Der Stadtteilkümmerer Klaus Lübke über die Kultbude „Veddeler Fischgaststätte“, die Menschen auf der Elbinsel und die Irrtümer von Stadtplanern
Nachmittags auf der Elbinsel Veddel. Gerade springt die 50er-Jahre-Leuchtreklame „Veddeler Fischgaststätte“ in der frühen Dämmerung an, während die Lkw-Kohorten das kleine Bratfisch-Eiland auf ihrem Weg zu den Elbbrücken umtosen und gegenüber am anderen Elbufer die Dampframmen den Tiefbau des künftigen Leuchtturmprojekts „Elbtower“ mit 245 Meter Höhe vorantreiben. Hier, am Verkehrsknotenpunkt zwischen Hafen, Innenstadt und Autobahn, wird seit 90 Jahren einzigartiger Backfisch aus einem 220 Grad feuernden historischen Backofen serviert – in vierter Generation.
Foto oben: SPD-Knurrer Klaus Lübke: „Die ,Veddeler Fischgaststätte‘ von 1932 ist ein Original, das es so woanders nicht gibt. Die kann man nicht verpflanzen, die ist nicht reproduzierbar.“ © Catrin-Anja Eichinger
Nun müssen die Inhaber Olivia und Christian Butzke mit Sohn Jonas ums Überleben kämpfen, da ihr Bratfisch-Kultort neuem Wohnungsbau auf der Veddel weichen soll (siehe „7 Fragen an …“ Geschäftsführer Christian Butzke auf der rechten Seite). Inzwischen gibt es eine Petition zum Erhalt des Veddel-Juwels mit knapp 10.000 Unterschriften von Hamburgern, und Mit-initiator und Erstunterzeichner war der „Stadtteilkümmerer“ Klaus Lübke, wie es auf seiner Visitenkarte heißt. Der kommt um 16.30 Uhr mit Rucksack und Arbeitsregenjacke der Hansa Gerüstbau festen Schrittes rein, legt ab und nimmt am langen Stammtisch neben der Theke Platz. Nach kurzem Alltagsstory-Warm-up geht’s los: „Die ,Veddeler Fischgaststätte‘ von 1932 ist ein Original, das es so woanders nicht gibt. Die kann man nicht verpflanzen, die ist nicht reproduzierbar.“ Lesen Sie mal, was der SPD-Fahrensmann und Langzeitkritiker der Senatspolitik auf der Veddel noch so alles zu den Menschen vor Ort, zur Stadtplanung und zum Denkmalschutz sowie zur „Veddeler Fischgaststätte“ der Stadt ins Stammbuch schreibt.
Ich komme erst seit kurzer Zeit, seit 20 Jahren, hierher. Hier hat sich nichts verändert, weder an der Ausstattung noch am Bratfisch. Und genau das ist das Erfolgsrezept, warum Stammkunden hier regelmäßig haltmachen: keine Veränderung.“
Klaus Lübke
Moin Herr Lübke, wir sitzen hier zum Gespräch in der „Veddeler Fischgaststätte“, einem Pilgerort für Backfischfans, der demnächst Neubauplänen fürs Wohnen weichen soll. Was zeichnet diese Kultgaststätte aus, und warum soll sie bleiben? Die Fischgaststätte zeichnet sich durch die einzigartige 50er-Jahre-Originalität und die Qualität des Bratfischs aus. Das Erlebnis hier besteht aus der nostalgischen Ausstattung und dem tollen Essen. Nicht nur der Ort hier auf der Veddel ist legendär, sondern auch die Technik des Bratofens, der hier mit großer Hitze die besondere Panade und den Fisch so einmalig schmecken lässt. Die Betriebserlaubnis für den Ofen ist an diesen Ort gebunden, er darf woanders zulassungstechnisch nicht mehr in Betrieb genommen werden. Man kann also aus der „Veddeler Fischgaststätte“ keinen Franchise-Laden machen, den man einfach woanders auf der Veddel wiedereröffnen oder an den Hauptbahnhöfen in München, Köln oder Berlin eröffnen kann. Diesen Fisch gibt es so nur hier und unverändert seit 1932 im selben Ofen.
