Innenstadt | HafenCity. Im Exklusivinterview spricht Dr. Willfried Maier, 1. Vorsitzender der Patriotischen Gesellschaft von 1765, über den 260. Geburtstag des Bürgervereins und seine neue Stiftung sowie über eine Blaue City, den Elbtower und die Kühne-Oper
Dieses Bonmot kann man bei Willfried Maier, dem 83-jährigen Doktor der Philosophie und 1. Vorsitzenden der Patriotischen Gesellchaft von 1765 in Anlehnung an den Werbespruch eines Brauseherstellers nicht unterschlagen: Tradition verleiht Flügel! Auch wenn der zurückhaltende fitte Herr in Turnschuhen und schwarzer Kleidung mit lässigem Sakko, Pulli und schwarzer Nickelbrille wie der Gegenentwurf eines alternativ-intellektuellen Understatements zum kapitänsblauen Kaufmanns-Blazer mit Goldknöpfen daherkommt. Denn erst wenn der frühere grüne GAL-Bürgerschaftsabgeordnete und Stadtentwicklungssenator spricht, entfaltet sich seine quicklebendige Bürgervereins-Energie – auch zum 260. Geburtstag der Patriotischen Gesellschaft: „Eine große Tradition ist eher vorantreibend, sie darf nur nicht erstarren und Entwicklungen und Veränderungen verhindern.“ Lesen Sie mal, warum man ihm das für sich selbst und für seinen Verein von 1765 sofort abnimmt.
Foto oben: Dr. Willfried Maier. „Ich unterscheide ungern zwischen Bürgern und Stadtstaat. Die Bürgerinnen und Bürger bilden den Stadtstaat. Deshalb sind wir als Patriotische Gesellschaft so stark daran interessiert, dass Bürgerbeteiligung stattfindet und dass die Hamburgerinnen und Hamburger begreifen, dass Stadtrepublik bedeutet, sich selbst zu regieren.“ © Catrin-Anja Eichinger
Herr Maier, Sie und die Patriotische Gesellschaft von 1765 feiern im Juni 260. Geburtstag und sind aus Hamburg nicht wegzudenken. Warum braucht der Stadtstaat in Zeiten von Bürgerbeteiligungen und Social-Media-Öffentlichkeit anno 2025 noch einen Bürgerverein wie die Patriotische Gesellschaft? Weil es immer auch der Initiative von Menschen bedarf, um neue Themen zu setzen und dafür zu sorgen, dass diese neuen Themen auch ein Gehör finden. Und da ist es gut, wenn es in der Stadt eine Tradition gibt wie die patriotische Gesellschaft,die hin und wieder was sagt und dann auch gehört wird. Vergleichbares wie die Patriotische Gesellschaft gibt es nur noch in Frankfurt am Main und in Basel, und wir sind deutlich die älteste Vereinigung. Es ist etwas Besonderes, dass wir schon so lange, 260 Jahre, Teil der Stadtrepublik Hamburg, der Bürgerstadt, sind.

Wer braucht in Hamburg heute die Patriotische Gesellschaft? Alle, die an dem Gedeihen der Stadtrepublik interessiert sind! In Hamburg leben knapp zwei Millionen Menschen nicht nur zusammen, sondern sie sind in einer Republik verfasst. Die Hamburgerinnen und Hamburger gehörten zu den ersten in Deutschland, die sich eine republikanische Verfassung gegeben haben. Darauf können wir stolz sein, und daran muss immer wieder auch gearbeitet werden. Diesen Gedanken pflegt die Patriotische Gesellschaft von 1765, und der gilt auch intern für unsere eigene Arbeit.
