Aufstand der Privattheater und Kulturveranstalter nach dem Corona-Shutdown – mit dem „KulturKilometer“ und der „Night of Light“ am 22./23. Juni
Man merkt Laura Kuhlen, 26, und Meik Gudermann, 32, nicht an, dass sie in den vergangenen Tagen zu Fuß 510 Kilometer von Nordrhein-Westfalen bis nach Hamburg zurückgelegt haben. Mit dem Ziel, mit ihrer Aktion „KulturKilometer“ auf die der Pandemie geschuldeten schwierigen Lage der Privattheater und Kulturveranstalter aufmerksam zu machen. Gestartet sind die beiden Mehr-BB-Entertainment-Mitarbeiter am 2. Juni am Musical Dome in Köln, am 23. Juni werden sie nach 750 Kilometern ihr Ziel erreichen: den Admiralspalast in Berlin. Jetzt machen sie im Mehr! Theater am Großmarkt Station, wo sie von einigen Mitgliedern des „Harry Potter“-Ensembles empfangen werden. Diesen Darstellern geht es noch verhältnismäßig gut. Sie wurden zwar auf Kurzarbeit gesetzt, beziehen aber zumindest weiterhin ein festes Einkommen, während den Soloselbständigen aus der freien Szene ihre Einnahmen seit Mitte März komplett weggebrochen sind.
Foto oben: Seit dem Lockdown im März sanken die Einnahmen auf null Euro, dabei bringt es dieser Wirtschaftszweig normalerweise auf einen Gesamtumsatz von 70 Milliarden Euro. „Wenn jetzt nicht gehandelt wird“, sagt der Sänger Johannes Oerding, „muss die Konzert-, Kultur- und Eventbranche dicht machen.“ © Olaf Heine / Carsten Jahnke Konzertdirektion
Egal, wie prekär die Situation ist: Die meisten Kulturschaffenden geben nicht auf. Einige starten Spendenaufrufe, andere nehmen Kredite auf. „Es ist unglaublich, wie kreativ viele mit der Krise umgehen“, resümiert Laura Kuhlen. Etwa das Wolfgang Borchert Theater in Münster, das statt einer Premiere gleich mehrere Premieren seines Stücks „Momentum“ feierte, um den Hygienevorschriften gerecht zu werden. Gewinnbringend sind solche Vorstellungen mit zahlreichen leeren Plätzen gewiss nicht. „Das Ensemble spielt, damit die Leute sehen, dass es noch da ist“, bringt es Meik Gudermann auf den Punkt.
So ein eiserner Wille beeindruckt ihn. Er und Laura Kuhlen brauchen ebenfalls Durchhaltevermögen, wenn sie pro Tag rund 30 Kilometer mit einem Rucksack auf dem Rücken und Blasen an den Füßen zurücklegen. In der Regel übernachten sie in den Theatern, manchmal bieten ihnen hilfsbereite Menschen eine Unterkunft bei sich zuhause an – sei es in einer Gartenhütte oder auf einem Ferienhof. Fast noch mehr als nach einem gemütlichen Schlafplatz sehnen sich die zwei Wanderer abends nach einer heißen Dusche. Die garantiert ihnen Matthias Lienemann, Leiter des Hamburger Mehr! Theaters. Wie alle Kulturschaffenden wünscht er sich bloß eins: sein Haus schnellstmöglich wieder öffnen zu können. Die Darsteller erwartet eine neue Probebühne, dort dürfen sie sich hoffentlich bald auf die „Harry Potter und das verwunschene Kind“-Premiere am 4. Oktober vorbereiten. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir von diesem Termin abweichen müssen“, gibt sich Matthias Lienemann optimistisch.
Dennoch weiß auch er nicht genau, was die Zukunft für das Mehr! Theater bereit hält. Laut einer aktuellen Studie ist durch die Corona-Krise jeder dritte Arbeitsplatz in der Unterhaltungsbranche gefährdet. Seit dem Lockdown im März sanken die Einnahmen auf null Euro, dabei bringt es dieser Wirtschaftszweig normalerweise auf einen Gesamtumsatz von 70 Milliarden Euro.
