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„Als Grüne sind wir nicht mehr in Konfrontation zur Hafenwirtschaft, sondern streben ein Hand-in-Hand-Gehen an.“ © Thomas Hampel
„Niemand soll ruiniert werden“

Farid Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft, über Hafenwirtschaft, Wahlkampf und die HafenCity

Herr Müller, Sie tragen den deutschesten aller deutschen Nachnamen und einen orientalischen Vornamen. Wie kommt es zu diesem west-östlichen Namens-Duo? Relativ schlicht. Mein Vater war gebürtiger Ägypter und meine Mutter Deutsche. Sie haben sich in Berlin beim Studium kennengelernt und sind nach Kairo gezogen, wo ich geboren wurde. Der Nahe Osten war damals auch schon ein unruhiger Ort und meine Eltern sind mit mir, als ich zwei Jahre alt war, zurück nach Deutschland gegangen. Deshalb kann ich leider, leider auch kein Arabisch. 

Hatten Sie in Ihrer Kindheit oder Jugend wegen des arabischen Vornamens mal ein Problem? Nur einmal beim BWL-Studium, als ich eine Hausarbeit schreiben musste und der Professor mich auf Grund meines Vornamens fragte, ob ich überhaupt Deutsch könne. Das hat mich besonders verblüfft, weil ich ja bis dahin mein ganzes Leben lang von klein auf nur deutsch gesprochen habe.  
Foto oben: „Als Grüne sind wir nicht mehr in Konfrontation zur Hafenwirtschaft, sondern streben ein Hand-in-Hand-Gehen an.“ © Thomas Hampel

Sie sind seit über 22 Jahren für die Grünen als Abgeordneter in der Hamburgischen Bürgerschaft. Warum die Grünen? Wir Grüne sind ja eine Sammlungsbewegung aus verschiedenen Gruppen, die sich in den 70er und 80er Jahren aus der Anti-Atom-Bewegung, der Friedens- und Bürgerrechts oder Umweltbewegung gegründet haben, wobei ich aus der Bürgerrechtsbewegung zu den Grünen gekommen bin. Während des Studiums in Hamburg hätte für mich auch die SPD ein Ort politischer Arbeit sein können, aber Krista Sager, die frühere Landesvorsitzende der Grün-Alternativen-Liste (GAL) und spätere Zweite Bürgermeisterin in Hamburg, war in den 90er Jahren wesentlich dafür verantwortlich, dass ich bei den Grünen gelandet bin. 

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„Von mir bekommen die Wähler eine starke Stimme im Hamburger Rathaus, die auch u.a. die Interessen der HafenCity dort energisch vertritt. Das ist aus deshalb wichtig, weil der Stadtteil ja noch nicht dem Bezirk übergeben ist und die meisten Entscheidungen noch auf Landesebene oder bei der HafenCity Hamburg GmbH fallen.“ © Thomas Hampel

VITA
Farid Müller ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft und deren Sprecher für Haushalt, Verfassung, Medien, Netzpolitik, Lesben/Schwule und Queers (Abweichler). Der gebürtige Ägypter ist in Bremen aufgewachsen, hat an der Bremer Fachhochschule BWL mit Schwerpunkt Marketing und in Hamburg dann im Zweitstudium Kommunikation und Marketing an der Kommunikations-Akademie studiert. Müller ist seit 1997 (zu Beginn in der GAL-Fraktion) Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft für die Grünen und war von 2001-2004 deren Vizepräsident und sitzt u.a. im Haushalts- und Wirtschafts-/Medienausschuss der Bürgerschaft. Er steht auch dem Wahlkreisbüro Hamburg-Mitte vor, zu dem die Stadtteile HafenCity, Alt-/Neustadt, St. Pauli, St. Georg, Hammerbrook, Borgfelde, Hamm und Horn sowie die Insel Neuwerk gehören. Für Hamburg-Mitte tritt er auch zur 22. Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 an. Farid Müller, 57, lebt in St. Georg und ist alleinstehend.

