HafenCity: »Sie bleibt wohl der ewige ­Neuzugang in der Clique!«

HafenCity Inside. Der HCZ-Kolumnist Antonio Fabrizi, Inhaber des Club 20457, über Stadtteil-Klischees und sein ­Heimatquartier

In Hamburg verrät der Stadtteil oft mehr über dich als dein Jobtitel. Ein einziger Straßenname entscheidet über Nicken, Neid oder Naserümpfen. Wer hier wohnt, lebt nicht nur in einer Wohnung – er lebt in einem Klischee.
Foto oben: Und die HafenCity? Sie bleibt wohl der ewige Neuzugang in der Clique – ein bisschen zu perfekt, ein bisschen zu umstritten und doch längst Teil der Geschichte. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass ernsthaft darüber geredet wird, das ZDF-Silvester-Spektakel in die HafenCity zu holen? © Agnes Fitek

Kaum eine Frage ist in Hamburg so aufgeladen wie diese: „Wo wohnst du?“ Die Antwort entscheidet, ob die Reaktion ein anerkennendes Lächeln oder ein skeptisches Stirnrunzeln ist. Stadtteile sind Identität, Statussymbol und Projektionsfläche zugleich – und wir alle neigen zu einem gewissen Schubladendenken.

Seit Jahren ertappe ich mich immer wieder dabei, meinen Stadtteil verteidigen zu müssen. Vorurteile über Wohnorte kenne ich schon seit meiner Geburt: Wer in Gummersbach groß wird, sagt lieber „Nähe Köln“. Im Rheinland zählt penibel, auf welcher Rheinseite man lebt. In Berlin fragt dich selbst der Taxifahrer noch, ob die Fahrt nach Ost- oder Westberlin geht.

Antonio & Henri. „Die HafenCity ist familienfreundlich und überraschend durchmischt. 27 Prozent aller Haushalte hier haben Kinder – deutlich mehr als im Hamburger Schnitt.“ © Agnes Fitek

So ähnlich funktioniert es auch in Hamburg. „Ottensen – kreativ und lebendig.“ „St. Pauli – laut, unverwechselbar.“ „Winterhude – grün und elegant.“ „Blankenese – reich, gediegen und ein bisschen abgehoben.“ „Schanze – alternativ, laut und voller Nachtleben.“ „Eppendorf – fein, traditionsbewusst und gleichzeitig modern.“ Schon diese spontanen Etiketten zeigen, wie fest die Klischees sitzen.

Hamburg hat 104 Stadtteile in sieben Bezirken mit rund 1,9 Millionen Einwohnern. Die Bevölkerungsdichte reicht von locker in Kirchwerder bis eng gedrängt in St. Georg mit über 13.000 Menschen pro Quadratkilometer. Dazwischen passt alles – vom mondänen Eppendorf bis zum bodenständigen Langenhorn.

Besonders heiß diskutiert bleibt die HafenCity. Klischees besagen, sie sei steril, seelenlos und ein reines Investorenpflaster. Die Realität sieht anders aus: Die HafenCity ist familienfreundlich und überraschend durchmischt. 27 Prozent aller Haushalte hier haben Kinder – deutlich mehr als im Hamburger Schnitt. Es gibt Kitas, Grundschulen, drei große Parks und jede Menge autofreie Spielflächen. Auch beim Wohnen ist das Bild differenzierter: Ende 2024 waren 26,5 Prozent aller Wohnungen gefördert, also weit über dem Hamburger Durchschnitt. Im Quartier Baakenhafen liegt der Anteil sogar bei 40 Prozent. HafenCity ist also vielfältiger, als ihr Ruf vermuten lässt.

Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein. Es gibt Lärmbeschwerden über Hafenbetrieb, Verkehr oder Touristenströme. Auch das Westfield-Einkaufszentrum gilt vielen als überdimensioniert. Die jahrelang stillgelegte und sich dann mühselig entwickelnde Baustelle wird plötzlich romantisiert – als ob die damalige Aussicht auf ein riesiges, mit Wasser vollgelaufenes Bauloch auf einmal eine ansprechende Ästhetik hatte. Dennoch handelt es sich dabei eher um Stimmen einer Minderheit. Die Mehrheit der Bewohner:innen lebt hier ausgesprochen gerne und schätzt die Mischung aus moderner Architektur, Wasserlagen, Parks und urbanem Leben.

Was mich persönlich mehr stört, ist der deutsche Bürokratismus: Die Mühlen mahlen langsam, und oft setzt die Logik aus. Typisch dafür ist, dass die HafenCity sogar ihre eigene Behörde hat – die HafenCity Hamburg GmbH. Sie ist eine städtische Entwicklungsgesellschaft, zuständig für Planung, Vermarktung und Umsetzung der Quartiersprojekte. Sie koordiniert Bauprojekte, steuert die Flächenentwicklung, sorgt für Infrastrukturen und verkörpert damit all die Chancen – und die Schwerfälligkeit! – deutscher Verwaltungskultur.

Aus meiner eigenen Erfahrung als Gastronom zeigt sich zudem: In der gesamten bisherigen HafenCity existieren kaum geeignete Gastroflächen, die nach 22 Uhr betrieben werden dürfen. Für ein lebendiges Nachtleben ist das ein echtes Defizit. 

Auch Gemeinschaftshäuser werden gerne eröffnet – wer dafür zahlt, ist klar geregelt, doch der tatsächliche Mehrwert für die Nachbarschaft bleibt bis heute unklar. Ähnlich verhält es sich mit der Kultur: Sie wird regelmäßig als Aushängeschild genannt, doch die Frage, wo genau sie eigentlich stattfindet, bleibt oft unbeantwortet. Hinzu kommt, dass Arbeitsgruppen, Netzwerke und Bürgerforen zwar gerne ins Leben gerufen werden, die Beteiligten am Ende jedoch nicht selten vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

Ein spezielles Beispiel ist der Oberhafen, der als Kreativquartier gilt. Theoretisch ein Juwel für Künstler:innen und Kreative: viel Raum, spannende Infrastruktur, eine besondere Atmosphäre und keine direkten Nachbarn, die sich an Lärm stören könnten. In der Praxis jedoch zeigt sich auch hier ein Problem: Die Vergabe der Flächen wirkt willkürlich. Ein idealer Platz für Ideen verliert dadurch an Transparenz – und auch an Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus bin ich der festen Überzeugung: Kreativität entsteht nicht am Reißbrett oder auf einer bunten Folie! 

Am Ende sind Hamburgs Stadtteile wie Charaktere in einem Roman: die laute Rampensau, die feine Dame, das kreative Multitalent. Und die HafenCity? Sie bleibt wohl der ewige Neuzugang in der Clique – ein bisschen zu perfekt, ein bisschen zu umstritten und doch längst Teil der Geschichte. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass ernsthaft darüber geredet wird, das ZDF-Silvester-Spektakel in die HafenCity zu holen? Antonio Fabrizi

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In der kommenden Ausgabe der HafenCity Zeitung: Club 20457 vor dem Aus? Schließen, weitermachen oder mit Vermieter weiter ver­handeln? – In der Dezember-HCZ steht voraussichtlich, wie es wirklich weitergeht.

Antonio Fabrizi mit seinem Lebensbegleiter Henri: „In der gesamten bisherigen HafenCity existieren kaum geeignete Gastroflächen, die nach 22 Uhr betrieben werden dürfen. Für ein lebendiges Nachtleben ist das ein echtes Defizit.“ © Agnes Fitek

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