Die „Portraitkünstlerin“ der Elbphilharmonie, Geigerin Patricia Kopatchinskaja, tritt nackt auf – mit bloßen Füßen. Nix Effekthascherei, sie will geerdet sein. Aufregende Konzert-Ereignisse im September
Umweltstandard: Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja, Jahrgang 1977, tritt stets barfuß auf – das ist ihr Markenzeichen. Mit Effekthascherei hat das allerdings nichts zu tun, im Gegenteil: Es erdet sie. Dennoch sticht bei den Auftritten der Musikerin zunächst das Exzentrische ins Auge. Bei ihr klingt nicht jedes Stück perfekt. Perfektion und Schönheit, sagt sie, seien für sie nur zwei Ausdrucksmöglichkeiten von vielen. Darum klebt sie, die jetzt als Portraitkünstlerin, als Residenzkünstlerin der Elbphilharmonie während der laufenden Saison mit gleich sechs verschiedenen Programmen im Großen Saal, im Kleinen Saal sowie im Kaistudio 1 gastiert, nicht an jeder Note. Bisweilen fängt sie im Konzert plötzlich an zu improvisieren. Es ist schon vorgekommen, dass sie Sofia Gubaidulinas „Der Seiltänzer“ zur Verblüffung des Publikums auf dem Rücken liegend gespielt hat. Schwitters „Ursonate“ verfilmte sie. Bei Beethovens „Kreutzer-Sonate“ entfacht sie wahre Gewaltszenen. Geigerin Patricia Kopatchinskaja bringt Ravel zum Grooven, mit Bartóks rumänischen Volkstänzen verweist die gebürtige Moldawierin gern mit ihrer ungestümen Art auf ihre osteuropäische Herkunft: „Weil meine Eltern Volksmusiker sind, habe ich Folklore quasi im Blut.“
Mutter Emilia spielt ebenfalls Geige, Vater Viktor Zymbal, eine Art Hackbrett. Schon als Kind ging Patricia Kopatchinskaja, die heute in Bern lebt, mit den beiden in der gesamten Sowjetunion auf Tournee. Bis die Familie 1989 nach Österreich flüchtete – mit drei Koffern und einem Hund. Danach begann ein völlig neues Leben für die damals Zwölfjährige. Die erste Zeit verbrachte sie in einem Flüchtlingslager, sie sprach die Landessprache nicht, sie und ihre Familie mussten ihre Fingerabdrücke bei Ämtern hinterlassen. Als Moldawier waren sie Ausländer, man begegnete ihnen zuweilen mit einer gewissen Skepsis. Sogar auf künstlerischer Ebene. Als Nicht-Österreicherin könne das Mädel doch keinen Mozart spielen, hieß es. All diese Erfahrungen hinterließen Spuren. Patricia Kopatchinskaja lernte, sich anzupassen. In jeder Kultur, überall. Zugleich wurde ihr bewusst: „Letztlich kann ich mich nur auf mich selber verlassen.“
Geigerin Patricia Kopatchinskaja bringt Ravel zum Grooven, mit Bartóks rumänischen Volkstänzen verweist die gebürtige Moldawierin gern mit ihrer ungestümen Art auf ihre osteuropäische Herkunft: „Weil meine Eltern Volksmusiker sind, habe ich Folklore quasi im Blut.“ (Aufmacherfoto: „Mysteries of the-Macabre 1“, György Ligeti Juni 2019; © https://en.patriciakopatchinskaja.com/photo-albums)
Folgerichtig geht sie stets ihren eigenen Weg. Der führte sie zunächst an die Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst, wo sie Komposition und Geige studierte. Mit 21 Jahren wechselte sie als Stipendiatin ans Berner Konservatorium. Dort machte sie 2000 ihr Diplom mit Auszeichnung. Später dann arbeitete sie mit namhaften Dirigenten wie Mariss Jansons oder Paavo Järvi. Bei ihren Soloauftritten leitet sie gern selber das Orchester. Sie komponiert, sie bringt Werke zur Uraufführung, die teils eigens für sie geschrieben wurden. Aber auch bei altbekanntem Repertoire gilt für sie: Sie möchte jedes Werk so spielen, als sei es eine Uraufführung und der Komponist sitze im Publikum. Dieser Trick hilft ihr, sich besser in die Musik hineinzuversetzen.
Ohne Zweifel ist Patricia Kopatchinskaja eine Künstlerin, die genau weiß, was sie will beziehungsweise was überhaupt nicht geht. Der Komponist Bruch steht in ihrer Popularitätsliste nicht gerade weit oben, also meidet sie ihn. Beethoven bewundert sie dagegen sehr, Mozart ebenfalls. Neue Musik spielt sie mit einer Energie, die den oft schwer zugänglichen Stücken ausgesprochen gut bekommt. Ihre Interpretationen leben davon, dass sie sich von Kopf bis Fuß einbringt. Bloß stocksteif mit ihrem Instrument auf der Bühne zu stehen, wäre für sie keine Option: „Ein Konzert erfordert auch körperlichen Einsatz, finde ich.“
Solche Sätze spiegeln ihre Seele wider. Patricia Kopatchinskaja ist weit davon entfernt, in die Rolle der zickigen Diva zu schlüpfen. Oder das niedliche Geigen-Girlie zu geben. Ihre Natürlichkeit hat sie sich stets bewahrt. Im Grunde, glaubt sie, sei sie eine normale Hausfrau und Mutter, die halt manchmal auf der Bühne einen Kick verspüren müsse. Ihre musikalische Philosophie übernahm sie einst von einem indischen Kollegen: „Als ich ihn fragte, was er in seiner Musik suche, da antwortete er: ‚Ich will mich in ihr verlieren.’“ Das ist auch ihr Ziel, allerdings erreicht sie es längst nicht immer. Es gelingt ihr nur selten, ihre Klänge wirklich ohne Anstrengung fließen zu lassen. Doch wenn das tatsächlich passiert, ist es für sie ein heiliger Moment. Dagmar Leischow
INFO
Patricia Kopatchinskaja tritt Mi, 23. September, 18.30 und 21 Uhr, mit dem SWR Symphonieorchester und dem Dirigenten Teodor Currentzis im Großen Saal der Elbphilharmonie auf. Restkarte eventuell an der Abendkasse. Weitere Termine unter http://www.elbphilharmonie.de.
Tipps der HafenCity Zeitung für den September in der Elbphilharmonie
• Anne-Sophie Mutter & Friends: Beethoven, 3. September, 18.30 und 21 Uhr, Großer Saal
• Mahler Chamber Orchestra & Anna Prohaska: Britten, Benjamin, Boulez, Bach, 9. September, 20 Uhr, Großer Saal
• Symphoniker Hamburg, Barbara Schöneberger, Johannes Zurl: Saint-Saens, Prokofjew, 21. September, 18.30 und 21 Uhr, Großer Saal