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Kathrin Baumstark: »Ein Meister der Grautöne«

Innenstadt. Das Bucerius Kunst Forum (BKF) zeigt die Foto-Schau »Watch Watch! Watch! des Fotografen und Fotoagentur-Magnum-Gründers Henri Cartier-Bresson« – und BKF-Direktion Kathrin Baumstark über seine Arbeit als Fotoreporter

Henri Cartier-Bresson, geboren 1908 in Frankreich, war einer der wichtigsten Repräsentanten der humanistischen Fotografie des 20. Jahrhunderts. Das Bucerius Kunst Forum widmet dem Mitbegründer der namhaften Fotoagentur Magnum vom 15. Juni bis 22. September eine große Retrospektive namens „Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson“ – das hat es in Deutschland seit 20 Jahren nicht mehr gegeben.
Foto oben: Kathrin Baumstark, Direktorin Bucerius Kunst Forum: „Es ist ein Herzenswunsch, den größten Fotografen des 20. Jahrhunderts einmal auszustellen.“ © Ulrich Perrey

Gezeigt werden Werke aus verschiedenen Schaffensphasen. Etwa die surrealistisch geprägten Aufnahmen und Filmarbeiten aus der frühen Zeit. Neben Porträts von Künstler:innen und Schriftsteller:innen werden die bekannten Fotoreportagen präsentiert. Bei den späten Aufnahmen lag der Fokus auf dem menschlichen Alltagsverhalten. Insgesamt können sich die Besucher:innen 230 Schwarzweißfotos ansehen, dazu kommen Beiträge aus Magazinen oder Büchern. Obgleich solche Aufnahmen oft in Farbe gemacht wurden, reizten Farbfotos Cartier-Bresson nicht so sehr. „Er war ein Meister des Schattenspiels und der Grautöne“, erläutert Kathrin Baumstark, Direktorin des Bucerius Kunst Forums. „Das Sublime fand er eher in der Schwarzweißfotografie.“

Henri Cartier-Bresson: Erster bezahlter Urlaub, Ufer der Seine bei Juvisy-sur-Orge, Frankreich, 1938.
© 2024 Fondation HenriCartier-Bresson / Magnum Photos

Als Cartier-Bresson 2004 starb, hatte er praktisch ein komplettes Jahrhundert miterlebt. Als Mensch und fotografischer Chronist. Mit seiner Kamera dokumentierte er zahlreiche historisch-politische Großereignisse. In der Schau findet man zum Beispiel Bilder von der Krönung des britischen Königs George VI 1937 in London. Es geht weiter zur Befreiung von Paris 1944 sowie Deutschland nach Kriegsende 1945. Weitere Momente, die der Franzose festhielt, waren die Beisetzung von Gandhi 1948, Russland nach dem Tode Stalins 1954 oder Kuba nach der Raketenkrise 1963. Diese Aufnahmen wären vielleicht nie entstanden, wenn Cartier-Bresson, der zunächst in Paris Malerei studiert hat, nicht 1932 eine Leica-Kleinbildkamera erstanden hätte, mit der er experimentierte. Auf diese Weise fand er seinen eigenen Stil. Was ihm zugute kam: Er hatte viele Freunde in Künstler:innenkreisen. Deshalb konnte er intime Porträts von Coco Chanel oder Simone de Beauvoir machen.

Für viele noch interessanter ist aber wohl seine Street Photography. Cartier-Bressons Aufnahmen demonstrieren, wie sich Menschen in ihrer Freizeit oder bei der Arbeit geben. Er beobachtete die Leute nicht bloß, mit seinen Schnappschüssen analysierte er ihr Verhalten. Meist hielt er flüchtige Momente fest, die normalerweise einfach im Straßengetümmel untergegangen wären.

