Die HafenCity braucht mehr Balance. Feng-Shui-Expertin Tu Phung Ngo erklärt bei einem Mai-Spaziergang von der Elbphilharmonie zum Überseeboulevard bis zum Lohsepark, warum mehr Yin statt Yang guttun würde
Wer sich in der HafenCity mit Freunden verabreden will, sollte dies an den Magellan-Terrassen tun. Dieser Ort hat ein richtig gutes Feng Shui. Die Terrassen, sie repräsentieren eines von vier „Eingangstoren“ für die Feng-Shui-Expertin Tu Phung Ngo in den Stadtteil, sind für Menschen gemacht. Und die dürfen dort einfach nur sein, rumstehen, in die Luft gucken, ohne dass sie ein Business oder gar den Verkehr stören. Spielerisch führen die Stufen zum Wasser und zu den bunten Schiffen, die im Museumshafen ankern. Optimales Qi.
Foto oben: Feng-Shui-Expertin Tu Phung Ngo an der Dalmannkai-Promenade am Grasbrookhafen: „Geschwungene Wege animieren zum langsamen Gehen, zwitschernde Vögel fördern Yin-Elemente!“ © Katrin Wienefeld
Ganz im Gegenteil zur Shanghai- und Osakaallee, wo sich mit ihren Eingangstoren drei und vier (siehe Karte des Feng-Shui-Rundgangs S. 5) zwei weitere Eingänge in die HafenCity befinden. Sie haben schlechte Energie. Auf den vierspurigen Straßen rasen die Autos wie in einem Sog in Richtung Elbbrücken, belastend ist das für Fußgänger und Anwohner. Der Haupteingang ins Viertel, Tor eins, kommt gleichfalls nicht in Frage für einen Treffpunkt. Ganz einfach, weil man eine Gegend nie dort betritt, wo der Palast steht. Das ist in der Verbotenen Stadt in Peking so und sollte in der HafenCity auch so sein. Denn bei Tor eins liegt die Elbphilharmonie, der Palast Hamburgs.
Mein Ziel ist es, am Bestehenden zu zeigen, was gelungen ist und wo etwas harmonisiert werden kann.« Tu Phung Ngo
Tu Phung Ngo lacht, als sie zum Treffpunkt mit der Reporterin bei den Magellan-Terrassen erscheint und ergänzt ihre Einführung ins Feng Shui, dieser chinesischen Theorie zur Gestaltung von Lebensräumen: „Feng Shui will eine Umgebung schaffen, in der sich Menschen wohlfühlen“, sagt sie. Tu Phung Ngo ist Feng-Shui-Beraterin und hat für die HafenCity Zeitung den jungen Stadtteil, der geprägt ist von klaren Strukturen, kantigen Gebäuden, von Beton und Perfektion, unter Feng-Shui-Aspekten betrachtet. Sie hat den Energiefluss, das Qi, analysiert und vier Tore markiert, dabei hat sie sich auf den westlichen Teil fokussiert, da die östliche Seite noch im Entstehen ist.
Die HafenCity ist ein spannender Ort für die 32-jährige Hamburgerin, die sich in ihrer Freizeit mit Stadtgestaltung befasst. Als Mitglied im Arbeitskreis Stadtentwicklung der Patriotischen Gesellschaft hat sie 2019 das vom Deutschen Rat für Nachhaltige Entwicklung geförderte Projekt „Der Drache erweckt die hamburgische Altstadt“ mit initiiert. „Mein Ziel ist es, am Bestehenden zu zeigen, was gelungen ist und wo etwas optimiert werden kann, wobei ich lieber von harmonisieren spreche. Die HafenCity kann man kritisieren, doch das ist zu einfach. Ich möchte in einen Dialog kommen“, sagt Ngo. Ihre häufigste Frage lautet: Wie empfinden Sie das, was Sie sehen?
