Contra: »Keine ungebetene Belehrung!«

Contra Gendern. Der Rechtsanwalt Tom Kemcke setzt auf Sprachstil

Rechtsanwalt und Steuerberater Tom Kemcke. © Stimmungsfaenger.de

Arztbescheinigung und Bürgersteig, Einwohnermeldeamt und Anwaltskammer, Lehrerzimmer und Führerschein: Diese und zahllose weitere Begriffe benutzen wir täglich und schließen natürlich stets die diverse, die weibliche und die männliche Komponente mit ein. Dürfen wir künftig noch unsere Kinder verarzten und Gäste bewirten? Beispiele gibt es zuhauf, die die Absurdität konsequenten Genderns belegen.

Die wesentlichen Argumente gegen die behördlich „angeordnete“ oder mittelbar – durch Verwendung in offiziellen Dokumenten in Schulen, Universitäten und Behörden – durchgesetzte Gendersprache sind bekannt. Ich möchte hier nur vier Aspekten nennen:

1. Mindestens fünf Gender-Arten konkurrieren, eine Einigung ist nicht in Sicht: Doppelpunkt (Freund:in), Unterstrich (Freund_in), Schrägstrich (Freund/in), Binnen-I (FreundIn) und Sternchen (Freund*in). Dass sich die Sprache durch Verwendung dieser Sonderzeichen verbessert oder verschönert, behaupten selbst die Befürworter nicht. Der insbesondere von dem kürzlich verstorbenen Journalisten und Sprachkritiker Wolf Schneider ausgiebig bemängelte Verlust an Sprachästhetik soll aus übergeordneten Gesichtspunkten hingenommen werden. Ein erster Kollateralschaden also. Damit könnte man vielleicht noch leben.

2. Dass die Verwendung einer dieser Formen der Gendersprache zu einer sprachlichen Sichtbarmachung aller Geschlechter führt, leuchtet vielen ein. Ob die Verwendung zu der gewünschten Wahrnehmung und Wertschätzung bei den Betroffenen und zu mehr Gerechtigkeit führt, ist allerdings Gegenstand einer weiträumigen, kontrovers geführten Diskus-sion. Meine folgende These ist heute schwer zu widerlegen, da es um die Zukunft geht: Während bei der Standardsprache in 20 Jahren niemand mehr bei der Zufälligkeit der grammatischen Form (die Koryphäe, der Experte) nur an Frauen oder nur an Männer gedacht hätte, wird durch die Hervorhebung der Differenzierung das Thema ewig präsent bleiben.

3. Endgültig auf die Kontra-Seite kippe ich, wenn ich an die Integration derjenigen denke, die ohnehin schon benachteiligt sind und die Schwierigkeiten haben, Zugang zu Sprache im Allgemeinen und zur deutschen Sprache im Besonderen zu finden. Ich würde nicht wie Sahra Wagenknecht behaupten, dass die Gendersprache, ähnlich wie die Lingua franca im europäischen Adel voriger Jahrhunderte, eine gewisse Ausgrenzung durch eine auf ihren Lifestyle bedachte Minderheit geradezu forcieren möchte – oder zumindest einer gewissen Selbstgerechtigkeit entstammt. Auch hierbei – und bei der damit verbundenen Spaltung der Gesellschaft – handelt es sich aber um einen weiteren Kollateralschaden, der in diesem Fall meines Erachtens nicht hinnehmbar ist. 

»Dürfen wir künftig noch unsere Kinder verarzten und ­Gäste bewirten?« 
Tom Kemcke

4. Entschieden bin ich ein Gegner jeder Form der aufgezwungenen Bereicherung oder der ungebetenen Belehrung und Erziehung, die sich außerhalb der demokratischen Prozesse vollzieht (Rechtsanwalt Gerhard Strate spricht von „versuchter Nötigung“). Zwar kann privat jeder sprechen und schreiben, wie er möchte. Die „freiwillige“ Verwendung von Gendersprache in Schulen, an Universitäten oder in Behörden stellt jedoch eine solche Bevormundung ohne Legitimation dar. Richtig schräg wird es, wenn die Annahme oder Benotung von Examensarbeiten von der Verwendung einer „richtigen“ Sprache abhängig gemacht wird. 

Insofern begrüße ich die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“, die am 7. Februar in Hamburg gestartet wurde – trotz des Fehlstarts mit nicht akzeptablen Äußerungen der Gründerin der Initiative. Und wenn dieser demokratische Prozess beendet ist, möchte ich auch dann, wenn die Volksinitiative erfolgreich ist, jede Person dazu auffordern, weiterhin so zu sprechen oder zu schreiben, wie es für richtig gehalten wird! Wenn sich auf diese Weise die Sprache wie in den vergangenen Jahrhunderten durch den praktischen Gebrauch weiterentwickelt und am Ende tatsächlich der Genderstern aufgehen sollte, dann regte sich bei mir kein Widerspruch mehr. So richtig glauben daran kann (und will) ich aber nicht.
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Tom Kemcke, Rechtsanwalt und Steuerberater, Hamburg

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