Warum? Sie war eine spannende Frau und stand auch bis 1996 mit Jürgen Trittin als Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen für neue Inhalte und einen neuen Politikstil. Außerdem war die damalige Sozialdemokratie in Hamburg unter dem Ersten Bürgermeister Henning Voscherau nicht so wahnsinnig attraktiv. (schmunzelt)

Wir mischen uns bei verschiedenen HafenCity-Projekten von der Bürgerschaftsebene aus ein. Ich sehe mich als Anwalt der Anwohner und der Gewerbetreibenden. Ich bin gut damit gefahren, das, was man zusagt, auch versucht umzusetzen.«

Farid Müller, Die Grünen

Sie sind 57 Jahre jung und nehmen nach 22 Jahren Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft für die Grünen und den Bezirk Mitte Anlauf zu ihrer sechsten Legislaturperiode im Parlament. Denkt man auch mal ans Schlussmachen oder finden Sie es nach wie vor spannend? Das frage ich mich bei jeder Kandidatur neu. Auch jetzt habe ich wieder in mich hineingehorcht und es macht mir Spaß gerade für den Wahlkreis Hamburg-Mitte, den ich seit 2011 vertreten darf, weiter Politik zu gestalten. Das Feedback zum Beispiel bei meinen Rathaus-Kaffeetreffs ermuntert mich durchaus weiterzumachen. Meine Bürgerarbeit kommt an und bestärkt mich natürlich auch. 

Sie treten für die Grünen als Wahlkreisabgeordneter Hamburg-Mitte zur Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 an. Was haben Sie, was u.a. Ihr Gegenspieler, der SPD-Kandidat Arne Platzbecker, nicht hat? Das kann ich nicht wirklich beurteilen. Das müssen Sie ihn fragen, was Wähler von ihm erwarten dürfen.

Was bekommen die Wähler von Ihnen? Eine starke Stimme im Hamburger Rathaus, die auch u.a. die Interessen der HafenCity dort energisch vertritt. Das ist aus deshalb wichtig, weil der Stadtteil ja noch nicht dem Bezirk übergeben ist und die meisten Entscheidungen noch auf Landesebene oder bei der HafenCity Hamburg GmbH fallen. Wir mischen uns bei verschiedenen Projekten von der Bürgerschaftsebene aus ein. Ich sehe mich als Anwalt der Anwohner und der Gewerbetreibenden. Im übrigen bin ich gut damit gefahren, keine populistischen Versprechungen zu machen, und das, was man zusagt, auch versucht umzusetzen. Das ist wichtig für mich und schafft Vertrauen zu den Bürgerinnen und Bürgern. Die wissen auch, dass nicht alle Wünsche erfüllt werden können, aber erwarten auch von Abgeordneten, dass er sich gleichwohl nach besten Kräften dafür einsetzt. 

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„Wir Grüne laufen nicht durch die Gegend und versprechen überall Geld
und geben Zusagen, die wir dann nicht halten können. Außerdem bin ich
der Haushälter der Grünen-Fraktion und habe dadurch noch mal einen
anderen Blick auf Zahlen.“ © Thomas Hampel

Das ist eigentlich das Markenzeichen der erfolgreichen SPD in Hamburg. Nur so viel zu versprechen, wie man auch halten kann. Sind Sie ein getarnter Sozialdemokrat? Definitiv nein. Dass die SPD sich das mal zu eigen gemacht ist ja nett. Aber am Ende bekommen wir ja als Grüne den starken Zuspruch ungewöhnlicherweise in der Regierung. Offenbar machen wir das als Grüne im Senat nicht so schlecht. 