Wie jeder Hamburg-Reiseführer lenkt auch der Feng-Shui-Plan die Besucher rasch zur Elbphilharmonie, von den Magellan-Terrassen geht es zum Kaiserkai. Der gleicht einer Prozessionsstraße, an deren Ende etwas Spannendes – das Konzerthaus – liegt. Doch abgesehen davon steht es um den Kaiserkai nicht gut. Zu schnurstracks ist er angelegt. „Damit Orte angenehm für Menschen sind, sollten Straßen nie nur geradeaus führen“, erklärt Ngo. Das liege am Qi, der Lebensenergie, die überall um uns herum ist und deren Fluss mitunter gelenkt werden sollte. Wie auf Bestellung rast ein Sportwagen die Straße hinab. „Ich würde empfehlen, Blumenkübel in die Mitte zu stellen oder mit Dekoration an den Straßenseiten arbeiten, etwa mit Licht oder schönen Schaufenstern. Das verleitet, nach links und rechts zu gucken, es verlangsamt das Qi und die Menschen werden nicht mehr so gestört durch schnell fahrende Autos.“ Ngo weist auf zwei Beete unter den Straßenbäumen hin, dort hat jemand Tulpen gepflanzt. „Es ist toll, wenn Menschen die Erde mit Blumen schmücken.“
Die zierliche Frau im Geschäftsdress hat Humor und einen scharfen Blick für ihre Umgebung. Geboren in Wiesbaden, studierte sie nach dem Abi Betriebswirtschaftslehre. Doch das war ihr nicht tiefgreifend genug. „Alles nur unter dem Blickwinkel der Wirtschaft zu betrachten, auf Effizienz zu prüfen, fand ich unmenschlich.“ Der Zufall führte sie zum Feng Shui, sie ließ sich ausbilden und wer mit ihr über Feng Shui spricht, erfährt, dass diese Lehre in ihren Ursprüngen keine esoterischen Komponenten beinhaltet, sondern vielmehr eine Methode darstellt, achtsam mit Menschen und deren Umgebung umzugehen.
Wie gesagt, am Ende der Kaiserkais, am Platz der Deutschen Einheit, steht die Elbphilharmonie. Nur wenige Touristen sind unterwegs wegen der Pandemie, eine prima Zeit für Einheimische, um sich alles in Ruhe anzuschauen. Der leere Platz wirkt extrem dunkel, kein Wunder, haben ihn die Planer doch mit asphaltfarbenen Steinen belegt! Nicht freundlich, mehr drohend ragt der backsteinerne Speicher vor den Menschen auf, die die Köpfe in die Nacken legen, um den gläsernen Aufbau erfassen zu können. Es scheint offensichtlich: Die fünf Feng-Shui-Elemente (siehe Info S.6) stimmen hier nicht. Zwei Elemente herrschen vor: Der Sockel, viereckig und aus Stein, symbolisiert das Element Erde, der Überbau aus Glas in seiner abstrakten Form entspricht dem Element Wasser. Die Krux: Wasser und Erde stehen in Spannung zueinander. Kritisch auch die Eingänge, die wie Schlitze an einem Bienenstock ins dunkle Innere führen. Ngo konstatiert: „Wenn man das Gebäude harmonisieren würde, dann wäre das Element Metall richtig, und hier würde ich mit der Farbe Gold arbeiten oder ein Material nehmen, was dem ähnlich ist. Das bisschen Prunkvolle vom Gold wäre an dieser Stelle richtig, denn dieses Gebäude ist nicht unprätentiös gedacht, es wäre sogar konsequent.“
Um die Ecke des konzertanten Wahrzeichen Hamburgs liegt zum Glück ein gelungenes Wohlfühlstück: die Promenade am Dalmannkai. Es ist offensichtlich, dass die Menschen diesen Ort annehmen. Spaziergänger schlendern mit Eis in der Hand, manche lassen sich bei den Trauerweiden nieder, überall ist das Tschilpen der Spatzen zu hören. Expertin Ngo fasst in Worte, woran das liegen könnte: „Die geschwungenen Wege animieren zum langsamen Gehen, es sind viele Sitzgelegenheiten vorhanden und man hat mit Gras und Bäumen gearbeitet. Gutes Feng Shui, denn zwitschernde Vögel fördern Yin-Elemente.“ Vor den Häuserwarften mit der Ummauerung aus sand- und terrakottafarbenen Steinen bleibt Ngo stehen. „Sehen Sie die Verzierungen, wie Mosaike. Das ist Liebe zum Detail.“
Mit der Balance von Yin und Yang hat die HafenCity ansonsten jedoch Probleme. Jedes Gebäude buhlt um Aufmerksamkeit und ausgerechnet der Überseeboulevard wirkt eher abweisend, zumal sich die Gebäude in die Fußgängerzone neigen, als wollten sie auf die Passanten kippen. Das dunkle Glas der Erdgeschosse signalisieren Distanz. Laut Feng Shui entsteht Harmonie, wenn die schöpferischen und kontrollierenden Aspekte ausgewogen, die weibliche Energie Yin und die männliche Energie Yang gleich verteilt sind. Yang, räumlich von Senkrechten, Eckigem repräsentiert, dominiert den Stadtteil. „Es muss yinniger werden in der HafenCity“, sagt Ngo. Etwa, indem man in der Architektursprache mehr Yin-Elemente wie Fenster mit Rundbogen oder etwas Verschnörkeltem wie an Altbauten verwende. Doch geschwungene Straßen und viel Grün kosten Flächen, die Hamburg nicht hat oder vielmehr dafür bereitstellt. Ngo nickt. „Blumen und grüne Fassaden sind Maßnahmen, die viel bringen. Es müsste gar nichts Großartiges sein, was den Stadtteil mehr in Balance bringen würde“, sagt sie.
