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Silvester-Böllerei: »Wir brauchen schnellere Strafverfahren. Nur so kann Abschreckung funktionieren«

Die Debatte um die Silvester-Böller-Täter, die Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte angegriffen haben, nimmt weiter Fahrt auf. Ist fehlende Bildung oder gescheiterte Integration schuld, debattieren Politiker und Öffentlichkeit in Hamburg und Berlin? CDU-MdB Christoph de Vries antwortet im Gespräch mit der HafenCity Zeitung seinem Hamburger SPD-MdB-Kollegen Falko Droßmann, der ihm u.a. im Interview mit dieser Zeitung „Rassismus“ vorgeworfen hatte

Herr de Vries, Sie sind seit knapp anderthalb Jahren wieder über Liste in den Bundestag gewählt worden und vertreten die CDU im Ausschuss für Inneres und Heimat. Nach den kriminellen Silvester-Böller-Attentaten auf Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte, u.a. in Berlin und Hamburg, haben Sie schnell analysiert, dass es vorwiegend Täter mit Migrationshintergrund seien und somit auch ein Symbol gescheiterter Integrationspolitik. Warum? Wir sehen seit Jahren bei ähnlichen Ereignissen – Stichwort Silvesterübergriffe auf Frauen in Köln – immer auch ein ähnliches Bild, wenn wir uns die Tatverdächtigen näher anschauen. Hier geht es nicht um ein allgemeines Migrationsproblem oder um Bildung, sondern den kriminellen Silvestertätern geht es vor allem um Integrationsdefizite und gescheiterte Integration einer kleinen Gruppe. Zwei Drittel der Silvester-Tatverdächtigen in Berlin hatten keine deutsche Staatsangehörigkeit. Über das andere Drittel wissen wir nicht, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht. Die Berichte der betroffenen Einsatzkräfte lassen das vermuten. Wir hätten das prüfen können, wenn der rot-rot-grüne Senat in Berlin nicht das Merkmal Migrationshintergrund letztes Jahr aus seiner polizeilichen Statistik als Kennzahl gestrichen hätte, dann hätte man auch keine Nachfragen zu den Vornamen stellen müssen.
Foto oben: Der Hamburger Bundestagsabgeordnete (MdB) Christoph de Vries (CDU) zum Rassismus-Vorwurf seines Hamburger MdB-Kollegen Falko Droßmann (SPD): „Ich will Ihnen eins sagen, bei allen Meinungsverschiedenheiten: Es gehört sich nicht, unter guten Demokraten so miteinander umzugehen. Das ist kein Stil, den wir miteinander pflegen sollten. Wir sind doch Vorbild für die Bürger im Land.“ © Privat

Aber Vornamen wie Ahmed oder Khalid sagen doch nichts darüber aus, ob diejenigen Asylantragsteller, Migranten oder deutsche Staatsbürger sind? Selbstverständlich, aber man will doch wissen, über wen wir hier reden, wer die Täter sind. Ob es ein deutscher, ausländischer oder ein Deutscher mit Migrationshintergrund ist, der Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte tätlich angreift und daran hindert Menschenleben zu retten, der ist in jedem Fall in unserer Gesellschaft nicht integriert. Das ist ein asoziales Verhalten, für das es keine Entschuldigung gibt. Und wir dürfen uns auch nicht irgendwelcher Opfer-Narrative für eine kleine extrem gewaltbereite Gruppe bedienen. Wir leben in einer Zeit, in der die junge Generation und damit auch die Jugendlichen mit Migrationshintergrund der 2. und 3. Generation noch nie so gute Perspektiven hatten, aus ihrem Leben etwas zu machen, gerne auch mit viel individueller Unterstützung, wenn nötig.  

