„Da die HafenCity extrem durchgeplant ist, leidet sie darunter, dass ihr zurzeit subversive Kiez-Orte fehlen.“ © Wolfgang Timpe
»Ich finde das Verrückte toll«

Arne Platzbecker sitzt für den Wahlkreis 1, u.a. St. Pauli, Innenstadt und HafenCity, in der Bürgerschaft. Der SPD-Kümmerer über Sorgen, Subkultur und Überseequartier

Herr Platzbecker, Sie sind seit Februar 2020 Abgeordneter der SPD Hamburg-Mitte in der Bürgerschaft. Welches sind Ihre Kernthemen, um die Sie sich für die neun Stadtteile von HafenCity über St. Pauli bis nach Horn kümmern? Auf parlamentarischer Ebene sind das die Themen Wirtschaft, Justiz und Datenschutz, für die ich auch in den jeweiligen Ausschüssen der Bürgerschaft arbeite. Mein persönliches Hauptthema als Abgeordneter sind aber die Menschen, die mit ihren Anliegen zu mir kommen und für die ich dann Lösungen finden möchte. Zurzeit bekommen wir in der Pandemie täglich bis zu 20 Anfragen per E-Mail oder Anruf. Dabei geht es meist um wichtige Alltagsdinge wie Mietstundungen, Insolvenzen oder auch um quietschende Busreifen an den erhöhten Bordsteinen einer Ersatz-Bushaltestelle in der Steinstraße, die die Anwohner auf die Palme bringen und wo ich mich beim HVV und der Verkehrsbehörde für eine Lösung einsetze. 
Foto oben: „Da die HafenCity extrem durchgeplant ist, leidet sie darunter, dass ihr zurzeit subversive Kiez-Orte fehlen.“ © Wolfgang Timpe

Also ist das Leben ganz nah? Ja! Und genau das mache ich auch gerne. So bin ich der festen Überzeugung, dass Das-Gespräch-suchen und Zuzuhören eine der wichtigsten Aufgaben im politischen Prozess sind. So bin ich neben dem Justiz- auch im Wirtschaftsausschuss und dort u.a. als Fachsprecher für den Tourismus mit zuständig, da ich als innerstädtischer Abgeordneter für die touristischen Highlights mit verantwortlich bin. Gerade in der sehr diversen Tourismuswirtschaft sind aktuell sehr viele Menschen von den Einschränkungen schwer getroffen. Hier gilt es für mich, den Dialog mit den Menschen aus verschiedensten Branchen zu suchen und deren Erfahrungen und Sorgen in möglichst nachhaltige politische Lösungen für die gesamte Stadt zu übersetzen. 

Das Westfield Hamburg-Überseequartier benötigt noch praktikable Lösungen für die An- und Einbindung des Quartiers zum Überseeboulevard sowie zur Altstadt. Man muss noch stärker vom Shoppingerlebnis weg hin zum Event- und Kulturerlebnis kommen. Das begleite ich skeptisch positiv die kommenden Monate.“ Bürgerschaftsabgeordneter Arne Platzbecker, SPD

Showroom: Das neue südliche Erlebnis-Einkaufszentrum Westfield Hamburg-Überseequartier bietet 240.000 Quadratmeter Einzelhandels-, Kulutr- und Entertainementflächen. © Thomas Hampel
Showroom Westfield Hamburg-Überseequartier: Das neue südliche Erlebnis-Einkaufszentrum, ein „Mixes-Use-Quartier, bietet 240.000 Quadratmeter Einzelhandels-, Kultur- und Entertainementflächen. © Thomas Hampel

Wir leben seit einem Jahr in der Pandemie. Was wollen Sie in den kommenden vier Jahren in der Bürgerschaft noch bewegen? Erst einmal möchte ich, dass wir alle mit so wenig Verlusten an Menschenleben und an wirtschaftlicher Kraft wie möglich aus der Pandemie herauskommen. Unser und mein vordringliches Ziel ist im Moment, in den von mir vertretenen neun Stadtteilen so vielen Menschen wie möglich dabei zu helfen, ihre Existenzen zu sichern und Insolvenzen zu vermeiden. Das gelingt nicht immer. Wir werden Unternehmen in der Innenstadt und der HafenCity verlieren, das gab es auch schon vor der Pandemie. Zugleich zeigt uns die Pandemie aber auch sehr deutlich, wo wir strukturelle Defizite haben. Das bedeutet, dass wir auch nach vorne schauen müssen, wo und wie wir mit neuen Ideen und Konzepten wieder neues Leben in die Innenstadt und die HafenCity, die für mich zur Innenstadt gehört, bringen. Im Alltagsleben geht es häufig immer wieder um Kinderspielplätze, Sportgeräte oder den Zustand öffentlicher Plätze in den Stadtteilen, die wichtigen alltäglichen Dinge halt. 

