Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel tritt bei den Harbour-Front-Sounds im Großen Saal der Elbphilharmonie auf. HCZ-Autorin Dagmar Leischow traf ihn vorher
Der Raum verfehlt seine Wirkung nicht: Betritt man die Künstlersuite in einem der höheren Stockwerke der Elbphilharmonie, dann genießt man eine traumhaft schöne Aussicht auf den Hamburger Hafen. Davon hat der Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel während des Interviews allerdings nichts – er sitzt mit dem Rücken zur Fensterfront. Wenn der Leipziger über seinen Auftritt beim Harbour Front Literaturfestival spricht, hört man seinen sächsischen Dialekt nur ganz leicht heraus. Der 55-Jährige ist jemand, der gerne und viel redet – und keine Angst hat, sich zu positionieren.
Foto oben: Sebastian Krumbiegel von den Prinzen am 9. September in der Elbphilharmonie: „Udo Lindenberg hat uns den Kiez gezeigt. Er führte uns in die Subkultur, in die Abgründe.“ © Tine Acke
Sie waren auf dem Dach der Elbphilharmonie. Wie hat sich das angefühlt? Ziemlich gut. Wir sind ja mit den Prinzen auch schon mal in der Elbphilharmonie aufgetreten. Seinerzeit haben wir ebenfalls ein Foto auf dem Dach gemacht. Wenn man dort steht und über die Dächer der Stadt guckt, ist das echt schön.
Was verbinden Sie mit Hamburg? Sehr viel. Anfang der Neunzigerjahre haben Die Prinzen ihre ersten vier Platten hier aufgenommen. Wir waren mit Annette Humpe im Boogie Park Studio in Ottensen und sind jeden Tag auf dem Weg dorthin zweimal über die Reeperbahn gegangen – einmal tagsüber, einmal nachts. Bei Tag bot sich uns ein ernüchternd-deprimierendes Bild, überall war Müll. Wenn allerdings in der Dunkelheit die Lichter angingen, hatte die ganze Gegend plötzlich ein völlig anderes Flair.
War das für Sie ein Kulturschock? Total. Obwohl ich als Kind schon mit dem Thomanerchor im Westen gewesen war, schockierten mich vor allem die Gegensätze. Auf der einen Seite gab es in Hamburg diesen Reichtum, anderseits lagen Obdachlose einfach irgendwo auf der Straße. In der Große Bleichen saßen vor den edlen Juweliergeschäften Menschen, die überhaupt nichts hatten. Das habe ich damals nicht verstanden. Was mich dagegen auf Anhieb beeindruckte: In dieser Stadt scheinen die unterschiedlichsten Leute miteinander klarzukommen. Am Tresen steht ein Punk neben irgendwelchen Anzugträgern und unterhält sich mit ihnen.
Fiel Ihnen das während Ihrer nächtlichen Streifzüge auf? Ja. Udo Lindenberg hat uns den Kiez gezeigt. Er führte uns in die Subkultur, in die Abgründe. Wir lernten Domenica, Kalle Schwensen oder Corny Littmann kennen. Mit Udo waren wir in der Ritze und im Salambo. Das war schon schräg.
Hätte Udo Lindenberg nicht ein guter Gesprächspartner für Ihren Auftritt beim Harbour Front Literaturfestival sein können? Ihr Motto „Haltung und Unterhaltung – Courage in der Musik“ klingt nach ihm. Auf jeden Fall. Ich habe mich nicht getraut, Udo zu fragen. Er ist für mich wirklich ein großer Lehrmeister. Ohne ihn hätte ich wohl nie angefangen, Musik zu machen und Songs zu schreiben.
Warum sprechen Sie nun im Großen Saal der Elbphilharmonie mit Gregor Gysi? Nicht aus parteipolitischen Gründen, sondern weil ich ihn kenne und schätze. Gregor Gysi ist keiner dieser Politiker, die bloß schablonenhafte Sätze von sich geben. Außerdem passt er gut zum Thema „Haltung und Unterhaltung“. Er kriegt es als Politiker tatsächlich hin, die Leute zu entertainen.
Dennoch polarisiert er. Zum Beispiel mit der Aussage, nicht Putin habe den Giftanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny angeordnet. Es könne auch ein einzelner Geheimdienstmitarbeiter oder ein Gegner der Erdgasleitung nach Deutschland gewesen sein. So etwas kann man doch erörtern. Ich muss ja nicht in allen Punkten mit Gregor Gysi einer Meinung sein. Wichtig ist, dass man miteinander redet. Ich bin zwar eher progressiv-links eingestellt, würde mich aber trotzdem mit einem Konservativen wie Wolfgang Bosbach austauschen. Mit 20 wäre das für mich noch ein absolutes No-Go gewesen. Mittlerweile habe ich erkannt, wie wichtig es ist, aufeinander zuzugehen. Wir drohen gerade den Diskurs zu verlieren, die klassische Diskussion. Durch Corona bauen sich starre Fronten auf. Dabei gibt es nicht nur Schwarz und Weiß, da liegt so viel dazwischen.
Wie wollen Sie das dem Publikum beim Harbour Front Literaturfestival nahebringen? Mit einem Programm, das gleichermaßen auf Inhalte und Unterhaltung setzt. Ich werde singen und ein paar Passagen aus meinem Buch „Courage zeigen“ vorlesen. Dazu kommen meine drei Gäste. Mit der Moderatorin Anja Reschke spreche ich über die Rolle des Journalismus, mit Gregor Gysi über die Rolle der Politik. Und mit Mo Asumang rede ich über Rassismus. Sie hat den Film „Die Arier“ gedreht. Dafür ist sie als dunkelhäutige Frau in die USA geflogen und hat Ku-Klux-Klan-Mitglieder gefragt: „Was habt ihr eigentlich gegen dunkelhäutige Menschen?“ So hat sie diese Leute mit einer Mischung aus Naivität und Unverschämtheit vorgeführt, nein, besser: Sie hat dafür gesorgt, dass sie sich selber vorführen. Interview: Dagmar Leischow
INFO Sebastian Krumbiegel tritt Donnerstag, 9. September, 20.30 Uhr, im Großen Saal der Elbphilharmonie auf. Karten und weitere Informationen unter www.harbourfront-hamburg.com
Tipps der HafenCity Zeitung für weitere Harbour-Front-Sounds-Veranstaltungen im Großen Saal der Elbphilharmonie:
• Carolin Emcke mit Anna Prohaska: „Celebration of Life in Death – Hoffnung und Trauer in Zeiten der Pandemie“, 10. September, 20 Uhr
• Eckart von Hirschhausen mit Annette Dasch: „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“, 11. September, 15 Uhr
• Heinz Strunk: „Es ist immer so schön mit dir“, 13. September, 20 Uhr – www.elbphilharmonie.de