Jeder Interessierte weiß, dass die Pattriotische Gesellschaft wichtig ist. Doch was macht sie denn genau? Sind Sie eine Art Geheimbund, der im Hintergrund die politischen Fäden zieht? Die Patriotische Gesellschaft agiert weder im Geheimen noch „ziehen“ wir an politischen Fäden, wie Sie sagen. Im Gegenteil: Alles, was wir machen, ist öffentlich wahrnehmbar und kann transparent verfolgt werden. Ob das nun unsere Projekte wie zum Beispiel „Kinderstadt Hamburg“ oder „Altstadt für alle“ sind, die wir initiiert haben, oder unsere Veranstaltungen zum Denkmalschutz oder der Entwicklung des Hafens: Das sind öffentliche Themen, und wir laden jede und jeden ein, daran teilzunehmen. Im Übrigen kann jeder für 100 Euro im Jahr Mitglied der Patriotischen Gesellschaft werden. Da unsere Tätigkeit ehrenamtlich und das Mitmachen manchmal auch ein wenig anstrengend ist, gelingt es uns noch nicht so gut, jüngere Menschen, die noch berufstätig sind, für uns zu gewinnen. Das typische Mitglied der Patriotischen Gesellschaft ist jemand, der sich häufig gerade aus dem Berufsleben verabschiedet oder verabschiedet hat und überlegt, was er oder sie jetzt noch Gutes für Hamburg tun kann. Deshalb gehören unsere Mitglieder häufig der Altersgruppe 60 plus an.
Es heißt bei Ihnen im Leitbild: „Seit 1765 zeigen wir bürgerschaftliches Engagement. Wir geben Anstöße für gesellschaftliche Verbesserungen und setzen Ideen in die Tat um. Unabhängig von parteipolitischen Interessen und weltanschaulichen Positionen bieten wir ein Forum für den freien Austausch von Meinungen.“ Hand aufs Herz: Wer bewegt mehr, die Bürger:innen oder Stadtstaat? Ich unterscheide ungern zwischen Bürgern und Stadtstaat. Die Bürgerinnen und Bürger bilden den Stadtstaat. Deshalb sind wir als Patriotische Gesellschaft so stark daran interessiert, dass Bürgerbeteiligung stattfindet und dass die Hamburgerinnen und Hamburger begreifen, dass Stadtrepublik bedeutet, sich selbst zu regieren.
»Ich bin ein großer Anhänger von Gleichheit! Menschen müssen gleiche Rechte haben, unabhängig vom Geschlecht oder von Weltanschauungen. Außerdem glaube ich, dass ein bestimmter Grad sozialer Ungleichheit eine Republik gefährden kann, wenn die Kluft zwischen Reichtum und Normalmenschen zu groß ist.«
Dr. Willfried Maier
Viele gewinnen jedoch den Eindruck, wenn sie sich engagieren und beteiligen, dass sie dann oft nicht ernst genommen werden und sich später bei den Umsetzungen durch die Stadt und die Behörden nichts oder nichts Wiedererkennbares aus den Beteiligungsprozessen wiederfindet. Wie kommt das? Einerseits haben Verwaltungen gewisse Eigengesetzlichkeiten, die sich verselbstständigen, und dann stehen andererseits die Parteien in Konkurrenz zueinander und verfolgen jeweils ihre Absichten und Ziele, was dann zu Einseitigkeiten führt. Deshalb ist es gut, dass es eine Einrichtung wie die Patriotische Gesellschaft gibt, bei deren Initiativen und Veranstaltungen unterschiedlichste Ansichten diskutiert werden können und man sich beteiligen und einmischen kann. Natürlich haben wir nicht die Vorstellung, dass Debattenergebnisse und Inhalte, die wir unterstützen, eins zu eins umgesetzt werden. Das wäre absurd. Wir sind nicht die Gesetzgeber der Stadt Hamburg, aber wir wollen lebhafte Debatten zu wichtigen öffentlichen Themen anstoßen und führen.
Das klassische Bürgertum hat aber auch immer wieder Rebellionen angezettelt, weil man sonst nicht gehört wird. Muss man in der Hamburger Verwaltung mal aufräumen? Das muss man sicher immer wieder mal. Doch ich habe den Eindruck, dass die hamburgische Verwaltung vergleichsweise offen und nicht so bürokratisch und erstarrt ist, wie man es immer wieder zum Beispiel aus Berlin hört.