Sie verstehen sich als Kummerkasten. Was war die kurioseste und die unverschämteste Bitte, die bislang an Sie herangetragen wurde? Das Unverschämteste war der Wunsch eines gesunden 40-Jährigen, dem ich einen Impftermin besorgen sollte. Das emotionalste war, dass wir einem Rollstuhlfahrer mit nur einem Bein auf St. Pauli mit Unterstützung ganz unkompliziert einen elektrischen Rollstuhl besorgen konnten, auf den er aufgrund eines Schlaganfalls angewiesen ist, um im Stadtgebiet mobil zu sein. 

VITA – Arne Platzbecker ist nach dem Abitur von seiner Heimatstadt Dresden nach Hamburg gezogen, wo er 1991 im Krankenhaus von St. Georg seinen Zivildienst begann. Anschließend studierte Platzbecker Rechtswissenschaften in Hamburg, schloss mit dem 2. Juristischen Staatsexamen ab und arbeitet seit 2002 als Anwalt und seit mehr als zehn Jahren als Datenschutzbeauftragter unter anderem für den FC St. Pauli. Der 48-Jährige lebt seit mehr als 25 Jahren in Hamburg Mitte, zuerst in Horn und nunmehr seit 20 Jahren auf St. Pauli. Bei der Bürgerschaftswahl im Februar 2020 wurde Arne Platzbecker für den Wahlkreis 1 – Hamburg-Mitte für die SPD, in der er seit 30 Jahren Mitglied ist, erstmals in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt. Die mehr als 140.000 Einwohner:innen in neun Stadtteilen bilden für Platzbecker das „Herz Hamburgs“ – mit den Stadtteilen St. Pauli, Neu- und Altstadt, St. Georg, HafenCity, Hammerbrook, Borgfelde, Hamm und Horn. Arne Platzbecker ist verheiratet mit Juan Carlos.

Erschrecken Sie manchmal, wie klein die Sorgen von Menschen sein können und wie viel Aufwand es kostet, die positiv aufzulösen? Nein, ich erschrecke mich überhaupt nicht. Ich lebe privat seit über 20 Jahren auf St. Pauli und da überrascht mich das Leben und der Alltag eher selten. Außerdem bin ich St. Paulianer, im Stadtteil verwurzelt und finde das Verrückte toll. Mein Bruder arbeitet und lebt als Universitätsprofessor für Medizin in Leipzig und sah jüngst eine Arte-Reportage über St. Pauli und beneidete mich, dass ich einem Stadtteil lebe, „wo so viele verrückte und liebenswürdige Menschen leben“. Das empfinde ich genauso. Und, was mich immer wieder neu begeistert: Man hält auf St. Pauli in der Nachbarschaft sensationell zusammen. 

Sie sind u.a. für Tourismus und Kultur verantwortlich. Wie wollen Sie den extrem notleidenden Gastronom:innen, Eventmanager:innen und Kulturschaffenden jenseits der holpernden Förderprogramme wieder auf die Beine helfen? Wir müssen ganz schnell die Zahl der Neuinfektionen senken, um so die Vorrausetzungen für eine Öffnungsperspektive zu schaffen, und das Ganze auflagentechnisch so vorbereiten, dass dann auch sofort losgelegt werden kann. Da sind wir mit den zuständigen Behörden sowie mit dem Club- und dem Barkombinat gerade dabei, eine Schnittstelle einzurichten, die Kompetenzen für alle Fragen wie etwa zu Hygiene-Konzepten, Covid-19-Nachverfolgung der Gäste, Finanzierungsfragen etc. bündelt. Dort soll es auch um Genehmigungen gehen, weil man ja mit den Auslegungen und unzähligen Veränderungen der Eindämmungsverordnung inzwischen selbst als Politiker und Jurist verrückt wird. Das versteht man oft als Unternehmer:in nicht. Da soll eine Schnittstelle mit festen Ansprechpartner:innen für die einzelnen Betriebe Abhilfe schaffen. 

