Die Musikerin, Sängerin und Malerin Larissa Kerner präsentiert vom 6. Mai bis 9. Juni in der Galerie Nissis Kunstkantine ihre jüngsten Werke
Frau Kerner, Sie malen schrill, bunt und pop-artig in einem Comic-ähnlichen Stil. Wie haben Sie Ihren malerische Linie gefunden? Interessant. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon eine Linie habe. Meine Bilder sind alle komplette Einzelstücke. Ich mag es plakativ und knallig. Und ich mag es, wenn man ein Bild anschaut und erst einmal alles klar ist, man dann aber beim Betrachten Neues und Anderes entdeckt. Keine Ahnung, wie ich meine Linie gefunden habe. Es ist einfach so passiert. Als ich angefangen habe, habe ich sofort Selbstporträts gemalt. Ich bin meine Vorlage. Das heißt nicht, dass mich andere Menschen nicht interessieren. Ich benutze mich einfach als Medium, um zu kommunizieren und einen Ausdruck zu schaffen. Dazu habe ich einen direkten Bezug. Aber ich habe keine Regeln, auch nicht in meinen Farben.
Foto oben: Multi-Material-Künstlerin Larissa Kerner in ihrem Zuhause-Atelier in Hamburg-Rahlstedt mit ihren liebsten Arbeitswerkstoffen wie Leinwand, Acryl-Farben, Spraydosen und Gaffer-Tape-Bändern: „Die Vibes in Rothenburgsort sind ganz anders als in der HafenCity, der die Seele fehlt. Die Häuserwände erzählen keine Geschichten.“ © Sarah Rechbauer
Wann haben Sie das erste Mal empfunden: „Jetzt habe ich ein Bild gemalt“? Mein erstes Bild hängt bei meiner Mutter. Das hat sie sich gleich gekauft (lacht). Als ich frische junge Mutter war – meine Tochter war anderthalb Jahre – habe ich mir zuhause ein Zimmer als Atelier eingerichtet und mein erstes Bild gemalt. Da war ich 21, das war vor zehn Jahren – wow!
Sie malen viele Selbstporträts. Ist die künstlerische Arbeit für Sie auch eine Selbstvergewisserung: Wer bin ich? Das würde ich so nicht sagen. Meine Kunst ist nicht dafür da, dass ich mich über sie definiere oder mich an ihr festhalten kann oder sie mich daran erinnert, wer ich bin. Gleichzeitig bin ich im ewigen Prozess mit mir und habe Spaß an mir selbst mit meiner Kunst, egal ob es die Malerei oder Musik ist. Dass ich male, ist etwas völlig Natürliches in meinem Leben. Es passiert ganz viel gleichzeitig, immer schon. Und klar, finde ich mich in meiner Kunst und in den Gesichtern, die ich male, auch wieder. Aber ich sehe nicht mich in den Selbstporträts und habe deshalb auch nicht das Gefühl, nur von mir umgeben zu sein wie in einem Spiegelkabinett. Ich sehe darin Frauen.
»Ich glaube, für jede gute Emanzipation ist es wichtig zu rebellieren, sich dann wieder zu beruhigen und zu erkennen, dass man einfach ein eigenes Wesen ist.«
Sie freuen sich, dass mit Ihren Werken etwas von Ihnen „in die Welt“ hinausgeht. Was meinen Sie damit? Alles, was ich tue und anfasse, hat ja meine Energie. Auch meine Bilder, die in einem intimen Prozess mit mir selbst entstanden sind und mit denen ich viel Zeit verbringe. Wenn eins fertig ist, bringe ich etwas von meinem Geist in die Welt hinaus. Ich leiste damit einen Beitrag. Das macht mir Spaß.
Neben der Malerei machen Sie auch Musik. Was ist wichtiger für Sie? Für mich gibt es keine Unterschiede. Ich mache nichts nur ein bisschen oder halb. Beides ist für mich ein wichtiger Ausdruck meiner selbst, meiner Kreativität und meines künstlerischen Daseins.
