City-Managerin Brigitte Engler über kreative Kulturkonzepte und flexible Flächennutzungen sowie die HafenCity als Teil der Innenstadt
Frau Engler, Sie haben als City-Managerin engen Kontakt zu den Geschäftsleuten in der Innenstadt. Wie ist aktuell die Stimmungslage? Die Stimmung ist von Woche zu Woche resignierter und verzweifelter, weil es immer weniger absehbar ist, wie die Situation sein wird, wenn der Lockdown beendet ist – wann auch immer das sein wird. Niemand weiß derzeit, wie sich die Inzidenzen und das Impfgeschehen entwickeln werden. Deshalb gibt es im Moment lediglich die große Hoffnung, dass die Geschäfte bald vorsichtig öffnen können. Wir hoffen, dass vor allem der Impffortschritt eine deutliche Entspannung und Entlastung bringt. Vor dem Hintergrund sinkender Infektionszahlen fragen sich und mich viele, ob in Hamburg schon sehr bald wieder Click & Meet als erster Öffnungsschritt möglich sein wird. Ich dämpfe diese Erwartungen, weil wir wissen, dass Hamburg einen sehr vorsichtigen Weg geht.
Foto oben: City-Managerin Brigitte Engler: „Wir Innenstadt-Akteure wünschen uns was Frequenzförderndes wie ein Haus der digitalen Welt.“ © Catrin-Anja Eichinger www.eichinger.hamburg | City Management
War denn Click & Collect überhaupt ein Kompromiss, der sich für die Unternehmer:innen bezahlt gemacht hat? Nein. Das ist in der Innenstadt schwierig, weil hier zu wenig Menschen wohnen und die vielen Mitarbeiter aus den Büros der Innenstadt mittlerweile fast vollständig im Homeoffice sind und sich vor Ort in ihrem heimischen Kiez versorgen. Wie wir alle wissen, gibt es keinen Tagesgast, keine Touristen und nur sehr wenige fahren in die Innenstadt, um gezielt Ware abzuholen, die lässt man sich lieber nach Hause liefern und kauft sie im eigenen Stadtteil. Deshalb ist die Frequenz hier in der City sehr überschaubar.
Das heißt, Click & Meet war ein Verlustgeschäft? Das hört man von vielen, aber es ist immerhin auch eine Kundenbindungsmaßnahme. Derjenige Unternehmer, der seine Stammkunden halten möchte, öffnet auch, um eine Erwartung seiner Kund:innen zu erfüllen.
Auch vor der Pandemie schon standen die Kaufleute in der Innenstadt unter Druck. Mit Galeria Kaufhof und Karstadt Sports haben große Flächen aufgeben müssen. Wie sieht denn die Zukunft dieser beiden Großgebäude aus? Im Moment liegen uns noch keine konkreten Pläne vor. Uns ist bekannt, dass beide Grundeigentümer Gespräche führen und es Interessenten gibt. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir Innenstadt-Akteure uns etwas Frequenzförderndes wünschen wie zum Beispiel ein Haus der digitalen Welt oder ein Naturkundemuseum – angebunden an andere Museen in der Innenstadt und mit der perfekten Anbindung an den Hauptbahnhof könnte das eine gelungene Ergänzung sein. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass Flächen in dieser Größenordnung frei werden. Dass die heute nicht mehr so schnell durch stationären Handel belegt werden können, liegt auf der Hand. Aber es gibt eben auch andere Konzepte, die uns gefallen würden.
VITA – Brigitte Engler ist Diplom-Betriebswirtin und zog als gebürtige Münsteranerin 1988 nach Hamburg. Sie arbeitete in verschiedenen Positionen bei Peek & Cloppenburg (P&C) und war hierüber in den Interessengemeinschaften Spitalerstraße und Mönckebergstraße aktiv. Seit 2006 ist Brigitte Engler Geschäftsführerin des City Management Hamburg, der Dachorganisation der Interessengemeinschaften der Innenstadt und der HafenCity.
Kerngeschäft des City-Managements ist die Interessenvertretung der Innenstadt-Unternehmen und der Ausbau und die Pflege des Kommunikationsnetzwerks, innerhalb der Mitgliedsunternehmen und u.a. zu Medien, Politik, Behörden und Polizei. Brigitte Engler vertritt ferner die Interessen der City im Vorstand des Tourismusverbands Hamburg, im Aufsichtsrat der Hamburg Tourismus GmbH, der Hamburg Messe und der Alstertouristik und arbeitet im Vorstand des Vereins Lebendiger Jungfernstieg mit. Das City Management hat über 800 direkte und indirekte Mitglieder, sowohl aus dem Einzelhandel wie auch Projektentwickler, Verbände, Hotellerie, Gastronomie. Brigitte Engler hat eine Tochter und einen Sohn und in der Freizeit trifft man sie beim Joggen im Wandsbeker Gehölz.