Was machen Sie denn richtig? Dass wir zum Beispiel nicht durch die Gegend laufen und überall Geld versprechen und Zusagen geben, die wir dann nicht halten können. Außerdem bin ich der Haushälter der Grünen-Fraktion und habe dadurch noch mal einen anderen Blick auf Zahlen. Wir Grüne gehen sorgfältig mit Versprechungen um, die nachhaltig Auswirkungen auf den Haushalt haben. Darauf kann man sich bei uns verlassen. Wichtig ist uns aber auch, dass man aus Haushaltssolidität kein „Verwalten“ der Stadt macht. Wir brauchen Visionen in der Politik, die man dann aber auch seriös unterfüttern muss. 

Was meinen Sie damit? Zum Beispiel die Science City Bahrenfeld, wo wir endlich mal in Hamburg ein Wissenschaftsquartier entwickeln und bauen wollen. München hat das mit Garching und Berlin mit Adlershof. Das haben wir uns vorgenommen und kostet richtig Geld. Darüber hinaus wollen wir in der Nachbarschaft der HafenCity mit dem städtebaulichen Vorhaben Grasbrook einen neuen Stadtteil entwickeln. Eine Vision, die wir im Senat mit der SPD verfolgen und die auch nicht aus der Portokasse zu finanzieren ist. Wir Grüne wollen das mit vorantreiben und glauben, dass der Wohlstand in Hamburg nicht mehr allein im Hafen liegt. Die zukünftigen Generationen werden davon profitieren, wenn wir jetzt in Wissenschaft und Forschung investieren und zusammen mit Firmen sich daraus neue Produkte und neue Arbeitsplätze entwickeln. Das ist in Hamburg nicht immer ganz einfach, aber wir brauchen eine Aufbruchstimmung für die Stadt und viele sind offen dafür. 

Sie vertreten für die Grünen u.a. auch die HafenCity in der Bürgerschaft. Was haben die Grünen in den vergangenen fünf Jahren für den noch jungen wachsenden Stadtteil erreicht? Wir haben nichts alleine verantwortet und doch zugleich darauf geachtet, dass wir aus der alten CDU-Verkehrsplanung von 2004 und folgenden Jahren eine neue Verkehrsplanung für das aktuelle Jahrtausend machen wollen.

Was heißt das? Dass wir nicht nur auf den Autoverkehr setzen, sondern u.a. auch in der HafenCity schauen, wie wir das im Nachhinein etwa mit dem Fahrradverkehr hinbekommen können, denn das war überhaupt nicht durchgeplant. Der heutige Lohsepark und der Baakenpark sind am Ende ein rot-grünes Ergebnis und auf massiven Einfluss von uns Grünen zurückzuführen. Dafür mussten wir im Senat kräftig ringen, dass es in der HafenCity auch grüne Bereiche gibt und nicht nur Häuser. Ursprünglich war die HafenCity als Ansammlung von Häusern mit ein paar Bäumen dazwischen geplant und an Grünflächen war nicht gedacht worden. 

Sind das reine Senats-Entscheidungen im Zusammenspiel mit der HafenCity Hamburg GmbH und wie viel Einfluss hat die Bezirksversammlung Mitte auf solche Planungen und Entscheidungen? Der Bezirk ist in diesen Fragen sekundär, weil der erst Einfluss nehmen und entscheiden kann, wenn die HafenCity in ein paar Jahren an den Bezirk übergeben ist. Während der Senat relativ früh in die Überlegungen der HafenCity Hamburg GmbH eingebunden ist und seine Vorstellungen nachhaltig mitgestalten, kann der Bezirk in dieser Phase nur Empfehlungen geben. 

Darüber ist der Bezirk Mitte nicht immer glücklich. Nun ja, das kann man so und so sehen. Die sogenannten Grünzüge Lohsepark und Baakenpark zum Beispiel sind so aufwändig geplant, dass sie zurzeit der Bezirk nicht in seine Verwaltung übernehmen möchte, weil sie mit mehr Geld entwickelt wurden, als es in anderen Bezirken mit Grünflächen üblich ist. Deswegen haben wir zurzeit die Sondersituation, dass die Finanzbehörde die Grünflächen verwaltet und nicht dem Bezirk Mitte übergibt, weil der sich geweigert hat, sie zu übernehmen. Die Interessen vom Land Hamburg und den Bezirken können eben durchaus unterschiedlich sein. 