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es in Berlin 38 statt 150 Festnahmen gab, wovon zwei Drittel deutsche Staatsangehörige unter 21 Jahre waren, viele mit Migrationshintergrund. In Hamburg wurden 14 Personen wegen kriminellen Böller-Verdachts festgesetzt, die zwischen 16 und 37 Jahre alt waren und die deutsche, polnische und iranische Staatsangehörigkeit haben. Korrigiert das Ihre Erstanalyse? Nein. Ich kann nur davor warnen, jetzt die realen Eindrücke zu relativieren. Wir haben ja Zeugenberichte von Rettungskräften mit Migrationshintergrund, die den Täterhintergrund Migration ganz klar bestätigen. Sich jetzt einzelne Delikte herauszusuchen und den Migrationshintergrund der Täter zu relativieren, halte ich für höchst gefährlich. Im Übrigen sind diese angeblich neuen Zahlen von der Berliner Polizei auch auf Nachfrage nicht bestätigt worden. Wissen Sie, wenn man einen Feuerlöscher in ein Rettungsfahrzeug wirft, ist das kein aber auch kein bisschen besser, als einen Böller auf eine Einsatzkraft zu werfen. Die Tatverdächtigen der Silvesternacht und die vorläufig Festgenommen haben mehrheitlich Migrationshintergrund.

Christoph de Vries: „Die große Gruppe der Migranten lebt bei uns rechtstreu und integriert in Deutschland. Nur diese kleine Gruppe Gewaltbereiter beschädigen den Ruf der Migranten. Mir haben zahlreichen Migrantengruppen in der letzten Woche im persönlichen Gespräch gesagt, dass der deutsche Rechtsstaat viel härter durchgreifen müsse. Keiner von den Tätern aus Berlin würde sich in den Heimatländern so etwas trauen. Die nehmen unseren Staat als schwach wahr und an dieses Phänomen müssen wir herangehen und viel früher ansetzen. Aber was überhaupt nicht hilft, ist diese Themen zu tabuisieren und zu ignorieren. Das hat noch nie Problem gelöst, sondern sie in der Regel immer größer gemacht.“ © Privat

Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sieht fehlende Bildung und fehlende Berufsabschlüsse als wichtigen Aspekt, nicht das Thema Integration. Ich habe den Polizeipräsidenten auch gehört und er kommt auf einen Anteil von 50 Prozent Migrationshintergrund und das empfinde ich schon als enorm. Wir müssen es aber auch nicht auf diese Frage verkürzen. Wir haben 2022 die Diskussion mit den Übergriffen in den Schwimmbädern in Deutschland gehabt. Und wir haben es mit einer Klientel zu tun, die immer relativ ähnlich ist. Wir reden hier in der Masse nicht über EU-Bürger, Asiaten oder Menschen mit afrikanischen Wurzeln, sondern ein überproportionaler Anteil dieser Tatverdächtigen kommt aus arabischen Ländern oder hat teilweise auch türkische Wurzeln. Die große Gruppe der Migranten lebt bei uns rechtstreu und integriert in Deutschland. Nur diese kleine Gruppe Gewaltbereiter beschädigen den Ruf der Migranten. Mir haben zahlreichen Migrantengruppen in der letzten Woche im persönlichen Gespräch gesagt, dass der deutsche Rechtsstaat viel härter durchgreifen müsse. Keiner von denen Tätern aus Berlin würde sich in den Heimatländern so etwas trauen. Die nehmen unseren Staat als schwach wahr und an dieses Phänomen müssen wir herangehen und viel früher ansetzen. Aber was überhaupt nicht hilft, ist diese Themen zu tabuisieren und zu ignorieren. Das hat noch nie Problem gelöst, sondern sie in der Regel immer größer gemacht.

Sie sprachen nach den Ereignissen ironisch, polizeisprachlich politisch korrekt, bei den Tätern von „Personen, Phänotypus: westasiatisch dunklerer Hauttyp“ und meinten damit auch, dass offizielle Sprachregelungen mit dafür sorgen würden, dass über das Scheitern von Integration in Deutschland nicht offen geredet werden dürfe und Straftäter mit Migrationshintergrund nicht konsequent genug abgeschoben würden. Dafür haben Sie einen breiten Shitstorm geerntet, u.a. auch die direkte Kritik Ihres MdB-Kollegen aus Hamburg-Mitte Falko Droßmann, der Ihnen im Gespräch mit der HafenCity Zeitung „Rassismus“ vorwirft. Provozieren Sie und wenn ja, mit welchem Ziel? Ich will Ihnen eins sagen, bei allen Meinungsverschiedenheiten: Es gehört sich nicht, unter guten Demokraten so miteinander umzugehen. Das ist kein Stil, den wir miteinander pflegen sollten. Wir sind doch Vorbild für die Bürger im Land. Und was ich feststelle, ist, dass ausgerechnet diejenigen, die Tag für Tag im Bundestag und in den Medien vor Hass und Hetze im Netz warnen, sich dann ausgerechnet solcher persönlichen Beleidigung bedienen, wenn es um die politische Auseinandersetzung von linker Seite aus geht. Das muss ein Ende haben und das vergiftet das politische Klima in unserem Land. 