Aber wenn in Dialogprozessen Dinge vorher festzustehen scheinen oder mehrheitsfähige Expertenerkenntnisse unberücksichtigt bleiben, fühlen sich die Menschen nicht mitgenommen und sind am Ende oftmals demotiviert. Das ist richtig. Zugleich ist es auch so, und ich habe selbst einige Jahre die Stadtentwicklungsbehörde geleitet: Man fängt man nicht ohne Vorgaben an. Als wir zum Beispiel die HafenCity entwickelten, haben wir natürlich durch den Masterplan Vorgaben an verschiedene Architekturbüros gegeben. Es gab den Wettbewerb der Beteiligten, und da haben wir schon darauf geachtet, dass der Prozess einigermaßen offen und gestaltungsfähig bleibt. Also, Vorgaben muss man schon machen. Das ist wie in jedem Gespräch. Eine Diskussion fängt immer dann an, wenn einer etwas gesagt hat, und nicht, wenn alle schweigend dasitzen. (schmunzelt)
Sie kennen das Politikbusiness aus dem Effeff. Nutzen Sie als 1. Vorsitzender für den Erfolg der Themen des Bürgervereins im Hintergrund Ihr politisches Netzwerk? Nein, überhaupt nicht.
Warum nicht? Als ich mich 2008 entschieden hatte, dass ich nicht noch mal als Abgeordneter kandidiere, und dann aus der Bürgerschaft ausgeschieden bin, habe ich mich mit was ganz anderem beschäftigt. Ich bin zu meiner alten Liebe, der Philosophie, zurückgekehrt, habe viel gelesen und bin eine Zeit lang ganz weg gewesen aus allen politischen Debatten. Dann hat sich durch Freunde ein Diskussionszusammenhang entwickelt, der dann mit seinenThemen hierher in die Patriotische Gesellschaft importiert wurde. Ich habe heute keine aktive Tätigkeit bei den Grünen mehr. Zwar bin ich nach wie vor Mitglied, aber ich bin nicht mehr aktiv. Und das gilt eigentlich für alle, die hier bei uns ehrenamtlich tätig sind. Wir haben keine speziell politischen oder parteipolitischen Interessen.

Sie haben politisch eine bewegte Vita, waren in der SPD, dann im KBW, im Kommunistischen Bund Westdeutschland, und Redakteur kommunistischer Zeitschriften, Gründungsmitglied der Grünen und Senator. Auf welcher Seite stehen Sie denn nun, Regierung oder Opposition, Rebell oder Mediator? Jedenfalls nicht mehr einfach auf der Seite des Rebellen, der am Rande steht und von außen Maximalforderungen stellt. Als ich zum ersten Mal nach meinen linksradikalen Jahren in die Bürgerschaft gewählt wurde, habe ich mich gefreut, dass ich mit denen von CDU oder SPD, die ich früher aus dem Hinterzimmer bekämpft hatte und die jetzt alle mit mir in der Bürgerschaft oder den Ausschüssen saßen, offen diskutieren und ihnen klarmachen konnte, wo sie warum meiner Meinung nach falsch lagen. Dieses direkt Einsteigen in Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern hat mir immer Spaß gemacht, auch wenn ich mit vielen Senats- oder Bürgerschaftsentscheidungen nicht einverstanden war. Ich bin immer gerne Bürgerschaftsabgeordneter gewesen.
Es gibt den populistischen Spruch: einmal Kommunist, immer Kommunist. Sind Sie in dem Sinne ein trojanisches Pferd im bürgerlichen Stall der Stadtgesellschaft? Man kann den Spruch auch dumm nennen. Wie soll das gehen und mit welchem Ziel? Ein trojanisches Pferd ist außen aus Holz und innen voll von Kriegern. Ich habe keine Krieger in mir. Ich bin ein Mensch, der in seinen gesamten Aktionen öffentlich ist, hier in der Patriotischen Gesellschaft und seinerzeit in der Bürgerschaft und im Senat hatte ich nie verdeckte Absichten. Im Gegenteil. Damals war ich Realo, Teil einer Minderheitengruppe, und habe bei den Grünen in vielen öffentlichen und offenen Auseinandersetzungen gesteckt, da damals die Fundamentalisten noch die Mehrheitsmeinung bei den Grünen bildeten.

