Prof. Jürgen Bruns-Berentelg, Chef der HafenCity Hamburg GmbH, über Geschwindigkeit, geförderten Wohnungsbau und das Westfield Überseequartier-Hamburg
Foto oben: Prof. Jürgen Bruns-Berentelg über die Sozialstruktur: „Wir haben nicht das Problem, dass wir die HafenCity anders planen müssen, sondern die HafenCity und die Menschen müssen organisch zueinander finden.“ ©Thomas Hampel
Moin Herr Bruns-Berentelg, wie geht es Ihnen und wie haben Sie – als Fitnessstudio-Fan – die öffentlich sportlose Corona-Zeit überbrückt? Das lief bei mir in drei verschiedenen Phasen: Ich habe mir aus dem Fitnessstudio Geräte ausgeliehen und einen Raum in meinem Haus kurzerhand umfunktioniert. Weiterhin hat das Studio ja nach einer Zeit Veranstaltungen auf dem Dach ermöglicht. In der letzten Woche war ich dann tatsächlich wieder im Studio, wo man auch sehr gut Abstand halten konnte. Nur zum Workout mit Livestream konnte ich mich nicht durchringen, grundsätzlich bin ich aber gut durch die Krise gekommen.
Wenn wir den Anteil des geförderten Wohnungsbaus auf 50 Prozent erhöhen, ist das keine stabile finanzielle Grundlage mehr. Das ist eine Kernfrage der Ökonomie von Stadtentwicklung.«
Prof. Jürgen Bruns-Berentelg, Chef der HafenCity Hamburg GmbH
Hat denn die HafenCity in irgendeiner Form besonders unter Corona gelitten? Gibt es größere Verzögerungen oder Veränderungen? Die Aufgaben der HafenCity GmbH sind im Moment die vier großen Stadtentwicklungsprojekte. Neben der HafenCity sind das der Billebogen, der Grasbrook und die Science City in Bahrenfeld. Wir haben die letzten Monate sehr gut dazu genutzt, all die notwendigen Planungsprozesse weiter voran zu bringen. Am Grasbrook haben wir beispielsweise das Wettbewerbsverfahren beendet und gleichzeitig den Arbeitsprozess mit Herzog & de Meuron und VOGT aufgesetzt, so dass man ohne Zeitverzögerung in Planung gehen konnte. Auch beim Billebogen sind wir gut vorangekommen, hier werden wir im März 2021 auf einer großen öffentlichen Veranstaltung unsere Zwischenergebnisse präsentieren können. Die Prozesse innerhalb der HafenCity sind durchweg zügig weitergegangen.
Stichwort Elbtower – hier wurden vor kurzem das Erdgeschoss und erster Stock als Muster aufgebaut – auch hier ist alles im grünen Bereich? Es gibt keinen Anlass, am Elbtower und dessen Realisierung zu zweifeln. Der entscheidende Punkt ist die Baugenehmigung. Dann muss auch die Finanzierung für das gesamte Projekt dargestellt werden. Das wird irgendwann im kommenden Jahr sein. Da wird sich dann zeigen, ob der jetzige Optimismus ausreicht, jetzt lässt sich das noch nicht bewerten. Man muss sich zunächst die Marktentwicklung des kommenden Jahres anschauen, allerdings bin ich schon sehr optimistisch, dass es gelingt, den Elbtower gut zu platzieren und eine hervorragende Wahrnehmung zu schaffen.