Inwiefern? Es führt dazu, dass die Grenze des Sagbaren immer enger gezogen wird. Wenn man etwas aus falscher politischer Korrektheit nicht sagen darf, stärkt das am Ende die Ränder, und das schadet unserer Demokratie. Wir brauchen eine ganz andere Diskussionskultur. Die Menschen sind diese Sprech- und Denkverbote von linker Seite satt. Ich habe noch nie so viel Zuspruch erhalten wie in den letzten Tagen – auch von Migrantengruppen und auf den zahlreichen Neujahrsempfängen – im Übrigen auch von Vertretern anderer Parteien wie der SPD und FDP. Wir erleben hier einen gravierenden Unterschied zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung. Jedenfalls werde ich diesen Stil nicht annehmen. Ich finde, als bürgerlicher Politiker muss man hier Vorbild sein. Was ich aber für mich mitnehme, ist, dass Ironie kein geeignetes Stilmittel ist und zu Missverständnissen führen kann. Denn am Ende habe ich einen Sprachgebrauch der rot-rot-grünen Landesregierung in Berlin übernommen, um mich darüber lustig zu machen. Daraus ein Rassismus-Vorwurf mir gegenüber zu konstruieren, ist schon wirklich absurd und bösartig. 

Droßmann sagt im HCZ-Interview fehlende Bildung und Schulabbrüche seien das, was geändert werden müsste und sagt zu Ihren Integrationsvorwürfen: „Christoph de Vries verbindet das immer mit den Themen Abschiebung und Migration. Und das hat oftmals rassistische Züge.“ Fühlen Sie sich falsch verstanden? Nein, das ist ja grundsätzlich auch nicht verkehrt. Aber die Frage muss man an den rot-rot-grünen Senat in Berlin schon richten, warum denn Berlin eine der höchsten Schulabbrecherquoten in Deutschland hat? Warum denn ein großer Anteil der Absolventen Berliner Schulen nicht mal die Mindeststandards in Naturwissenschaften und anderen Fächern erreicht? Das ist eine Verantwortung der rot-rot-grünen Regierung in Berlin. Und Falko Droßmanns Partei, die SPD, regiert dort seit Jahrzehnten ununterbrochen. Selbstverständlich trägt auch Bildungsmisserfolg zu solchem Verhalten bei, das ist unstrittig. Es ist jedoch nicht die alleinige Ursache und es ist schon überhaupt keine Rechtfertigung. Wir haben in Berlin und auch in Hamburg viele sozial schwache, belastete Stadtteile. Trotzdem haben wir viele Gruppen, Migranten und Communities, die sich an solchen indiskutablen Übergriffen in keiner Form beteiligen. Und deswegen muss man die Frage nach den Tätergruppen schon stellen dürfen und sie dann auch klar benennen und aussprechen dürfen und nicht herumschwurbeln. Es gibt einen Zusammenhang von Silvestertätern und Migration. Der ist augenscheinlich und die Menschen sehen das auch mit offenen Augen. 

Vita: Christoph de Vries
ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages für die CDU des Wahlkreises 18 Hamburg-Mitte und vertritt die CDU im Ausschuss Inneres und Heimat sowie im Familienausschuss. Ferner ist er Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes und Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen, Spätaussiedler und dt. Minderheiten in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der 48-jährige gebürtige Hamburger studierte nach dem Abitur an der Uni Hamburg Soziologie und in den Nebenfächern Volkswirtschaft, Politik und Psychologie. In der CDU war der gläubige Katholik schon kurz nach dem Abitur Mitglied der CDU geworden und machte die parteipolitische Ochsentour über Bezirksversammlung und die Hamburgische Bürgerschaft in den Bundestag. Seit 2007 ist er Mitglied im CDU-Landesvorstand, seit 2015 Kreisvorsitzender der CDU Hamburg-Mitte und seit 2016 stellvertretender Landesvorsitzender. 
Christoph de Vries ist „begeisterter Familienvater“, verheiratet und hat zwei Töchter (14 und 12 Jahre) und einen Sohn (6 Jahre). Seine Frau ist Grundschullehrerin für Englisch und Musik. De Vries ist HSV-Fan und aktiver Tischtennisspieler, seit seinem 11. Lebensjahr spielt er in der Spielvereinigung Blankenese. Er wohnt mit seiner Familie in Lurup-Osdorf.