Was ist aus den linksradikalen Zeiten als Wert geblieben, den Sie bis heute schätzen? Ich bin ein großer Anhänger von Gleichheit! Menschen müssen gleiche Rechte haben, unabhängig vom Geschlecht oder von Weltanschauungen. Außerdem glaube ich, dass ein bestimmter Grad sozialer Ungleichheit eine Republik gefährden kann, wenn die Kluft zwischen Reichtum und Normalmenschen zu groß ist. Nehmen Sie die Rolle von Elon Musk in den USA, der jenseits der Interessen von normalen Bürgern ihnen seine Anschauungen aufzwingt und sie massenhaft durch fristlose Kündigungen in Not stürzt. Das finde ich daneben.
Sie sind kein Freund der Muskschen Kettensäge? Definitiv nicht. Obwohl, es gab persönliche Erlebnisse, in denen ich öffentliche Fürsorge als überflüssig empfunden habe. Ich hatte einen Verkehrsunfall und kam ins Krankenhaus, bekam damals Lohnfortzahlung von meinem Arbeitgeber und dann kam noch die Unfallkasse und gab mir zu meinem normalen Gehalt noch einmal die gleiche Summe dazu – zusätzlich, so lange ich krank war. Das habe ich als absurde Veranstaltung von Sozialpolitik empfunden.
Die HafenCity verbindet die jüngere Geschichte der Patriotischen Gesellschaft unter anderem mit dem 2022 ins Leben gerufenen erfolgreichen Projekt „Kinderstadt Hamburg“, in dem 500 Kinder zwischen 7 und 15 Jahren in den Sommerferien selbstbestimmt Politik und Stadtgesellschaft erleben und unter anderem auch Bürgermeister üben dürfen. Was hat das mit dem Ursprungsjahr 1765 zu tun? Gibt es eine geheime Linie? Da gibt es eine geheime Linie. Als 1765 die Patriotische Gesellschaft gegründet wurde, war das die Gründung durch einen kleinen stadtaristokratischen Zirkel – also wenige Menschen, verhältnismäßig gut mit finanziellen Mitteln ausgestattet und gut ausgebildet. Die haben 1765 diesen Verein gegründet, der sich mit Feldern der Stadtpolitik beschäftigt hat, die damals den Senat, der sich vor allem mit Wirtschaftsthemen und ein wenig mit Diplomatie beschäftigte, noch nicht interessierten: Bildungs-, Sozial- und Kulturpolitik oder Berufsausbildung oder Hygiene.
Diese Themen hat die damals noch kleine Anzahl von Leuten in der Patriotischen Gesellschaft für die Stadtrepublik Hamburg in die Hand genommen. Inzwischen ist Hamburg eine Demokratie. Seitdem 1918 in Berlin die Republik ausgerufen wurde, bekamen auch hier Frauen und Männer gleiches Wahlrecht. Und heute kümmern wir uns zum Beispiel alle zwei Jahre darum, die „Kinderstadt Hamburg“ aus privaten Mitteln zu organisieren, um der nachfolgenden Generation, den Kindern und Jugendlichen, den Gedanken der Selbstorganisation ihres gemeinsamen Lebens in all ihren Facetten einer Stadtgesellschaft nahezubringen, ihn erlebbar zu machen. Die Kinder und Jugendlichen wählen ihr eigenes Parlament und das dann eben auch den Bürgermeister ihrer „Kinderstadt“. Organisatorisch und finanziell schaffen wir das leider nur alle zwei Jahre, also erst 2026 wieder. Wir nutzen aber das „Zwischenjahr“ 2025, um interaktive Mitmachaktionen im kleineren Rahmen hier vor dem Sitz der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke in den Sommerferien zu organisieren.
