen Jury gewählt und daraufhin seine architektonische Mitgift auch schön gefunden.«
Volkwin Marg über den Elbtower
In der östlichen HafenCity wird immer verdichteter und enger gebaut wie zum Beispiel im Baakenhafen oder auch dem künftigen Elbbrücken-Quartier. Wie viel architektonische Kompromisse vertragen grüne Stadtplanung und Städtebau für mehr Lebensqualität? Die Dichte am Baakenhafen ist städtebaulich grenzwertig, aber deswegen noch erträglich, weil die Enge im reizvollen Gegensatz zur Weite der Hafenbecken und des Elbstroms stehen. Nicht nur akzeptabel, sondern vorbildlich empfinde ich die Parks und Grünanlagen in der HafenCity, die nicht nach, sondern schon vor der Wohnbebauung fertig sind.
Schönheit und Ästhetik liegen immer im Auge des Betrachters. Bitte mal Butter bei die Fische: Wie gefällt Ihnen der Elbtower und ist er für Sie wie für Ex-Oberbaudirektor Jörn Walter ein gelungener städtebaulicher Abschluss der HafenCity? Den Eingang zur Stadt von Süden haben seit jeher die Elbbrücken wie ein Stahlgewitter markiert. Zusätzlich hatte ich in meiner HafenCity-Expertise von 1995 zu deren bisherigen Portalwirkung einen oder zwei Türme als Eingangssignal zwischen Straßen und Gleis-Trassen geplant. Dass daraus der Elbtower als eigentümlicher Leuchtturm entstand, ist städtebaulich zwar folgerichtig, aber architektonisch hat er leider mit dem Geist dieses Ortes oder gar Hamburg nichts im Sinn. Er wirkt ubiquitär und könnte auch irgendwo in Dubai oder Shanghai stehen. Ich vermute, Stadtvater Olaf wollte nach den Erfahrungen mit der Elbphilharmonie für Hammonia einen solventen Brautwerber für eine gute Partie aussuchen. Und den vielversprechendsten hat er dann mit seiner folgsamen Jury gewählt und daraufhin seine architektonische Mitgift auch schön gefunden.
Die Fragen stellten Matthias Schinck und Wolfgang Timpe