Als 31-Jährige sind Sie mit Ihren Bildern schnell bekannt geworden und sie verkaufen sich gut. Bedeutet es Ihnen etwas, dass Ihre Bilder auf dem Kunstmarkt einen Wert haben? Der Kunstmarkt ist ja auch einechtes Verbrechen, weil er zum Teil nichts mehr mit Kunst zu tun hat. Da geht es um viel Geld, Macht und Irrationalität. Dass das Handwerk – und früher sprach man nicht von Kunst, sondern von Handwerk – seinen Preis und seinen Wert hat, finde ich etwas ganz Tolles. Und ich freue mich total, dass meine Musik nicht den Druck hat, meine Miete bezahlen zu müssen, ich das aber mit meiner Malerei langsam kann. Das ist für mich ein Riesengeschenk, auch weil ich sehr früh aus diesem System ausgebrochen bin, die Schule abgebrochen habe und heute nicht gut aufgestellt wäre in einem Büro. Insofern bin ich darauf angewiesen, dass das, was ich kann und mit dem ich mich verwirklichen kann, auch läuft. Deshalb freue ich mich, dass meine Kunst auf dem Kunstmarkt wächst.
VITA – Larissa Kerner ist Singer-Songwriterin und Malerin und empfindet sich als spirituell geprägt. Die 31-Jährige erblickt im April 1990 mit ihrem Zwillingsbruder Sakias die Welt. Ihre Eltern sind der Schauspieler Benedict Freitag und Gabriele Susanne Kerner, Nena („99 Luftballons“). Durch die Künstlerkarriere ihrer Mutter wächst sie von klein auf mit Gitarrenklängen und jeder Menge Singen, Tanzen und Musik machen auf. Mit 15 Jahren fängt sie ihre eigene Musiklaufbahn an, tritt mit Mutter Nena u.a. in der Castingshow „The Voice Kids“ als Coach-Duo für Nachwuchskünstler:innen im Fernsehen auf (u.a. 2018 mit Mark Foster und Max Giesinger). Sie gründet mit ihrer Freundin Marie Suberg das Pop-Art-Label „Adameva“. Parallel verfolgt Larissa Kerner auch ihren malerischen Weg mit Acrylfarben und ihren geliebten Gaffer-Tapes und geht inzwischen seit einigen Jahren ihren Soloweg als Malerin. Nach Ausstellungen in Deutschland, u.a. in Nissis Kunstkantine am Dalmannkai in der HafenCity, zurzeit auch in in der Frisco Art Gallery in Frisco, Texas. Larissa Kerner und ihr Partner, Fotograf und Künstler Janick Zebrowski, leben zusammen. Sie hat zwei Kinder, Victor Ephraim Vincent Madu (7) und Carla Maria Galactica (11).
Empfinden Sie sich schon als berühmt? Aufgrund meiner Herkunft habe ich auf jeden Fall einen Bekanntheitsgrad. Ich habe väterlicherseits eine sehr berühmte Großmutter und Urgroßmutter in Sachen Theater und Schauspiel. Und mütterlicherseits ist es bekanntermaßen die Musik. Ich bin insofern mit einem bekannten Namen aufgewachsen. Um so schöner ist es, dass sich mit meiner Kunst, der Malerei, etwas Eigenes entwickelt hat, das Stück für Stück wächst. Aber ich würde mich in der Kunstszene noch nicht als bekannt bezeichnen.
Ihre Galeristin zitiert Sie mit „Eine Lied ist wie eine Leinwand, eine Leinwand wie ein Lied.“ Ist das eine Hommage an Ihre Mutter Nena oder an Ihre eigene Sängerinnen-Leidenschaft? Ich weiß nicht, wann ich das mal gesagt habe (lacht). Gemeint habe ich damit, dass es keine Unterschiede gibt und beide eine Dramaturgie haben mit einen Spannungsbogen, der dann wieder abebbt. Am Ende soll es wie ein schöner Klang in Erinnerung bleiben. So baue ich auch meine Bilder auf. Es ist aber keine Strategie, es ist einfach so.