Wie zum Beispiel auch beim Schulcampus Lohsepark, wo erst auf Kosten von weniger Raum für die Schule plötzlich Wohnungen gebaut werden sollten, was auf Drängen vom Bezirk Mitte und der Schulcampus-Initiative der Anwohner und vom Netzwerk HafenCity e.V. nun wieder fallengelassen wurde. Am Ende haben wir uns auch innerhalb des Senats dazu durchgerungen, dass wir nur die Schule bauen. Uns kam dabei zu Hilfe, dass die Schülerzahlen immer stärker steigen und dass wir nun den Schulcampus für 1.500 Schülerinnen und Schüler aus der HafenCity, Rothenburgsort, der Veddel und später auch vom Grasbrook planen. Das ist inzwischen von allen Seiten voll akzeptiert und das Schöne daran ist auch, dass man beim Schulcampus dann in der HafenCity nicht mehr nur unter sich bleibt, sondern sich mit den Menschen der Nachbarstadtteile mischt. Das ist auch deshalb wichtig, weil die HafenCity aus den falschen Planungen am Anfang heraus immer noch mit dem Image zu kämpfen hat, dass es ein Quartier nur für Wohlhabende sei. Was schon lange nicht mehr stimmt, aber sich hartnäckig als Vorurteil hält. Die östliche HafenCity wird deutlich gemischter im sogenannten Drittelmix gebaut aus gefördertem Wohnen, Baugemeinschaften und Wohneigentum. Trotzdem: So ein Ruf als Reichenviertel hält sich lange. 

Na, die Wahlergebnisse in der HafenCity bilden dieses Wohlhabenden-Image durchaus ab, denn die Liberalen und Christdemokraten sind dominant. Das dreht sich. Bei der jüngsten Bezirks- wie auch der Europawahl konnten wir uns dieses Jahr nicht beschweren. Wir haben gut zugelegt in der HafenCity. Jetzt ist es unsere Aufgabe bei den Kindern und den Schülerinnen und Schülern das Zusammenwachsen zu fördern. Der Lohsepark bietet für die Schüler vom Schulcampus mit dem denk.mal hannoverscher Bahnhof und dem künftigen Dokumentationszentrum für NS-Verfolgte eine spannende Kombination. Die jüngsten antisemitischen Vorfälle und rechtsradikalen Ereignisse haben gezeigt, dass wir Geschichte immer wieder neu an jüngere Generationen herantragen und neu vermitteln müssen.

„Die größte Herausforderung in der HafenCity ist für mich als Grüner die Beantwortung der Frage, wie wir die Verkehre künftig organisieren.“

Farid Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen in Hamburger Bürgerschaft

Manchmal kann auch Infrastruktur beim Zusammenwachsen von Stadtteilen helfen. Kommt mit einer weitergebauten U4-Linie auf den Grasbrook, die Veddel und in den Hafen der sogenannte Sprung über die Elbe? Nach der Einweihung des Elbbrücken-U-Bahnhofs haben wir Grüne uns direkt darum gekümmert, Planungsmittel für die Fortführung der U4 auf den Grasbrook frei zu machen. Das war nicht einfach und damals sehr umstritten. Die Skepsis ob der Sprung über die Elbe kommt, das will ich nicht verhehlen, ist nach wie vor in der Bürgerschaft und bei den Bewohnern da. Aber es ist wichtig, dass die U4 kommen wird. 