Es gibt einen menschlichen Ansprechpartner, den man anrufen oder dem man eine Mail schicken kann? Das ist mein Anspruch, den wir derzeit im Arbeitskreis Wirtschaft mit den Behörden umsetzen wollen. Das ist eigentlich schon zu spät. Aber es muss jetzt sein. Wir müssen direkter und persönlicher unterstützen, um gemeinsam aus der Pandemie zu kommen.

Das ewige Auf-und-Zu der Betriebe hat die Gastronomen und Kulturschaffenden zermürbt und wütend gemacht. Woher soll die verlässliche Öffnungsperspektive kommen? Da haben Sie Recht, aber wir kommen bei allem Tun nicht darum herum, auf Sicht zu fahren, weil wir nicht wissen, wie sich die Infektionszahlen entwickeln. Es ist niemandem geholfen, Versprechen auf Öffnungen abzugeben, die sich dann aufgrund der aktuellen Lage nicht umsetzen lassen. Im Gegenteil, das sorgt eher für noch mehr Frustration und wirtschaftliche Nachteile. Bislang haben die Lockdowns aber nicht nachhaltig genug gewirkt und die neuen Varianten des Coronavirus haben auch in Hamburg die Zahlen weiter hochgetrieben. Wir wissen zurzeit nicht präzise genug, wo sich Menschen anstecken. 
Was die Politik nach einem Jahr Pandemie leisten muss, sind verlässliche Aussagen, unter welchen Rahmenbedingungen was erlaubt ist. So bin ich dafür, wenn wir hoffentlich bald drei Tage unter einer Inzidenz von 100 sein sollten, die Außengastronomie wieder zu öffnen. Zugleich sollten Getestete und Geimpfte so weit es geht von Einschränkungen ausgenommen werden und ihre Grundrechte ausüben können. Das kann aber nur funktionieren, wenn wir niedrige Inzidenzwerte haben und neue Infektionscluster schnell aufspüren und nachverfolgen können. Das aber ist meine persönliche Auffassung, die durchaus in der Fraktion abweichen kann. 

Arne Platzbecker: „Der Oberhafen sollte viel stärker Teil einer HafenCity-Identität sein. Die HafenCity braucht mehr Raum für alternative Kreativität, und die vor allem dann auch als HafenCity-Kultur wahrgenommen wird.“ © Privat
Arne Platzbecker: „Der Oberhafen sollte viel stärker Teil einer HafenCity-Identität sein. Die HafenCity braucht mehr Raum für alternative Kreativität, und die vor allem dann auch als HafenCity-Kultur wahrgenommen wird.“ © Privat

Haut Ihnen der Erste Bürgermeister und Lockdown-Verfechter Peter Tschentscher dann auf die Finger? Ja. Er sagt, dass jetzt keine Zeit für Lockerungen ist. Aber ich als Wirtschaftspolitiker bin auch ein Interessenvertreter der Hamburger Wirtschaft und in dem Rahmen dazu angehalten, die Öffnungsperspektive nicht aus dem Blick zu verlieren. 

Wann wird die Pandemie wirtschaftlich überstanden sein? Da bin ich leider pessimistisch: Wir werden längere Nachwehen haben, weil einige das nicht schaffen werden und uns die Folgen der Pandemie noch lange beschäftigen werden. So glaube ich, dass wir nicht vor 2023/24 in die Vor-Corona-Liga zurückkehren werden. 

Das ist für Soloselbstständige und Kleinunternehmer keine Perspektive. Ja. Wir haben als SPD gesagt, dass keiner in Hamburg seinen Job oder seine Existenz durch die Pandemie verlieren darf. Diese Aussage ging davon aus, dass wir die Pandemie innerhalb eines Jahres bewältigt haben könnten. Das ist nicht eingetreten und deshalb war das leider Wunschdenken. Wir waren seinerzeit zu optimistisch und müssen jetzt schauen, dass wir bei den Hilfen nachbessern und den Unternehmer:innen, so gut es irgendwie geht, helfen und unter die Arme zu greifen. Ein wesentlicher Baustein dafür sind in meinen Augen Innovationscluster, die Branchen helfen, sich beim Neustart neu aufzustellen. Neustarthilfe wird mindestens genauso wichtig sein wie die Corona-Hilfen. 