Würden Sie sagen: Malen ist Emotion? Auf jeden Fall, allerdings gibt es auch Sachen, die man völlig emotionslos einfach machen muss. Ich arbeite zum Beispiel mit Gaffer-Tape und da muss ich manchmal stundenlang reißen und kleben, dabei habe ich jetzt nicht unbedingt starke Gefühlsausbrüche (lacht).
Sie haben mal gesagt, dass in Ihren Bildern „Mut und Freiheit, Liebe und Zuneigung“ steckt. Wo verstecken sich die Schattenseiten des Lebens? Wenn ich nicht weitermachen kann. Manchmal müssen Bilder sehr lange auf mich warten, weil ich blockiert bin oder weil dann so viel los ist in meinem Leben, auch emotional, dass ich nicht in der Lage bin zu malen.
Ist dann Musik ein Ventil? Ja, deshalb ist auch wichtig, dass ich mehrere Sachen gleichzeitig mache. Aber am besten kann ich arbeiten, wenn ich wirklich frei bin. Bei mir ist es nicht so, dass ich die besten Songs schreibe, wenn es mir schlecht geht, sondern wenn ich alles andere loslassen kann.
Für mich zeigt sich, gerade in Ihren Selbstbildnissen eine farbenfrohe Melancholie. Würden Sie dem zustimmen? Spannend, dass Sie das sagen! Sie sind einer der Ersten, der das anspricht und das freut mich, weil es tatsächlich auch stimmt. Mich hat es immer schon beschäftigt, dass das Leben süß und schön ist, aber auch seine Tiefen und seinen Schmerz hat, und dass wir das miteinander teilen sollten. Es hat mich schon als junges Mädchen immer an Menschen interessiert, was sie in ihrem Innersten bewegt. Deshalb bin ich kein Traurigkeits-Junkie, ich fühle mich mit den Menschen so einfach verbunden.
Es fielen schon öfter die Worte Seele, Energie und Sie haben von Ihrem Sternzeichen Widder gesprochen. Sind Sie esoterisch? Ich mag die esoterische Szene nicht. Ich bin bodenständiger, aber ich bin sehr spirituell. Das ist auch so ein Riesenwort, aber für mich gibt es nicht nur die dreidimensionale, sondern auch die fünfdimensionale Welt. Es gibt für mich Wesen, die uns umgeben und die mit uns kommunizieren. Es gibt für mich definitiv die Schöpfung, ein komplexes wunderschönes Universum und nicht nur das, was ich sehen und anfassen kann. Ich bin sehr christlich aufgewachsen, die Botschaft der Selbstliebe und Nächstenliebe wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Das ist mein Licht und Leitfaden im Leben, wenn ich mich lost und getrennt fühle. Deshalb bin ich nie wirklich verloren.
Was hängt bei Ihnen Zuhause in Rahlstedt an der Wand? Viel Kunst von meinen Kindern, zwei sehr schöne Fotografien von Jim Rakete und Kunst von meinem Freund, der auch Künstler ist. Gerade wird meine Wohnung zum Atelier, weil ich kein richtiges habe. Aber ich bin nicht jemand, der zuhause seine eigenen Bilder aufhängt.