Als HafenCity gehörenwir zur neuen Mitte Hamburgs, zur Innenstadt. Hier haben Sie von 2017 bis 2022 mit dem Projekt „Altstadt für alle“ Aufsehen erregt, das unter anderem die autoarme City, herausragende Kulturprojekte mit St. Katharinen oder jüngst das Baugenossenschaftsprojekt Gröninger Hof, wo aus einem Parkhaus ein Wohn- und Arbeitsprojekt wird, mit auf den Weg gebracht hat. Die Patriotische Gesellschaft agiert wie ein außerparlamentarischer Projektmanager, der Ideen zu Projekten entwickelt, sie anschiebt, sich dann aber, wenn’s läuft, wieder neuen Themen widmet. Sind Sie ein Geburtshelfer bei wichtigen Themen für die Stadtgesellschaft, aber umsetzen müssen das dann die Bürger und die Verantwortlichen? Ja, das haben wir schon immer so gemacht, zum Beispiel bei den Hamburger Bücherhallen, die ursprünglich eine Gründung der Patriotischen Gesellschaft waren und die wir eine Zeit lang selbst betrieben haben. Bis wir dann den Hamburger Senat überzeugen konnten, dass das eine öffentliche Aufgabe sei, und er das dann übernommen hat. Oder wir haben im 18. Jahrhundert die ersten Malerklassen eingeführt, um für die hiesigen Weber bessere Designs zu entwickeln, denn die Damen kauften damals englische Tücher, sollten aber besser heimische, Hamburger Tücher kaufen. Daraus hat sich später das Berufsschulwesen entwickelt, und auch zum Beispiel die HFBK, die Hochschule für Bildende Künste, ist so entstanden. Der Kontakt ist auch heute noch eng. Die Patriotische Gesellschaft unterhält da partnerschaftliche Beziehungen und ist in Beiräten oder Gremien etwa der HFBK oder auch des MKG, des Museums für Kunst und Gewerbe, vertreten. Wir treten dort nicht mehr als Inhaltsgeber oder Gestalter auf, nehmen aber an möglichst vielen wichtigen Themen der Stadtgesellschaft teil.

Als früherer Stadtentwicklungssenator und als 1. Vorsitzender der Patriotischen Gesellschaft, die das Leitbild „Zusammen für Hamburg“ propagiert, können Ihnen die Bauruine Elbtower am Stadteingang und die geplante neue Oper auf dem Baakenhöft nicht egal sein. Soll der Elbtower fertig gebaut werden? Bei uns in der Patriotischen Gesellschaft gibt es eine starke Strömung, die von Beginn an gegen den Elbtower war. Meine Haltung dazu ist wackelig. Ich finde es vollkommen unmotiviert, an der Stelle ein Hochhaus zu bauen. Doch das ist nun einmal eine Entscheidung der Stadt, der Mehrheit in Senat und Bürgerschaft, gewesen, die ich nicht begrüße. Nun sagt der Senat mit einem gewissen Recht, das sollen die privaten Investoren vollenden. Gleichzeitig bedeutet die Entscheidung der Stadt einen solchen Eingriff in das Stadtbild, dass die Sache nun auf ihr lastet.
Sie will sich mit dem Hinweis auf die Privatinvestoren einen schlanken Fuß machen. Meines Erachtens geht das nicht. Das geht nicht wirklich. Man kann sich keinen schlanken Fuß machen, wenn man eine schlechte Entscheidung mit auf den Weg gebracht hat. Doch wie man damit klarkommen will, ist mir auch nicht klar. Die Idee, dass dort das Naturkundemuseum einziehen soll, empfinde ich nur dann als umsetzbar – das Inhaltliche und Fachliche kann ich nicht beurteilen –, wenn man die entsprechende Fläche als Eigentum erwirbt, um nicht auf Jahre oder Jahrzehnte hinaus dauernd mit Mietforderungen womöglich wechselnder Eigentümer zu tun zu haben. Eine Lösung für das Naturkundemuseum muss offenbar unabhängig davon gefunden werden, da man gegenüber dem Museum und dem Leibniz-Institut Verpflichtungen eingegangen ist.
Milliardär Klaus-Michael Kühne will der Stadt ein Opernhausgebäude schenken und hat sich dafür das beste, das letzte Filetstück der HafenCity, das Baakenhöft, ausgeguckt. Sind Sie dafür? Noch so ein schwieriges Projekt. Ich habe nichts gegen ein großes Geschenk von Herrn Kühne, aber mir ist sehr daran gelegen, dass, wenn die Stadt ein neues Opernhaus bekommt, sie auch darüber mitbestimmen kann, welche Gestalt und welche genaue Lage es hat. Und ob das gewährleistet ist, kann ich gegenwärtig nicht beurteilen.