Das sieht Hamburgs Polizeipräsident offenbar anders. Wo ich ihm recht gebe, ist, dass das nicht die alleinige Betrachtungsperspektive dieses Phänomens sein kann. Aber wir können es auch nicht ignorieren und ausblenden, denn wir haben ja in allen Bevölkerungsgruppen auch Menschen mit geringer Bildungsaffinität und mit einem hohen Anteil staatlicher Transferleistungen, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Und die betätigen sich trotzdem nicht in dieser Form an Übergriffen auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte. Das ist doch augenfällig.

Warum machen Sie denn generell den Unterschied zwischen „genuin deutsch“ und „nicht genuin deutsch“? Das spaltet doch die Gesellschaft, was Sie als überzeugter Katholik mit der entsprechenden Soziallehre eigentlich ablehnen. Fischen Sie damit vorsätzlich im rechten AfD-Lager für Wählerstimmen?
Nein. Wissen Sie, wir erleben in diesen Diskussionen immer dasselbe Muster. Große Teile der Medien und auch der linke Teil des Parlaments tut sich sehr schwer, die Dinge beim Namen zu benennen. Das haben wir auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern beobachten können, wie dort geschwurbelt und die Täter nicht beim Namen benannt wurden, obwohl die Erkenntnisse vorlagen. Und wenn es dann die bürgerlichen Parteien wie CDU und FDP machen, dann wird sofort die Rassismus- und Nazikeule geschwungen. Dieser Vorwurf ist absurd.

Warum werden Sie immer wieder so angegangen? Weil man nicht genau hinschaut und hinhört. Ich bin zuständig beispielsweise für jüdisches Leben in Deutschland zuständig und habe engsten Kontakt zu vielen Migrantengruppen und ich bekämpfe den Islamismus. Wenn man diese Dinge macht, ist man sehr schnell diesen Vorwürfen ausgesetzt, weil es natürlich auch einfacher ist, den politischen Gegner zu diffamieren, als sich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen. Ich habe mir da ein dickes Fell zugelegt, aber trotzdem trifft einen das immer wieder. Aber es trifft mich noch viel mehr, weil eben diese Diskussionskultur so vergiftet ist und weil wir bürgerlichen Politiker das in ähnlicher Form nicht betreiben. 

Christoph de Vries: „Selbstverständlich trägt auch Bildungsmisserfolg zu solchem Verhalten bei, das ist unstrittig. Es ist jedoch nicht die alleinige Ursache und es ist schon überhaupt keine Rechtfertigung. Wir haben in Berlin und auch in Hamburg viele sozial schwache, belastete Stadtteile. Trotzdem haben wir viele Gruppen, Migranten und Communities, die sich an solchen indiskutablen Übergriffen in keiner Form beteiligen. Und deswegen muss man die Frage nach den Tätergruppen schon stellen dürfen und sie dann auch klar benennen und aussprechen dürfen und nicht herumschwurbeln. Es gibt einen Zusammenhang von Silvestertätern und Migration. Der ist augenscheinlich und die Menschen sehen das auch mit offenen Augen.“ Privat

Warum sprechen Sie denn u.a. von „genuin deutsch“? Ich saß in einer mehr als zweistündigen Diskussionsveranstaltung in Frankfurt und es ging um den Islamismus. Und ich bin einer der wenigen Abgeordneten in Deutschland, der dort eine Expertise hat und auch regelmäßig angefragt wird. Ich saß unter anderem mit der türkisch-kurdischen Frauenrechtlerin Seyran Ates auf der Bühne, die die erste liberale Moschee in Berlin gegründet hat und selbst durch einen Kopfschuss Opfer eines islamistischen Anschlags geworden. Dann hat sich die ganze Debatte an einem Halbsatz aufgehängt, den ich vielleicht unglücklich formuliert habe. 