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„Nach der Einweihung des Elbbrücken-U-Bahnhofs haben wir Grüne uns direkt darum gekümmert, Planungsmittel für die Fortführung der U4 auf den Grasbrook frei zu machen. Das war nicht einfach und damals sehr umstritten.“ © Thomas Hampel

Was ist für Sie in den kommenden fünf Jahren als verantwortlicher Bürgerschaftsabgeordneter von Mitte und der HafenCity das Wichtigste? Die größte Herausforderung in der HafenCity ist für mich als Grüner die Beantwortung der Frage, wie wir die Verkehre künftig organisieren – auch zu Recht ausgelöst durch das ab 2022 voraussichtlich eröffnete Überseequartier Süd, das dann zu deutlich mehr Verkehr führen wird. Die HafenCity wurde als Durchgangsstadtteil für den Verkehr in die innere Stadt geplant. Nun fragen sich Anwohner und Verantwortliche: Ist das denn noch zeitgemäß? Nein, da müssen wir ran. Die jüngste Entscheidung der HafenCity Hamburg GmbH für die nächsten fünf Jahre den Verkehr in der Versmannstraße eine Autoverkehr- zur Fahrradspur zu machen, ist ein richtiges Zeichen. Das werden wir mit Wagenzählungen und Emmisionsmessungen begleiten, um es eventuell nach Ablauf der fünf Jahre begründet zu verlängern. Unser Thema ist: Wie halten wir die Durchgangsverkehre aus der HafenCity heraus und wie minimieren wir innerhalb der HafenCity den Autoverkehr, damit der nicht zu einer großen Belastung für die Bewohnerinnen und Bewohner wird? 

Wie halten Sie es als Grüner mit der Forderung nach einem generellen Tempo 30 in der HafenCity? Die Umsetzung von Tempo 30 hängt auch davon ab, wie stark wir die prognostizierten Durchgangsverkehre reduzieren können. Wenn wir das hinbekommen, wird es auch immer mehr Tempo-30-Zonen geben können. Wir müssen für die kommenden fünf Jahre das Verkehrskonzept für die HafenCity noch einmal vollkommen neu denken. Mit der eröffneten S- und U-Bahnstation Elbbrücken haben wir den Grundstein dafür gelegt, dass man nicht zwingend mit dem Auto in die HafenCity kommen muss. Ich bin gespannt, ob der autonom fahrende HVV-Bus „Heat“, ein tolles Projekt, in den kommenden drei Jahren in der HafenCity flächendeckend als Pendelverkehr eingeführt werden kann. 

Der rot-grüne Senat will Hamburg zur Fahrradstadt machen. In der HafenCity hat sich die Situation für Radfahrer deutlich verschlechtert. Wie passt das zusammen? Wie gesagt wurde die HafenCity von der CDU damals als Durchgangsverkehr-Quartier und nicht als Fahrradstadtteil geplant. Jetzt ist es nicht einfach in bestehenden Strukturen plausible Fahrradlösungen umzusetzen. Wir müssen sehen, wo und wie wir noch mehr für die Fahrradfahrer und Fußgänger tun können. 

Aber nicht in drei Jahren. Die Radfahrer der HafenCity brauchen jetzt Lösungen. Das müssen wir uns vornehmen. Die Verkehrswende ist ein elementarer Baustein des Anspruchs, klimaneutral zu werden. Wir müssen das schaffen. Im Moment gelingt es, pro Jahr 40 Kilometer neue Radwege in Hamburg zu installieren. Eigentlich brauchen wir jährlich 100 Kilometer. Wir werden überall umdenken müssen, nicht nur in der HafenCity, um die Verkehrswende nachhaltig zu schaffen. 

Die Grünen fordern eine autofreie Innenstadt … Autoarm, nicht autofrei. Die populistische Forderung, die City autofrei zu machen stellen andere und ist vollkommen unrealistisch. Wir sind doch nicht irre. Die Parkhäuser der City müssen zum Beispiel weiterhin angefahren werden können. Was wir versprechen können: Tempo 30, Fahrradstraßen und da autoärmer zu werden, wo es geht. Das kann man aber auch nicht von oben verordnen, da müssen alle mitmachen. Die Innenstadt-Kaufleute haben unser Konzept im Hinblick auf eine bessere Aufenthaltsqualität gelobt. Wir bemühen uns um schlauere Verkehrskonzepte und der autonome Stadtteilbus „Heat“ könnte eins sein. Die wachsende HafenCity braucht gute Busverbindungen und die Querverbindungen in die City hinein müssen deutlich verbessert werden. Unser jüngstes Konzept sieht vor, dass wir mehr Überwege in die City schaffen müssen.

