Greenwashing, oder was?

Naturschutzräume. Der Bau des Dokumentationszentrums am Ericusgraben vernichtet Naturräume und grüne Erholungs­flächen, die ausgeglichen werden müssen. Die Pläne der Stadt dazu werfen Fragen auf – an die verantwortliche Behörde BSW

Ja, es ist gut, dass das lange geplante Dokumentationszentrum am Ericusgraben im nördlichen Lohsepark demnächst gebaut wird. Und ja, dafür müssen über Jahre neu gewachsene urbane Natur wie der Tideröhricht (Schilf) am Ufer des Ericusgrabens und Grünflächen und Bäume weichen. Das passiert in einer wachsenden Stadt. Für solche Fälle hat sich Hamburg jedoch selbst Pflichten auferlegt, für „naturschutzrechtliche Ausgleichsflächen“ etwa für den Schilf und für „Kompensatio­nen“ u. a. durch neu gepflanzte Bäume und neue Grünflächen zu sorgen. 
Foto oben: Der HafenCity-Tideröhricht (Schilf) am Ericusgraben verschwindet durch den Bau des Dokumentationszentrums und ­soll auf dem künftigen Stadtteil Grasbrook auf 105 Quadratmetern seinen Tide-tauglichen Uferschilf-Ausgleich finden. © Wolfgang Timpe

Dieser Pflicht will man bei der verantwortlichen Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) zwar grundsätzlich nachkommen, jedoch nimmt man lokal naheliegende Lösungen bis heute nicht wahr: Etwa die direkte Nachbarfläche des Dokumentationszentrums als „Kompensation“ für gefällte Bäume und weggefallene Grünflächen sowie das dortige Ufer für die Neuansiedlung des Tideröhrichts in der HafenCity zu nutzen. Man weicht auf den künftigen neuen Stadtteil Grasbrook aus. 

André Stark, Pressesprecher der Behörde für Stadtplanung und Wohnen (BSW): „In der HafenCity hat durch das Umwandeln ehemals versiegelter und in Teilen sogar kontaminierter Flächen sowie durch das Renaturieren stein- und stahlbewährter Kaianlagen, die Natur hier überhaupt erst wieder Raum erhalten. Im gesamten öffentlichen Raum der HafenCity sind allein fast 2.000 Bäume neu hinzugekommen. Insgesamt entstehen rund elf Hektar öffentliche Grünflächen, ein Gebiet, so groß wie 16 Fußballfelder.“ © Felix Amsel

André Stark, Pressesprecher der BSW: „Grundsätzlich ist es aus naturschutzfachlicher Sicht immer wertvoller, Ausgleichsflächen in größere, zusammenhängende Flächen zu integrieren, als einzelne kleine Flächen zu kultivieren. Da die Freiraumplanung auf dem Grasbrook in Teilbereichen der Uferlinien tidebeeinflusste Böschungen mit ufernaher Vegetation und Tideröhricht (Schilf) vorsieht, dienen diese Vegetationsflächen auch der Ausgleichsbilanzierung für den Grasbrook und die HafenCity. Dieses Vorgehen wurde mit den Plangenehmigungsbehörden so abgestimmt.“ 

Und warum wird in der HafenCity neu versiegelt, ohne dass man vor Ort in direkter Nachbarschaft befindliche Flächen in der HafenCity für neue Grünflächen und Bäume, für grüne Naherholung sorgt und fürs Schilf nicht das Ericusgrabenufer 100 Meter weiter? Stark:: „Die Fläche ist vor einigen Jahren angelegt worden und bleibt größtenteils in ihrer Grundstruktur als Naturraum erhalten. Aufgrund der fortgeschrittenen städtebaulichen Entwicklung finden sich in der HafenCity selbst keine geeigneten Standorte für den Ausgleich einer Tideröhrichtläche, da hierzu bestehende Kaiwände abgebrochen und als tidebeeinflusste Uferböschungen modifiziert werden müssten.“ 

Also bedeutet das Narrativ „Ausgleichsbilanzierung“ eben doch, dass man nicht in der HafenCity Ausgleich schafft, sondern es dort anrechnet, eben „bilanziert“, wo eh tideabhängiges Uferschilf geplant ist. Nein, das ist kein Greenwashing, duftet aber schon eher nach einer Verwaltungsschönrechnerei als nach einer echten naturschutzrechtlichen Ausgleichsfläche im Quartier. Von den künftigen Schilfbiotopen auf dem Grasbrook (frühestens 2025/26) haben die Anwohner:innen der HafenCity und ihr biodiverses Binnenklima im Quartier erstmal nichts. Der Schilf und seine Ufervegetation werden faktisch weg sein. 

Ganz grundsätzlich merkt BSW-Sprecher Stark noch an, dass besonders kleinteilige Natur-Ausgleichsdebatten gerne auch mal den Blick fürs schon Erreichte vernachlässigen. André Stark: „Die HafenCity ist ein Konversionsprojekt, bei dem ehemals industriell genutzte Hafenflächen zu einem urbanen Stadtquartier umgestaltet werden. Grundsätzlich ist somit meinen Antworten vorangestellt, dass in der HafenCity innerhalb von gut drei Jahrzehnten aus einem ehemals reinen Arbeitshafen lebendige mischgenutzte Stadträume mit komplett neuen Promenaden, Grünflächen und Parkbereiche entstehen. Durch dieses Umwandeln ehemals versiegelter und in Teilen sogar kontaminierter Flächen sowie durch das Renaturieren stein- und stahlbewährter Kaianlagen, hat die Natur hier überhaupt erst wieder Raum erhalten. Bis heute sind dadurch im gesamten öffentlichen Raum der HafenCity allein fast 2.000 Bäume neu hinzugekommen. Insgesamt entstehen rund elf Hektar öffentliche Grünflächen, ein Gebiet, so groß wie 16 Fußballfelder.“

 Dem ist nicht zu widersprechen. Es sollte jedoch im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass das schon reiche für die grüne nachhaltige Großstadt. Der Hinweis auf ehemals versiegelte oder kontaminierte Flächen befreit ja nicht vom besseren Tun. Sonst könnte man ja auch sagen, dass die Umwandlung der ehemals komplett kontaminierten Fläche des Hamburger Gaswerks auf dem Grund des heutigen südlichen Überseequartiers sei schon so ein Fortschritt, dass man nicht mehr zusätzlich vor Ort was tun müsse.

Diese Art  der „Ausgleichsbilanzierung“ hinkt dann doch und zum Glück nutzt Überseequartier-Investor Unibail-Rodamco-Westfield jeden Winkel seiner riesigen Dach- und ungenutzten Freiflächen für biodiverse Bewirtschaftung – vor Ort, in der HafenCity. Denn eins ist auch eine neue Experten-Wahrheit aus dem biodiversen Dialogverfahren zur grünen HafenCity: Viele kleine biodiverse Schritte wirken, es muss innerstädtisch nicht immer die große zusammenhängende Ökofläche sein. Wolfgang Timpe

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