Worum ging es? Es ging um die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei. Und ich habe gesagt, Deutschland sei kein klassisches Einwanderungsland, anders als die USA, weil die USA in ihrer heutigen Form aus zugewanderten Volksgruppen entstanden sind. Und das ist nun einmal in Deutschland anders. Wir haben seit vielen Jahrhunderten eine angestammte Bevölkerung, die dann irgendwann das Deutsche Reich und die Bundesrepublik Deutschland begründet haben. Und um diesen Unterschied zu verdeutlichen habe ich die Formulierung genuin deutsch verwendet. Wie gesagt, unglücklich formuliert. Aber mir daraus einen rassistischen Vorwurf zu stricken, ist und war absolut böswillig.

Ihre Begriffe und Argumente finden auch viel Zustimmung bei der AfD und ihrem Hamburger rechtskonservativen Demagogen und AfD-Fraktionschef, der mit Ihnen im Innen- und Heimat-Ausschuss des Deutschen Bundestages sitzt. Noch einmal gefragt: Fischen Sie im rechten Lager? Mich verbindet mit der AfD überhaupt nichts. Das ist eine antibürgerliche und antieuropäische Partei, die kein Interesse an Lösungen hat, sondern Probleme eskalieren will. Und mein Ziel als überzeugter Christdemokrat ist, dass die AfD von der Bildfläche verschwindet. Damit uns das aber gelingt, müssen wir die Themen und Probleme, die in unserem Land sind, auch klar benennen und lösen. Wenn wir das nicht tun, dann werden wird die AfD und auch der linke Rand immer stärker. Und diese Entwicklung macht mir ehrlich gesagt große Sorge. Die Politik der Ampel aktuell ist ein Konjunkturprogramm für die AfD.

Aber man kann schon noch alles sagen bei uns, oder? Ein deutliches ja, aber es passiert zu selten. Wenn ich mir Thüringen anschaue, wo AfD und Linke zusammen 57 Prozent haben, gibt es dort keine Mehrheit demokratischer Parteien mehr. Das sollte uns allen zu denken geben. Und eins steht für mich als Demokrat fest: Durch Wählerbeschimpfung ist es noch nie gelungen, Menschen in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen. Sondern dazu gehört ein offenes Ohr und Verständnis und keine Realitätsverweigerung. Und ich will Ihnen das gerne noch einmal bezogen auf die Silvester-Böller-Debatte: Die Kombination aus Integrationsverweigerung einer kleinen gewaltbereiten Gruppe und der Realitätsverweigerung einer relativ großen Gruppe im linken politischen Spektrum, die es ist toxisch für unser Land.

Macht es Sie nachdenklich, dass die AfD so viele von Ihren Thesen unterstützt? Nein, das ist kein Problem. Die Bundesregierung legt jede Woche im Bundestag Gesetze vor, denen häufig auch die AfD zustimmt. Und die kommen auch nicht auf die Idee, die Gesetze zurückzunehmen, weil sie die Zustimmung der AfD haben. Das wäre ja absurd. Jede Partei und jeder Demokrat müssen zu ihren Überzeugungen stehen. Und wenn man dann manchmal Applaus von der falschen Seite kriegt, kann man sich dagegen nicht wehren. Aber ich kann doch nicht sagen, der Himmel ist rot, nur weil die AfD sagt, der Himmel ist blau. Das ist Unsinn. Klar ist aber, wir haben einen Grundsatzbeschluss, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linkspartei gibt und dazu stehe ich hundertprozentig. Ich akzeptiere, wenn man bei diesen Fragen eine andere Meinung hat als ich und auch andere Ursachen für die Phänomene und Straftaten sieht. Aber die persönliche Diffamierung akzeptiere ich absolut nicht.

Wie wollen Sie denn das Entstehen solcher gewalttätigen Communities verhindern bzw. wieder abbauen? Das muss unser Bestreben sein. Wir leben doch einerseits in einer Zeit, wo wir auf keinen jungen Menschen verzichten können und jeden brauchen. Und wenn ein relativ großer Anteil in den westdeutschen Großstädten die Schulen verlässt, ohne Abschluss und ohne Ausbildungsperspektive, dann ist das inakzeptabel. Daran müssen wir arbeiten. Und zweitens müssen wir als Staat und Gesellschaft auf die die Akzeptanz unserer Grundwerte achten und darauf, dass sie eingehalten werden. Es darf keinen kulturellen oder religiösen Rabatt auf unsere Grundwerte geben. Die gelten für alle. Ob das die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder der Schutz von sexuellen Minderheiten ist oder ob das der Vorrang von unseren Gesetzen vor religiösen Regeln ist: Wir dürfen da nicht zurückweichen als Gesellschaft, weil das von manchen als Schwäche aufgefasst wird, die dann immer selbstbewusster auftreten und die Grenzen verschieben. Und wenn wir eine Verständigung auf so einen Grundkonsens haben, bei aller Akzeptanz für Unterschiedlichkeit und Vielfalt, dann kann Integration in Deutschland besser gelingen. 

