Mobilität: »Nordische Gelassenheit«

E-Lifestyle. Das neue Flaggschiff, der Volvo EX90, will als skandinavische Elektroalternative den E-Modellen von BMW, Mercedes-Benz und Audi in die Parade fahren 

Es hat zwar etwas länger gedauert, doch jetzt ist es bald so weit: Volvo wagt den nächsten Schritt auf der Electric Avenue und leistet sich ein neues Flaggschiff für die Generation E: Ab Herbst 2024 schicken die Schweden für 83.700 Euro aufwärts gegen den Audi e-tron, den BMW iX und das SUV des Mercedes EQE den neuen EX90 ins Rennen. Während die Kunden also noch immer ein paar Wochen warten müssen, kann Kenneth Ekström die Kilometer schon nicht mehr zählen, die er mit dem 5,03 Meter langen Luxusliner abgespult hat.
Foto oben: Der neue Volvo EX90 geht mit den typischen Thors Hammer-Design-Leuchten im Herbst 2024 in den Verkauf: „Die Stille kann jeder im Auto hören.“ © Volvo Cars

Zwei Motoren gehen mit 517 PS und 910 Nm zu Werke und die 2,8 Tonnen fühlen sich plötzlich ganz leicht an. 4,9 Sekunden reichen dann für den Sprint auf Tempo 100. © Volvo Cars

Denn Ekström ist Entwicklungsingenieur und Testfahrer bei den Schweden und dreht seit Monaten seine Runden auf dem Prüfgelände in Hällered, um dem dicken Ding den letzten Schliff zu geben. Gelassenheit stand dabei ganz oben auf der Liste, sagt der Entwickler, während er den Wagen förmlich mit dem kleinen Finger über den Kurs zirkelt, und vor allem die Ruhe beim Reisen. Denn als erstes elektrisches Oberklassemodell der Schweden sollte der EX90 buchstäblich zum Leisetreter werden. „In keinem Volvo vor ihm war es so still“, flüstert Ekström, und selbst bei 120 km/h hört es sich an, als würde er brüllen. Aber für irgendetwas müssen die zenterweise Dämmstoffe ja gut gewesen sein. 

 Während die Stille jeder im Auto hören kann, bleibt das Gefühl der Gelassenheit noch Herrn Ekström vorbehalten. Denn eisern verteidigt der Ingenieur den Platz am Lenkrad und den Passagieren bleibt nur der Glaube daran, dass die Zweikammer-Luftfeder wirklich einen Unterschied macht, dass der Aufbau in den unterschiedlichen Fahrprofilen wirklich mehr oder weniger Bewegung zulässt und dass Ekström mal mehr oder mal weniger Feedback im Lenkrad fühlt.

Das Premium-E-Modell behält auch seine Insassen besser im Auge und gibt zur Not sogar den Besserwisser, der aufs Handyverbot hinweist und mehr Aufmerksamkeit fordert. © Volvo Cars

Immerhin sprechen seine Mundwinkel eine deutliche Sprache. Vor allem, wenn er beim Top-Modell mal den Fuß ans Bodenblech heftet. Dann gehen zwei Motoren mit 517 PS und 910 Nm zu Werke und die 2,8 Tonnen fühlen sich plötzlich ganz leicht an. 4,9 Sekunden reichen dann für den Sprint auf Tempo 100 und dass bei 180 schon wieder Schluss ist, ist alleine eine Frage der Philosophie und nicht der Physik.

Parallel zu dieser Version mit „Twin Motor Performance“ lanciert Volvo noch zwei Modelle. Eine gewöhnliche Allrad-Version mit 408 PS und 770 Nm sowie einen Hecktriebler, dem ein Motor von 279 PS und 490 Nm reichen muss. Der braucht dann auch schon 8,4 Sekunden für den Sprint und wird bei 160 Sachen wieder eingebremst. 

HCZ-Autor Thomas Geiger (r.) mit Volvo-Entwicklungs­ingenieur Kenneth Ekström im neuen Volvo EX90 auf dem Prüfgelände in Hällered, Schweden. © Volvo Cars

Unterschiede machen die Schweden auch beim Akku: Mit einem Motor hat er 104, mit zweien 111 kWh, reicht aber immer für rund 600 Kilometer. Geladen wird danach mit 11 oder gegen Aufpreis 22 kW am Wechsel und 235 oder 250 kW am Gleichstrom. Und während der Strom bei den deutschen nur in einer Richtung fließt, kann der Volvo bidirektional laden und seine Energie auch wieder abgeben.

Das Format bleibt mit gut fünf Metern Länge ähnlich wie beim CX90 und die Form kennen wir schon vom Polestar, wo es das gleiche Auto als Polestar 3 geben wird. Doch geben dem Volvo eine eigenständige Front und vor allem die Leuchten inThors Hammer-Design seinen typischen Look. Auch innen ist die Verwandtschaft unverkennbar und hier wie dort herrscht eine noble nordische Kühle mit einem großen senkrechten Tablet als zentralem Blickfang und Bedienelement. Allerdings beweist Volvo mehr Familiensinn als die sportliche Schwester mit der StartUp-Attitüde und bietet den EX90 auf Wunsch auch mit einer dritten Sitzreihe an. Je nach Bestuhlung variiert dann auch der Stauraum, von knapp 400 bis zu bald 2.000 Litern – die nochmal knapp 50 Liter im Frunk, im „Front Trunk“, dem Zusatzkofferraum unter der Motorhaube, nicht mitgerechnet.

Und auch sonst halten sich die Schweden trotz ihres neuen Kurses an ihren alten Tugenden und feiern den EX90 als sichersten Volvo aller Zeiten. 

Der schaut deshalb nicht nur weiter voraus, ist wachsamer und hat zumindest die nötige Hardware fürs autonome Fahren bereits an Bord. Sondern er behält auch seine Insassen besser im Auge als je zuvor und gibt zur Not sogar den Besserwisser, der aufs Handyverbot hinweist und mehr Aufmerksamkeit fordert. 

Aber Tugendtreue ist auch nötig bei einem Auto, das so viel und so wenig Volvo zugleich ist. Denn auch die Schwedenfähnchen in den Sitzkedern und am Armaturenbrett können nicht darüber hinweg täuschen, dass die Firma mittlerweile unter chinesischer Regie steht – und gebaut wird der EX90 schließlich auch nicht in Schweden, sondern in South Carolina in den USA. 

Zwar geben die Schweden den Vorreiter auf der Electric Avenue und wollen uns einen radikaleren Kurswechsel weismachen als ihre deutschen Konkurrenten. Doch auch wenn sie ab dem Jahr 2030 keine Verbrenner mehr bauen wollen, wagen sie den Wandel jetzt noch nicht vollends. Der EX90 ist deshalb auch nicht der Nachfolger des XC90, sondern nur sein Begleiter. Denn statt den Verbrenner einzustellen, bekommt das bisherige Verbrenner-Flaggschiff in diesem Herbst sogar nochmal ein Facelift. Thomas Geiger

www.volvocars.com/de/cars/ex90-electric

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