Was ist das Besondere? Neben dem Ofen vor allem die Rezepte der Panade und des Kartoffelsalats. Ich komme erst seit kurzer Zeit, seit 20 Jahren, hierher. Hier hat sich nichts verändert, weder an der Ausstattung noch am Bratfisch. Und genau das ist das Erfolgsrezept, warum alle Stammkunden und Fernfahrerfreunde hier regelmäßig haltmachen: keine Veränderung.
Und warum kommen alle immer wieder? Weil die „Veddeler Fischgaststätte“ von 1932 ein Original ist, das es so woanders nicht gibt. Die kann man nicht verpflanzen, die ist nicht reproduzierbar. Sie hat viele Fans, die hierherkommen und bei denen es nostalgische Gefühle auslöst und die es genießen, dass es hier so einzigartig ist. Wenn Sie in die Innenstädte gucken: Überall gibt es die gleichen Läden, überall das gleiche Essen. Da fliegen Sie nach London oder sonst wo in der Welt hin, und Sie finden überall die gleichen Läden und Marken, und alles sieht gleich aus. Hier lebt ein einzigartiges, fest verwurzeltes Original.
Warum steht die Fischgaststätte überhaupt auf der Abrissliste? Dadurch, dass der Freihafen aufgelöst worden ist und der Zoll sich verabschiedet hat. Und damit ist dieses Gelände frei geworden. Zunächst haben wir gedacht, dass alle Gebäude außer der Fischgaststätte abgerissen werden. Nun musste man mit diesem Gelände etwas anfangen. Dann ist im Rahmen der Planung des Stadteingangs Elbbrücken in der Behörde für Stadtplanung und Wohnen sowie der HafenCity GmbH die Fischgaststätte, trotz früherer gegenteiliger Aussagen des Oberbaudirektors, überplant worden.
Die alten Zollgebäude nebenan auf diesem Areal stehen unter Denkmalschutz, und die traditionelle Fischgaststätte soll nun weichen. Ist das Schilda auf der Veddel? Der Zoll steht dafür, dass wir einen Freihafen hatten. Ich verstehe auch die Argumentation des Denkmalschutzes, dass man ein städtebauliches und architektonisches Dokument der Zeit erhält, als Hamburg noch den Freihafen und das Zollamt hier hatte. Ich habe mich bloß beim Denkmalschutz gefragt, ob es nicht ein höherrangiges Interesse – die Menschen auf der Veddel und ihre Nahversorgung – als den Denkmalschutz selbst gibt? Für mich eindeutig ja. Man zwingt jetzt die Bewohner:innen der Veddel, auch künftig – neue Wohnungen hin oder her – für alltäglichste Dinge immer wieder ihre Insel zu verlassen. Hier hat nur ein einziger Supermarkt Platz. So wird die Entwicklung des Stadtteils, die Insel Veddel und die Versorgung der hier lebenden 5.000 Menschen behindert. Stattdessen gibt es Denkmalschutz. Eine falsche Abwägung, die hoffentlich noch einmal überdacht wird.
Manche sagen, in drei Jahren löst die neue Nachbarstadt Grasbrook die Probleme. Nur teilweise. Wir hatten eine lange Liste mit Wünschen, was man so braucht und unter den räumlichen Voraussetzungen der Veddel auch verwirklichen könnte. Grasbrook wird künftig dazu führen, dass das Areal im Norden der Veddel als eine Art Kniegelenk zwischen der Veddel und dem neuen Grasbrook funktionieren kann. Jedoch nur, wenn man in beiden Quartieren Nutzungen unterbringen kann, die jeweils beiden Stadtteilen dienen.