Als SPD sind sie programmatisch für die „Kleinen Leute“ da. Machen Sie dazu auch öffentliche Beteiligungen, bei denen sich direkt ausgetauscht werden kann? Die gibt es doch schon durch die aktiven Stadtteil-Beiräte in den einzelnen Quartieren wie auf St. Pauli, in St. Georg und der Neustadt oder auch das Netzwerk HafenCity, wo ich jüngst eingeladen war.

In den Stadtteilbeiräten stehen eher soziale Themen im Zentrum, nicht Existenzthemen. Das stimmt sicher, aber man muss auch mal festhalten, dass die Beteiligung von Unternehmer:innen dort deutlich stärker sein könnte. Jede Bürgerin und jeder Bürger dorthin kommen, um offen über alle ihn drängenden Themen zu diskutieren. Ich biete auch jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr meine Bürgersprechstunde an, wo mich jeder anrufen kann. Ich habe nur eine Handynummer, die auch auf meiner Internetseite und meiner Visitenkarte steht. Jeder kann mich jederzeit erreichen. Gehe ich nicht ran, bin ich im anderen Gespräch. Ab 7.30 bis 22 Uhr bin ich erreichbar, danach gehe ich in der Regel schlafen. 

Was macht Ihnen Spaß an der Politik? Dass man wirklich etwas bewegen und Ideen mit anderen zusammen entwickeln kann. Mit Menschen, die einfach dafür brennen, unsere Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Ich mag es, konkrete Projekte umzusetzen. Wie ich es zurzeit mit der Modernisierung der veralteten Schwimmhalle neben dem Millerntorstadion versuche. Dort fehlte das Geld für eine Sanierung. Meine Aufgabe ist es dann, andere Partner mit ins Boot zu holen und zu überlegen, wie man das wuppen kann. So habe ich dann Gespräche mit dem Bäderland und dem FC St. Pauli geführt und wir haben gemeinsam überlegt, ob daraus zusätzlich vielleicht auch eine Sporthalle werden kann. Man versucht immer etwas zu bewegen. Mal im Großen wie bei der Schwimmhalle oder sich im Kleinen um einen Rollstuhl für einen Obdachlosen zu kümmern. 

Was ist für Sie das wichtigste Projekt in der HafenCity? Da gibt es viele. Aber ein sehr wichtiges Projekt ist die Tunnelverbindung zwischen Uni, Lohsepark und Baakenhafenquartier zum Oberhafen unter der Bahn durch. Da die HafenCity extrem durchgeplant ist, leidet sie darunter, dass ihr subversive Orte wie auf dem St. Pauli-Kiez, im Schanzenviertel oder in St. Georg fehlen. Deshalb ist die direkte Fußgänger- und Fahrradverbindung zum eher unkonventionellen Oberhafenquartier enorm wichtig. Der Oberhafen sollte viel stärker Teil einer HafenCity-Identität sein. Die HafenCity braucht mehr Raum für alternative Kreativität, und die vor allem dann auch als HafenCity-Kultur wahrgenommen wird.

Die HafenCity ist im Immobilien-Höhenflug. Auf dem Strandkai kostet inzwischen der Quadratmeter einer Eigentumswohnung etwa im „The Crown“ durchschnittlich 17.700 Euro. Und von den 75 Wohnungen waren 70 nach vier Wochen verkauft. Geht es Hamburg zu gut? Das Problem ist ja nicht, dass sich die Hamburger die Wohnungen kaufen, sondern häufig internationale Investoren.

Im Fall vom Luxushochhausturm „The Crown Strandkai“ stimmt das laut Vermarkter DC Developments nicht. Knapp 90 Prozent der Wohnungen seien von Käufern aus Hamburg und dem Umland erworben worden. Das freut mich. Aber ein Thema bleibt: Verschärft durch die Pandemie, geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Wir haben in Hamburg inzwischen Stadtteile mit einer hohen Quote an Menschen, die auf Sozialleistungen nach SGB II angewiesen sind und eben auch Stadtteile wie die HafenCity, wo ein Quadratmeter mehr kostet, als jemand im Jahr verdient. Gegen diese soziale Spaltung müssen wir mehr tun. Deshalb ist es in einigen Stadtteilen extrem wichtig, öffentliche Einrichtungen zur Daseinsfürsorge zu stärken und auszubauen, so brauchen wir in der HafenCity vielleicht eine Stärkung alternativer Projekte. Es kann nicht immer nur um Immobilienpreise gehen. 