Ein weiteres Teilprojetzt ist die Verbindung der Versmannstraße hin zu den Elbbrücken. Sie wird nicht, wie einmal geplant, vier-, sondern nur noch zweispurig mit einem Fahrradstreifen. Was wird uns dieser Verkehrsanschluss bringen? Die Versmannstraße darf man nicht nur als Teil der Verkehrserschließung der HafenCity interpretieren. Wir hätten die Versmannstraße nicht benötigt, um die HafenCity zu erschließen. Sie ist eine Parallelerschließung zur Amsinckstraße mit über 40.000 Fahrzeugen. Insofern ist die Versmannstraße eine Zubringerstraße für die Innere Stadt und wir Planer der HafenCity haben uns selbst immer schwergetan, in ein positives Verhältnis mit der Versmannstraße zu kommen. Wir werden die beiden Süd-Spuren ausschließlich für Radfahrer, Anlieger und den Baustellenverkehr offenhalten und wir werden sehen, ob zum Beispiel nach der geplanten Eröffnung des Westfield Überseequartiers-Hamburg 2022 dann am Ende der 5-jährigen Testphase überhaupt noch ein Bedarf für eine 4-spurige Versmannstraße geben wird. Die Verkehrssimulationen sagen uns: ja. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass man 2025 bei reduziertem Verkehrsaufkommen in Richtung der Inneren Stadt noch einmal neu und anders darüber nachdenkt.
Wird die Versmannstraße mit bis zu 30- bzw. 35.000 Fahrzeugen trotzdem eine ruhige bzw. deutlich beruhigtere Straße durch die Zweispurigkeit? Bei Zweispurigkeit wird die Versmannstraße eine ruhigere Straße mit maximal 25.000 Fahrzeugen bei einer einseitig anliegerfreien Straße ohne Parkbuchten oder Tiefgaragenein-/ausfahrten. Das ist immer noch erheblich, aber deutlich unter den kalkulatorischen Grenzen der nachgeordneten vierspurigen Straßen wie Shanghaiallee oder Brooktorkai, die davon profitieren, dass die Versmannstraße nicht so viel Verkehr aufsaugt.
VITA Prof. Jürgen Bruns-Berentelg ist seit 2003 Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH, die von der Stadt mit der Entwicklung der HafenCity betraut ist. Vorher war der 67-Jährige in leitenden Positionen bei britischen, amerikanischen und deutschen Immobilienunternehmen. Er hat Geografie, Biologie und Immobilienökonomie studiert.
Können Überseeallee, Shanghaiallee und Brooktorkai von 4- auf 2-spurig zurückgebaut werden? Ich halte das derzeit für unrealistisch. Wir müssen natürlich mal gucken, ob es im Bereich der Speicherstadt mit dem Herausnehmen einer Fahrspur u.a. am Sandtorkai und am Brooktorkai für eine sogenanntn Pop-up-Bike-Lane positive Ergebnisse geben wird. Ob man dann eventuell die Shanghaiallee 2-spurig zurückbauen könnte, muss man abwarten. In New York hat man mit Pop-up-Straßen-Projekten innerhalb einer Woche mit provisorischen Straßendekorationen und gezielt vereinfachter Straßenführung erfolgreich Verkehre herausgenommen. Ich kann mir Pop-up-Lösungen für Straßenzüge in der HafenCity durchaus vorstellen. In der Überseeallee vor der HafenCity Uni ist das durch die erforderlichen Abbiegespuren deutlich komplizierter.
Auf der jüngsten Stadtteilversammlung haben Sie sich für ein generelles Tempo 30 in der HafenCity starkgemacht. Halten Sie das für durchsetzbar? Ich halte Tempo 30 in der HafenCity für eine insgesamt gute Lösung. Bei der Lärm-entwicklung haben wir heute zwei Themen: Einerseits sagen viele, dass wir mit der Elektromobilität eine höhere individuelle Mobilität und geringere Geräuschentwicklung hätten. Das ist nicht richtig, da die Hauptgeräusche durch den Reifenkontakt mit der Fahrbahn entstehen. Nachhaltige Lärmreduktion erreicht man mit Tempo 30. Alles was darüber ist, produziert zu viel Lärm durch Reifenkontakt mir der Straße und Geschwindigkeit – nicht durch Motorgeräusche. Aus diesen Gründen bin ich für den Schritt zu Tempo 30, zumal ich mit meinem Elektroauto sehe, dass meine Durchschnittsgeschwindigkeit in der Stadt bei 24 km/h liegt.