Sie hatten ein Atelier in Rothenburgsort, einem alten Arbeiter- und Industrieviertel. Jetzt stellen Sie in Nissis Kunstkantine in der HafenCity aus. Was passt besser zu Ihnen? Für mich gibt es da keine Wertung, aber es macht was mit dir, wenn du in einem Arbeiterviertel bist, das sind besondere Vibes. Die HafenCity gibt es noch nicht so lange und ihr fehlt einfach die Seele. Die Wände erzählen noch keine Geschichten. Am Anfang war es echt eine tote leere Geisterstadt. Man sieht ja auch keine Menschen in den Häusern, weil alles verglast ist. Es ist wirklich nicht leicht, eine Sympathie für die HafenCity aufzubauen, weil du keinen Kontakt kriegst. Aber durch Nissi habe ich hier schon schöne Sachen erlebt und ich würde mich freuen, wenn die Gebäude mehr aufmachen für Künstler, die Plätze zum Arbeiten suchen. Es braucht einfach mehr Ateliers. Die HafenCity hat echt Potenzial, aber wenn sie sich nicht öffnet, hat sie keine Chance lebendig zu werden.
Haben Sie malerische Vorbilder? Ich sehe immer wieder tolle neue Sachen, aber mich berührt alte Malerei, zum Beispiel von Caspar David Friedrich, van Gogh oder Monet. Die inspirieren mich irgendwie. Geil finde ich auch den New Yorker Künstler Jean-Michael Basquiat. Und ich bewundere Frida Kahlo, die Art und Weise ihrer Selbstporträts spiegeln so viel wider aus ihrer Lebensgeschichte. Eine Vielfalt an Emotionen und Erfahrungen. Mut, Liebe, Leben und Tod sowie Glück und Schmerz, das alles findet in ihren Selbstporträts Ausdruck. Das begeistert und berührt mich.
Wissen Sie eigentlich, wer Ihre Bilder kauft? Nein, aber ich würde es gern wissen. Und ich würde mich freuen, wenn meine Bilder bei jemandem neben anderen tollen Bildern hängen würden, der etwas von Kunst versteht und Kunst sammelt. Aber es berührt mich auch schon die Vorstellung, dass ich bei jemandem mit meinen Bild Teil des Lebens und Alltags werde.
Noch eine unvermeidliche Frage. Wie emanzipiert man sich von so einer omnipräsenten, ewig jungen Kultsängerin und Mutter Nena? Die Frage ist doch: Wie emanzipiert man sich überhaupt von einer starken Mutter (lacht). Jeder, der eine starke Mutter hat, kennt ja diesen Prozess. Und ich hatte nicht nur eine starke Mutter, sondern auch eine starke Großmutter, also nur starke Frauen. Ich glaube, für jede gute Emanzipation ist es wichtig zu rebellieren, sich dann wieder zu beruhigen und zu erkennen, dass man einfach ein eigenes Wesen ist. Wir haben ganz viel mitbekommen von unseren Eltern, aber es ist wie bei den Schneeflocken: keine einzige gleicht der anderen und so ist es auch bei uns Menschen. Also können wir uns entspannen. Wir müssen nicht um unsere Individualität kämpfen, wir haben sie schon.
Wie erleben Sie die Pandemie und was erwarten Sie vom Jahr 2021? Ich spüre, das alles, was mich ablenken könnte, gerade wegfällt. Das finde ich cool, weil ich mich auf mich konzentrieren kann und auf das, was ich wirklich will. Gleichzeitig sehe ich das, was hier abläuft, als ein riesengroßes Verbrechen an, es ist eine neue Machtverteilung. Den Künstlern wird der Beruf genommen, den Barleuten auf St. Pauli, den Galerien. Uns wird der Boden unter den Füßen weggerissen und am Ende sollen wir im Impfzentrum arbeiten, weil da das Geld ist und wir keinen Job mehr haben. Wer das als Künstler nicht checkt, schläft aus meiner Sicht, sorry. Trotzdem glaube ich, dass alles immer auch eine Chance ist.
Annalena Baerbock ist Kanzlerkandidatin der Grünen. Bedeutet es Ihnen etwas, dass eine Frau und junge Mutter in Ihrem Alter diesen Schritt macht? Ich bin kein Fan von Parteien – weder von den Grünen noch den anderen. Ich wünsche mir ein Land und eine Politik, die zusammen und für die Menschen agieren.
Das Gespräch führte Wolfgang Timpe