Auf seine Arbeit als Fotograf hat sich gewiss ausgewirkt, dass Cartier-Bresson lange in der kommunistischen Partei aktiv war. Er lichtete gern sozial ausgegrenzte Menschen ab. Zudem gab es Schlüsselerlebnisse, die seine Leidenschaft für dokumentarische Fotografie initiiert hatte. Während des Zweiten Weltkriegs war er in deutscher Kriegsgefangenschaft, er engagierte sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. „Nach seiner Flucht aus Deutschland hat er recht schnell einen Auftrag angenommen und Matisse mit seinen Tauben fotografiert“, erzählt Kathrin Baumstark. Ein symbolträchtiger Moment mit Friedenstauben.

Henri Cartier-Bresson: Krönung ­Königs George VI, ­London, Großbritannien, 12. Mai 1937. © 2024 Fondation Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos

Nach dem Krieg spielte das Jahr 1947 eine wichtige Rolle in Cartier-Bressons Leben, weil er mit Robert Capa, David Seymour und George Rodger in New York die Agentur Magnum gründete. „Gemeinsam haben sie für das Recht der Fotografinnen und Fotografen am eigenen Bild gekämpft“, sagt Kathrin Baumstark. „Besonders Cartier-Bresson war sehr streng, seine Fotos durften nicht beschnitten werden.“

In den folgenden Jahrzehnten bereiste der Fotoreporter für Zeitschriften und Zeitungen wie „Paris Match“ oder „New York Times“ verschiedene Kontinente. Seine Aufnahmen erschienen weltweit in millionenfacher Auflage. Museen wie das Museum of Modern Art in New York kuratierten Cartier-Bresson-Schauen, als erster Fotograf überhaupt durfte er im Louvre ausstellen. 2003 gründete er im Pariser Stadtteil Montparnasse die Fondation Henri Cartier-Bresson, dort wird sein Werk bis heute archiviert. Allerdings ist die Stiftung inzwischen ins Viertel Marais umgezogen. Dagmar Leischow

… Kathrin Baumstark: Die Direktorin des Bucerius Kunst Forums über Henri Cartier-Bressons ­Arbeit als Fotoreporter und seine politische Ausrichtung

Frau Baumstark, warum ehrt das Bucerius Kunst Forum Henri Cartier-Bresson mit einer Retrospektive? Man kann ihn gar nicht genug ehren. Es ist natürlich ein Herzenswunsch, den größten Fotografen des 20. Jahrhunderts einmal auszustellen. Allein seine politischen Reportagen sind beeindruckend. Wir zeigen nicht nur Einzelbilder, sondern immer auch das Endprodukt in den Zeitschriften. 

War die dokumentarische Fotografie Cartier-Bressons wichtiger als der künstlerische Aspekt seiner Arbeit? Er war Fotoreporter durch und durch, als Künstler hat er sich nicht gesehen. Was ihn auszeichnete: Er hatte das richtige Gespür für Situationen, gepaart mit einer extremen Liebe zur Geometrie. Cartier-Bresson hat fast 100 Jahre gelebt und war wirklich das Auge des 20. Jahrhunderts. 

Weshalb haben diesen Fotografen gerade die einfachen Leute so fasziniert?Ich glaube, er hat sich grundsätzlich für Menschen interessiert. Cartier-Bresson war ein Humanist, der sich für Gleichberechtigung stark gemacht hat. Ungerechtigkeiten hat er nicht ertragen. Deshalb hat er mit seinen Fotos zum Beispiel die Rassentrennung angeprangert. Er stand eben politisch stärker links… 

… und hat sich der kommunistischen Partei angenähert. Was reizte einen Fabrikantensohn wohl daran?Na ja, die ganzen RAF-Mitglieder kamen auch aus gutbürgerlichen Verhältnissen – wie Cartier-Bresson. Als junger Mann hat er immer nur entweder mit Cartier oder mit Bresson unterschrieben. Damit nicht alle gleich herausgefunden haben, dass seine Familie die größte Tuchfabrik Frankreichs besaß. Später hat er seine Herkunft dann aber nicht mehr versteckt. Interview: Dagmar Leischow

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