Unter Peter Tschentscher hat die SPD-Wohnungsbaupolitik den Drittelmix aus Eigentumswohnungen, freien und geförderten Mietwohnungen wie auch Baugemeinschafts- und Genossenschaftswohnungen intensiviert. So auch auf dem Strandkai. Ist das nur Alibi oder hilft es dem preiswerteren Wohnen von 11 bis 16 Euro pro Mietquadratmeter? Natürlich hilft das. Wenn wir den Drittelmix nicht durchsetzen würden, hätten wir nur Höchstgebotsverfahren und in der HafenCity ausschließlich Luxuseigentumswohnungen. Das ist schon klug durchdacht. Ob in der Spitze bei 16 Euro pro Quadratmeter noch von sozialem Wohnen die Rede sein kann, wenn etwa eine Altenpflegerin oder ein Krankenpfleger mit rund 2.800 Euro brutto und womöglich noch alleinerziehend zurechtkommen muss, erscheint mir fraglich. Es gilt, was viele monieren: Das Bauen ist heute viel zu teuer geworden! Stadtteile mit hoher Lebensqualität brauchen Durchmischung und wir werden hartnäckig weiter auf den Drittelmix im Wohnungsbau achten. 

Um Bauspekulanten zurückzudrängen, vergibt Hamburg immer öfter Grundstücke nur noch in Erbbaurecht. Das bremst zwar Immobilienspekulanten aus, behindert aber auch die Bildung von Baugenossenschaften und -gemeinschaften durch deutlich schwierigere Finanzierungen bei Kreditinstituten. Wie sozial ist der Wohnungsbau noch? Sozialer Wohnungsbau ist eine staatliche kommunale Aufgabe. So verpflichten wir inzwischen die SAGA nicht nur, Sozialwohnungen zu bauen, sondern die soziale Mietpreisbindung deutlich zu verlängern von 15 auf bis zu 20 oder 30 Jahre und auch nicht mehr den eigenen Bestand durch Verkauf zu reduzieren. Wien macht es vor. Wir brauchen mehr Wohnungen im kommunalen Bestand und wir müssen mehr Leuten Zugang zu Wohnungen in Eigentum verschaffen. Eine von uns angedachte Lösung wäre, zu versuchen, ob man die Grunderwerbssteuer beim Wohneigentumserwerb nicht durch eine „Grundverkaufssteuer“ ersetzen kann. 

Was ist der Unterschied? Wir wollen für mehr Menschen die Möglichkeit schaffen, Eigentum zu erwerben. Nicht nur für große Investoren. Gerade im Immobiliensektor geht die Schere zwischen Arm und Reich extrem auseinander. Die rund 20 Prozent der Erwerbs- und Grundkosten zur Eigenfinanzierung von Wohneigentum könnte künftig zum Großteil der Verkäufer und nicht der Käufer tragen. 

Treibt das nicht die Preise in die Höhe? Nein. So würde man den Käufer von Immobilien um 4,5 Prozent Nebenkosten wie der Grunderwerbssteuer entlasten. Das wäre, nachdem wir die Maklerkosten gedeckelt haben, ein weiterer Schritt dazu, dass der Erwerb von Wohneigentum preiswerter wird.

Auf Wunsch von Initiativen und Anliegern sollte es viel mehr Freiflächen in der HafenCity geben, deren Nutzung die Bürger:innen selbst bestimmen und entwickeln können. Warum hat die SPD so wenig Zutrauen zu den Menschen, dass lebendiges selbstorganisiertes Stadtteilleben funktioniert? Das ist eine schwierige Frage, weil dann immer wieder entschieden werden muss, wer für wen entscheidet, was eine „gute Nutzung“ einer Freifläche ist. Wo gibt es Konzepte für gut genutzte Freiflächen in Selbstverwaltung?