Sie haben mal gesagt, Sie rechnen immer mit dem Schlimmsten. Welche grüne Utopie für Hamburg könnte Ihnen aber doch ein wenig Angst einjagen? Meine Aufgabe ist das Management des Unerwarteten, ich rechne gleichermaßen mit dem Schlechtesten, aber auch mit dem Besten. Schwierig wird es für uns, und das hat nichts mit „grüner Utopie“ wie Sie sagen zu tun, wenn wir künftig auf Mittel der Stadt angewiesen sind. Wenn wir, wie jetzt geplant, den Anteil des geförderten Wohnungsbaus auf 50 Prozent erhöhen, ist das keine stabile finanzielle Grundlage mehr. Das ist eine Kernfrage der Ökonomie von Stadtentwicklung. Regierungsperioden dauern immer fünf Jahre, ein Projekt wie das unsere, die HafenCity, muss aber über 25 Jahre funktionieren.
Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit ist also entscheidend? Im Jahr 2000 hat der damalige Aufsichtsrat noch beschlossen, dass es keinen geförderten Wohnungsbau in der HafenCity geben sollte. Als ich 2003 den Job übernahm, haben wir sofort angefangen, Genossenschaften und Baugemeinschaften einzuwerben und das geförderte Wohnen kam später ebenfalls dazu. Diese progressive Art der Stadtentwicklung ohne starre Grenzen zeichnet uns, denke ich, aus.
Was sagen Sie einem Kritiker, wie zum Beispiel Gunther Bonz, dem Präsidenten des Unternehmerverbands der Hafenwirtschaft, der jüngst bemängelte, Sie hätten das südliche Überseequartier zu hoch und zu dicht bauen lassen? Unsere Strategie mit dem südlichen Überseequartier zielt darauf ab, eine hohe Anziehungskraft auf Besucher für die gesamte HafenCity aufzubauen. Es geht darum, eine kritische Masse zu schaffen an Freizeit- und Entertainmenteinrichtungen. So gibt es von der Elbphilharmonie aus zum Beispiel keinen starken Fußgängerfluss in die restliche HafenCity hinein, die Leute schauen sich auf der Plaza um und gehen wieder. Die Geschäfte in der HafenCity profitieren davon natürlich nicht. Außerdem brauchen wir auch einen Ort, der abends noch funktioniert und Lebendigkeit schafft. Der Standort HafenCity muss letztendlich so stark werden, dass man eine Verbindung der inneren Stadt ans Wasser bekommt, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Stadt stärkt.
Wie gehen Sie grundsätzlich mit Kritik um? Ich muss damit gar nicht umgehen, sondern die Leute, die die Kritik üben. Wir halten an unseren Prinzipien fest. Wir haben nicht das Problem, dass wir die HafenCity anders planen müssen, sondern die HafenCity und die Menschen müssen organisch zueinander finden.
Vor Kurzem sprachen wir mit dem Bezirksamtsleiter Falko Droßmann von Hamburg-Mitte, dem die soziale Infrastruktur im Stadtteil zu kurz kommt. Ihm fehlt u.a. die Möglichkeit für eine kostenlose Mütterberatung. Hat er Recht? Nein, ich weiß gar nicht, wie er auf diese Idee kommt. Aktuell entstehen neue Schulen und Sportplätze und wir haben allein zwölf Kindergärten in Planung. Die Kindergärten werden auch eine eventuelle Abend- und Nachtbetreuung anbieten, um berufstätige Eltern dahingehend zu entlasten. Auch die Baugemeinschaften haben alle Gemeinschaftsräume, die jedem zur Verfügung stehen und die geplanten Gemeinschaftshäuser gehen nächstes Jahr ebenfalls in den Bau. Wir haben ja auch gerade einmal 4.600 Einwohner und eine Mütterberatung benötigt man statistisch erst ab 10.000 Bewohnern. Rein statistisch fehlt sie uns also noch gar nicht.