Könnte die „Veddeler Fischgaststätte“, die später am Fuß der breiten Brücke auf den Grasbrook liegen würde, eine Attraktion auf der Veddel für Grasbrook-Bewohner:innen sein? Da ist es doch nicht besonders klug, diesen Ort verschwinden zu lassen? Natürlich. Es ist nicht klug. Die Fischgaststätte ist ein Anziehungspunkt und Identifikationsort für sehr viele Menschen, den man an genau der Stelle, wo sie seit 90 Jahren betrieben wird, nutzen muss. Schauen Sie mal, was in der östlichen HafenCity passiert. Da werden jetzt neue Geschäfte aufgemacht, und die Inhaber müssen versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen – das ist verdammt schwer. Das ist alles neu und aus der Retorte. Das wächst nicht von selbst, das muss erst über die Jahre durch und mit den Bewohnerinnen attraktiv werden. Zurzeit sehe ich zum Beispiel morgens auf dem Weg zur Arbeit, dass niemand im Friseursalon sitzt. Das braucht alles Zeit. Und da will man auf der Veddel die Fischgaststätte abreißen, die heute ein bestbesuchter Treffpunkt für Menschen ist und auch für den Grasbrook dazu werden kann. Man muss einfach nur alles so lassen, wie es ist. Ganz einfach. Hier ist etwas, das funktioniert seit 1932, die Bude ist jeden Tag voll. Ich verstehe das nicht. Zum Glück läuft unsere Unterschriften-Petition zum Erhalt prima. Ich bin optimistisch, dass wir den Erhalt schaffen.
Klaus Lübke ist das SPD-Urgestein auf der Veddel, war 18 Jahre lang bis zum Wahlsieg der Grünen 2018 ehrenamtlicher Abgeordneter in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte und ist bis heute engagierter Interessenvertreter der großen Vielfalt der Veddel-Bewohner:innen. Der 59-Jährige, geboren in der Hamburger Geburtsklinik Finkenau, wohnt inzwischen mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern in einer Genossenschaftswohnung im Baakenhafen in der HafenCity und schaut vom Balkon aus auf die Veddel und den Grasbrook. Lübke zog mit seinen Eltern – „ich war drei Monate alt, und sie wollten mir die weite Welt zeigen“ – nach Pinneberg, wo er aufgewachsen ist, machte über den zweiten Bildungsweg sein Abitur auf St. Pauli und lernte dann Steuerfachgehilfe.
Für die SPD wurde er von einem guten Freud 2000 „shanghait“, weil die SPD auf der Veddel dringend einen Kassierer brauchte. Gefragt, getan, und seitdem ist Klaus Lübke aus dem öffentlichen Leben auf der Veddel, als „Stadtteilkümmerer“, wie er sich selbst bezeichnet, nicht mehr wegzudenken. Aktuell kämpft er für den Erhalt des Standorts der „Veddeler Fischgaststätte“. Seine täglichen Brötchen verdient der arbeiternahe Angestellte in der Buchhaltung der Hansa Gerüstbau GmbH auf der Veddel und fährt jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit.
Der Bebauungsplan wird von der Behörde für Stadtplanung und Wohnen (BSW) gemanagt. Warum sind denn BSW-Senatorin Dorothee Stapelfeldt und Oberbaudirektor Franz-Josef Höing für den Abriss? Der Bebauungsplan ist von Senat und Bürgerschaft noch nicht abgesegnet. Und weder Senatorin Stapelfeldt noch Oberbaudirektor Höing sind, glaube ich, für den Abriss der Fischgaststätte. Sie geben sich nur der Illusion hin, dass man sie verlegen könnte. Und da irren die beiden.
Der neue autoarme grüne Stadtteil Grasbrook mit 3.000 Wohnungen und 16.000 neuen Arbeitsplätzen wird die Veddel verändern. Guter Wettbewerb oder Gentrifizierung, harte Verdrängung? Ich glaube nicht an Verdrängung. Gentrifizierung kommt da, wo es Spekulationen mit Grund und Boden gibt, wo Leute Gebäude kaufen, sanieren und dann wieder teuer vermieten oder weiterverkaufen. Wir haben auf der Veddel einen Wohnungsbestand, der zu 70 Prozent öffentlichen Unternehmen gehört, und für viele andere Grundstücke hat die Stadt noch ein Rückkaufrecht. Das schließt eine großflächige Spekulation auf der Veddel aus. Deshalb glaube ich nicht an Verdrängung. An einen fairen Wettbewerb glaube ich jedoch zurzeit nicht. Dazu müssten Nutzungen auf der Veddel entstehen, die die Grasbrook-Bewohner:innen und dort Arbeitenden nutzen. Das ist bislang nicht geplant.