Hinter der Osakaallee verändert sich die HafenCity. Schnurgerade führen breite Straßen nach Norden, das grüne Potenzial der Bäume bleibt ungenutzt. Der Lohsepark ist aus Feng-Shui-Sicht ein besonderer Ort. Eigentlich wirkt er harmonisch, doch: „Ich hatte schon immer das Gefühl, hier stimmt was nicht. Bis ich herausfand, dass hier die Deportationen im Dritten Reich stattfanden“, erklärt Ngo. Manchmal bräuchte es eine energetische Reinigung oder ein spirituelles Ritual, ein Gottesdienst, eine Kapelle als Erinnerungsort. „Etwa aus der Tradition, dass die Wunden nicht wegdrückt, sondern sagt: Ich sehe sie.“ Insofern kann auch mal Verstörendes zum gesellschaftlichen Yin führen.
Der Spaziergang läuft aus in der verspielten Speicherstadt mit ihren verzierten Fassaden. Es scheint, als hätten die Baumeister vor hundert Jahren das Yinnige noch ganz gut in der Hand gehabt. Den Anwohnern und hier Arbeitenden gibt Feng-Shui-Expertin Ngo zum Abschied des gemeinsamen Rundgangs noch einen Tipp: Um Harmonie entstehen zu lassen, sollten sie die starke Yang-Ausstrahlung der HafenCity mit mehr Yin-Elementen in Wohnungen und Büros ausgleichen. Katrin Wienefeld
Info
Feng Shui bedeutet wörtlich übersetzt Wind und Wasser. Es bezeichnet eine chinesische Theorie zur Gestaltung von Lebensräumen, eine Art Raumpsychologie, deren Ursprünge 5000 bis 6000 Jahre zurückliegen. Neben dem Qi, der Lebensenergie, und dem Prinzip von Yin und Yang, das erklärt, dass alles in Beziehung steht (Tag und Nacht, Ein- und Ausatmen, weiblich und männlich), sind die fünf Elemente Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser Grundlagen des Feng Shui, denen bestimmte Eigenschaften und Materialien zugeordnet werden.
Die Lehre hat sich weit verzweigt und kann ganz schön kompliziert erscheinen mit zahlreichen Vorschriften und Geboten, zudem haben sich in der westlichen Ausrichtung viele esoterische Komponenten etabliert. Hochburgen des Feng Shui in Asien sind Singapur, Hongkong und Japan. In Hamburg kann man die Feng-Shui-Harmonie in den japanischen Gärten im Botanischen Garten Klein Flottbek oder in Planten und Blomen erleben. KW
Energie-Tore: Feng-Shui-Rundgang HafenCity
An Tor 2 verabreden. Guter Energiefluss, ein optimales Qi!
Tor 1: Platz vor der Elbphilharmonie: zu dunkel, zu viel Spannung. Das Element Erde kämpft mit Element Wasser.
Tor 2: Magellan-Terrassen: Optimales Qi. Feng-Shui-Eingang ins Quartier. Nichts stört – keine Hektik, kein Verkehr.
Tor 3: Osakaallee / Am Sandtorkai: kein Qi. Belastend für Fußgänger und Anwohner. Autosog gen Überseequartier.
Tor 4: Shanghaiallee / Brooktorkai: null Qi. Vierspuriger Rush-hour-Stress in die City und zu den Elbbrücken.