Was halten Sie von der Idee, die Gebäude zu Wohnungen umzubauen, um die City zu beleben? Die Idee finde ich grundsätzlich sehr charmant, aber die baulichen Gegebenheiten sind dafür bei diesen beiden Gebäuden nicht geeignet – u.a. durch zu tiefe Geschosse ohne Tageslicht. Aber grundsätzlich wünschen wir uns mehr innerstädtisches Wohnen.
Wie bewerten Sie als City-Managerin die Covid-Maßnahmen des Senats? Wie hätten Sie als Erste Bürgermeisterin entschieden? Das ist eine schwierige Frage. Jeder nimmt sich das Recht heraus, die eine oder andere Entscheidung des Senats kritisch zu hinterfragen. Aber jede Maßnahme hat enorme Auswirkungen. Und wer will am Ende die Verantwortung dafür tragen?
Hätten Sie sich bezogen auf den Handel eine bestimmte Maßnahme gewünscht? Ist der Handel denn Infektionstreiber? Dass der stationäre Handel kein Infektionstreiber ist, ist zwischenzeitlich nachgewiesen. Wir wünschen uns vor allem, dass wir für die Umsetzung der Entscheidungen des Senats einen größeren zeitlichen Vorlauf bekommen. Das eint alle Mitglieder im City Management. Dass immer alles von heute auf morgen gehen muss, ist für viele schwer nachvollziehbar und stellt alle vor große Probleme.
Wie schlimm wird 2021 noch? Drohen viele Insolvenzen? Wir werden nach der Pandemie eine Veränderung im Stadtbild feststellen. Flächen werden geschlossen bleiben, es werden Unternehmen auf komprimierter Fläche auftreten und einen Teil ihrer Flächen untervermieten. Sicher werden wir mehr Pop-up-Stores haben und Leerstände, für die wir dringend ein professionelles Leerstands-Management benötigen werden. Aber ich höre auch von interessanten Nachvermietungen und Flächennachfragen durch internationale Konzepte.
Wie kann das Leerstands-Management aussehen? Wien ist ein gutes Beispiel. Dort gibt es seit Jahren ein durch die Stadt unterstütztes professionelles Leerstands-Management. Jetzt gibt es auch bei uns diesen Bedarf. Früher fehlten uns die Flächen, um kreativen Gesellschaften und Unternehmen temporär eine Präsentation ihrer Ideen und Konzepte zu ermöglichen. Heute finden wir für jedes Konzept eine Fläche. Ob es kleine Galerien sind, Autoausstellungen oder Film- und Kunstprojekte. Die Vertreter der Quartiere sind dem gegenüber sehr aufgeschlossen. Alles ist besser als eine leere Fläche.
Geht der stationäre Handel über kurz oder lang durch den Onlinehandel kaputt? Nein. Es wird den stationären Handel immer geben – und er wird prägend für die Innenstadt bleiben. Es wird sich die Anteiligkeit verschieben. Fast alle Händler vernetzen sich online und offline und das ist auch der Weg, der beschritten werden muss.
Ermöglicht die Corona-Krise neue Ideen und neue Koalitionen oder geht es weiter wie bisher, wenn es endlich vorbei ist? Sie bringt uns in einen Transformationsprozess und setzt auch viel Kreativität frei.
Haben Sie ein Beispiel? Ja, wir nehmen deutlich wahr, wie sehr in der Hamburger Politik angekommen ist, dass wir gemeinschaftlich aktiv werden müssen. Es gibt ein großes Wir-Gefühl und viele Bestrebungen, die den Fokus auf die Innenstadt legen. Allen Beteiligten ist wichtig: Unsere Innenstadt muss weiterhin ein Identifikationsort für die Hamburger sein und für die Menschen aus der Metropolregion, aus dem Umland.
