Maritimes Hochamt.Die Ausstellung „See und Hafen“ mit großformatigen Bilder der vier Fotografen Hampel, Hettchen, Stempels und Wigger ist ab 3. Juni in der Hauptkirche St. Katharinen zu sehen
See und Hafen – Fernweh und Sehnsucht? Für viele sicher eine romantische Vorstellung vergangener Zeiten. Aber auch heute noch gibt es den Wunsch, hinauszufahren, ferne Länder zu besuchen, exotische Kulturen zu entdecken – um nach unbestimmter Reisedauer dann wieder mit sehnsüchtiger Freude in den Heimathafen zurückzukehren.
Foto oben: Eindrucksvolle Großformate in einem eindrucksvollen Gebäude – St. Katharinen als Sommer-Ausstellungsraum: Der mit ausstellende Fotograf Heinz-Joachim Hettchen hat mal visualisiert, wie Werke der vier Fotografen im Kirchenschiff wirken. © Heinz-Joachim Hettchen
See und Hafen – Arbeit und Notwendigkeit? Für viele sicher Lebensgrundlage für das Auskommen und die Existenz. Ein Fischer aus Le Guilvinec in der Bretagne, ein Werftarbeiter aus Stade bei Hamburg, ein philippinischer Seemann aus Panglao oder eine Kapitänin aus Trelleborg in Schweden. Es verbindet sie das Fahren auf dem Schiff, das Arbeiten auf See und im Hafen bzw. im Dock oder am Kai.
Die ausgestellten Arbeiten der vier Fotografen Thomas Hampel, Heinz-Joachim Hettchen, Manfred Stempels und Manfred Wigger beeindrucken nicht nur durch ihre Unterschiede in Sachen Romantik oder Realismus, vielmehr fällt bei längerem Betrachten die Vielschichtigkeit jedes einzelnen Motivs ins Auge. So kommt einem stets der Mensch in den Sinn, auch wenn er vordergründig vielleicht nicht zu sehen ist, seine verborgene Geschichte. Aber die Vorstellung kann lebendig werden!
Wie der Fischer eines dieser bretonischen Fischerboote lebte und was aus ihm geworden ist? Wer die starken Kerle an diesen großen Stahlriesen waren, die in den Hamburger Docks schweißten, flexten, pinselten? Wie es neben der harten körperlichen Arbeit dem Seemann ergangen sein mag, der monatelang von seiner Familie getrennt an Bord war? Was waren die Gedanken derer, die auf einer Fähre in die Ferne schweiften und sich langsam ihrem Ziel näherten? Andy Lindemann
INFO
Die Fotoausstellung „See und Hafen“ ist vom 3. Juni bis 14. August 2022 in der Hauptkirche St. Katharinen, Katharinenkirchhof 1, 20457 Hamburg, zu sehen. Der Eintritt ist, außer während geschlossener Veranstaltungen, in der Kirche frei. Öffnungszeiten: täglich von 10–17 Uhr.
Die Künstler
Die vier Fotografen Thomas Hampel, Heinz-Joachim Hettchen, Manfred Stempels und Manfred Wigger sind seit Jahrzehnten mit dem Quartier verbunden. Und sie haben sich, oft gemeinsam und manchmal auf eigenen Pfaden, immer über die Profession hinaus engagiert und vielfach leidenschaftlich ihr eigenes Bild von der Stadt, der Schifffahrt, dem Hafen und den Menschen darin gemacht.
Kontakt
Elbe&Flut, Am Sandtorkai 1, 20457 Hamburg, Tel. 040/30 39 30 39, Mail: post@euf.de, Web: see-und-hafen.de, Instagram: @see_und_hafen
Interview Künstlerisches Kreuzverhör mit 4 Hamburger Fotografen-Legenden aus Speicherstadt/HafenCity
»Das Anrührende und Bewegende«
Wir haben den vier Schöpfern der Fotowerke von „See und Hafen“ mal die Fragen gestellt, die ihre Bilder bei uns ausgelöst haben – und erhielten überraschende Antworten vom Fotografen-Kollektiv. Lesen Sie mal. Viel Spaß!
In der Hauptkirche St. Katharinen hängen noch bis zum 14. August viele übergroße See- und Hafenbilder von Ihnen, den vier Fotografen. Was haben See- und Schifffahrtsbilder in einer Kirche zu suchen? Übergroß sind unsere Fotos nicht – eigentlich sind sie gerade groß genug, um gut gesehen und wahrgenommen werden zu können :-). Wir können in einem Gebäude wie St. Katharinen ja kaum mit A3-Ausdrucken überzeugen. Die Kirche bietet in ihrem Schiff den Raum für diese Schiffsbilder – zudem ist St. Katharinen in Hamburg tatsächlich die Kirche der Seefahrer und der Schifffahrt. Vor dem Bau der Speicherstadt stand sie inmitten des Hafenviertels zwischen dem Nicolaifleet und der Elbe, das die Kirche seit dem Bau der HafenCity wieder zu ihrem Gemeindegebiet zählt. Insofern suchen die Bilder hier ihre Betrachter an einem Ort, der in innerer Beziehung zum fotografischen Thema steht und zu dem auch wir Fotografen seit Langem eine besonderere Beziehung pflegen.
