Coaching. Die stille Gefahr im Management: Entscheidungsmüdigkeit bei Führungskräften. Yvonne Funcke über die Gründe und darüber, warum risikoreiches Führen dem Unternehmen helfen kann. Eine Umfrage von Fromm Managementseminare und -beratung KG
Häufig liest man, dass ein Mensch circa 20.000 Entscheidungen pro Tag trifft. Die große Spannweite ergibt sich daraus, dass man darunter nicht nur „bewusste“ Entscheidungen versteht, zum Beispiel: Was ist heute mein wichtigstes To-do?, sondern auch sehr viele automatisierte, „unbewusste“ Mikroentscheidungen, zum Beispiel mit welchem Fuß man zuerst die Treppe betritt.
Foto oben: Mutiges Entscheiden bei transparenten Informationen hilft der Selbstmotivation und dem Erfolg des Unternehmens. © picture alliance / PantherMedia | matej kastelic
Managemententscheidungen sind der kritische Faktor für Erfolg oder Misserfolg. Viele Entscheidungen im Unternehmen lassen sich in einem Prozess und somit durch eine Routine absichern. Führungskräfte sind in der Regel dann gefordert, wenn die Entscheidungen komplex, risikobehaftet und unter Unsicherheiten gefragt sind. Das ist nicht angenehm und kostet in jedem Fall mentale Energie. Je länger der Arbeitstag dauert, desto mehr sinkt die Qualität dieser Entscheidungen. Die Wissenschaft spricht hier von „Decision Fatigue“ – von Entscheidungsmüdigkeit.
Sie kann im Führungsalltag zur Entscheidungsbremse mit Folgen für Ihr Unternehmen werden. Die Studien „Hungry Judges“ (2011) sowie „Decision Fatigue in Nurses“ (2019) zeigen, dass je müder die Entscheider:innen durch beispielweise Analysen und bereits getroffene Entscheidungen waren, desto eher tendierten sie:
• zum Status-quo-Bias, das heißt, die bequemste oder naheliegendste Option wird gewählt („Wir lassen alles, wie es ist“).
• zu eher konservativen Entscheidungen, das heißt Risiken werden vermieden, auch wenn dadurch gute Chancen verloren gehen.
• dazu, Entscheidungen zu vertagen, obwohl dringender Handlungsbedarf bestand.

Mit Entscheidungsmüdigkeit lässt sich für den, der sie kennt, bewusst umgehen. Doch was nehmen Entscheider:innen selbst als Hindernisse wahr? Damit beschäftigte sich die aktuelle Fromm-Umfrage unter 120 Entscheider:innen. Sie zeigt, dass Entscheiden nicht einfach ist. 79,17 Prozent der befragten Entscheider:innen sagten von sich, dass sie täglich herausfordernde Entscheidungen in der Arbeit treffen. Dabei wurden interessanterweise drei zentrale Herausforderungen benannt, die durchaus von Entscheider:innen mitbeeinflusst werden. Am häufigsten genannt wurden: Abhängigkeiten, Informationsmangel und Zeitdruck.
Die Hypothese, dass alle drei Kriterien auf kommunikative Schwierigkeiten im Unternehmen hinweisen, lässt sich nicht von der Hand weisen, denn Abhängigkeiten entstehen häufig dort, wo Ziele, Rollen und Aufgaben sowie Verantwortlichkeiten oder Entscheidungsmandate unklar sind. Aus psychologischer Sicht führt das zur unsicheren eigenen Positionierung: Menschen orientieren sich dann stärker an den Erwartungen anderer, vermeiden Risiken und geben Verantwortung unbewusst ab. Der Wunsch nach Zugehörigkeit und die Angst vor Ablehnung verstärken diese Dynamik. Eine transparente Kommunikation und der Austausch zum Was und Wozu kann das Hindernis aus dem Weg räumen.

Informationsmangel ist nicht ein Mangel an Daten, sondern an verständlich aufbereiteten, relevanten Informationen. Psychologisch liegt das Problem oft in unterschiedlichen mentalen Modellen: Fachleute und Entscheidungsträger:innen bewerten Informationen unterschiedlich. Was für die eine Seite selbstverständlich ist, bleibt für die andere unklar, da die gesunde selektive Aufmerksamkeit uns Informationen ausblenden lässt. An dieser Stelle ist es auch wiederum die Kommunikation, die Ausblendungen und Missverständnisse erhellen kann und damit eine gute Grundlage für Entscheidungen sichert.
Zeitdruck entsteht oft durch fehlende Priorisierung. Wenn nicht klar ist, welche Entscheidung wann, durch wen und wie getroffen werden soll und wer wofür verantwortlich ist, verzetteln sich die Beteiligten in Auseinandersetzungen. Der wahrgenommene Zeitmangel kann durch strukturierte Besprechungen, die der gemeinsamen Analyse des Entscheidungsanlasses und der Lage dienen, gelöst werden.
Sicherer entscheiden, wenn vermeintlich nichts sicher ist, ist keine Geheimwissenschaft, es ist eine Fähigkeit. Entscheidungsprobleme sind keine individuellen Schwächezeichen, sondern eine systemische Herausforderung in komplexen Arbeitsumgebungen. Führungskräfte, die ihre Entscheidungsfähigkeiten ausbauen und ihre Energie gezielt steuern, Routinen schaffen und Verantwortung verteilen, sichern nicht nur die Qualität ihrer Entscheidungen, sondern auch die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens. Yvonne Funcke
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Yvonne Funcke, 53, ist als Managementtrainerin und Coach aktuell mit ihrem Team für mittelständische und etablierte Hamburger Unternehmen tätig. www.fromm-seminare.de