Warum ist das Etikett der Veddel als „Insel der Abgehängten“ so langlebig? Das ist die isolierte inselhafte Lage der Veddel – mit dem Hafenbecken im Süden und der Elbe im Norden sowie der Industrie in Ost und West mit den großen Gleisanlagen und der Autobahn. Mittendrin liegt das Wohn- und Siedlungsgebiet. Wenn man in einen anderen Stadtteil will, muss man immer über irgendeine Brücke und weite Wege in Kauf nehmen. Das trennt. Die Barmbeker merken nicht, wenn sie plötzlich in Dulsberg, und die Eppendorfer nicht, wenn sie plötzlich in Eimsbüttel sind.
Wie kann man das denn verbessern? Indem man sich Infrastrukturfragen stellt. „Wie viele Einkaufsmöglichkeiten gibt es?“, „Wie viel Kaufkraft gibt es im Stadtteil?“, „Behalten wir den Seniorentreff oder die Kirchengemeinde?“ Das sind grundsätzliche Versorgungsfragen. Einkaufen und Lebensqualität ist auf der Veddel ein täglich gefühlter Mangel. Wir haben dort nur noch einen Geldautomaten, es gibt keine Bank und nur einen Supermarkt. Das Ziel ist es, diese isolierte Lage aufzubrechen, mehr Bewohner:innen in die unmittelbare Nähe zu bewegen, um darüber auch die Chance zu bekommen, ein besseres Angebot und eine bessere Frequenz für Gewerbetreibende und Kulturaktivitäten zu schaffen.
Was kann noch helfen? Eine unserer Ideen ist, eine Grundschule für beide Stadtteile zu bauen, die Veddel und Grasbrook. Wir haben in der Schule auf der Veddel heute eine Quote von über 90 Prozent Schüler:innen, deren Familien eingewandert sind. Wenn man das ein Stück weit ändern könnte, Richtung 50 Prozent, würde auch in den Nutzungen der Angebote größere Vielfalt entstehen. Warum plant man nicht eine Veddel-Schule in den Zollhallen? Dann könnte man diese Quote schaffen.
Träumen Sie mal. Sie sind Erster Bürgermeister und Stadtplanungssenator. Wie führen Sie die Veddel in die Zukunft? Das ist nicht schwer. Man entwickelt eine gute Anbindung mit einem schönen Stadtteil Grasbrook und einem schönen Stadtteil Veddel. Es geht ja nicht darum, dass es dem Stadtteil Veddel besser geht, sondern dass es den Menschen im Stadtteil Veddel besser geht. Und dazu gehört für mich, die Isolation aufzubrechen und für mehr Angebote zu sorgen: für mehr soziale Angebote, für mehr Ärzte, Drogerien und alltägliche Dinge, die wir alle zum Leben im Stadtteil benötigen.
Mal ganz kompakt: Die Veddel ist für Sie heute … eine Insel mit hart arbeitenden Menschen als Bewohner:innen. Es ist eine sozial starke Gemeinschaft. Die Menschen halten zusammen – auch in ihrer Vielfalt der Herkunft. Sie haben nur kein Geld.
Sie nennen sich selbst Stadtteilkümmerer. Was haben Sie, was andere nicht haben? Das war ein wenig aus der Not geboren, um zu erklären, was man als Bezirksversammlungs-Abgeordneter macht. In vielen Stadtteilen gibt es viele Stadtteilkümmerer, gibt es Bezirksabgeordnete, die sich haarklein um ihren Stadtteil kümmern und viel dafür arbeiten – auch in anderen Parteien. Das wird oft nicht gesehen, weil darüber nicht täglich berichtet wird. In den Medien gibt eher die große Politik den Ton an.
Viele, auch SPD-Genossen, sagen: „Ach, der Klaus, der Meckerer von der Veddel.“ Wurmt Sie das? Ja, das ist so. Und das ist auch ein Problem. Man wird schnell in der querulatorischen Ecke angesiedelt. Das macht mir nichts aus. Es ist immer das Wichtigste, wenn man versucht, für die Menschen etwas zu erreichen und Verbündete zu suchen und zu überzeugen. Das hat – auch in meiner Partei – schon mal besser funktioniert als zurzeit. Das kann gerne wieder besser werden. (lacht)
Das Gespräch führten Matthias Schinck und Wolfgang Timpe