Was war Ihre gemeinsame Idee, warum haben Sie diese Motive für die Ausstellung „See und Hafen“ im Kirchenschiff von St. Katharinen ausgesucht? Die gemeinsame Idee ist der Gemeinsamkeit von uns vier Freunden und Fotografen zu verdanken: Wir kennen und begegnen uns seit vier Jahrzehnten in unserer Arbeit und auch gern anschließend beim Wein oder grünen Tee, Vorstellungen wurden und werden gesponnen, diskutiert und verworfen. Im Laufe der Zeit hat sich dabei die Idee einer gemeinsamen und doch auch die jeweilige individuelle Position abbildenden Ausstellung herauskristallisiert. Nach allen Abwägungen, Kritiken, Bestärkungen und mit ein wenig Hilfe von befreundeten Partnern wie Pastor Frank Engelbrecht von St. Katharinen oder Bengt van Beuningen vom Hafen Hamburg Marketing e. V. können wir jetzt in dieser Ausstellung eine Zusammenschau unserer Fotos zeigen.
Es sind jeweils Bilder aus den vergangenen vier Jahrzehnten von Ihnen, maritime Motive, die Sie auf den Weltmeeren, im Hamburger Hafen wie auch in der Speicherstadt und der HafenCity gefunden haben. Was verbindet die ästhetisch so unterschiedlichen fotografischen Handschriften? Die unterschiedlichen Fotos sind durch uns und die Geschichte ihrer Entstehung verbunden – von Anfang an präsentierten wir uns gegenseitig, was wir machen, besprechen, worauf wir Wert legen, diskutieren Vorgehensweisen, Sujets und Techniken, nicht selten auch kontrovers. Wir sind ebenso professionelle wie enthusiastische Individualisten, und besonders als solche gehören wir und die Bilder biografisch zusammen. Jeder hat die anderen mit Rat und Kritik beeinflusst, ohne dabei die Eigenständigkeit der Auffassung zu beeinträchtigen.
Die Hochseefotos der Schiffsmotive von Manfred Wigger, „Auf See“, zeichnet zum Beispiel eine offenbar gewollte Unschärfe aus. Warum? Der Begriff „gewollte Unschärfe“ trifft es nicht wirklich, das klingt zu romantisch. Denn die Bilder sind scharf fokussiert und dann erst durch die Bewegung des Schiffes und die längere Belichtungszeit mehr oder weniger verwackelt, und das gehört zum Moment, zur Erfahrung, schließlich zum Bild, das anders nicht zu machen ist und auch gar nicht anders gemacht werden will. Diese Sequenzen vom Unterwegssein auf einem Meer in Bewegung können Perspektiven in Bewegung bringen.
Die Schiffs- und Hafenmotive „Auf Fahrt“ von Heinz-Joachim Hettchen wiederum leben von einer besonderen Tiefenschärfe, knalliger Farbgebung und oftmals romantisch anmutendem Licht. Entsteht bei ihm die Dramatisierung der Bilder in der Bildbearbeitung noch einmal neu? Wir kommen ja alle aus der fotografischen Bronze- bzw. Analogzeit, in der man für bestimmte Aufgaben bestimmte Filme mit charakteristischer Farbwiedergabe wählte, zum Beispiel den Fuji Velvia, um mal eine Sachinformation durchzustechen – oder man kann, wie in der Dunkelkammer durch Abwedeln oder Nachbelichten, im Raw-Konverter die Gradation und Farbtemparatur von Bildern justieren, ohne dass das Foto dadurch weniger authentisch würde. Kurzum: Die intensive Farbwirkung ist teils beabsichtigt, und teils ist sie durch das subtropische Licht ins Bild gesickert. Viel authentischer geht’s nicht, oder?
In den Bildthemen „Im Dock“ von Thomas Hampel zeigen und porträtieren Sie unter anderen Werft-, Schiffs- und Hafenarbeiter im Verhältnis zum eingerüsteten Schiff oder übergroßen Schiffsgegenständen wie etwa einer Schiffsschraube. Was fasziniert den Fotografen an dem Reparaturbetrieb im Dock? Alles! Die Dimensionen von Docks, Schiffen, Ankern, Ketten, Ruderblättern und Antriebsschrauben im Vergleich zum menschlichen Maaßstab, das Gefühl, wie ein Winzling im Kinderzimmer rüpelhaften Giganten ausgesetzt zu sein. Oder das klamme Gefühl, zwischen den Kielpallen unter den Schiffen hindurchzugehen, in diesen nasskalten, dunklen, von Seepocken und Algen triefenden Metallgrüften Menschen bei der Arbeit zu finden. Alles war anfangs überwältigend, und der Blick fürs große Ganze und für die Details schärfte sich erst nach und nach.