„Wenn jetzt nicht gehandelt wird“, sagt der Sänger Johannes Oerding, „muss die Konzert-, Kultur- und Eventbranche dicht machen.“ Der Künstler ist einer der Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in den Messehallen, die sich mit den Problemen der Entertainmentindustrie auseinandersetzt. Ohne weitere Subventionen, da sind sich Holger Hübner, Veranstalter des Wacken Open Air, und die Fernsehmoderatorin Susanne Böhm an diesem Abend einig, zeichnet sich bald ein Schreckensszenario ab: keine Clubs, keine Konzerte, keine Festivals.
Während drinnen diskutiert wird, formierten sich draußen aus rund 400 Fahrzeugen ein Autokorso. Unter dem Motto „EVENTuell nie wieder“ fahren die Wagen laut hupend durch die Stadt, ein Teil ihrer Strecke führt durch die HafenCity. Mit von der Partie sind vor allem die Betreiber und Mitarbeiter von Veranstaltungsfirmen, denen die Jobs weggebrochen sind. Was sie besonders wurmt, ist die Ungewissheit. Keiner vermag zu sagen, wann wieder größere Events mit Publikum in einer Halle stattfinden werden. Auf dem #MessegeländeHamburg fand eine Podiumsdiskussion mit XXL-Projektionen und ein groß angelegter Fahrzeug-#Konvoi statt. Allein von #Landungsbrücken, Baumwall über #Elbphilharmonie zog über 1 Stunde lang der Protestkonvoi aus Hunderten von Fahrzeugen durch den #AmKaiserkai n.
Bekannte Unterstützer wie Singersongwriter #JohannesOerding und TV-Moderatorin #SusanneBöhm tauschten sich auf dem Podium in den Messehallen mit den wichtigsten Akteuren der Hamburger Veranstaltungsbranche aus, aus dem Hafen und der HafenCity etwa Uwe Bergmann (Veranstalter Hamburg Cruise Days, Hamburg Harley Days, Fan-Feste) oder Jens Stacklies (Altonaer Fischauktionshalle, Gröninger Privatbrauerei). Sie fordern schnelles Handeln von der Politik. „Nie wieder gemeinsam feiern, tanzen lachen oder mitsingen – wollt ihr das wirklich?“, fragt Johannes Oerding und ergänzt „Wenn jetzt nicht gehandelt wird, muss die Konzert-, Kultur- und Eventbranche dicht machen. 2020 wird dann ein Armutszeugnis für die deutsche Kulturlandschaft.“
Auf diesen Protest sollen weitere Aktionen folgen. Am 22. Juni findet deutschlandweit die „Night of Light“ statt. In mehr als 250 Städten werden Konzerthallen, Spielstätten oder öffentliche Gebäude mit rotem Licht illuminiert. In Hamburg leuchtet zum Beispiel die Reeperbahn, die Elbphilharmonie, die Cap San Diego, das Theaterschiff oder das Internationale Maritime Museum Hamburg (IMMH) ganz in Rot. Das IMMH beteiligt sich gemeinsam mit der Gastronomie „Catch oft he Day“ und dem Restaurant „Alte Liebe“ im Kaispeicher B. „Events sind für uns als privates Museum ein ganz wichtiges finanzielles Standbein, um den ganzen Museumsbetrieb aufrecht erhalten zu können“, so Museumsvorstand Peter Tamm. „Normalerweise finden in unseren Räumen ca. 100 Veranstaltungen pro Jahr statt.“ Seit dem Shutdown im März wurden alle Veranstaltungen abgesagt und es konnten auch keine neuen Events gebucht werden.
Der „KulturKilometer“ wie auch die „Night of Light“ sind ein flammender Appell an die Politik, endlich die Systemrelevanz der Veranstaltungsbranche anzuerkennen und sie entsprechend zu unterstützen. Dagmar Leischow