VITA Dr. Willfried Maier ist 1. Vorsitzender der Patriotischen Gesellschaft von 1765 in Hamburg – seit 2018. Der drahtige 83-Jährige studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte an den Universitäten von Göttingen und Kiel und promovierte zum Dr. phil. Später machte er noch eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Das frühere SPD- und KBW-Mitglied war Mitbegründer der Grünen, saß für die Hamburger GAL in der Bürgerschaft, war auch GAL-Fraktionschef und von 1997 bis 2001 Senator für Stadtentwicklung, Bundes- und Europaangelegenheiten im Senat des damaligen Ersten Bürgermeisters Ortwin Runde. Seit 2008 ist Maier auch Mitglied im Stiftungsrat Historische Museen Hamburg, war im Aufsichtsrat der Hamburgischen Staatsoper und ist Mitglied des Kuratoriums von abgeordnetenwatch.de.
Willfried Maier ist verheiratet mit Eva Hubert, früher GAL-Miglied der Hamburgischen Bürgerschaft und Geschäftsführerin der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, und lebt in Hamburg-Winterhude.

Das Vertragswerk ist dazu offenbar maximal absichernd für die Stadt, aber der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher wie auch Kultursenator Carsten Brosda räumen ein, dass man so ein Projekt schwerlich „gegen den Geschmack“ eines Stifters umsetzen kann. Das ist die Krux. Ja, das ist die Krux. Das ist auch mit dem Geburtstagsgeschenk der Tante für das Kind so. Das folgt in der Regel dem Geschmack der Tante und nicht unbedingt dem des Kindes. Aber es stimmt schon, grundsätzlich freut man sich über Geschenke.
Wie finden Sie denn grundsätzlich ein neues Opernhaus für Hamburg? Natürlich gibt es die Möglichkeit, das alte Opernhaus zu ertüchtigen, was jedoch nach allem, was bekannt ist, sehr teuer werden würde. Außerdem müsste man in dem Fall für ein paar Jahre den Betrieb stilllegen. Und da eine solche Renovierung auch für andere Hamburger Theater ansteht, könnte dann ein funktional nicht mehr genutztes Staatsoperngebäude zwischenzeitlich Staatstheater beherbergen, bevor die heutige Hamburgische Staatsoper schließlich einer letzten eigenen Nutzung zugeführt werden könnte.
Sehr salomonisch. Ein Filmtitel des Regisseurs Alexander Kluge lautet passend: „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“. Das ist ein alter Hölderlin-Spruch, den gerne radikale Gruppen anführen – wie auch wir früher (lacht). Doch er ist nicht richtig, denn gerade in Situationen, wo es prekär ist, muss man so lange wie möglich nach einer Einigung suchen, sonst kann kein Gemeinwesen bestehen.
In der HafenCity hat das neue Westfield-Überseequartier mit Shopping, Gastronomie und Entertainment eröffnet. Allein der Mode- und Lifestyle-Store Breuninger belegt 14.000 Quadratmeter, und die Innenstadt-Einzelhändler befürchten weitere drastische Umsatzverluste. Hilft das Westfield-Center Hamburg, oder ruiniert es die Innenstadt? Ich verstehe die Sorgen der Innenstadt gut. Das Argument dagegen ist jedoch, wenn die Stadt Hamburg und auch die Innenstadt mit ihrem Einzelhandel erfolgreich sein will, muss sie sich über den bisherigen Innenstadtbereich hinaus für ganz Hamburg und das Umland zu einem Attraktionsfaktor entwickeln. Dazu trägt das neue Center in der HafenCity bei, indem der Einzugsbereich des städtischen Einzelhandels wächst. Die dramatische Problematik geht tatsächlich jedoch vom Versandhandel aus.
Was hilft? Für eine lebendige Innenstadt fehlt in Hamburg die Wohnbevölkerung. Und das kann man nur durch niedrige Quadratmeterpreise ermöglichen. Und das ist wiederum eine Frage der Grundeigentümer, ob sie den Mix aus niedrigeren Wohn- und höheren Gewerbemieten ermöglichen wollen. Denn durch die bislang guten Mietzahlungen der Einzelhändler sind Grundeigentümer in ihren Renditevorstellungen etwas verwöhnt. Und Lösungen wie jetzt am Neuen Wall, wo internationale Großmarken ihre Flagship-Stores aufbauen, lassen sich nicht über die ganze Stadt ausbreiten. Die Innenstadt kann nur mit Wohnbevölkerung und Kulturangebote gestärkt werden, womit auch abends nach Ladenschluss noch Leben da wäre.