In den oft auch in Schwarz-Weiß aufgenommenen Bildern „Auf Grund“ von Manfred Stempels dominieren Verfallsmotive von ausrangierten oder gestrandeten Schiffen sowie verfallenen Kaianlagen die Schiffs- und Hafenatmosphäre. Was reizt den früheren Marketingarbeiter im Hafen an der Schönheit des Verfalls? Verfall kann sehr ästhetisch sein, er erinnert uns an die Vergänglichkeit von allem, und aus dieser großen Melancholie lässt sich im Kleinen doch viel Mut in Form von Humor gewinnen. Schon immer haben sich Künstler mit der Vanitas auseinandergesetzt – die alten Niederländer zum Beispiel in ihren Stillleben. Und das gehörte zwingend auch zur Arbeitsplatzbeschreibung der Öffentlichkeitsarbeit der HHLA: Die Bilder vom Gestrigen zeigen gut, was übermorgen von unseren Zukunftsvisionen übrig geblieben sein wird!
Ihr Fotografenquartett bezeichnet sich gern als „alte Säcke“, die jahrzehntelang im See- und Hafenmilieu gearbeitet und fotografiert haben. Wo drückt sich wie Erfahrung in Ihren Bildern aus? Aufgepasst, die „alten Säcke“ nehmen 1. mit dieser Selbstbeschreibung jeder abfälligen Beurteilung den Wind aus den Segeln und erwarten 2. gleichzeitig natürlich gerade deshalb einen angemessenen Respekt vorm Werk! Im Ernst: So wie die Dinge liegen, sind wir gemeinsam etwas gereift, unsere Ursprünge liegen ja in einer Zeit, in der Stückgut in Säcken über die Meere geschippert wurde, und das steigert den Erkenntnisgewinn doch ganz ordentlich! Erfahrung macht ruhiger, mit Ruhe kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren, und das Wesen der Dinge und das, was einem daran wesentlich ist, muss man auch erst mal rauskriegen. Und dann, alle alten Freunde kennen das, muss man sich auch lange genug aushalten, um von alten Säcken im Plural sprechen zu können.
Ihre großformatigen Bilder in St. Katharinen verbreiten eine sehnsuchtsvolle maritime Atmosphäre. Was sagen Sie, wenn Betrachter:innen Ihre Bilder als fein komponierten See-, Schiffs- und Hafen-Kitsch einordnen würden? Na, das liegt im Auge des Betrachters, da kann man nichts machen. Und natürlich ist solider Kitsch dem guten Lichtbild sehr zuträglich – wo bliebe denn sonst der emotionale Gleichklang, das Anrührende und Bewegende? Aber wir haben uns, jeder für sich, sehr bemüht, das Pathos zu reduzieren und die Sonnenuntergänge, die sich ja insbesondere in der goldenen Erinnerung fast täglich ins Foto drängeln, meist abseits des Bildausschnittes stattfinden zu lassen.
Nein, das liegt definitiv nicht im Auge des Betrachters! Kitsch wird natürlich beim Sehnsuchtsthema Seefahrt gern bemüht und oft benutzt. Ich glaube, keiner von uns gibt sich mit solchem süßlichen Verklärungskram ab. Das verliert sich vollständig, wenn man über viele Jahre Erfahrungen gesammelt hat. „Eine Seefahrt, die ist lustig“, heißt der Titel eines alten Liedes. Das für sich genommen ist schon kitschig, denn es ist eben nur ein winziger sentimentaler Teil einer Wirklichkeit, die auf See und im Hafen meist ganz anders aussieht. Allerdings kann eine Seefahrt sehr schön sein!
Was hoffen Sie, was die Menschen bewegt, wenn Sie die Kirche und Ihre Ausstellung verlassen? Wir hoffen, die Kirchen- und Ausstellungsbesucher bewegt dasselbe wie uns: Hamburg, St. Katharinen, die Schifffahrt, die Vergänglichkeit und der ganze Rest! Man sollte immer ein Handtuch dabeihaben. Übrigens: Zum ganzen Rest gehört natürlich auch die aktuelle Situation der Welt. Wir möchten den Verein „Der Hafen hilft“ und dessen Wahrnehmung unterstützen, und dieser Verein hilft ukrainischen Seeleuten und ihren Angehörigen.
Die Fragen
stellte Wolfgang Timpe
Die Antworten
gaben: Thomas Hampel, Heinz-Joachim Hettchen, Manfred Stempels und Manfred -Wigger.
Das Protokoll wurde nach der altersbedingt bruchstückhaften und versackten Erinnerung von Thomas Hampel erstellt – und von den drei Kollegen frei gegeben.