Das meint Brücken. Den Handelskammervorschlag einer Untertunnelung der Willy-Brandt-Str. zu machen und durch den Verkauf der neu geschaffenen oberirdischen Flächen zu finanzieren, finden Sie unrealistisch? Bei der Untertunnelung sind wir zurückhaltend, weil wir viele Expertenhinweise bekommen haben, dass die Untertunnelung in der Umsetzung bautechnisch gelinde gesagt eine Herausforderung sei. Bevor sich die Grünen jahrelang mit dem Tunnelbau einer sechsspurigen Ein- und Ausfallstraße beschäftigen und womöglich verheben, weil ja auch der Verkehr in der jahrelangen Bauphase woanders stattfinden muss. Eine bessere Verbindung kann man durch intelligentere Ampelphasen, normale bessere Übergänge wie auch Brücken schaffen. 

Der Nabu fordert, dass wegen der Schweröl-Emissionen nur noch Kreuzfahrtschiffe mit Landstromanschluss in Hamburg anlegen sollen wie in Norwegen. Die Grünen schweigen eher und haben die Elbvertiefung mitgetragen. Wie viel Greta steckt in den Hamburger Grünen? Wir schweigen überhaupt nicht und haben gerade vor Weihnachten im Senat beschlossen, dass die Landstromversorgung für alle Kreuzfahrtterminals wie auch für Containerschiffe kommen soll. Man muss auch realistisch bleiben, auch das ist grüne Politik. Den Reedern gegenüber können wir doch kein Landstrom-Gebot aussprechen, wenn die Landstromanschlüsse noch nicht da sind. Im Moment verfügen wir nur über den einen in Altona. Es sind auch von mir im Haushaltsausschuss über 70 Millionen Euro freigegeben worden, um die Landstromanschlüsse zu installieren. Das dauert zwei bis drei Jahre, bis die im Kreuzfahrtterminal HafenCity und in Steinwerder installiert sind. Und dann kann man sehen, ob man es für die Reedereien zur Pflicht machen wird. Leer stehen werden sie nicht.

Und erst die Hafenwirtschaft! Das ist keine Liebesverbindung. Wir wollen einen grünen Hafen und die Hafenunternehmer wissen, dass es gut wäre, wenn wir ihn hätten. Außerdem sind die Grünen nicht so blöd und fordern die sofortige Landstrompflicht für die Containerschifffahrt. Das bekämen wir auch nicht hin. Haben wir die Anschlüsse, sorgen wir auch dafür, dass sie genutzt werden. Wichtig für dieses Thema war auch die Senkung der EEG-Umlage für den Strom aus erneuerbaren Energien, als Anreiz für die Reeder. Darüber hinaus wollen die Grünen keine Wettbewerbsverzerrung. Mit dem Rotterdamer Stadtrat haben wir jetzt eine Vereinbarung getroffen, dass wir bei der Landstromversorgung Hand in Hand gehen und uns nicht gegeneinander ausspielen lassen wollen. Das müssen wir auch mit den anderen deutschen Seehäfen hinbekommen. Der Dreiklang aus Landstrom, zu senkender EEG-Umlage und den Gleichklang mit den anderen großen Seehäfen Europas muss klappen. Auch die HHLa will 2040 klimaneutral sein. Als Grüne sind wir nicht mehr in Konfrontation zur Hafenwirtschaft, sondern streben ein Hand-in-Hand-Gehen an. Niemand soll ruiniert werden, sondern die Grünen wollen beim Erreichen der Klimaziele helfen. Die Grünen sind ein verlässlicher Partner für die Hafenwirtschaft. 