Nochmal zum Thema Integration. In der Süddeutschen Zeitung vom 13. Januar dokumentiert die Reportage „Was guckst Du?“ von der Siedlung „High Deck“ im Süden Neuköllns präzise das Problem: Da wird von dem heute 31-jährigen Libanesen Ibrahim Al-Khalil berichtet, der als sechs Monate altes Kind 1991 vor rund 30 Jahren mir seinen Eltern nach Deutschland geflohen ist und sich heute, rund 30 Jahre später, immer noch jedes halbe Jahr beim Amt melden muss, weil sein Aufenthaltsstatus „ungeklärt“ sei – weshalb er keine Arbeitserlaubnis bekommt und keinen finanzierten Deutschunterricht. Sie würden ihn gern längst abgeschoben haben wollen, andere wie MdB Droßmann sagen, dass solche Fälle zeigen würden, dass wir uns nicht wirklich kümmern würden. So befeuert man doch Nicht-Integration? Aber lassen Sie es mich mal grundsätzlich sagen: Wenn eine Person nach unseren Gesetzen ausreisepflichtig ist, und dann noch Straftaten begeht, dann ist das Problem nicht, dass er in Deutschland kein Deutschkurs bekommt, sondern dann ist es das Problem, dass er nicht in sein Herkunftsland zurückgeführt wird.

Aber der erwähnte Ibrahim Al-Khalil steht zu seiner Strafe, saß mehrere Jahre im Gefängnis, hat sich offenbar geändert, unterstützt die Streetworker im Quartier, aber bekommt eben keine Arbeitserlaubnis und muss sich jedes halbe Jahr melden, um einen Aufenthaltstitel beim Amt zu bekommen. Integrierend ist das nicht. Wo ist die Lösung? Fakt ist: Er hat keinen rechtmäßigen Aufenthaltstitel. Mir kommt auch vieles in diesen Diskussionen zu kurz: Kein Land in Europa leistet so viel humanitäre Hilfe wie wir und nimmt eine so hohe Zahl von Asylbewerbern und Flüchtlingen auf. Das waren 2015 streckenweise zwei Drittel der in Europa aufgenommenen Flüchtlinge und jetzt entwickelt es sich schon wieder ähnlich. Unser Problem ist, dass wir 300.000 ausreisepflichtige Menschen haben, aber die Ausreisepflicht wird nicht vollzogen. 75 Prozent derjenigen, die eigentlich Deutschland verlassen müssten, weil sie keinen Asylanspruch haben, bekommen schon heute einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel. Wir müssen dann auch irgendwo mal die Grenze ziehen und sagen, dass es so nicht geht. 

Und wie geht es? Die Wahrheit ist, dass viele Menschen in unser Land kommen, die uns ökonomisch nicht weiterhelfen und Fachkräfte wiederum, die wir dringend brauchen, nicht zu uns kommen. Hunderttausende in immer mehr Branchen, die kommen nicht nach Deutschland, weil wir es ihnen viel zu schwer machen, weil wir bürokratisch sind, weil wir keine englischen Formulare haben, weil wir es nicht schaffen, denen schnell ein Visum zu geben und erworbene Abschlüsse anzuerkennen. Das ist in Wahrheit unser Problem.  