Der Grasbrook mit den heutigen Hafenflächen ist ein großes Gebiet und es war ursprünglich gedacht, das alles zum neuen Grasbrook-Stadtteil zu machen. Herr Bonz sagte jüngst im Podcast-Interview „Redefluss“ mit uns, der Hafen bräuchte die Flächen, oder zumindest Ausgleichsflächen in Moorburg. Hat er Recht? Die Frage ist, wie Hamburg mit seiner eigenen Zukunft umgeht und mit den limitierten Flächen, die der Stadt zur Verfügung stehen. Der Hafen belegt 75 km² in der Stadt, wo also sollen künftige Wohn- und Arbeitsflächen entstehen? Natürlich wäre es gut gewesen, den gesamten Grasbrook für die Stadtentwicklung zu nutzen. Entscheidend ist aber, dass die Verknüpfung vom Hamburger Süden und dem Nordteil der Elbe geschaffen wird. Hamburg ist, wie wir wissen, die am schwächsten wachsende Metropolregion in Deutschland, wir müssen uns also zwingend Gedanken machen, wie wir die nötigen Räume und Ideen für künftiges Wachstum schaffen. Schließlich hat Hamburg, anders als andere Großstädte, das große Privileg, diese Arbeits- und Wohnplätze in der inneren Stadt schaffen zu können.
Nehmen Sie Kritik mit nach Hause? Wie sieht Ihre Work-Life-Balance aus? Ich bekomme viel weniger Kritik mit, als Sie vielleicht vermuten, sondern viel eher Unterstützung. Ich betrachte das aber auch recht leidenschaftslos und wir versuchen sehr sensibel mit konstruktiver Kritik umzugehen. Auf mich selbst beziehe ich diese Kritik aber nicht.
Auch in Hamburg gingen zuletzt tausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße, hat das auch für Sie einen Denkanstoß gegeben? Ich habe ja ohnehin eine persönliche Bindung zu den USA, ich bin während des Vietnam-Krieges dort zur Schule gegangen und habe noch vor Augen, wie aufgewühlt die Gesellschaft nach dem Tod von Martin Luther King war. Was mich sehr betroffen gemacht hat, war, wie wenig die Gesellschaft seitdem vorangekommen ist und sich nur noch weiter polarisiert hat. Die negativen Strukturen sind dort so festgefahren, dass nur radikale Lösungen möglich scheinen. Ich verstehe die Menschen dort, die sagen, man müsse die Polizei abschaffen, weil eine Reform nicht mehr möglich ist. Zum anderen gibt es aber auch bei uns Rassismus und eine erschreckend starke Vorurteilskultur.
Im Herbst tritt Ihr Nachfolger, Dr. Andreas C. Kleinau aus der Unternehmensberatung Combine Consulting, in die Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH ein, an den Sie die Geschäfte dann noch ein Jahr lang übergeben werden. Wie fühlt es sich an, ein Lebenswerk zu übergeben? Ich freue mich auf den kommenden Austausch. Wir haben schließlich einen großen Schatz an Erfahrung weiterzugeben und ich bin dabei sehr guter Dinge.
Wo entspannen Sie sich denn nach getaner Arbeit am besten? Beim Lesen oder Spazierengehen mit meiner Frau geht das sehr gut. Ich denke aber auch beim Sport nicht wirklich über Arbeitsthemen nach und kann 150 Meter von meinem Büro entfernt durchaus gut sportlich entspannen. Vielleicht sogar zu viel – ich merke, wie ich in letzter Zeit zu viel Beinmuskulatur antrainiert habe.
Das Gespräch führten Wolfgang Timpe und Melanie Wagner