Die jüngste NDR-Bürgerschaftswahl-2020-Umfrage sieht SPD und Grüne gleichauf. Kann Katharina Fegebank die historisch erste grüne und weibliche Erste Bürgermeisterin Hamburgs werden? Die Chancen standen noch nie so gut. Das elektrisiert bei uns alle Mitglieder und viele in der Stadt. Gleichwohl wollen wir Grüne den Wahlkampf in der Fraktion und mit den Senatoren fair führen. Mit uns gibt es keine Zickereien im Senat und wir werden Hamburg ordentlich bis zum 23. Februar 2020 weiterregieren. Es gibt einen Wettbewerb über die besten Vorstellungen und Ideen und der Wähler wird dann entscheiden. 

Welche Visionen haben Sie – unabhängig vom bodennahen Regieren in Hamburg – für die HafenCity? Da bewegen mich zwei Themen. Einerseits das Projekt Festland von Hamburg Leuchtfeuer mit der Unterkunft für chronisch kranke Jugendliche im Baakenhafen und das unser aller fortgesetzte Unterstützung bedarf. Es ist in der Koalition ein von allen gewolltes und getragenes Projekt, gut durchfinanziert und mit einem exzellentes Konzept. Das andere Projekt ist das Digitale Museum, das womöglich in die HafenCity kommen wird. Ich war im Sommer mit dem ersten Bürgermeister auf einer Delegationsreise in Asien. Dort haben wir in Tokio das Digitale Museum besichtigt und ich bin davon total angetan. Es muss von den Betreibern noch durchgerechnet werden, aber es wäre klasse, wenn es wirtschaftlich gelingen sollte, es in die HafenCity zu bringen. Als Stadt werden wir nicht in den Betrieb investieren, wir vergeben nur das Grundstück. Das ist unser Teil einer Unterstützung. Der geplante Standort im Elbbrückenquartier direkt an S- und U-Bahnstation wäre perfekt für alle, auch Familien. 

Digitale Zukunft, Drittelmix beim Wohnen, wirtschaftliche Vernunft oder klimaneutrales Hamburg: So sozialdemokratisch waren die Grünen selten und so grün wie nie präsentiert sich auch der erste Bürgermeister Peter Tschentscher. Was ist der entscheidende Unterschied? Also, natürlich freuen wir uns, wenn der Erste Bürgermeister ergrünt. Am Ende müssen die Wähler entscheiden, wem sie am nachhaltigsten die Umsetzung zutrauen, wenn es Widerstände geben wird. Und die gibt es immer. Große gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen passieren nie einfach so. Ich wünsche mir eine weitere Zusammenarbeit im Senat in der jetzigen Zusammensetzung. Viele wollen sicher gewährleistet haben, dass die Projekte der inzwischen ergrünten SPD nach der Wahl auch Bestand haben werden. Und dafür sorgen die Grünen. Der Wasserpegel steigt und steigt und die Deiche können nicht einfach immer höher gebaut werden. 

„Als Grüne sind wir nicht mehr in Konfrontation zur Hafenwirtschaft, sondern streben ein Hand-in-Hand-Gehen an.“ Die Folgen des Klimawandels treffen Hamburg und die HafenCity massiv und schnell. Wir müssen vorangehen und parallel die Digitalisierung umsetzen, ohne dass es in der Stadt zu sozialen Verwerfungen kommt. Wir Grüne wollen den Optimismus schüren, dass Hamburg Lust auf dem Weg zur Klimaneutralität und auf die Digitalisierung hat, weil beide Aspekte die Zukunft Hamburgs sichern. Hamburg braucht angesichts der Herausforderungen durchaus noch mehr Mut. 
Das Gespräch führte Wolfgang Timpe 

Nachrichten von der Hamburger Stadtküste

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