Das heißt, Sie sind für ein neues Einwanderungsgesetz? Nein, überhaupt nicht. Ich habe an dem neuen Fachkräfte-Einwanderungsgesetz persönlich unter dem damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer mitgearbeitet. Das ist gut. Unser Problem ist nicht, dass wir ein neues Gesetz brauchen. Wir haben mit das liberalste Einwanderungsgesetz Europas. Menschen können hier ein halbes Jahr nach Deutschland einreisen, um sich dann erst zu bewerben. Sie können nachträglich ihre Abschlüsse anerkennen lassen und vieles mehr. Das Problem sind hohe administrative Hürden, die wir beseitigen müssen. Wenn die Menschen zum Beispiel im Kosovo oder in Mexiko ein halbes Jahr auf einen Termin in der Botschaft warten, um ein Visum nach Deutschland zu kriegen, und dann wiederum ein Jahr brauchen, bis ihr Bildungsabschluss anerkannt wird, dann sind sie weg. Und es gibt von diesen Fachkräften keine Sehnsucht, nach Deutschland zu gehen, auch weil es viele Länder gibt, die händeringend Fachkräfte suchen. Griechenland hat ein Abkommen mit den Balkanstaaten unterzeichnet, dass 80.000 Menschen, Fachkräfte, vereinfacht einreisen können. Das heißt, wir müssen uns um diese Menschen bemühen, die wir dringend brauchen – stattdessen schrecken wir sie ab.

Sie wie auch breite Teile der Bevölkerung sind damit unzufrieden, dass die Verurteilung von verdächtigen Straftätern wie den Silvester-Böller-Attentätern zu lange dauern. Sie sind für schnellere Urteile und wie verträgt sich das mit dem Rechtsstaat, der Beweispflicht des Staates? Es ist völlig unstrittig, dass wir schnellere Strafverfahren brauchen. Die Sanktion muss der Tat auf den Fuß folgen, damit auch ein gedanklicher Zusammenhang besteht und die Täter das auch erkennen und für sich Konsequenzen daraus ziehen können. Nur so kann Abschreckung funktionieren.

In Heilbronn wurde jetzt ein Silvester-Böller-Tatverdächtiger, der Menschen und Einsatzkräfte attackiert hatte, nach vier Tagen verurteilt. Vertrauen Sie diesen Schnellverfahren? Ich unterstelle erstens, dass jedes gerichtliche Verfahren in Deutschland rechtsstaatlich durchgeführt wird und habe auch keine anderen Erkenntnisse. Wir haben zweitens jedoch auch ein Kernproblem damit, dass unser Jugendstrafrecht auf den Erziehungsgedanken und nicht auf Strafe ausgelegt ist. Das ist im Grundsatz richtig, führt aber bei manchen dazu, dass sie x-fach Straftaten begehen können, ohne dafür belangt zu werden. So steigert sich die Schwere der Taten und es entwickeln sich junge Intensivtäter. Und wenn dann wirklich die erste schwere Sanktion mit einer Verurteilung kommt, ist es oft zu spät, um noch erzieherische Wirkung zu erzielen. Wir hatten ja im CDU-geführten Hamburg seinerzeit deswegen zum Beispiel den „Warnschuss-Arrest“ eingeführt, wo jugendliche Straftäter dann mal ein Wochenende in der Jugendhaftanstalt verbracht haben, als Abschreckung für die Zukunft. Hier müssen wir uns in jedem Fall neu Gedanken machen, weil diese Jugendlichen unseren Rechtsstaat als schwach wahrnehmen. 

Was ist ihr wichtigster beruflicher und persönlicher Wunsch für 2023? Mein wichtigster beruflicher Wunsch ist, dass meine Partei erfolgreich dieses Jahr bestreitet. Wir haben nach 16 Jahren 2021 die Regierungsverantwortung verloren. Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir wieder deutlich auf Platz eins der deutschen Parteienlandschaft stehen, fast zehn Punkte vor der führenden Regierungspartei SPD. Das wollen wir ausbauen. Und wir wollen eine klare Alternative bieten.

Auch mit Mitteln des politischen Zündelns, wenn ihr Parteivorsitzender anlässlich der Silvester-Böllerei von „kleinen Paschas“ spricht? Nein, unser Parteivorsitzender Friedrich Merz spricht das aus, was viele denken und wahrnehmen. Und das ist auch genau richtig so. Wir bekommen für solche klaren Haltungen viel Zuspruch. Und deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass wir politisch erfolgreich sein werden. 

Und Ihr persönlicher Wunsch? Ich wünsche mir am meisten, dass ich in 2023 einmal von den zahlreichen gesundheitlichen Leiden und einigen Operationen wie in den vergangenen Jahren verschont bleibe. Das hat mich doch ziemlich geplagt. Das Gespräch führte Wolfgang Timpe

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