E-Lifestyle. HCZ-Autor Thomas Geiger fuhr den neuen Volvo EX90 vorab in Kalifornien, bevor er im Herbst in den Handel kommt. Ein typisch schwedisches Edel-Understatement
Er trägt ein unauffälliges Grau und leistet sich weder großen Lichterglanz noch viel Lametta – wenn der neue EX90 in diesem Herbst zu Preisen ab 83.700 Euro an die Spitze der Volvo-Palette rückt, dann will er nichts wissen vom bisweilen provozierenden und auch mal peinlichen Protz – der zumeist deutschen Konkurrenz. Sondern wie üblich proben die Schweden für ihren 5,04 Meter langen Koloss einen nordisch-nüchternen Auftritt.
Foto oben: Man muss nur auf „Performance“ tippen, dann zucken plötzlich die Mundwinkel, und bis zu 910 Nm treiben ihr wildes Spiel mit der Schwerkraft. Natürlich quietschen hier keine Reifen, und kein Synthiesound stört die Stille. Aber es riecht plötzlich ein bisschen nach Schweiß und nach Adrenalin, wenn der EX90 in 4,9 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 stürmt und erst bei 180 Sachen ziemlich rüde wieder eingebremst wird. © Volvo Cars
Zum neuen Top-Modell passt dieses Design besonders gut. Denn auch sonst lässt es der EX90 immer mit der Ruhe angehen und leistet sich einen leisen Luxus. Das gilt im Guten für das konkurrenzlos niedrige Geräuschniveau in der Kabine und im Schlechten für den Antrieb. Obwohl er nun wirklich Kraft hat, schon in der Basisversion mit Heckmotor auf 279 PS und in den Allradvarianten auf 408 oder 517 PS kommt, ist schon bei 160 oder spätestens bei 180 Sachen Schluss. Da lässt Volvo nicht weiter mit sich reden. Dabei ist der Leisetreter allerdings alles andere als ein Langweiler: Man muss nur auf „Performance“ tippen, dann zucken plötzlich die Mundwinkel, und bis zu 910 Nm treiben ihr wildes Spiel mit der Schwerkraft. Natürlich quietschen hier keine Reifen, und kein Synthiesound stört die Stille. Aber es riecht plötzlich ein bisschen nach Schweiß und Adrenalin, wenn der EX90 in 4,9 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 stürmt und erst bei 180 Sachen ziemlich rüde wieder eingebremst wird.
Dabei helfen ihm eine Zweikammer-Luftfeder, die eben noch butterweich war und jetzt bocksteif ist, eine variable Kraftverteilung, die das Heck leichter um die Kurve hebt, und eine Lenkung mit großem Einschlag für einen kleinen Wendekreis. Auf einer kurvigen Straße in den Küstengebirgen von Kalifornien jedenfalls fühlt sich der Koloss damit kleiner an, als er eigentlich ist.
Und er hat einen langen Atem: Die Energie für die flotte Landpartie liefert ein Akku mit 101 kWh für den Hecktriebler und 111 kWh für die Allradler, die für Normreichweiten zwischen 580 und 600 Kilometern stehen und je nach Konfiguration mit 11 kW oder 22 kW am Wechsel- und bis zu 250 kW am Gleichstrom geladen werden können. Dann sind nach 30 Minuten die ersten 80 Prozent erreicht. Und anders als die Konkurrenz gibt der EX90 den Strom nicht nur an die Motoren ab. Sondern er kann auch als Pufferspeicher für den heimischen Solarstrom genutzt werden und den Haushalt versorgen.
Wenn sich der Puls nach ein bisschen Sport wieder legt, schweift der Blick über das aufgeräumte Armaturenbrett – und man freut sich, dass sie beim EX90 nicht ganz so geknausert haben wie bei seinem kleinsten Bruder EX30. Aber während es beim EX30 ja um einen Kampfpreis ging, verbietet sich ein Sparkurs fürs Flaggschiff von selbst. Schließlich will der EX90 mit den süddeutschen E-SUVs vom Schlage eines BMW iX, eines Audi e-tron oder eines Mercedes EQE konkurrieren. Und auch wenn im Norden alles ein bisschen teurer ist, sind 83.700 Euro aufwärts eine Stange Geld, für die man auch was erwarten kann.
Ja, die Materialauswahl ist genauso nachhaltig und je nach Trimlevel auch genauso nüchtern wie beim EX30. Und Leder haben die politisch korrekten Schweden tatsächlich gestrichen. Aber zumindest sind die Schalter für die Fensterheber wieder in den Türen, auch wenn zwei Taster für vier Fenster reichen müssen, hinter dem Lenkrad gibt es diesmal ein kleines Display, auf dem zumindest Tempo und Co angezeigt werden. Die Musik spielt auf dem riesigen Tablet daneben, das mit einer Engine von Epic Games die vielleicht besten Grafiken diesseits der Playstation zeigt.
Schade nur, dass man selbst für das Öffnen des Handschuhfachs und das Einstellen der Spiegel den Bildschirm braucht. Und ein Schlüssel wäre vielleicht auch keine schlechte Idee.
Wo wir gerade beim Meckern sind: Nach hinten lässt die Begeisterung spürbar nach. Denn gemessen an gewöhnlichen SUV dieser Klasse mag der Patz in der zweiten Reihe ganz okay sein. Aber für ein 5,04 Meter langes Elektroauto auf einer Skateboard-Plattform mit fast genau drei Metern Radstand sind die Platzverhältnisse allenfalls durchschnittlich, und das auch nur, wenn die zwei Handbreit verschiebbaren Rücksitze ganz hinten eingerastet sind. Aber dafür gibt es schließlich noch Platz für eine dritte Reihe, in der zumindest der Nachwuchs ganz ordentlich mitfahren sollte. Und selbst wenn der EX90 sieben auf einen Streich chauffiert, bleibt noch Raum für 384 Liter Gepäck – die 46 Liter im Frunk unter dem Bug nicht mitgerechnet. Wer die dritte Reihe flach macht, kann gute 1.000 Liter verstauen, und als Zweisitzer wird der schwedische Summer zum Lieferwagen mit fast zwei Kubikmetern Ladevolumen.
Zwar geben sich die Schweden betont gelassen und wollen nichts wissen von kurzlebigen Strategiewechseln, die hektisch der jeweiligen Stimmungskurve folgen. Doch so ganz können auch sie sich nicht frei machen von der aktuellen Entwicklung und dem auffrischenden Gegenwind für die Elektromobilität. Selbst wenn sie auch weiterhin ab dem Jahr 2030 keine Verbrenner mehr bauen wollen, wagen sie den Wandel deshalb jetzt noch nicht vollends und deklarieren den EX90 auch als Nachfolger des XC90. Im Gegenteil: Statt den Verbrenner einzustellen, bekommt das bisherige Flaggschiff pünktlich zur Markteinführung des Stromers sogar noch mal ein Facelift. Thomas Geiger
Infos unter: www.volvocars.com/de/cars/ex90-electric