Immer wieder stehen Initiativen wie etwa Kick’n’Plant mit dem Bolzplatz im Lohsepark vor dem Ende oder der Rückbau von Baumscheiben, die die Stadtplaner oder der Bezirk versiegelt haben, kosten private Anwohner viele hundert Euro. Engagierte Anwohner:innen, Eltern und Kinder verstehen das nicht. Ich finde, dass das spannende Stadtteilthemen für ein lebendiges Quartier sind. Ehrlicherweise werde ich mich mal damit und mit schon vorhandenen Projekten intensiver beschäftigen, um bessere Lösungen zu finden. Es muss nur immer Verantwortliche geben, die sich verbindlich kümmern. Das steht heute schon fest. 

Die gibt’s in der HafenCity und im Netzwerk HafenCity mit den Mitgliedern. Ich kann mir dazu einen Ideen-Workshop in der HafenCity vorstellen, zu dem wir neben Interessierten auch Fachleute aus der Stadtentwicklung einladen, um zu erarbeiten, welche Art von Freiflächen für welche Nutzungen denkbar und sinnvoll sind. 

Das Netzwerk sammelt zurzeit Unterschriften für einen „Wilden Ort“, an dem keine vordefinierten Aktivitäten und Stadtplanungsideen umgesetzt werden sollen, sondern Anwohner:innen und Initiativen aus dem Stadtteil die Nutzungen entwickeln. Unterstützen sie das? Superidee. Mit wilden Orten beschäftige ich mich gerne. 

Der Mobilitätswende­senator Anjes Tjarks von den Grünen strebt für die HafenCity mittelfristig den Rückbau vierspuriger Straßen wie auch Tempo 30 an. Sind Sie dabei? Ich bin absolut dabei. Wenn man sich auf geoportal-hamburg.de das anschaut, dann sieht man, dass die HafenCity von Tempo-30-Zonen – mit Ausnahme der Magistralen – umgeben ist, und selbst hat die HafenCity nur einen Tempo-30-Bereich vor der Katharinenschule. Das muss geändert werden. 

Das Westfield Hamburg-Überseequartier ist das Infrastruktur-Großprojekt der HafenCity, das 2023 eröffnen will. Wie finden Sie das Konzept als Erlebnis- und Einkaufscenter? Vor Corona hatte ich die Einschätzung, dass das in Verbindung mit dem Kreuzfahrtboom und der Erweiterung eines Shoppingcenters um Erlebniscenter-Ideen wie Kino etc. funktionieren kann. Überzeugend fand ich, dass man Hamburger:innen, Menschen aus dem Umland und Touristen ansprechen wollte. Heute sehe ich ein großes Risiko: Die Innenstadt hat gravierende Probleme mit großen Verkaufsflächen und der Onlinehandel legt weiter rasant zu. Große Einzelhandelsflächen sind nicht mehr zeitgemäß. Es braucht neue Konzepte fürs Westfield Hamburg-Überseequartier, wie man dieses Riesenareal bespielt, so dass es nicht von Beginn an durch Leerstände geprägt ist. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen von Unibail-Rodamco-Westfield das noch hinbekommen. Dringend benötigt werden hier zudem noch praktikable Lösungen für die An- und Einbindung des Quartiers zum Überseeboulevard sowie der Altstadt. Man muss meines Erachtens noch stärker vom Shoppingerlebnis weg hin zum Event- und Kulturerlebnis kommen. Das begleite ich skeptisch positiv die kommenden Monate. 

Sie sind verwurzelter St. Pauli-Bewohner. Was hat der Kiez, was die HafenCity nie bekommen wird? Einen sensationellen Fußballverein.

Was müsste die HafenCity Ihnen bieten, damit Sie umziehen? Mir fehlt noch die Urbanität. Wenn ich die Wohnung verlasse, möchte ich, dass mich das lebendige Leben meines Stadtteils erfasst. Das fehlt mir aktuell noch zu sehr, als dass ich die HafenCity komplett als meinen Kiez erlebe. Öffentliche Orte, wo sich Nachbarn begegnen, und auch Clubs und Außen­gastronomie fehlen mir derzeit noch zu sehr. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass sich das in den kommenden Jahren noch deutlich ändern wird. 

Was machen Sie, wenn die Pandemie vorbei ist? In die Elbphilharmonie gehen. Ich will ein klassisches Konzert besuchen, möchte klatschen und vor Begeisterung laut „Bravo“ schreien. Das Gespräch führte Wolfgang Timpe

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