In der Innenstadt haben wir derzeit eine Bruttogeschossfläche von 350.000 Quadratmetern. Dazu kommen planmäßig ab Herbst 2023 mit dem südlichen Überseequartier noch einmal 240.000 Quadratmeter. Befeuert das den Wettbewerb oder ist das ein Overkill? Es gibt viele kritische Stimmen, die eine Umverteilung zusätzlich zum zunehmenden Druck des Onlinehandels fürchten. Jetzt gilt es aber erst einmal, die Pandemie zu überwinden und zu alter Stärke zurückzufinden. Wir haben nach dem letzten Lockdown vor etwa einem Jahr mehrere Monate bis in den Herbst gebraucht, um 80 Prozent der Frequenz aus Vor-Corona-Zeiten wieder zu erreichen. Das wird jetzt sicherlich nicht anders. Bis alles wieder so ist wie vorher, wird es schätzungsweise eineinhalb Jahre dauern. Uns steht nach der Wiedereröffnung ein schwieriges Jahr bevor. Das südliche Überseequartier, das hochattraktiv sein wird, kommt dann voraussichtlich ab 2023 in diesem Prozess erschwerend hinzu. Hoffentlich zieht es weitere Gäste an, sodass wir gemeinsam überleben werden.
Ist für Sie das „Mixed-Use-Quartier“ des Westfield Hamburg-Überseequartiers, die Mischung aus Erlebnis, Kultur und Einkaufen ein einleuchtendes Konzept? Ja, absolut. Es ist die Vision, die wir auch für die Innenstadt entwickeln. Wir brauchen neben dem Einkaufen und der Gastronomie, die die wichtigsten Treiber bleiben, mehr Erlebnis, mehr Events, mehr Nischen-Kreativität wie kleine Theater und ähnliches. Dieser Gesamt-Mix ist das Konzept der Zukunft.
Das Bündnis Innenstadt fordert 100 Millionen Euro von der Stadt, um die Aufenthaltsqualität der Innenstadt zu verbessern. Braucht die Innenstadt wirklich Subventionen? In den vergangenen 15 Jahren sind knapp 100 Millionen Euro privatwirtschaftlich durch die Unternehmen und die Grundeigentümer in die Aufwertung des öffentlichen Raums investiert worden. Hamburg ist die Hochburg der Business Improvement Districts. Das hat ganz wesentlich zur heutigen Attraktivität im Stadtbild der Innenstadt beigetragen. Jetzt geht es vor allem um die notwendige Aufwertung von Plätzen, für die wir uns die Unterstützung von der Stadt wünschen.
Die HafenCity-Händler halten dem entgegen, dass sie seit Jahren einen sehr langen Atem haben müssen und auf mehr Frequenz und bessere Geschäfte warten, ihnen aber nicht geholfen wird … Die Stadt Hamburg hat in den vergangenen Jahren viel Geld in der HafenCity in die Gestaltung des öffentlichen Raums und vor allem in die Attraktivität der Plätze und Uferpromenaden investiert.
Es wird zurzeit über einen neuen Masterplan Innenstadt diskutiert, der u.a. Teile von St. Pauli und St. Georg wie auch die HafenCity als Innenstadtquartier mitdenkt. Sind Sie dabei? Wenn wir im City Management und mit unseren Stakeholdern über einen Masterplan Innenstadt reden, denken wir die HafenCity immer mit. Auch deshalb, weil wir die Verbindungsachsen aus der klassischen City zur HafenCity im Blick haben müssen. Wir müssen beide Bereiche, besser als das bislang der Fall ist, miteinander vernetzen. Fußgängerwege müssen zum Beispiel deutlich aufgewertet werden.
Es fehlt derzeit hier wie da Lebendigkeit. Abends ist tote Hose, die Aufenthaltsqualität ist nicht optimal. Was muss besser werden? Wir müssen tatsächlich mit vereinten Kräften dafür sorgen, dass abends mehr los ist. Dafür brauchen wir mehr Wohnen, mehr Kultur, die abends stattfindet. Wir haben angeregt, dass Teile der Universität in die Innenstadt kommen und wir damit junge, kreative Leute anziehen, die wiederum eine Clubszene befördern. Es gibt im Moment viele Ideen und es wird ohne Schranken diskutiert.
Was ist der Traum, den Brigitte Engler mit Blick auf den Sommer träumt? Meine Vision ist, dass wir im Mai eine Impfquote erreichen, die zulässt, dass wir ab Ende Mai wieder ein normales Leben mit Kommunikation und persönlicher Begegnung haben können, dass mit aller Vorsicht Geschäfte und Gastronomie geöffnet werden und die Menschen wieder zu ihren Lebensaufgaben und ihrer sinnstiftenden Arbeit zurückkehren können. Das Gespräch führte Wolfgang Timpe