Was ist für Sie im Rückblick auf 260 Jahre Patriotische Gesellschaft das wichtigste Projekt gewesen, von dem die Hamburger:innen noch heute profitieren? Das waren die öffentlichen Bücherhallen, die ein Bildungsangebot in die Breite geschaffen haben, das es vorher so nicht gab. Die Bücherhallen sind nicht zufällig die größte kulturpolitische Institution der Stadt Hamburg. Insofern kann man schon sagen: Das ist der Schuss, der am besten gesessen hat.

Das Kontorhaus der Patriotischen Gesellschaft ist Hamburger Geschichte pur: Hier stand bis 1842 das Rathaus, ehe es durch einen Großbrand zerstört wurde, und der Neubau, das heutige Kontorhaus, wurde dann 1847 eingeweiht. Wie viel Geschichte kann eine zeitgemäße lebendige Organisation vertragen, ohne von ihr erdrückt zu werden? Geschichte erdrückt uns nicht, sondern beflügelt uns! Eine große Tradition ist eher vorantreibend, sie darf nur nicht erstarren und Entwicklungen und Veränderungen verhindern. Auch für große Religionen gilt das bekanntlich. Der Islam geht auf eine prophetische Offenbarung im sechsten Jahrhundert zurück. Das ist die Tradition, auf die man sich bezieht. Wenn man aber an der Rolle der Frau, wie sie damals von Wüstenkriegern festgelegt worden ist, einfach als gottgegeben bis heute festhalten will, ist das starrsinnig und hat nichts mit dem Umgang mit Traditionen zu tun, sondern nur mit Blindheit.
Was sind für Sie die wichtigen Zukunftsschritte? Dass wir jetzt die Stiftung der Patriotischen Gesellschaft von 1765 gegründet haben. Sie soll die Patriotische Gesellschaft in ihrem Wirken stärken und zugleich dauerhaft die finanziellen Mittel dafür sichern, dass wir uns auch in Zukunft verlässlich für eine lebendige Zivilgesellschaft in unserer Stadt einsetzen können. Als Projekt liegen uns in der Innenstadt die Fleete am Herzen, die nur noch zum Verschlicken da sind. Mit Fluttoren könnte man eventuell zwischen der nördlichen und der südlichen HafenCity sowie dem Stadtwall einen kontinuierlichen Wasserstand halten. Dadurch bekäme man klimatisch eine „blauere“ Innenstadt und könnte die Wasserflächen erweitert nutzen.
Sie sind 83 Jahre jung. Was machen Sie, wenn Sie mal wirklich im Ruhestand sind? Ich werde wieder stärker zu meiner Philosophie zurückkehren. Das heißt: lesen, lesen, lesen. Außerdem werde ich mich durch meine Frau zu allem Möglichen hinreißen lassen. Sie ist Filmliebhaberin und schleppt mich gerne auch ins Kino.
Sie sind gebürtiger Westfale aus Schwelm nahe Wuppertal, dicht am Rheinland. Und Ihr Vorname Willfried schreibt sich mit Doppel-l. Wissen Sie, warum? Mein Vater war schon als Kriegsverletzter zu Hause und wurde von meiner Mutter nach meiner Geburt in der Klinik in Schwelm zum Standesamt geschickt, um meinen Namen anzumelden. Sie gab ihm mit auf den Weg, dass ich Wilfried, nicht Winfried heißen sollte. Er hat dann dem Standesbeamten gegenüber so energisch betont, dass ich Wilfried heißen soll, dass der ein zweites l dazugeschrieben hat. Wenn man schon Maier heißt, ist es ganz gut, wenn man ein Unterscheidungsmerkmal hat.
Den Westfalen sagt man Dickköpfigkeit und Friedfertigkeit nach. Was trifft auf Sie zu? Dickköpfig bin ich manchmal. Im Prinzip bin ich auch friedfertig.
Das Gespräch führte Wolfgang Timpe